Die G7 während der Anfangsphase des sowjetisch/russischen Transformationsprozesses


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

28 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

I. „Realismus“ vs. „Hegemoniale Stabilität“ vs. „Gruppenhegemoniale Stabilität“
1. Die Theorie des Realismus
1.1. Zum Vergleich: Die Theorie des neoliberalen Institutionalismus
2. Kritik am klassischen Realismus: Die Theorie der hegemonialen Stabilität
3. Weiterentwicklung der Theorie hegemonialer Stabilität: Der Ansatz der gruppen- hegemonialen Stabilität

II. Die G7 zwischen 1989 und 1994 – Analyse eines Prozesses
1. Die Gipfeltreffen von Paris 1989 und Houston 1990
1.1. Theoretische Einordnung
2. Das Gipfeltreffen von London 1991
2.1. Theoretische Einordnung
3. Die Gipfeltreffen von München 1992 und Tokio 1993
3.1. Theoretische Einordnung
4. Das Gipfeltreffen von Neapel 1994
4.1. Theoretische Einordnung

Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Einleitung

Während des Ost-West-Konflikts prägte die militärische und ideologische Bipolarität zwischen den USA und der Sowjetunion die Machtverteilung im internationalen System. Die Welt war in zwei Lager gespaltet, die um diese beiden Supermächte herum organisiert waren. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus und des Zerfalls der Sowjetunion hat sich die Machtverteilung im internationalen System grundlegend verändert. Aus der weltpolitischen Konkurrenz zwischen den beiden Supermächten und ihren jeweiligen Allianzen sind die USA siegreich hervorgegangen; im Bereich der Militär- und Sicherheitspolitik nehmen die USA seit diesem Zeitpunkt eine Hegemonialposition ein.

Was das Machtgefüge im Weltwirtschaftssystem angeht, so wurde dieses schon während des Kalten Krieges vornehmlich von den führenden westlichen Industriestaaten USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada dominiert, die seit 1975 bzw. 1976 (Kanada stieß erst ein Jahr später dazu) die „Group of Seven“ (G7) bilden. Die G7 entstand ursprünglich aus der Notwendigkeit, die Wirtschaftspolitiken der wichtigsten Volkswirtschaften auf multilateraler Ebene abzustimmen, um auf den weltweiten Abschwung, ausgelöst durch den Zusammenbruch des Bretton Woods-Systems und die erste Ölkrise, zu reagieren. Während die Weltwirtschaftsgipfel zunächst vorwiegend im Zeichen der währungspolitischen Zusammenarbeit standen, nahm im Laufe der Zeit die internationale Zusammenarbeit in der Umwelt-, Sicherheits- und Außenpolitik immer mehr Raum ein.[1]

Diese Arbeit möchte analysieren, ob und wie die USA in der G7 nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hinsichtlich des sowjetisch/russischen Transformationsprozesses gegen oder gemeinsam mit den anderen Mitgliedern ihre Interessen und Strategien innerhalb der Gipfeltreffen in ihrem Sinne verfolgen konnten. Es soll der Frage nachgegangen werden, ob im G7-Netzwerk in diesem Zeitraum eine „gruppenhegemoniale Stabilität“ in Form einer „Concert Equality“ beziehungsweise eine „hegemoniale Stabilität“ durch die USA als „benign hegemon“ existierte oder ob sich die USA nach dem realistischen Denkmuster verhielten. Die Analyse konzentriert sich dabei auf den Zeitraum von 1989 bis 1994, in dem die Interessen der USA hinsichtlich des sowjetisch/russischen Transformationsprozesses einen strategischen Wandel erfuhren und erste Fortschritte im Erweiterungsprozess von der G7 zur G8 sichtbar wurden.

Zunächst sollen die zur Diskussion stehenden Theorien im Allgemeinen vorgestellt werden, um im darauffolgenden empirischen Analyseabschnitt anhand dieser Theorien die Kräfteverhältnisse in der G7 und das Durchsetzungsvermögen der G7-Akteure in der Sowjetunion-Russland-Frage zu analysieren.

I. „Realismus“ vs. „Hegemoniale Stabilität“ vs. “Gruppenhegemoniale Stabilität”

1. Die Theorie des Realismus

Für die Theorie des Realismus in den Internationalen Beziehungen entspricht die Vermehrung der Macht dem dominierenden Ziel staatlicher Tätigkeit. Der relative Machtzuwachs eines Staates bedeutet gleichzeitig immer auch den relativen Machtverlust eines oder aller anderen Staaten. Staatliche Politik ist in der realistischen Denkschule gekennzeichnet durch das Streben nach einem möglichst großen Anteil an der Macht und letztlich in einem Kampf um Positionen in einer Rangordnung aller Staaten, der für Realisten in einem anarchischen Umfeld im Sinne Hobbes` „Kampfe aller gegen alle“[2] stattfindet. Die Entwicklung internationaler Beziehungen ist nach (neo-)realistischen Vorstellungen geprägt von der Hierarchie zwischen den Staaten, die zu hegemonialen Strukturen führt, in denen sich die Schwächeren den Stärkeren unterordnen und ihre Interessen in Übereinstimmung mit denen des Hegemons definieren. Stabilität kann in den internationalen Beziehungen nur durch Kräftegleichgewichte (balance of power) hergestellt werden, die allein eine wirksame Abschreckung gewährleisten. Einer dauerhaften Überwindung dieses Zustandes stehen Realisten pessimistisch gegenüber. Der Realismus ist damit von einem latenten Konkurrenzdenken zwischen Staaten gekennzeichnet, die nach Macht und Sicherheit streben und zu diesem Zweck Bündnisse und Allianzen abschließen.[3] Die drei zentralen Annahmen des Realismus, der anarchische Charakter des internationalen Systems, souveräne Staaten als wichtigste Akteure der internationalen Beziehungen und staatliches Handeln mit dem Zweck der Statusmaximierung durch Machtakkumulation bilden das „realistische“ Paradigma, auf dem sich jede realistische Analyse und Theoriebildung vollzieht.

Dieses Paradigma bestimmt auch die Behandlung ökonomischer Probleme im Rahmen des Realismus. Verbunden ist damit die Konsequenz, dass Wohlfahrt für Realisten kein autonomes Ziel staatlichen Handels ist, sondern als „nationale Wirtschaftskraft“ nur ein Mittel zum Zweck des relativen Machtzuwachses. Das Ziel eines sich dezidiert realistisch verhaltenden Staates ist eine merkantilistische Wirtschaftspolitik, die eine ökonomische Autarkie anstrebt. Die im Ergebnis merkantilistische Betrachtung der Wirtschaftspolitik durch die Realisten beruht auf der Dominanz der militärischen Sicherheit gegenüber der ökonomischen Effizienz. Eine Mischkalkulation von Wohlfahrts- und Sicherheitsinteressen dürfte dann nur zu Veränderungen der Wirtschaftspolitik führen, wenn sich das Sicherheitskalkül eines Staates verändert.[4]

1.1. Zum Vergleich: Die Theorie des neoliberalen Institutionalismus

Von Bedeutung für die heutige Struktur der Welthandelsordnung ist auch die Theorie des neoliberalen Institutionalismus. Zwei der zentralen Ideen des modernen Welthandelssystems sind der nichtdiskriminierende Freihandel als Ausdruck liberalen Wirtschaftsdenkens sowie die Schaffung eines normativen und institutionellen Rahmens durch die WTO und das GATT als Ausdruck regimeorientierten und institutionellen Denkens.

Vom Realismus unterscheidet sich der Liberalismus insbesondere durch sein Menschenbild, demzufolge der Mensch seiner Natur nach gut und friedliebend, mindestens vernunftbegabt und damit lernfähig ist. Dieser Natur entsprechen im internationalen System Frieden, Gleichheit, Solidarität und Abrüstung. Der Idealismus ist damit im Kern, in Abgrenzung zum deskriptiven und statisch-pessimistischen Realismus, normativ und optimistisch-dynamisch geprägt. Als Mittel zur Überwindung des Naturzustands der Anarchie in den internationalen Beziehungen dienen Kooperation und Integration von Nationalstaaten in gemeinsam organisierten Regimen und Institutionen. Im Zuge der Globalisierung wird diese Form internationaler Kooperation auch als Mittel begriffen, der schleichenden Aushöhlung staatlicher Regelungsmacht entgegenzuwirken.[5]

2. Kritik am klassischen Realismus – Die Theorie der hegemonialen Stabilität

Der Ökonom Charles P. Kindleberger versuchte den Widersprüchen zwischen dem Merkantilismus der herrschenden politikwissenschaftlichen Theorie und dem Liberalismus der ökonomischen Theorie entgegenzutreten, indem er einen Anstoß zur Versöhnung des Realismus mit der Theorie der liberalen Ökonomie unternahm und eine Theorie internationaler Politik formulierte, die einem in der Nachkriegsphase immer liberaler werdenden Weltwirtschaftssystem gerecht werden sollte.

Kindleberger behauptete in einer Untersuchung der Weltwirtschaftskrise von 1929, die Schwere der Krise sei dadurch entstanden, dass Großbritannien die Weltwirtschaft nicht (wie im 19. Jahrhundert) stabilisieren konnte und die USA sie nicht stabilisieren wollte. Daraus folgerte Kindleberger, dass die Stabilität und die Liberalität der Weltwirtschaft von der Existenz einer dominierenden Nation abhängt.[6]

Stephen Krasner und Robert Gilpin entwickelten daraus die neo-realistische „Theorie der hegemonialen Stabilität“ mit sowohl realistischen als auch liberalen Annahmen. Sie gingen davon aus, dass es im Interesse der ökonomisch führenden Staaten liege, ein liberales Weltwirtschaftssystem zu schaffen. Der Hegemon könne bei einer entsprechenden globalen Machtkonstellation sein Interesse an einem liberalen Weltwirtschaftssystem durch die Etablierung entsprechender internationaler Regime Ausdruck verleihen.[7] Im Interesse des „Leaders“ und in seiner Verantwortung liege die Verteidigung der spezifischen Institutionen und die Durchsetzung der Einhaltung zentraler Regeln, um für alle einen „beneficial outcome“ sicherzustellen.[8] Aus liberaler Sicht haben die USA diese Machtposition selten ausgenutzt, sondern – im Gegenteil – den Aufstieg von Konkurrenten (Westeuropa, Japan) akzeptiert und unterstützt. Ein Hegemon dieser Art ist in diesem Sinne eher ein Staat, der eine wohlwollende Führungsrolle spielt (benign hegemon), als einer der erzwingt und durchsetzt. Da die anderen Kooperateure in diesem System davon profitieren, haben sie auch keinen Grund, die Führungsrolle zu untergraben oder sich dadurch beherrscht zu sehen.[9]

Die ursprüngliche Version der Theorie ging davon aus, dass eine liberale Weltwirtschaft eine abhängige Variable der Existenz eines Hegemons ist. Denn wenn es eines Hegemons bedarf, um ein liberales Weltwirtschaftssystem zu etablieren, dann, so wurde angenommen, wird dieses aller Voraussicht nach zusammen mit dem Hegemon untergehen. Laut der Prognose bedeutet das Ende der amerikanischen Hegemonie auch das Ende einer liberalen Weltwirtschaftsordnung. Nachdem diese Prognose nicht in der erwarteten Weise eintrat, wurde die Theorie in verschiedener Hinsicht modifiziert.[10]

3. Weiterentwicklung der Theorie hegemonialer Stabilität – Der Ansatz der gruppenhegemonialen Stabilität

Die relative Stabilität des Weltwirtschaftssystems und ihrer kooperativen Züge lassen laut Reinhard Rode annehmen, dass die stabilisierende Rolle auch von einer Gruppe kooperierender Staaten und von internationalen Regimen bewerkstelligt werden könne. So sei denn auch die Stabilität der OECD-Welt auch nach dem Verlust der Hegemonialstellung der USA bislang weitgehend erhalten geblieben; ein Einzelhegemon werde offenbar nicht mehr benötigt. Seiner Ansicht nach hat sich nach dem Aufstieg Europas und Japans eine Gruppenhegemonie entwickelt. Dem Unilateralismus des alten Hegemons sei kein wirklicher Multilateralismus, sondern vielmehr ein Minilateralismus in Form einer heterogenen, in ihrer Zusammensetzung offenen und dynamischen, durch lockere Koalitionen gekennzeichneten Gruppenhegemonie gefolgt. Ihre Governanceleistungen werden laut Rode sowohl durch die weltwirtschaftlichen Regime GATT/WTO, IWF, Weltbank als auch in der informellen Gruppe der G7 erbracht, die auf einem gemeinsamen liberalen Wertekanon basieren. In diesem Governance-Netzwerk würden die wichtigen Entscheidungen von den G7-Regierungen in den Führungsgremien der Regime und in der G7 selbst gefällt. Die Mitglieder der hegemonialen Gruppe seien ungleich, aber gleichberechtigt. Der frühere Hegemon USA, sei immer noch die Nummer eins, aber selbst vom Minilateralismus in der Gruppe und von den Regimen abhängig. Die USA hätten nicht mehr das letzte Wort und seien nicht mehr unilateral führungsfähig. Es könne zwar keine Entscheidung gegen die USA gefällt werden, doch können die USA ebenso wenig gegen die Interessen der anderen Gruppenmitglieder agieren.

Diese Form des „Weltwirtschaftsregierens“ durch eine locker vernetzte hegemoniale asymmetrische Gruppe stellt nach Meinung Rodes noch mehr als die ehemalige Einzelhegemonie der USA eine wohlwollende und sanfte Hegemonie dar. Die Mittel zur Führung werden der Gruppenhegemonie durch eine weiche Macht (soft power) realwirtschaftlicher Leistungsfähigkeit bereit gestellt. Weiche Macht zeichnet sich dadurch aus, dass sie andere dazu bringt, den eigenen Zielen freiwillig, d.h. durch Attraktivität und Überzeugung und nicht durch Strafandrohung bzw. Strafe, zu folgen. Weltwirtschaftsregieren im Interesse der Stabilität und Funktionsfähigkeit einer liberal geprägten Weltwirtschaft bedeute, Governanceleistungen im wohlverstandenen aufgeklärten Selbstinteresse zu erbringen und weltwirtschaftliche Stabilität als globales öffentliches Gut bereitzustellen.[11]

[...]


[1] Peter I. Hajnal; John J. Kirton, The Evolving Role and Agenda of the G7/G8: A North American Perspective, NIRA Review, Spring 2000, S. 5 f. [www.nira.go.jp/publ/review/2000spring/03hajnal.pdf]

[2] Darunter wird ein andauernder Konfliktzustand zwischen allen Akteuren verstanden, da das betrachtete Spiel als Verteilungskampf beziehungsweise Null-Summen-Spiel auf gefasst wird. Vgl.: Thomas Plümper, Der Wandel weltwirtschaftlicher Institutionen. Regimedynamik durch ökonomische Prozesse (Schriften zu internationalen Wirtschaftsfragen; Band 20), Berlin 1996, S. 24.

[3] Ulrich Menzel, Zwischen Idealismus und Realismus. Die Lehre von den internationalen Beziehungen, Frankfurt a.M. 2001, S. 28.

[4] Ebd., S. 24 ff.

[5] Jürgen Hartmann, Internationale Beziehungen, Opladen 2001, S. 49 ff.

[6] Vgl. Charles P. Kindleberger, The World in Depression, Berkely 1973 ; und derselbe in: Dominance and Leadership in the International Economy. Exploitation, Public Goods, anf Free Riders, International Studies Quarterly 25, 1981, S. 247. Entn. aus: Thomas Plümper, Der weltwirtschaftlicher Institutionen, S. 27.

[7] Thomas Plümper, Der Wandel weltwirtschaftlicher Institutionen, S. 28.

[8] Richard Stubbs; Geoffrey R.D. Underhill, Political Economy and the Changing Global Order, Basingstoke 1994, S. 30.

[9] Reinhard Rode, Weltregieren durch internationale Wirtschaftsorganisationen, Halle 2001, S. 24.

[10] Thomas Plümper, Der Wandel weltwirtschaftlicher Institutionen, S. 29.

[11] Reinhard Rode, Weltregieren durch internationale Wirtschaftsorganisationen, S. 22 ff.

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Die G7 während der Anfangsphase des sowjetisch/russischen Transformationsprozesses
Hochschule
Universität Hamburg  (Institut für Politische Wissenschaft)
Veranstaltung
Internationale Wirtschaftsbeziehungen
Note
1,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
28
Katalognummer
V61006
ISBN (eBook)
9783638545549
ISBN (Buch)
9783656792604
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anfangsphase, Transformationsprozesses, Internationale, Wirtschaftsbeziehungen
Arbeit zitieren
Christoph Meyer (Autor:in), 2004, Die G7 während der Anfangsphase des sowjetisch/russischen Transformationsprozesses , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61006

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