Die Politik des ostfraenkisch-deutschen Königs Otto I. d. Großen und die Reichskirche, der Klerus als abhängiger Beamtenapparat des Königs?


Seminararbeit, 2001

41 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Vorgeschichte
2.1. Das Ende des Reiches der Karolinger und die Gründung neuer Königreiche im 9. Jh
2.2. Die Bildung von Stammesherzogtümern

3. Die Herrschaft Ottos I. und die Reichsverfassung
3.1. Die Familienpolitik und der Liudolfaufstand
3.2. Bedeutung und Begriff der Reichskirche
3.3. Der Ausbau der Reichskirche
3.3.1. Die Ausstattung mit Reichsgütern und Hoheitsrechten durch Otto I. und das Servitium regis von Bistümern und Abteien (I)
3.3.2. Bischöfe, Bischofswahlen und die Hofkapelle (I)
3.3.3. Expansion und Christianisierung im Osten
3.3.4. Zusammenfassung und Ausblick

4. Kontroverse um die Gegengewichtsthese
4.1. Die Ausstattung mit Reichsgütern und Hoheitsrechten durch Otto I. und das Servitium regis von Bistümern und Abteien (II)
4.2. Bischöfe, Bischofswahlen und die Hofkapelle (II)

5. Abschließende Beurteilung

6. Anhang

7. Zeitleiste

8. Quellen

9. Literatur

1. Einleitung

Diese schriftliche Hausarbeit befasst sich mit der ottonischen Herrschft im ostfränkisch-deutschen Reich des 10. Jahrhunderts n.Chr. Im Mittelpunkt steht der deutsche König Otto I. d. Große und seine Politik mit der Reichskirche. Untersucht werden Intentionen und Bedingungen dieser Politik. Leitfragen sind, welches Verhältnis zwischen König und Kirche bestand, wie er mit ihr oder auch gegen sie handelte. War die Reichskirche einfach der verlängerte Arm der Königsgewalt, gab es keine Eigenständigkeit, und was wollte der Monarch überhaupt ereichen?

Die Behandlung dieser Fragen bezieht sich fast ausschließlich auf die Regierungszeit Ottos I. als König des Reiches von 936 bis 973. Obwohl sich die ottonisch-salische Reichskirche auch noch unter den folgenden Monarchen entwickelte, soll der Blick auf dem Beginn dieser Entwicklung unter Otto I. liegen, der zwar nicht als Erfinder angesehen werden kann, der sie aber als erster systematisch für sich nutzte. Aus dem Grund wird auch auf die Kaiserzeit Ottos I. nicht eingegangen. Ebenfalls kann in diesem Rahmen nur die deutsche Reichskirche Beachtung finden und bis auf wenige Abschnitte entfällt ein Vergleich mit den europäischen Nachbarkirchen aus thematischen Gründen.

Die Literatur zu diesem Thema ist weit und umfassend. Die Erscheinungen datieren hauptsächlich aus der Mitte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zu nennen ist wohl an erster Stelle Joseph Fleckenstein, der mit seinem Beitrag im Handbuch der deutschen Geschichte das Standardwerk für diese Epoche und weitere Werke zum Thema Reichskirche liefert.[1] Daneben gibt es zahlreiche geschichtliche Überblicksdarstellungen, wie z.B. den Band Das frühe Mittelalter von Jan Dhondt in der Reihe Fischer Weltgeschichte[2] oder auch die Bände von Reinhard Schneider und Johannes Fried im Oldenbourg Grundriss der Geschichte.[3] Zum Thema Reichsbischöfe ist Odilo Engels zu nennen. Timothy Reuter und Rudolf Schieffer[4] leiten u.a. mit ihren Aufsätzen die für diese Hausarbeit wichtige Kontroverse ein, die sich anhand der oben angeführten Leitfragen ergibt und die hier nachgezeichnet werden soll. Kurz gesagt, geht es hierbei um die Frage, ob die Gegengewichtsthese, nach der Otto die Kirche als Machtmittel gegen den weltlichen Adel installiert hat, zutrifft oder nicht.

Außer einer Neudeutung der vorhandenen Quellen und Literatur, die allerdings völlig andere Schlussfolgerungen zulässt, kam in den letzten Jahrzehnten wenig Neues hinzu. Mittlerweile ist die historische Forschung soweit, dass mehr oder weniger nur noch Bekanntes reproduziert wird.[5]

Als Quellengrundlage dient Routgers Vita sancti brunonis archiepiscopi coloniensis, die als das Standardwerk über den ottonischen Reichsbischof bezeichnet werden kann. Daneben existiert eine Fülle von Dokumenten der ottonischen Hofkapelle, die aber hier keine weitere Beachtung findet.

Als Einführung in das Thema wird in den ersten Kapiteln ein historischer Ablauf gegeben, der den Übergang vom Karolinger Reich zum ostfränkisch-deutschen Reich darstellt und schon auf die dabei entstehenden Schwierigkeiten hinweist. Im Folgenden steht Otto I. im Mittelpunkt, seine Politik dem weltlichen Adel und auch der Reichskirche gegenüber. Die Kapitel 3.3. und 4 leiten die Diskussion der Kontroverse um die Leitfragen ein und stellen sie dar. Diese Abschnitte bilden den Kern dieser Hausarbeit, deren Ergebnisse dann in Kapitel 5 abschließend beurteilt werden. Zur Unterstützung der Darstellung und Orientierung befinden sich im Anhang historische Karten sowie unter 7. eine Zeitleiste über die behandelte Epoche.

2. Vorgeschichte

2.1. Das Ende des Reiches der Karolinger und die Gründung neuer Königreiche im 9. Jh.

Die karolingischen Herrscher, besonders Karl der Große, hatten das fränkische Reich[7] und ehemalige Reich der Merowinger im Herzen Europas im 8. Jh. n.Chr. stark erweitert. Das entstandene Staatengefüge, das karolingische Reich, bestand im Großen und Ganzen aus einem fränkischen Kern und darum herumliegenden Randgebieten, zu denen u.a. auch Sachsen gehörte.[8] Die Macht lag in erster Linie bei der königlichen Dynastie, der Zentralgewalt, die auf Reichtum, militärischer und polizeilicher Gewalt, auf der Kirche und anderen Faktoren beruhte. Sie stand in ständigem Konflikt mit zentrifugalen Kräften.[6]

So entwickelten sich östlich des Rheins, in etwa dem Gebiet des späteren deutschen Reiches, vier Herzogtümer „auf unverkennbarer Volksgrundlage (Stammesherzogtümer)“[9]. Diese Stammesherzogtümer bildeten immer eine mehr oder weniger starke Opposition zu den Monarchen, die das Land weder geistig einen noch eine gemeinsame kulturelle Identität schaffen konnten. Wenn man das ganze Reich betrachtet, darf wohl nur die karolingische Verwaltung, sowie die Kirche als für alle Reichsteile gleichbedeutende Institutionen gesehen werden. So entdeckt Dhondt ein großes Problem des Karolingerreiches darin, dass nur durch erheblichen militärischen Aufwand die Einheit des Reiches nach außen gewahrt werden konnte, während im Inneren längst Spaltungen nach den Volkszugehörigkeiten stattfanden. Diejenigen, deren Aufgabe es gewesen war, gegen diese Tendenzen anzugehen, die adligen Familien, hatten längst erkannt, dass für sie eine Stärkung des regionalen Adels und eine Schwächung der monarchischen Zentralgewalt von Vorteil waren. „Die Aristokratie war grundsätzlich gegen die Herrschaft eines Monarchen und strebte vielmehr nach der Errichtung einer aristokratischen Republik.“[10]

Machtausbau, Drang nach Reichtum u.a. waren die persönlichen Motive des Hochadels. Natürlich reagierten die Monarchen auf die Bestrebungen der Grafen, z.B. durch das karolingische Verwaltungsnetz, die Anbindung von Adligen im Status eines Vasallen und der Verfügung über königlichen Landbesitz, doch dieser Konflikt um die Macht ist das eigentliche Problem der Zeit, das erst mit den sächsischen Königen, worauf wir noch zu sprechen kommen werden, gelöst wurde.

Der Zusammenhalt des Reiches hing in erster Linie mit der Stärke der Zentralgewalt, also des herrschenden Monarchen, zusammen. Bis zu dessen Schwächung konnte auch ein Bündnis der Großen nichts wirklich Tragfähiges ausrichten. Doch schon zu Beginn des 9. Jh. konnte bei Ludwig d. Frommen, dem Sohn und Nachfolger Karls d. Großen, der am 28.1.814 verstarb, ein Rückgang an Macht verzeichnet werden.[11] Die anfänglichen Erfolge Ludwigs d. Frommen, die Reformgesetzgebung für geistliche und weltliche Bereiche, die Reform der Kanonikerregel und schließlich die Durchsetzung seiner Erbfolgeregelung auf dem Aachener Reichstag von 817 mit der Ordinatio Imperii, wonach der älteste Sohn Kaisertum und fränkisches Kernreich mit der Oberherrschaft über die jüngeren Brüder erhalten sollte, setzen sich nicht fort.[12] Für die folgenden Jahre nach Karl d. Großen schreibt Jan Dhondt:

„In der Zeit nach dem Tode ... konnte der Träger der Krone den Grafenfamilien keine gleichwertige Macht mehr entgegensetzen ... in Frankreich war der Herrscher zum Bittsteller geworden ... Von wirklicher Treue zur Krone war keine Rede mehr. Die Großen wählten den Herrscher nur noch in zynischer Wahrnehmung ihrer materiellen Interessen, und der König war schließlich nicht einmal mehr mächtig genug, einen offensichtlichen Verrat zu verhindern oder zu unterdrücken.“[13]

Die Dynastie hatte nicht einmal für die Sicherheit der Grenzen sorgen können. Fremde Völker (Normannen, Ungarn, Araber) gefährdeten weiterhin die grenznahen Gebiete,[14] deshalb übernahmen jetzt auch dort regionale Adlige die Verteidigung, da der Monarch mittlerweile dazu überhaupt nicht mehr in der Lage war.

Der Kaiser, der durch mehrere Staatskrisen dem Karolingerreich jedes Prestige genommen und es weiter geschwächt hatte, hinterließ drei Söhne, die sich unerbittlich bekämpften und immer mehr Krongüter an Verbündete verteilten.[15] Die Einigung[16] (Vertrag von Verdun 843) schließlich erbrachte die Aufteilung des Reiches nach dem fränkischen Erbfolgeprinzip in drei Teile. Karl d. Kahle erhielt den Westen, Ludwig d. Deutsche den Osten und Lothar I. den Kaisertitel und ein Gebiet von Friesland bis zur Grenze des päpstlichen Roms,[17] das die Reiche der beiden anderen Brüder teilte.[18]

Im Folgenden kam es immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Karl d. Kahlen und Ludwig d. Deutschen, bzw. nach seinem Tod mit dem Sohn und ostfränkischen König Ludwig d. Jüngeren. Allerdings verstarben die Nachkommen Karls d. Kahlen ebenso schnell, wie die Söhne Ludwig d. Deutschen. Nur dessen jüngster Sohn Karl III. (der Dicke) blieb übrig und beherrschte schließlich noch einmal das gesamte Karolingerreich.[19] Allerdings kann von Beherrschen eigentlich nicht mehr gesprochen werden, denn zu diesem Zeitpunkt war die Dynastie gänzlich machtlos geworden, und das Reich praktisch in den Händen des Adels.

„So ist durch [das] ... Regiment [Karls III.] ... der Gedanke der Reichseinheit nicht mehr gestärkt, sondern noch mehr als zuvor erschüttert worden. Seine Unfähigkeit hat im Grunde den sprengenden Kräften zum vollen Durchbruch verholfen“, schreibt Fleckenstein zu den letzten Tagen des Karolingerreiches.[20] Karl d. Dicke wurde 887 in Deutschland abgesetzt und auch 888 in Frankreich vom Thron gestoßen, wodurch die Dynastie der Karolinger endete und das Reich Karls d. Großen in neue Königreiche zerbrach.[21]

2.2. Die Bildung von Stammesherzogtümern

Auf dem Gebiet des ostfränkischen Reiches und des auf dieses Reich begrenzten Kaiserreiches,[22] kam es später als im Westen durch Ausnutzung der Schwäche des Königtums von der Aristokratie zu Bereicherungen und Gründungen von Stammesherzogtümern.[23] Sie hatten ihren Ursprung entweder in den schon vorher existierenden Stämmen oder in bisherigen Verwaltungseinheiten oder Grafschaften, die nun ein Adliger zusammenfasste. Die in diesen Gebieten lebenden Geschlechter kämpften oft erbittert um die Macht, was entweder zur Reduzierung auf nur ein führendes[24] oder zur Zerstückelung eines Gebietes in mehrere Fürstentümer führte.

Stammesherzogtümer auf deutschem Gebiet waren Sachsen, Franken, Schwaben, das sich allerdings erst später ausprägte, und Bayern. Sie erkannten zwar die Oberhoheit eines Monarchen formell an, aber auf sie besaß der König praktisch keinerlei Zugriffsrechte. Königsrechte, Kronvasallen, die Domänen des Staatsgebietes, Grafen (wenn es sie noch gab), der Besitz von Abteien, oft auch das Recht zur Ernennung der Bischöfe standen jetzt den Territorialfürsten zur Verfügung.

An dieser Stelle muss kurz auf das Königtum eingegangen werden. Wie oben beschrieben, bestand die Monarchie fort, und nach der Absetzung Karls d. Dicken 887 wählten die Großen einen König aus ihrer Mitte (Herzog Arnulf von Kärnten) und waren nach dessen Tod damit einverstanden, dass dessen Sohn (Ludwig d. Kind) 900 sein Nachfolger wurde. Ludwig d. Kind war bei der Thronbesteigung erst sechs Jahre alt, und dies zeigt, wie die Fürsten die Position des Königs einschätzten und was sie von ihm verlangten. Er sollte in erster Linie den Zusammenhalt des Reiches demonstrieren, aber ja nicht in „innenpolitische“ Angelegenheiten der Fürstentümer eingreifen, wovon bei einem 6-jährigem König wohl gefahrlos auszugehen war. Auch die hier praktizierte Wahl des Königs hatte an sich schon einen schwachen Monarchen zur Folge, denn warum sollten die regionalen Herrscher von sich aus ihre Macht wieder aus den Händen geben, wo sie doch schon selbst kleine Könige waren? Offensichtlich war das höchste Amt des Reiches trotzdem mit soviel Prestige behaftet, dass es immer wieder einige anstrebten,[25] obwohl die politische Macht gering und dafür die Abhängigkeit von der Aristokratie sehr groß war.

Die heftigen Angriffe der Ungarn von Osten her um 911 zeigten die Nachteile dieser Form des Regierens auf. Jedes Gebiet versuchte eigene, unkoordinierte Abwehrmaßnahmen zu treffen, die aber keinen sichtbaren Erfolg bewiesen. Dafür stützte es aber paradoxerweise das System der Vielstaaterei, denn weil die Stammesherzogtümer versuchten, allein zu bestehen, grenzten sie sich immer weiter von der Zentralgewalt ab und wurden noch eigenständiger, wodurch die in den regionalen Gebieten hervorgetretenen Persönlichkeiten, die nun die eigentliche Schutzaufgabe des Königs übernahmen, natürlich weiter an Macht gewannen. Diese Stammesherzöge[26] hatten mit dem Königtum nichts mehr gemein, sondern waren völlig unabhängig.

Nach dem Tod Ludwig d. Kindes wählten die deutschen Fürsten den Herzog Konrad I. von Franken zum König.[27] Offenbar sah man in ihm einen besonders schwachen Regenten,[28] was sich aber als Irrtum entpuppte. Er versuchte mit Hilfe der Kirche,[29] die derartige Bestrebungen schon früher unterstützt hatte, die monarchische Gewalt im eigenen Interesse wiederherzustellen und wandte sich gegen die Stammesherzöge, die ihn vorher gewählt hatten. Obwohl er keiner war, „wollte Konrad noch einmal wie ein Karolinger herrschen.“[30] Doch auch im Bündnis mit den geistlichen Großen konnte er sich gegen die Stammesherzogtümer nicht behaupten,[31] da auch die Bischöfe nicht überall gegen die Herzöge opponieren konnten, wenn sie ihre kirchlichen Aufgaben weiter ungehindert vollziehen wollten. Konrad I. scheiterte am Ende an den inneren Kämpfen, bevor er sich überhaupt den dringenden außenpolitischen Fragen (wie z.B. den Ungarn) stellen konnte.[32] Aber der Monarch erkannte die Stärke und den Einfluss der Stammesherzogtümer und bestimmte kurz vor seinem Tod seinen ärgsten Feind, Heinrich I. von Sachsen, zum Nachfolger.[33] Er war der Meinung, nur Heinrich I. habe die Macht, ein festgefügtes deutsches Königreich zu schaffen.

Wie die weitere Geschichte zeigte, lag Konrad I. mit seiner Vermutung nicht sehr falsch und wir nähern uns jetzt dem Reich der Ottonen, da mit Heinrich der erste Grundpfeiler für die sächsische Herrschaft in Deutschland gelegt wurde.[34]

Trotz der geregelten Nachfolge musste zuerst Heinrich I. große Hürden überwinden. Während sich die Sachsen und Franken seiner Herrschaft fügten, erkannten ihn die Schwaben nicht an und die Bayern wählten gar einen Gegenkönig. Erst nach zwei Jahren hatte er beide Herzogtümer unterworfen und wandte sich jetzt den Grenzproblemen und Ungarnvorstößen zu.[35] Um für die Festigung der östlichen Reichsgrenze sorgen zu können, handelte er 927, allerdings unter drückenden Tributzahlungen, einen Waffenstillstand aus und reorganisierte die Reichsverteidigung.[36] Dadurch konnte er den Ungarn 933 eine empfindliche Niederlage beibringen, die die deutsche Grenze für seine gesamte Regierungszeit sicherte und zu einer Stärkung des Königsgedankens beitrug.[37] Durch die Eroberung und Anbindung von Volksstämmen jenseits der Reichsgrenze konnte zudem eine Pufferzone von Verbündeten geschaffen werden, die den ersten Ansturm feindlicher Stämme auffing und abbremste. Diese Taktik soll als defensive Reichsverteidigung bezeichnet werden.

Als Heinrich I. 936 starb, wurde die Nachfolge in seinem Sinne geregelt und sein Sohn Otto, mancher Große hätte lieber seinen älteren Stiefbruder auf dem Thron gesehen, in Aachen, der Residenzstadt Karls d. Großen, von allen Stammesherzögen zum König gewählt.[38] Er griff dann auch nach den anderen Stammesherzogtümern Bayern, Franken und Schwaben, indem er die dortigen Stammesherzöge vollständig der Zentralgewalt unterwarf, die er als König ausübte.

Innenpolitisch hatte die Regierung Heinrichs I. eine weitere, sehr bemerkenswerte Folge. Die Stammesherzöge wurden in der Hierarchie nach dem König die nächsten Teilhaber der Reichsgewalt. Die Grafen, die diese Aufgabe bei den Karolingern als Amtsträger innehatten, wurden so ins dritte Glied zurückgeschoben und gleichzeitig den Herzögen unterstellt. Da die Herzöge aber als Vasallen an den König gebunden waren, galt dies natürlich jetzt auch für die ihnen unterstellten Adligen. Um schließlich auch noch die Kirche an die Monarchie zu binden, begann Heinrich I. die Bischöfe an den Hof zu ziehen und die königliche Kirchherrschaft, soweit es möglich war, wieder zur Geltung zu bringen.[39] Diese Ansätze führte sein Sohn Otto I. fort und baute sie aus.

Als äußerst wichtig muss noch erwähnt werden, dass Heinrich I. die königliche Nachfolge gesetzlich regelte, indem er 929 in seiner sogenannten Hausordnung die Unteilbarkeit des Reiches festschrieb. So konnte sein zweitgeborener Sohn Otto mit Zustimmung der Großen zum König bestimmt werden, während seine Brüder mit Herzogtümer abgefunden wurden. Dieses Prinzip der Nachfolgeregelung stellte einen großen Teil des Übergangs vom karolingischen zum deutschen Reich dar, in dem das Erbteilungsprinzip vorgeherrscht hatte.[40]

Dem König ist es „tatsächlich gelungen, den allgemeinen Niedergang aufzuhalten und einen neuen Aufstieg des Reiches zu erzwingen.“[41]

Nachdem wir uns einen Überblick über die Entstehung des ostfränkisch-deutschen Reiches verschafft haben, soll jetzt Otto d. Große (geboren 912) und seine Politik im Mittelpunkt stehen.

3. Die Herrschaft Ottos I. und die Reichsverfassung

An dieser Stelle muss nun noch einmal kurz auf den Beginn der Regentschaft Ottos I., auf die Krönung in Aachen (936), eingegangen werden, da sie in sich schon die neue Reichsverfassung symbolisierte. Durch ihren Ablauf wurden die drei Säulen der Herrschaft deutlich. Das waren Designation, Wahl und Salbung. Die Designation deutete auf das Erbrecht hin, dass Otto als dynastisch legitimierte. Die Wahl durch die weltlichen Großen (Stammesherzöge) sicherte ihn ab und verband ihn zugleich mit den Herzögen, d.h. machte ihn zu ihrem König. Schließlich legitimierte ihn die Salbung in Bezug auf das Gottesgnadentum und sicherte ihm die Oberherrschaft über die Kirche. Somit bildeten Königtum, Adel und die Kirche des Reiches eine Einheit, die den Charakter des neuen deutschen Reiches ausmachte und sich von der karolingischen Tradition abgrenzte, in der es bekanntlich hauptsächlich auf das starke Königtum mit Unterstützung der Kirche angekommen war.[42]

Die Krönung unter Einbeziehung der drei mächtigsten Institutionen des Reiches bildete für Otto einen prachtvollen wie auch kurzen Auftakt seiner Regierungszeit. Die neue Ordnung war jung und musste sich erst noch bewähren. Schon bald wurde ihr dazu die Möglichkeit gegeben, als sowohl die Brüder des Königs gegen die neue Nachfolgeregelung, die sie quasi enteignet hatte,[43] aufbegehrten, als auch die Stammesherzöge versuchten, ihre Souveränität in ihren Gebieten zu festigen und auszubauen. Sie erkannten zwar die Oberherrschaft des Königs an, betrachteten die Stammesherzogtümer wohl dennoch als ihre Privatsache, in die sich der König nicht einzumischen habe. Aber auch Otto I. selbst hatte das Seine zu den Streitereien beigetragen. Er

„machte von Anfang an deutlich, dass er nicht mehr ‚primus inter pares’ sein wollte ... [und] gedachte, politische Entscheidungen auch ohne die Zustimmung des Hochadels zu treffen ... Die Beschneidung ihrer bisherigen Rechte und die verstärkte Unterordnung gegenüber dem Königtum wollten ... [die Adligen] nicht weiter hinnehmen.“[44]

Es folgte eine Zeit der inneren Spannungen und Konflikte, aus denen Otto zwar als Sieger hervorging, die aber auch gezeigt hatte, dass das Königtum doch anfällig und abhängig war und nicht auf sehr sicheren Füßen stand. Er erkannte dies und reformierte die Reichsverfassung, indem er versuchte, die beiden Elemente Adel und Reichskirche enger an sich zu binden.[45] Dies geschah, wie im Folgenden dargestellt wird, auf zwei Ebenen, durch die Reorganisation der Familienpolitik und der Kirche im Reich.

[...]


[1] Fleckenstein 1970.

[2] Dhondt 1986.

[3] Schneider 1982 und Fried 1991.

[4] Reuter 1982 und Schieffer 1989.

[5] In Voigt 2000 finden sich z.B. sämtliche Überlegungen der älteren Literatur – besonders Fleckensteins – wieder.

[6] Dieser Teil soll nur für eine grobe historische Einordnung dienen. Da das Thema nicht das karolingische Reich im engeren Sinne ist, erhebt diese Exkursion keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll dem Leser lediglich eine Orientierung bieten und einige wenige Strukturlinien, die in das ottonische Reich führen, aufgreifen.

[7] Seit dem 6. Jahrhundert hatten die Franken zwar ihre Herrschaft auf das ehemalige Gallien und einen großen Teil Germaniens ausgebreitet, aber immer wieder musste ihr Führungsanspruch gegenüber nichtfränkischen Völkerschaften innerhalb des Reiches (zumal mit wachsender Expansion auch immer mehr dazugehörten) verteidigt werden.

[8] Siehe die Karte des karolingischen Reiches in Anlage I im Anhang.

[9] Dhondt 1968, S. 51. Siehe dazu auch Fleckenstein 1988, S. 130ff.

[10] Zitiert nach Dhondt 1968, S. 53. Die Gesellschaft des karolingischen Reiches beruhte auf ca. 200-300 Grafenfamilien mit enormem Landbesitz. Durch die Vereinigung dieser Großen hatten die Karolinger erst die Macht erhalten.

[11] Zur Verdeutlichung der karolingischen Herrscherfolge siehe Anlage II im Anhang.

[12] Vgl. Schneider 1982, S. 37ff.

[13] Dhondt 1968, S. 35. Allerdings war Ludwig der Fromme, und später seine Söhne, an diesem Gang der Geschichte nicht unschuldig. Während die vorherigen Kaiser den königlichen Landbesitz, auf dem ihre Macht beruhte, als Lehen vergaben und es somit trotzdem Besitz der Krone blieb, übergab dieser den Besitz zu vollem Eigentum an den Adel. So wurde auf der einen Seite die Krone ärmer, abhängiger und unbedeutender, während Status und Einfluss der Aristokratie beständig anwuchsen, bis der königliche Besitz nicht mehr existierte. Die Fragen, warum jetzt überhaupt noch ein König vonnöten war, und wodurch er seinen Machtanspruch noch legitimierte, ließen sich schließlich nicht mehr für ihn positiv beantworten. Der Kaiser hatte sich dadurch selbst seine Handlungsmöglichkeiten beschnitten und sich zu einem zahnlosen Tiger gemacht.

[14] Zu diesen Völkern siehe Fried 1991, S. 48ff.

[15] Der Kaiser hatte, um die Einheit des Reiches zu sichern und wegen des steigenden innenpolitisches Drucks, ein Gesetz erlassen, nach dem das Reich nun doch unter seinen drei Söhnen aufgeteilt werden sollte. Als ihm aus seiner zweiten Ehe ein weiterer Sohn geschenkt wurde, beschloss er, ihn ebenfalls an der Aufteilung zu beteiligen. Er verstieß also gegen sein eigenes Reichsgesetz. Dies löste nicht nur Empörung unter den Söhnen aus, sondern Ludwig der Fromme wurde auch unter tiefster Demütigung von ihnen gezwungen, die Regierung an den um 817 zum Mitkaiser ernannten Lothar abzugeben. Vgl. u.a. Fleckenstein 1988, S. 124f, Dhondt 1968, S. 76. Er wurde zwar „834 wieder als Kaiser restituiert ... [doch dieser] Akt ... [konnte] die Erschütterung kaiserlicher Autorität nicht entfernt wettmachen“. Schneider 1982, S.39.

[16] Fleckenstein beschreibt das Zustandekommen des Vertrages, wodurch die entstandene Macht des Adels genau zu erkennen ist. „Die Brüderkämpfe endeten schließlich nicht durch den Schlachtensieg einer der beiden Parteien [Anmerk. d. Verf.: Hiermit sind Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle gemeint, die sich 842 erneut gegen Lothar I. zusammengeschlossen hatten], sondern durch die Einschaltung der Großen, die des ewigen Kampfes müde waren: durch ihre Vermittlung und unter ihrem Druck kam ... der Vertrag ... zustande.“ (Fleckenstein 1988, S. 125.)

[17] Als Lothars Sohn Ludwig II. verstarb, fiel die Kaiserwürde nach einem Wettlauf Karl d. Kahlen zu.

[18] Siehe zu dieser Teilung die Karte in Anlage III im Anhang.

[19] Da Karl d. Kahle nur einen minderjährigen Enkel hinterlassen hatte, griff der westfränkische Adel nun auch auf den ostfränkischen König Karl III. zurück, der als letzter Nachfahre der karolingischen Dynastie übriggeblieben war, d.h. als letzter legitimer Nachfolger, denn der letzte Karolinger, Arnulf von Kärnten, ein außerehelicher Enkel Ludwigs d. Deutschen, herrschte nach dem Zerfall des Reiches noch über Ostfranken. Weil sich das Kaisertum Ludwigs II. (einer der Nachkommen Lothars I.) praktisch auf Italien beschränkte, war das ehemalige Karolingerreich nördlich der Alpen nur noch zwischen Ludwig d. Deutschen. und Karl d. Kahlen aufgeteilt gewesen. Deswegen beherrschte Karl III. am Ende noch einmal das gesamte Frankenreich nördlich der Alpen und schließlich mit der Kaiserkrone sogar das ganze Reich.

[20] Fleckenstein 1988, S. 128.

[21] Westfranken, Ostfranken, Hoch- und Niederburgund und Italien. Um den Bogen zum Deutschen Reich Ottos I. zu spannen, wird sich die folgende Darstellung hauptsächlich mit Ostfranken befassen.

[22] Arnulf von Kärnten wurde die Kaiserkrone von den anderen europäischen Königen zwar zugebilligt, doch konnte natürlich nicht mehr von einem Imperium nach karolingischem Vorbild gesprochen werden. Für diese Ausführungen reicht die Feststellung, dass das „Imperium“ nun lediglich auf Ostfranken beschränkt war und in den anderen Gebieten Europas die Könige selbstständig herrschten.

[23] Vgl. Fleckenstein 1970, S. 218f.

[24] Wie z.B. die Kämpfe zwischen den Konradinern und den Babenbergern in Franken, bei denen sich die Konradiner nach der blutigen Fehde durchsetzten. Außerdem errangen die Liudolfinger in Sachsen und die Luitpoldinger in Bayern die Macht.

[25] Hiermit ist natürlich nicht Ludwig d. Kind gemeint.

[26] Zum Begriff Stammesherzog und seiner Geschichte schon bei den Karolingern siehe Fleckenstein 1988, S. 130ff.

[27] Bis auf Lothringen, das sich dem westfränkischen Reich anschloss, hielten also alle neuen Herzogtümer an der Reichseinheit fest, was auf ein bestehendes Zusammengehörigkeitsgefühl schließen lässt, da ja die Chance zur absoluten Selbständigkeit nie größer als zu diesem Augenblick gewesen war und weil jetzt sogar ein König aus einer außerkarolingischen Dynastie gewählt wurde.

[28] Während Dhondt in etwa zu dem gleichen Schluss kommt, sieht Fleckenstein den Grund für die Wahl darin, dass der fränkische Stamm in einem besonders engen Zusammenhang mit dem Regnum Francorum stehe. Vgl. Fleckenstein 1988, S. 133 und Dhondt 1968, S. 90f. Beide Folgerungen sind logisch und werden deshalb nicht weiter diskutiert.

[29] Unterstützt wurde er eindringlich von Erzbischof Hatto von Mainz und Kanzler und Bischof Salomo von Konstanz. Dies sei hier nur erwähnt, um schon die Bedeutung der Kirche für die spätere Betrachtung im Auge zu haben.

[30] Fleckenstein 1970, S. 221.

[31] Vgl. u.a. Hausberger 1993, S. 5.

[32] Zu den Versuchen, Lothringen wiederzugewinnen und zu den unvermindert scharfen Ungarneinfällen siehe Fleckenstein 1970, S. 221, 228f.

[33] Zum Verhältnis von Konrad I. und Heinrich I. siehe Fleckenstein 1970, S. 222.

[34] Für eine grobe Überblicksdarstellung der sächsischen Herrscherfamilie siehe Gladen 2001.

[35] Bezeichnend für diesen neuen König und wahrscheinlich auch für den Erfolg seiner Politik war, dass er nicht versuchte, die Stammesherzöge zu enteignen. Er erkannte ihre Macht an und forderte lediglich Huldigung und Vasalleneid.

[36] Das waren Städtegründungen oder Befestigungen bestehender Wohnzentren durch Wälle und Gräben. Durch die Verlegung von Verwaltung und anderen staatlichen Institutionen besiedelte Heinrich I. die Gegenden und verlegte Berufskrieger und andere Einheiten dorthin. Von offensiver Natur war die Entwicklung einer gepanzerten Kavallerie, die schon in Kämpfen mit den Slawen Erfahrung sammelte. Siehe auch Fleckenstein 1970, S. 230f.

[37] Vgl. Hausberger 1993, S. 8.

[38] In der Literatur wird einheitlich erwähnt, dass diese Krönung schon eine Andeutung für spätere Ambitionen auf den Kaisertitel und somit die Nachfolge Karls d. Großen hatte. Vgl. Dhondt 1968, S. 93 und Fleckenstein 1970, S. 235. Zur Krönung selbst siehe die Beschreibung nach Widukind von Korvey in Fleckenstein 1988, S. 141ff.

[39] Vgl. Fleckenstein 1970, S. 227. Dass Heinrich I. die angebotene Salbung des Erzbischofs von Mainz bei seiner Inthronisation ablehnte, wird heute nicht mehr als Makel gesehen. Sie stellte in Ostfranken keinen traditionellen Ritus da. Außerdem wollte der König zum Ausdruck bringen, dass er die gegen die Stammesherzöge gerichtete Politik seiner Vorgänger mit der Kirche nicht weiterführen würde. Dass er nur gegen die bisherige Politik, nicht aber gegen die Kirche als Machtmittel war, bezeugt erstens die Einsetzung des verschmähten Bischofs von Mainz als Erzkapellan und zweitens, wie eben angedeutet, seine Kirchenpolitik.

[40] Wie auch in den meisten anderen europäischen Monarchien.

[41] Fleckenstein 1970, S. 226.

[42] Das Königtum war nun zusätzlich durch das Prinzip der Unteilbarkeit des Reiches bestimmt, was ebenfalls eine Innovation darstellte.

[43] Nach karolingischem Recht hätte das Reich aufgeteilt werden müssen, und sie wären Könige geworden. Außerdem war Otto I. nicht einmal der Erstgeborene.

[44] Voigt 2000, S. 85.

[45] Die herausragende Stellung dieses Herrschers zeigt sich hier m.E. darin, dass er die Fehlentwicklung wahrnahm, sie versuchte zu ändern und nicht auf die Macht des Königs, wie viele vor ihm, vertraute, sondern offensiv durch sozialpolitische Aktionen agierte. Auch reichte ihm die erst einmal überwundene Krise für diese Erkenntnis. Er nahm die Gegebenheiten von Beginn an ernst und handelte.

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Die Politik des ostfraenkisch-deutschen Königs Otto I. d. Großen und die Reichskirche, der Klerus als abhängiger Beamtenapparat des Königs?
Hochschule
Universität Hamburg  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Proseminar Mittelalter
Note
1-
Autor
Jahr
2001
Seiten
41
Katalognummer
V61201
ISBN (eBook)
9783638547055
ISBN (Buch)
9783638688635
Dateigröße
1910 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
In dieser Hausarbeit geht es um die Ausbreitung und Diskussion der sog. Gegegengewichtsthese, die sich um die Frage dreht, ob die ottonischen Könige die Reichskirche im 10. Jh. beliebig gegen den "weltlichen" Adel einsetzen und instrumentalisieren konnte, oder ob diese Polarisierung nicht doch zu einfach gedacht ist und sich nicht halten lässt.
Schlagworte
Politik, Königs, Otto, Großen, Reichskirche, Klerus, Beamtenapparat, Königs, Proseminar, Mittelalter
Arbeit zitieren
Björn Böhling (Autor:in), 2001, Die Politik des ostfraenkisch-deutschen Königs Otto I. d. Großen und die Reichskirche, der Klerus als abhängiger Beamtenapparat des Königs?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61201

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