'Sapere aude' - Evaluationsstudie zur Umsetzbarkeit von ethischen Empfehlungen am Klinikum Nürnberg


Diplomarbeit, 2006

88 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Ethische Grundlagen
2.1 Ethik
2.2 Moral
2.3 Tugend
2.4 Verantwortung
2.5 Zusammenfassung

3 Das Klinikum Nürnberg und seine ethischen Strukturen
3.1 Allgemeines
3.2 Ethische Grundsätze als Bestandteil der Klinikumskultur
3.3 Ethikzirkel und Ethikkreise
3.4 Fernlehrgang Ethik
3.5 Das Ethik Forum und die Zentrale Mobile Ethikberatung
3.6 Zusammenfassung

4 Ethische Empfehlungen
4.1 Entstehung und Information
4.2 Inhalte
4.3 Grundsätze der Bundesärztekammer (BÄK)
4.4 Vergleich beider Empfehlungen
4.5 Zusammenfassung

5 Sozialwissenschaftliches Vorgehen
5.1 Empirische Sozialforschung
5.2 Quantitative und qualitative Methode
5.3 Methodenkombination
5.4 Zusammenfassung

6 Das Forschungsprojekt
6.1 Forschungsfrage und Forschungsziel
6.2 Forschungsinstrumente
6.3 Forschungszeitraum und Forschungsgruppe
6.4 Eigenes Umfeld
6.5 Sonderbeobachtung Auszubildende
6.6 Vorgehensweise und Ablauf
6.7 Erwartungen und Prognose
6.8 Kennzahlen
6.9 Kritische Würdigung
6.10 Zusammenfassung

7 Ergebnisse der Erhebungen und Vorstellung
7.1 Inhaltsanalyse
7.1.1 Struktur und Bewertung ethischer Empfehlungen
7.1.2 Informationspolitik und Bildung
7.1.3 Systemisches Denken
7.1.4 Menschenbild
7.2 Vorstellung der Studie im Ethik Forum
7.2.1 Reaktionen und Ideen
7.3 Vorstellung der Studie in der Krankenpflegeschule
7.3.1 Reaktionen und Ideen
7.4 Zusammenfassung

8 Interpretation und Schlussfolgerungen
8.1 Praktische Struktur der ethischen Empfehlungen
8.2 Transparenz und Information im Alltag
8.3 Über den Tellerrand hinaus
8.4 Über und mit dem Menschen

9 Ethik und Unternehmenskultur
9.1 Interdisziplinäre Zusammenhänge
9.2 Die Zukunft ethischer Empfehlungen
9.3 Die Zukunft der Auszubildenden
9.4 Beantwortung des Forschungsziels
9.5 Zusammenfassung

10 Die Vernetzung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft
10.1 Globalisierung
10.2 Historisches und gegenwärtiges Berufsverständnis
10.3 Der Einfluss der Philosophie
10.4 Der Sinn in der Sinnfrage
10.5 Tabuthema Tod und Sterben
10.6 Die Struktur der Verantwortung
10.7 Zusammenfassung

11 Schlussgedanken

12 Abschließende Würdigung

Literaturverzeichnis

Anhang

Persönliche Erklärung

1 Einleitung

In den letzten Jahren ist es, besonders in den Bereichen des Gesundheitswesens, zu vielen Veränderungen gekommen. Ein neues Entgeltsystem wurde eingeführt, bei dem jeder Behandlungsfall mit einem Pauschalpreis bezahlt wird. Gesundheitszentren, nach dem Vorbild der Polikliniken, einer Errungenschaft der ehemaligen DDR, sprießen überall aus dem Boden. Kleinere Kliniken und Krankenhäuser wurden und werden von größeren Häusern aufgekauft, oder fusionieren miteinander. Die Versorgung der Kranken nimmt in den ländlichen Regionen deutlich ab und dafür in den größeren Städten zu. In Zeiten knapper Kassen wird besonders in den Einsatz neuster Technologie investiert, was auf der anderen Seite zu einem Abbau von Arbeitskräften führt. Diese wiederum streiken für höhere Löhne und bessere Arbeitsplatzbedingungen und zeigen dabei eine Beharrlichkeit die manchmal auch an anderer Stelle von Nöten wäre. Der monetäre Wert vieler Dinge scheint über andere Werte erhaben zu sein und sich unserer Sinne zu bemächtigen. Ob nun für den Einzelnen, die Familie, das Unternehmen oder den Staat, alle brauchen Geld. Heutzutage scheint das Kapital die Basis dafür zu sein, wohin der Weg jedes Einzelnen geht. Diese Abhängigkeit von einem Faktor ist erschreckend, doch viel schockierender ist es, das wir uns dessen bewusst sind und kaum etwas dagegen tun. Alles ist käuflich und in vielen Dingen unseres oberflächlichen Denkens steht, am Anfang der Reflexion, die Frage nach dem was es kostet! Sind wir in unserem zunehmend materialistisch gesteuerten Denken überhaupt noch Herr der Lage? Wissen wir über die Folgen überhaupt Bescheid, wenn wir uns kaum die Zeit nehmen diese zu bedenken?

Entfernen wir uns nicht immer weiter vom Zeitalter der Aufklärung, die das Denken mit den Mitteln der Vernunft in den Vordergrund stellt? Selbstbestimmend und ohne Vorgaben von Obrigkeiten, heute durch den Missbrauch von Hierarchien bestens widerlegt, soll der Mensch sein. Ist das überhaupt möglich oder besser gesagt, war es in der Geschichte der Menschheit je möglich gewesen? Ich mag das sehr bezweifeln und die Gegenwart zeigt eher Tendenzen zurück in die Abhängigkeit, als aus ihr heraus.

Dennoch könnte gerade die Umsetzung der ethischen Empfehlungen, des Klinikums Nürnberg, einen Beitrag leisten, um uns auf der einen Seite der zunehmenden Abhängigkeit bewusst zu werden und um uns auf der anderen Seite aktiv aus dieser zu befreien.

Dies bedarf einer notwendigen Reflexion und Auseinandersetzung der verschiedensten Dimensionen, die die ethischen Empfehlungen mit sich bringen. Dazu gehören beispielsweise die Bedeutung von Verantwortung, Moral und Tugenden, als ethische Grundlagen. Des Weiteren ist auf geschichtliche und gesellschaftliche Aspekte zu achten, wie zum Beispiel die Bedeutung von Familie, Staat und Unternehmen. Besonders unser geistiges Verhalten, im Sinne unserer Vernunft, oder der Auseinadersetzung auf philosophischer Ebene, ist eine nicht zu unterschätzende Dimension. Der Sinn unseres Seins, die zunehmende Globalisierung und der Einsatz von Technik sind weitere Einflussfaktoren, für die Umsetzbarkeit ethischer Empfehlungen. Hier ist zu betonen, dass es bei weitem nicht ausreicht nur eine Handlungsanweisung zu erstellen, die Vielen vielleicht bekannt sein mag, aber die in der Praxis keine Anwendung findet. Ein Phänomen unserer Zeit, das sich in den verschiedensten Bereichen des täglichen Lebens zu etablieren begonnen hat. Die Komplexität des Gesamten scheint kaum erfassbar, doch gerade die Zerteilung in seine einzelnen Dimensionen, zeigt die Notwendigkeit der Reflexion, jeder einzelnen Bestandteile. Im Laufe des Forschungsprojektes werden weitere dazu kommen.

Die Gemeinsamkeiten der Dimensionen bestehen darin, das sie vom Menschen genutzt werden, das sie für sich betrachtet etwas Ganzes sind, die in ihre Einzelteile zerlegt werden müssen, um sie besser zu verstehen und das sie als Ganzes wiederum ein Teil von einem anderen Ganzen sind.

Viele der einzelnen Bestandteile zeigen die Grundlagen unseres Seins und Handelns. Deshalb ist es umso wichtiger, dass man diese auf die jeweilige Dimension projiziert und dabei vor allem auf ihre wechselseitige Beeinflussung und Beziehung achtet. Der Sinn entsteht erst durch das Verstehen und dieses bekommt man durch die Reflexion und Auseinandersetzung mit dem Gesamten und seiner Einzelteile.

Die ethischen Empfehlungen sollen zeigen, wie viel der Mensch für sein Sein und Handeln tun möchte und wie sehr er dazu die Grundlagen des Menschseins benötigt, besser gesagt, wie sehr er davon abhängig ist.

Dennoch scheint sich immer wieder eine These zu bestätigen, nämlich die der Unvereinbarkeit, zwischen dem Wesen und seinem Sein.

Der Wunsch nach Autonomie und der Unantastbarkeit der Würde eines jeden Menschen

ist ein Ideal unseres Wesens, das sich vollkommen und vollendet sieht. Doch unser Sein, unser reales Selbst, zeigt uns, wie unvollkommen und unvollendet wir wirklich sind. Aber ist nicht dies ein Zeichen von Menschlichkeit, nicht perfekt zu sein?

Anders gefragt, kann der Mensch überhaupt je perfekt sein und was bedeutet das in seiner Konsequenz? Streben wir nicht nach etwas, was uns den Sinn des Lebens nimmt, wie er auch in der Unsterblichkeit zu finden wäre?

Schon jetzt wird einem bewusst in welche unterschiedlichen Dimensionen ethische Empfehlungen führen können und das es sich nicht nur um eine Dimension handelt. Sie sind und dürfen nie nur ein beschriebenes Blatt von Instruktionen unseres möglichen Verhaltens sein und schon gar nicht bedarf es „Obrigkeiten“ die über deren Ausübung verfügen. Deshalb ist eine Reflexion, der möglichen Wirkungen und Handlungen im Vorfeld, zwingend erforderlich und zwar für jeden Einzelnen.

Dazu möchte ich in der folgenden Evaluationsstudie das Ganze der ethischen Empfehlungen in seine Einzelteile zerlegen, diese beleuchten und wieder zusammensetzen.

Ich gehe zum Anfang auf Grundlagen der Ethik, wie Moral, Tugenden und Verantwortung ein. Danach werde ich das Klinikum Nürnberg mit seinen ethischen Organisationen vorstellen und dabei besonders auf das Ethik Forum und die Erstellung der ethischen Empfehlungen eingehen. Der Hauptteil wird sich mit der empirischen Erfassung, sowie deren Auswertung und Schlussfolgerungen befassen. Hierbei ist es wichtig zu wissen, dass es eine Studie, hinsichtlich der Erfassung ethischer Empfehlungen, in dieser Form noch nicht gegeben hat. Besonders die Auseinandersetzung mit den betroffenen Berufsgruppen, in Bezug auf die erhobenen Daten, ist ein wegweisender Schritt. Die Vielfältigkeit der Thematik zeigt sich auch in der Reflexion von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, als ein gemeinsames Netzwerk. Meine Schlussgedanken, sollen zukünftige Varianten anskizzieren, aber in erster Linie möchte ich erreichen, dass Sie ihr Wissen, um zusätzliche Möglichkeiten erweitern, um so in Zukunft mehr Spielraum für weises und ethisches Handeln zu besitzen.

Sie sind und bleiben als Einzelner für alle ihre Handlungen verantwortlich, doch bedenken Sie, dass auch der Verzicht auf etwas für Verantwortung steht und das im Sinne der zunehmenden Globalisierung gerade der Einzelne, in seinem lokalen Handeln, eine globale Wirkung verursachen kann. Diese Erkenntnis ist sicherlich nicht neu, doch die Konsequenzen daraus, werden der Menschheit zunehmend schneller bewusst gemacht, als sie es selbst für sich reflektieren kann.

Ich wünsche Ihnen nun, viele neue Erkenntnisse beim lesen und verstehen und bitte nehmen Sie sich Zeit und vergessen Sie nicht, dass das Menschliche sich in seiner Unvollkommenheit zeigt und vor allem in der Art, wie wir damit umgehen.

2 Ethische Grundlagen

2.1 Ethik

Ich könnte jetzt damit beginnen „Ethik als Suche von allgemeingültigen Aussagen über das gute und gerechte Handeln, geleitet von der Idee eines sinnvollen menschlichen Lebens, auf methodischem Wege“[1] zu beschreiben. Dies würde aber wieder einmal zu der Erkenntnis führen, das Ethik etwas sehr Komplexes und Schwammiges sei und hinsichtlich der Verständlichkeit nur für bestimmte Schichten zugänglich wäre. Das Ethik tatsächlich komplex ist, möchte ich gar nicht abstreiten, aber die Verständlichkeit ist immer noch Ausdruck des jeweiligen Sprachgebrauchs. Darum werde ich als nächstes versuchen Ethik zu beschreiben, ohne auf schwerfällige Definitionen zurückgreifen zu müssen, denn eines muss klar sein, Ethik hat nichts mit Ausgrenzung anderer zu tun. Ethik ist in erster Linie das Reflektieren einer menschlichen Handlung und nicht die Vorgabe von Handlungsanweisungen. Dabei ist selbständiges Nachdenken einer der zentralen Punkte für ethisches Handeln.

Aber wieso immer über alles nachdenken müssen? Es gibt doch Normen, Werte, Rechte und Regeln, die klar vorgeben wie zu handeln ist.

„Die Würde des Menschen ist unantastbar“, steht im Artikel 1 des Grundgesetzes. Es ist Gesetz und doch wird immer wieder darüber diskutiert oder sogar dagegen verstoßen. Aber warum? Es ist nicht das Gesetz selbst, sondern es ist die Auslegung des Gesetzes. Was bedeutet denn Würde für den Einzelnen? Es gibt sicherlich zahlreiche Antworten und noch mehr Unterschiede. Der Kern ist aber nicht die Definition des Begriffes, sondern die Toleranz und Akzeptanz der verschiedenen Möglichkeiten.

Man spricht in der Ethik oft vom guten und richtigen Handeln. Aber was bedeutet denn gut und richtig? Eine Definition für diese Begriffe gibt es nicht. Was für uns gut ist, wird bestimmt durch Werte und Normen, aber auch durch die Familie, Gesellschaft und Medien. Doch Werte und Normen können sich ändern. Ist es dann aber nicht mehr gut was ich tue? Die aktuelle Auseinandersetzung mit der jeweiligen Thematik ist wichtig, sowie das Hinterfragen von Werten und Normen. Dabei müssen die Argumente für jeden Einzelnen verständlich und akzeptabel sein und dürfen nie auf Dogmatismus und Pauschalisierung beruhen.

Wir müssen lernen andere Meinungen in unsere Reflexion sachlich mit einzubeziehen. Beide Pole und seien sie noch so gegensätzlich, können in ihrer Integration einen wichtigen Beitrag für unser späteres ethisches Handeln bewirken.

Besonders Themen wie würdevolles Sterben beruhen in ihrer späteren Handlung nicht nur auf einer Meinung. Es sind ethische Themen, die uns alle angehen und dies braucht Akzeptanz, Toleranz und Verständnis eines jeden Einzelnen. Dies setzt Kritikfähigkeit, Kommunikation und das Zulassen von Gefühlen und Zweifeln ebenso voraus, wie den Umgang mit Fehlern. Alle diese Dinge haben Auswirkungen auf unser späteres Handeln und sind somit Grundbestandteile der Ethik, denn Ethik will unser Leben gestalten.

2.2 Moral

„Moral und Sitte stellen den für die Daseinsweise der Menschen konstitutiven, normativen Grundrahmen für das Verhalten, vor allem zu den Mitmenschen, aber auch zur Natur und zu sich selbst dar.“[2] Auch diese Definition möchte ich im Folgenden etwas näher beleuchten und verständlicher machen.

Moral entsteht in erster Linie aus den Regeln gemeinsamen Handelns, wie beispielsweise „Du sollst nicht töten“. Das Wort Regel bekommt dabei einen leicht negativen Beigeschmack, denn man denkt gleich an die Pflicht und den Verzicht. Aber moralisches Handeln sollte aus überzeugenden und logischen Argumenten, sowie emphatischen Fähigkeiten bestehen. Hierbei müssen unterschiedlichste Gesichtspunkte betrachtet und reflektiert werden. Dazu gehört zum Beispiel die Gemeinschaft, die genau genommen jegliches gemeinsames Handeln voraussetzt. „Gemeinsam sind wir stark“ ist nicht nur ein einfacher Slogan. Er beinhaltet, dass jeder innerhalb der Gemeinschaft gerecht, wahrhaftig, tolerant und zuverlässig sein sollte.

Diese Werte in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft zu erhalten, gestaltet sich als schwierig, aber nicht als unmöglich. Durch die Erziehung unserer nachfolgenden Generationen, besonders im familiären Bereich, aber auch durch Institutionen, wie Kindergarten, Schule, Arbeitsstätte etc. müssen wir einem Werteverlust und der Orientierungsunsicherheit entgegen wirken. „Die Erziehung ist das erste Steuerungsinstrument zur Ausbildung moralischen Handelns und ethischer Reflexion.“[3]

Wir müssen moralisches Handeln vorleben als Vorbilder, damit die nächste Generation es wieder ihrer Generation vorlebt. Dabei müssen wir uns hüten vor zuviel Wohlstand, Egoismus und Manipulation, sowie Dogmatismus und dem Einfluss der Medien.

Doch es gibt nicht nur die eine Gemeinschaft, sondern viele Gemeinschaften, Gruppen die sich abgrenzen und damit andere ausgrenzen. Wenn allen Menschen bewusst wäre, dass niemand das Recht hat, über das Leben eines Anderen zu bestimmen, bräuchten wir nicht die Regel „Du sollst nicht töten“. Ursachen dafür, dass es solche Regeln doch gibt, sehe ich beispielsweise in der mangelnden Reflexion anderer Gemeinschaften oder in der mangelnden Zulassung von Integration und wenn es nur um die Meinung des Anderen geht.

Ich verlange nicht, dass sich alle Gemeinschaften verbünden, das wäre absolute Utopie, aber das Nachdenken über die Anderen wäre schon ein Schritt in die richtige Richtung. Dabei sollte man sicherlich vorsichtig und zurückhaltend vorgehen, doch nur aus Respekt und niemals aus Angst.

Dies sind einige bedeutsame Punkte, um Intoleranz, Dogmatismus und Gewalt entgegenzuwirken und den Geltungsbereich zwischen aus- und abgrenzenden Gemeinschaften zu erweichen. Eines sollten wir nie vergessen, dass wir alle Menschen sind und niemand das Recht hat über andere erhaben zu sein. Doch scheinbar ist auch dies nur eine moralische Regel einer Gemeinschaft, weil es andere Gemeinschaften gibt, die weder Reflexion noch Integration zulassen.

2.3 Tugend

Über die Tugend zu sprechen gestaltet sich in der heutigen Zeit recht schwierig, da oft der Begriff fehl interpretiert wird. Im Sinne einer zunehmend individualisierten Gesellschaft werden Begriffe wie Zielstrebigkeit und Durchsetzungsvermögen oft als Tugenden bezeichnet.

Ordnungssinn, Pünktlichkeit und Pflichtbewusstsein werden oft als spießbürgerlicher Lebensstil bezeichnet und Aufrichtigkeit, Toleranz und Ehrlichkeit scheinen eher als eine Floskel von Höflichkeit missbraucht zu werden, unter dem Aspekt der Erfüllung eines Zweckes.

Doch was bedeutet Tugend überhaupt, welchen Wert hat sie und vor allem brauchen wir sie überhaupt? Tugenden sind Ideale mit dem Ziel immer das Gute gern zu tun. Es sind Eigenschaften, die unser Handeln bestimmen, unabhängig von der jeweiligen Situation.

Man kann nicht von der Tugend Gerechtigkeit für sich sprechen, wenn man dahinter einen Profit, Zweck, oder die Befriedigung einer Emotion sieht. Tugenden haben etwas mit innerem Willen und Unabhängigkeit von Regeln zu tun. Sie beruhen auf Erfahrung, Mühe und einer gestärkten Sensibilität und Stabilität des Ichs.

Außerdem dienen Tugenden nicht nur einem selbst, sondern auch anderen Menschen, wie es beispielsweise die Hilfsbereitschaft tut. Der Dalai Lama würde dazu sagen: „Es sind jene Dinge, die uns im Leben die größte Freude und Zufriedenheit schenken, die wir aus Anteilnahme für andere heraus tun.“[4]

Und die Menschen sind auf Tugenden angewiesen, denn sie dienen dem Erhalt und der Entfaltung unseres Lebens. Würden wir als Menschen überhaupt existieren, wenn niemand von uns mutig, gerecht, klug und gemäßigt wäre? „Und in der Tat ist eine Gesellschaft, die diese Tugenden nicht schätzt und pflegt, kaum vorstellbar.“[5] Unsere Gesellschaft existiert noch, weil es Menschen mit Tugenden gibt, doch wir sollten darauf achten, dass die Tugenden auch für das stehen, was sie wirklich bedeuten. Wir laufen Gefahr Dinge, wie beispielsweise Zielstrebigkeit und Durchsetzungsvermögen als Tugenden zu bezeichnen. Doch stehen diese wirklich immer für ein gutes Tun? Können diese Dinge nicht auch zu Egoismus, Verlogenheit und Missachtung von Menschenrechten führen?

Wir müssen wieder viel mehr auf die wahren und guten Tugenden setzen, wie Verantwortungsbewusstsein, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft, Toleranz, Gerechtigkeit, Mäßigung und Ehrlichkeit. Dabei dürfen wir nicht aus bestimmten Zwecken handeln, aber genau darin sehe ich die Probleme in unserer Zeit und Gesellschaft. Trotzdem müssen wir wieder mehr auf den Pfad zu den Tugenden finden, denn sie sind der einzige Weg, die Laster wie Neid, Bosheit, Verleumdung, Egoismus etc. aufzudecken und dagegen vorzugehen. Politische Aussagen, wie die von Herrn Westerwelle der meint, dass wenn jeder an sich denken würde, ja an alle gedacht wäre, zeigen wie ernst und verkannt die Lage wirklich ist.

2.4 Verantwortung

Die Verantwortung ist ein zentraler Bereich unserer Ethik, wenn nicht sogar der Wichtigste. Sie zu übernehmen bedeutet, dass ich mir der Tragweite meines Handelns bewusst bin und dass ich die Konsequenzen, sowie Risiken kenne. Dies setzt voraus, dass ich als Mensch frei bin, über mich selbst bestimme und als Subjekt über mich als Objekt nachdenken kann. Dennoch bedarf es gerade hier der Festlegung von Grenzen und einer Kontrolle meines Handelns. Diese Aufgabe können Werte, Normen, Gewissen, sowie Staat, Gesellschaft, aber auch die verschiedenen Religionen übernehmen.

Man muss dabei nicht nur Verantwortung für sich, sondern auch für Andere übernehmen. „Auf Grund seiner Fähigkeit zur Verantwortung wird der Mensch zum Rechts- bzw. Moralsubjekt, der für sein Handeln und dessen Folgen einzustehen hat. Im Bereich des Rechts kann es zu Strafen oder Belohnungen kommen, moralisch zu Achtung und Verachtung.“[6] Das Wichtigste aber ist die generelle Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen, natürlich unter der Voraussetzung einer vernünftigen Reflexion, um mir die Tragweite meines Handelns bewusst zu machen.

Doch in einer Gesellschaft, in der sich zunehmend der Trend einer Singularisierung zeigt, besteht die Frage, ob man denn überhaupt für andere Verantwortung übernehmen sollte? Spätestens bei dieser Frage sollte man sich immer auf die Verantwortung gegenüber kommenden Generationen besinnen, aber auch an die Generationen denken, die an uns gedacht haben.

Bis jetzt stand die Verantwortung immer im Zeichen von und für die Menschen, doch es scheint, dass zunehmend die Verantwortung auf die Technik übertragen wird. Warum? Ist es der Wohlstand, oder die Bequemlichkeit, die Verantwortung an die Technik abzugeben, die sich jeglicher Rechenschaft entzieht? Kann sich der Mensch einen solch fatalen Fehler überhaupt leisten? Wir sollten schnellstens mit der Reflexion darüber fortfahren und Handeln, denn schon Hans Jonas sagte: „Die Verantwortung aller Menschen liegt darin, die Unversehrtheit seiner Welt und seines Wesens gegen die Übergriffe seiner Macht zu bewahren.“[7].

2.5 Zusammenfassung

Vielleicht haben Sie schon bemerkt, dass es zwischen allen vier vorgestellten ethischen Grundlagen immer wieder Zusammenhänge gibt. Verantwortungsbewusstsein ist eine Tugend und Tugend, sowie Moral, sind wichtige Stützen unserer Ethik und unseres Handelns.

Die Beiträge sind teilweise sehr kritisch betrachtet, aber notwendig um zu verstehen, dass es hier um elementare Dinge unserer Existenz geht. In einem späteren Kapitel sollen diese Aussagen und Feststellungen noch genauer und praktischer untermauert werden. Im folgenden Kapitel möchte ich Ihnen nun das Klinikum Nürnberg, sowie seine ethischen Strukturen vorstellen.

3 Das Klinikum Nürnberg und seine ethischen Strukturen

3.1 Allgemeines

Die Geschichte des Klinikums Nürnberg begann am 5. September 1897.

Seit 1998 ist es ein selbstständiges, gemeinnütziges Kommunalunternehmen, unter städtischer Trägerschaft und ein Haus der Maximalversorgung. Es unterteilt sich in das Nord- und Südklinikum und beinhaltet 38 Fachkliniken und Institute, sowie eine Krankenpflegeschule. Es verfügt über 2.400 Betten und 5.200 Mitarbeiter. Unter dem Motto „Wir sind für Sie da“ steht das Klinikum für Behandlung, Begleitung, Betreuung und Beratung aller Patienten, hinsichtlich medizinischer und pflegerischer Leistungen. Dabei steht auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Vordergrund und gehört zu einem der Leitsätze des Klinikums.

3.2 Ethische Grundsätze als Bestandteil der Klinikumskultur

Das Klinikum Nürnberg verpflichtet sich zu ethischen Grundsätzen, welche alle Dienstleistungen am Patienten, die Gestaltung organisatorischer Abläufe und die Kommunikation zwischen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aller Ebenen betrifft. Diese Grundsätze sind keine endgültigen Festlegungen, sondern ein Bezugsrahmen. Ziel ist eine öffentliche Selbstverpflichtung in der täglichen Arbeit, bezüglich Entscheidungsprozessen und Tätigkeiten.

Die Achtung der Würde eines jeden Einzelnen, sowie der Schutz und der Respekt seiner Autonomie und Rechte ist der Maßstab für alle weiteren Entscheidungen. Weder ökonomische noch wissenschaftliche oder gesellschaftliche Interessen dürfen darüber stehen. Dies soll der „Ethik – Code“ sicherstellen.

Der kollegiale Umgang miteinander, sowie ein demokratischer Führungsstil und das Vorleben menschlicher Werte sind weitere wichtige Grundlagen der Klinikumskultur.

Das Miteinander der verschiedenen Berufsgruppen zeigt sich auch in der Schaffung einer kooperativen Leitung. Hier treffen die pflegerische und die ärztliche Leitung gemeinsame Entscheidungen, hinsichtlich wirtschaftlicher Interessen. Ein Alleingang einer der beiden Berufsgruppen ist hier nicht möglich.

Weiterhin wurde ein Verhaltenskodex für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entwickelt, der verbindliche Regeln im Umgang mit dem Patienten und unter einander enthält und Bestandteil des Arbeitsvertrages ist.

Ziel soll es sein Konflikte fair, tolerant und sachlich auszutragen und ein gutes Betriebsklima zu schaffen. Führungskräfte sollen konstruktiv mit Kritik umgehen können und in ihrem Führungsstil auf menschliche Werte, wie Wohlwollen, Geduld, Nachsicht, Humor und Vertrauen achten.

Mit Maßnahmen, wie der Fort- und Weiterbildung, sowie der Errichtung verschiedener ethischer Organisationen, sollen diese Prozesse fortwährend unterstützt und ausgebaut werden.

3.3 Ethikzirkel und Ethikkreise

Ethikzirkel und Ethikkreise können selbständig in den einzelnen Kliniken und Instituten gebildet werden. Der Vorstand ist über die Bildung dieser Arbeitsgruppen zu unterrichten.

Ethikzirkel dienen der Diskussion von ethischen Themen, in deren Mittelpunkt die Arbeit mit Patienten und Angehörigen steht. Ziel ist dabei die ethische Reflexion der Arbeit, sowie die Steigerung der Qualität und Patientenorientierung. Durch die Analyse von Fallbeispielen sollen die Behandlungsteams neue Erkenntnisse für ihre weitere Arbeit gewinnen. Die Teilnahme ist zunächst offen und wird von 2 Mitgliedern der Mobilen Ethikberatung moderiert. Diese legen Sitzungsrhythmus, Teilnahme und Regeln vor Ort mit den Teilnehmern fest. Das grundsätzliche Einverständnis der Klinikleitung muss dabei vorliegen. Für alle Beteiligten gilt die Schweigepflicht. Eine interdisziplinäre Zusammensetzung ist Voraussetzung, ohne die Einzelverantwortung der Berufsgruppen aufzuheben.

Ebenso wie die Ethikzirkel beschäftigen sich Ethikkreise mit ethischen Themen und bieten ihre Hilfe im Umgang mit Problemsituationen an. Es geht hierbei vordergründig um patientenzentrierte Konfliktlösungen. Der Ethikkreis besteht aus ärztlichem und pflegerischem Personal.

Wichtigste Voraussetzung für beide Organisationsformen ist eine gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten.

3.4 Fernlehrgang Ethik

In Kooperation mit der Akademie für Ethik in der Medizin e.V. (Göttingen), dem Institut für Angewandte Ethik und Medizinethik (Basel) und dem Institut für Geschichte und Ethik der Medizin (Erlangen) besteht am Klinikum die Möglichkeit zur Ausbildung eines Ethikberaters.

Die Ausbildung dauert 10 Monate, sie ist kostenpflichtig und für alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Gesundheitswesen zugänglich. Voraussetzung ist eine abgeschlossene Berufsausbildung oder ein Hochschulstudium, sowie mindestens 6 Monate Berufserfahrung, in einer Einrichtung des Gesundheitswesens. Ziel ist die Vermittlung von Grundlagen der Ethik und angewandter Ethik. Dazu kommen Themen der ethischen Organisationsentwicklung und der klinischen Ethikberatung. Weiterhin soll das Problembewusstsein für ethische Fragestellungen gefördert und durch praktische Kenntnisse in der Anwendung vermittelt werden.

3.5 Das Ethik Forum und die Zentrale Mobile Ethikberatung

Dem Vorstand unterstehen neben den verschiedenen Kliniken und Instituten auch die zentralen Dienste. Zu diesen Diensten gehört das Zentrum für Kommunikation und Bildung. Aus diesem Bereich kommt die Geschäftsführung für das Ethik Forum, während die Mitglieder vom Vorstand berufen werden. Diese widerrum wählen aus ihren Reihen den Vorsitzenden. Das Ethik Forum selbst wurde im Oktober 2002 gegründet. Es ist ein klinikumsübergreifendes und unabhängiges Gremium, das die Entwicklung der Unternehmensethik begleiten und fördern soll. Es arbeitet ehrenamtlich und ist nicht weisungsgebunden.

Im Zuge einer kommenden Satzungsänderung des Klinikums soll das Ethik Forum integriert und weiter etabliert werden. Ziele sind es, Grundsatzfragen der Berufs- und Unternehmensethik zu behandeln und Lösungsvorschläge zu unterbreiten. Dabei sollten alle Beschlüsse grundsätzlich im Konsens gebildet werden, ansonsten entscheidet die Mehrheit.

Weiterhin ist das Ethik Forum zuständig für ethische Unternehmensberatung, Fortbildung, Ethikberatung, sowie der Moderation von Ethikzirkeln.

Es besteht aus einem Netzwerk zu denen die Ethikkreise, Ethikzirkel, sowie die Zentrale Mobile Ethikberatung gehören.

Die Berufung der bisherigen Mitglieder erfolgte durch den Vorstand. Momentan ist die Anzahl auf 15 begrenzt, wobei eine interdisziplinäre Zusammensetzung aller Hierarchieebenen, sowie externer Mitglieder erwünscht ist. Eine mögliche Rotation der Mitglieder erfolgt in zweijährigem Abstand. Die Einberufung weiterer bzw. neuer Mitglieder bedarf der offenen, einfachen Mehrheitswahl, durch die Forumsmitglieder und der Zustimmung durch den Vorstand.

Die Zentrale Mobile Ethikberatung ist, wie schon erwähnt, Bestandteil des Ethik Forums. Sie ist für ihre Tätigkeit gegenüber dem Ethik Forum und Vorstand verantwortlich. Ziel ist eine schnelle Lösung akuter ethischer Fragestellungen, aus der Arbeit und dem Umgang mit Patienten und Angehörigen. Hierbei geht es um Therapiebegrenzung, Umgang mit Sterbeprozessen und unklaren Situationen, hinsichtlich des Patientenwillens.

Alle Ansprechpartner sind Ethikberater und Ethikberaterinnen, die vom Ethik Forum weitergebildet wurden. Eine interdisziplinäre Zusammensetzung ist erwünscht.

Es gilt die Schweigepflicht, sowie die Dokumentation wesentlicher Aspekte, welche der Patientenakte bei gefügt werden.

Im Intranet gibt es eine aktuelle Liste der Mitglieder und Anfragen können telefonisch, per Email oder an die diensthabenden Ethikberater gerichtet werden. Diese sind über ein Piepser – System, in der Regel von Montag – Freitag, erreichbar.

3.6 Zusammenfassung

Das Klinikum Nürnberg verfügt über eine Vielzahl ethischer Organisationen und ist auch bestrebt ethische Bestandteile in seine Unternehmenskultur einzufügen. Dies ist in erster Linie zu belobigen und als Vorbildfunktion zu sehen. Dennoch sind die Grundvoraussetzungen jeglichen ethischen Handelns, die Reflexion der Sachverhalte und die Kommunikation, “als schillernder, vieldeutiger Begriff unterschiedlicher Formen und Aspekte von Mitteilung oder Informationsübermittlung, “[8] unter allen Beteiligten. Es ist zwecklos, über viele Institutionen zu verfügen, wenn sie nicht bereit sind miteinander zu kooperieren und sich auszutauschen. Hierbei meine ich den Einsatz und die Entwicklung von Verantwortungsbewusstsein für jeden selbst und für seine Umwelt, am besten als Tugend, die wichtiger Bestandteil unseres ethischen Handelns sein sollte. Bedenken Sie was ich eingangs über die Ab- und Ausgrenzung von Gemeinschaften gesagt habe.

Alle diese Organisationen und Institutionen sind einzelne Gemeinschaften und doch sind alle wieder vereint in der Gemeinschaft des Klinikums. Es besteht also eigentlich überhaupt kein Grund der Ab- und Ausgrenzung und dennoch erleben wir sie. Warum?

Ich denke es mangelt uns an einer gesunden, konstruktiven Streit- und Fehlerkultur, was all zu oft zu unbeherrschten Emotionen führt und damit alle guten Vorsätze zum Scheitern verurteilt.

Der Einzelne bringt oft das Verhältnis der Gemeinschaften ins Schwanken. Dies ist natürlich in erster Linie auch auf den Charakter jedes Einzelnen zurückzuführen. Dieser wird geprägt in Zeiten kindlicher und jugendlicher Entwicklung und ich frage mich, ob eine Weiterentwicklung im Erwachsenalter überhaupt noch möglich ist?

Kann ein Unternehmen wirklich von einer ethischen Unternehmenskultur sprechen und durch wen wird sie beeinflusst? Fragen, die ich versuchen werde in dieser Arbeit mit zu beantworten. Im nächsten Kapitel stelle ich Ihnen jetzt die ethischen Empfehlungen als Kern dieser Arbeit vor und gehe dabei auf Entstehung, Verbreitung und inhaltliche Aspekte ein

4 Ethische Empfehlungen

4.1 Entstehung und Information

Eine Befragung unter den Mitarbeitern ergibt den Wunsch nach Orientierungshilfen für den Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden. Das Ethik Forum, die Nürnberger Hospizakademie und die Klinikseelsorge erarbeiten dazu eine Vorlage. Diese wird mit den ärztlichen und pflegerischen Leitungsgremien abgestimmt und im Oktober 2004 vom Verwaltungsrat verabschiedet. Grundlage sind dabei die Empfehlungen der Bundesärztekammer vom Mai 2004.

Im November 2004 werden an 2 Tagen öffentliche Informationsveranstaltungen durchgeführt. Hier werden die ethischen Empfehlungen vorgestellt und jeder Bürger oder Mitarbeiter kann Fragen zur Thematik stellen. Weiterhin gibt es an alle Fachkliniken und Institute Hausmitteilungen, sowie ausführliche Informationen über das Internet und Intranet. Seit 2005 besteht auch die Möglichkeit einer Fortbildung, die sich mit der Umsetzung der ethischen Empfehlungen befasst. Diese wird vom Zentrum für Kommunikation und Bildung angeboten.

4.2 Inhalte

Insgesamt umfassen die ethischen Empfehlungen 9 Grundsätze. Es geht um die Aufgaben der Mitglieder des Behandlungsteams, sowie deren gemeinsame, aber auch spezifische Verantwortungsbereiche. Dabei besteht die Verpflichtung zur Lebenserhaltung nicht unter allen Umständen. Das bedeutet, dass ein offensichtlicher Sterbevorgang nicht durch lebenserhaltende Maßnahmen künstlich verlängert werden sollte.

Bei der Entscheidungsfindung sollte ein Konsens, zwischen ärztlichen und pflegenden Mitarbeitern, gesucht werden.

Die grundsätzliche Beachtung des Willens des Patienten ist ebenso zentral, wie die Basisbetreuung. Diese steht für menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit, sowie das Stillen von Hunger und Durst.

Betont wird, dass die wirtschaftlichen Faktoren keinen Einfluss auf Entscheidungen haben dürfen und dass alle Entscheidungen individuell erarbeitet werden müssen.

Die genannten Grundsätze dürfen in ihrer Aussage nicht, als Grund für die Abgabe der eigenen Verantwortung, missbraucht werden.

Die Umsetzung und Anwendung des Patientenwillens wird durch einen vorgegebenen Standard gesichert. Dieser beinhaltet persönliche Daten des Patienten, wie Name, Adresse, Telefonnummer und Angaben über eventuelle Vollmachten und Betreuer. Der Standard wird in der Patientenakte hinterlegt.

Weiterhin verweist der Standard auf die Möglichkeit der Nutzung einer ethischen Beratung, sowie auf die Grundsätze der Bundesärztekammer und einer Broschüre des Bayerischen Justizministeriums, über die Erstellung von Patientenverfügungen und Vollmachten.

4.3 Grundsätze der Bundesärztekammer (BÄK)

Die Bundesärztekammer ist die Spitzenorganisation der ärztlichen Selbstverwaltung. Sie vertritt die berufspolitischen Interessen von Ärztinnen und Ärzten in der Bundesrepublik Deutschland. Die von ihr, im Jahr 2004, erstellten Grundsätze haben dabei folgende Inhalte, von denen ich einige näher beschreiben möchte.

Die Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten ist ein zentraler Faktor. Weiterhin wird auf die Basisbetreuung, künstliche Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr, sowie auf die Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Zwängen bei Entscheidungen eingegangen.

Aktive Sterbehilfe ist ebenso untersagt, wie dem Verlangen des Patienten nach Selbsttötung nachzugeben. Dies widerspricht dem ärztlichen Ethos und kann strafrechtlich verfolgt werden.

Weitere Kapitel widmen sich den ärztlichen Pflichten bei Sterbenden, dem Verhalten bei Patienten mit infauster Prognose und der Behandlung bei schwerster, zerebraler Schädigung und anhaltender Bewusstlosigkeit.

Bei der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr sollte beachtet werden, dass dies auch zusätzliches Leid für den Sterbenden bedeuten kann.

Die Unterrichtung des Sterbenden über Zustand und Maßnahmen muss wahrheitsgemäß sein, aber man sollte sich auch an den vorhandenen Ängsten des Sterbenden orientieren.

In Zweifelsfällen sollte immer eine Beratung mit anderen Ärzten und Pflegenden erfolgen.

Es gibt keine Ausnahme von der Pflicht einer leidensmindernden Behandlung und der Zuwendung zum Betroffenen.

Auch die Ermittlung des Patientenwillens spielt eine zentrale Rolle in den Grundsätzen der Bundesärztekammer. Hierbei ist der Betroffene angemessen aufzuklären und in seiner Entscheidungsfindung zu unterstützen.

Der geäußerte Wille ist auch unter einer ablehnenden Haltung zu respektieren. Bei einwilligungsunfähigen Patienten ist die Patientenverfügung bindend, sofern die konkrete Situation beschrieben und nachträglich keine Willensänderung erkennbar ist.

Liegen keine bindenden Erklärungen vor so hat der Arzt so zu handeln, wie es dem mutmaßlichen Willen des Patienten, in dieser konkreten Situation, entspricht. Dieser kann aus folgenden Gesamtumständen ermittelt werden:

- Frühere Äußerungen
- Lebenseinstellung
- Religiöse Überzeugungen
- Haltung zu Schmerzen
- Haltung zu schweren Schäden in der ihm verbleibenden Zeit
- Einbezug von Angehörigen und nahe stehenden Personen, wenn angenommen werden kann, das dies dem Willen des Patienten entspricht

Ist auch hier der mutmaßliche Wille nicht zu ermitteln, so soll der Arzt die indizierten Maßnahmen ergreifen und sich in Zweifelsfällen für eine Lebenserhaltung entscheiden.

Sehr ausführlich wird auch der Umgang mit Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen beschrieben. Durch diese nimmt der Patient

sein Selbstbestimmungsrecht wahr und es soll dem Arzt eine Hilfe für zukünftiges Handeln sein.

4.4 Vergleich beider Empfehlungen

Auf den ersten Blick ist klar zu erkennen, dass die Grundsätze der Bundesärztekammer(BÄK) über wesentlich mehr Inhalte verfügen.

Hinsichtlich der Verantwortlichkeiten sind vor allem die Grundsätze der BÄK genauer definiert. Besonders auffallend ist die häufige Verwendung der Wörter sollen, können, müssen, sowie dürfen in beiden Empfehlungen, besonders in den Grundsätzen der BÄK.

Die ethischen Empfehlungen des Klinikums betonen stärker die gemeinsame Verantwortung des Behandlungsteams.

Beide Empfehlungen unterstreichen die individuelle Bearbeitung aller Entscheidungen, sowie die Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Zwängen.

Die Beachtung des Patientenwillens ist ein zentrales Anliegen und wird am Klinikum Nürnberg durch einen vorgegebenen Standard praxisnah angewendet.

Für weiteres konkretes Verhalten verweist das Klinikum auf die Grundsätze der BÄK.

Dort ist besonders der Punkt der Ermittlung des Patientenwillens sehr ausführlich beschrieben, der den meisten Mitarbeitern aber wohl verborgen bleibt, weil nur der Hinweis darauf bei den wenigsten ein größeres Interesse hervorrufen wird.

[...]


[1] Höffe, Otfried; Lexikon der Ethik; 6. Auflage; 2002; S. 58

[2] Höffe, Otfried; Lexikon der Ethik; 6. Auflage; 2002; S. 177

[3] Dehner, Klaus; Lust an Moral; 1998; S. 13

[4] Dalai Lama; Das Buch der Menschlichkeit; 2000; S. 136

[5] Müller, Anselm Winfried; Was taugt die Tugend ?; 1998; S.25

[6] Höffe, Otfried; Lexikon der Ethik; 6. Auflage; 2002; S. 274 f.

[7] Jonas, Hans; Das Prinzip der Verantwortung; 1979; S. 9

[8] Höffe, Otfried; Lexikon der Ethik; 6. Auflage; 2002; S. 136 f.

Ende der Leseprobe aus 88 Seiten

Details

Titel
'Sapere aude' - Evaluationsstudie zur Umsetzbarkeit von ethischen Empfehlungen am Klinikum Nürnberg
Hochschule
Evangelische Hochschule Nürnberg; ehem. Evangelische Fachhochschule Nürnberg
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
88
Katalognummer
V60399
ISBN (eBook)
9783638540889
ISBN (Buch)
9783656810001
Dateigröße
759 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sapere, Evaluationsstudie, Umsetzbarkeit, Empfehlungen, Klinikum, Nürnberg
Arbeit zitieren
Diplom - Pflegewirt (FH) Toralf Lehnert (Autor:in), 2006, 'Sapere aude' - Evaluationsstudie zur Umsetzbarkeit von ethischen Empfehlungen am Klinikum Nürnberg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/60399

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