Inhaltskontrolle bei audiovisuellen Medien


Seminararbeit, 2002

84 Seiten, Note: 12 Punkte


Leseprobe


Gliederung

A) Einführung
I) Begriffsbestimmung – audiovisuelle Medien
II) Begriffsbestimmung Inhaltskontrolle

B) Verfassungsrechtliche Grundlagen der Inhaltskontrolle
I) Allgemeine verfassungsrechtliche Grundsätze
II) Freiheitsgarantien des Art. 5 GG
1) Grundfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG
2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen
in Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2 durch Art. 5 Abs. 2 GG
a) Die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG
b) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
c) Zensur als absolute Eingriffsschranke –
Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG
3) Die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG
4) Schranken der Kunstfreiheit

C) Inhaltskontrolle durch gesetzliche Regelungen
I) Gesetzliche Regelungen aus dem StGB
1) Tatbestand der Volksverhetzung - § 130 Abs. 2 StGB
a) Tatobjekt – Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB)
b) Erfasste Inhalte
c) Tathandlungen
d) Tatbestandseinschränkungen
e) Schutzzweck
2) Tatbestand der Gewaltdarstellung - § 131 StGB
a) Tatobjekt
b) Kontrollierte Inhalte
c) Tathandlungen
d) Tatbestandseinschränkungen
e) Rechtsfolgen und Strafverfolgung
f) Schutzzweck
3) Tatbestand der Verbreitung pornographischer Schriften - § 184
a) Tatobjekt – Schriften (§ 11 Abs. 3)
b) Kontrollierte Inhalte und Schutzzweck
c) Tathandlungen
e) Tatbestandseinschränkungen
f) Rechtsfolgen und Strafverfolgung
4) Verfassungswidrige Inhalte
a) Tatbestand des § 86 Abs. 1 i.V.m. § 86 Abs. 2
b) Tatbestand des § 86 a
c) Tatbestand des § 130 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2, 3
5) Aufwieglerische Inhalte
a) Aufstacheln zum Angriffskrieg - § 80 a
b) Öffentliche Aufforderung zu Straftaten - § 111
c) Anleitung zu Straftaten - § 130 a
d) Belohnung und Billigung von Straftaten - § 140
6) Beleidigende Inhalte
a) Tatbestände der Verunglimpfung - §§ 90, 90 a, 90 b
b) Tatbestand des § 103
c) Tatbestand des § 166
7) Zwischenergebnis
II) Gesetzliche Vorschriften des Wettbewerbsrechts
1) Generalklausel des § 1 UWG
2) Kleine Generalklausel des § 3 UWG
3) Zwischenergebnis
III) Gesetzliche Vorschriften des Urheberrechts
1)Anspruch auf Beseitigung und Unterlassung - § 97 UrhG
2) Anspruch auf Vernichtung und Beseitigung - § 98 UrhG
3) Straftatbestände des UrhG
4) Zwischenergebnis
IV) Gesetzliche Vorschriften des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjS)
1) Anwendungsbereich und Systematik des GjS
2) Die Indizierung nach dem GjS
3) Verbreitungsverbote und Beschränkungen der §§ 3 – 5 GjS
4) Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS)
5) Zwischenergebnis
V) Gesetzliche Vorschriften des Gesetzes zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit (Jugendschutzgesetz – JÖSchG)
1) § 6 JÖSchG – Öffentliche Filmveranstaltungen
2) § 7 JÖSchG – Öffentlich zugängliche bespielte Bildträger
3) § 12 JÖSchG – Ordnungswidrigkeiten und Straftatbestände
4) Verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG
5) Zwischenergebnis
VI) Inhaltskontrolle im Rahmen des Rundfunkstaatsvertrages
1) § 3 RStV – unzulässige Sendungen, Jugendschutz
2) § 7 RStV – Werbeinhalte
3) §§ 2a, 41 RStV – Programmgrundsätze
4) Durchsetzung der Inhaltskontrolle - §§ 49 und 49a RStV
5) Zwischenergebnis
VII) Inhaltskontrolle im Rahmen landesrechtlicher Gesetze
VIII) Inhaltskontrolle durch den Mediendienste-Staatsvertrag
1) Begriff des Mediendienstes und Abgrenzungsfragen
2) § 8 MDStV – Unzulässige Mediendienste, Jugendschutz
3) § 9 MDStV – Werbung
IX) Inhaltskontrolle durch das Teledienstgesetz (TDG)

D) Inhaltskontrolle durch freiwillige Kontrolleinrichtungen
I) Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK)
1) Geschichte der FSK
2) Rechtsnatur und Zusammensetzung der FSK
3) Grundsätze der FSK
4) Verfahren und Prüfpraxis
II) Die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF)
1) Geschichte
2) Rechtsnatur und Zusammensetzung
3) Prüfgrundsätze der FSF
4) Verfahren und Prüfpraxis
III) Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM)
IV) Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK)

E) Zusammenfassende Schlussgedanken
Inhaltskontrolle bei audiovisuellen Medien

A) Einführung

Gewalttaten unter Beteiligung Jugendlicher führen regelmäßig zu einer gesellschaftlichen Vorverurteilung. Die Hauptursache solcher Taten wird in der übermäßigen Gewaltdarstellung in den Medien gesucht. In der Öffentlichkeit ist die Ansicht weit verbreitet, dass die vermeintliche Zunahme der Gewaltkriminalität eine Folge der sich häufenden Gewaltdarstellungen in den Massenmedien sei.[1]

Bei Gewalttaten, wie der eines Jugendlichen am Gutenberg-Gymnasium in Erfurt, lässt jedoch auch die Forderung der Medien und der Politik nach einer schärferen Kontrolle von Medieninhalten nicht lange auf sich warten. So forderte Bundesinnenminister Schily nach dem „Amoklauf von Erfurt“, Gewaltszenen in Medien und Computerspielen generell zu verbieten.

Derartige populistische Reaktionen legen zum einen die Frage nah, inwieweit tatsächlich ein Zusammenhang zwischen medialer und tatsächlicher Gewalt besteht. Dies ist jedoch eine Frage der Medienwirkungsforschung, welche hier nicht zu erörtern ist. Gesagt sei nur soviel, dass die diesbezüglichen Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Frage noch nicht abschließend geklärt ist.[2] Zum anderen verleiht die vom Innenminister angeregte Diskussion der Frage, inwieweit Inhaltskontrolle nach der aktuellen Rechtslage möglich ist und tatsächlich durchgeführt wird, eine wesentliche und aktuelle Bedeutung.

I) Begriffsbestimmung – audiovisuelle Medien

Zunächst ist eine begriffliche Abgrenzung geboten, was unter audiovisuellen Medien zu verstehen ist. Hierbei handelt es sich nicht um einen juristischen Begriff. Grundsätzlich versteht man unter dem Begriff der Medien die Mittel zur Vermittlung von geistigen, optischen und akustischen Inhalten.[3] Dies steht auch im Einklang mit der etymologischen Herleitung des Medienbegriffs von dem lateinischen Adjektiv „medius“, was soviel wie „in der Mitte befindlich“ bedeutet.

Kern des Medienrechts sind die sogenannten Massenmedien, welche im wesentlichen durch drei Charakteristika bestimmt sind, ohne dass diese rechtlich festgelegt wären:

1. Verbreitet werden geistige, optische und akustische Gehalte.
2. Die Verbreitung erfolgt durch distanzüberwindende technische Mittel
3. Die Verbreitung richtet sich an eine Vielzahl von Per- sonen.[4]

Auch wenn ein Teil der Inhaltskontrollnormen auch auf die Individualkommunikation anwendbar ist, liegt der Schwerpunkt der Betrachtung auf dem Bereich der Massenkommunikation. Festzuhalten bleibt somit, dass neben den herkömmlichen Medien Presse, Film und Rundfunk auch die sogenannten neuen Medien Gegenstand dieser Arbeit sind.

Audiovisuell bedeutet soviel wie „ zugleich hör- und sichtbar“ bzw. „Hören und Sehen ansprechend“.[5] Insoweit sind vom Thema lediglich solche Medien erfasst, die gleichzeitig Bild und Ton miteinander kombinieren.

II) Begriffsbestimmung Inhaltskontrolle

Wesentlich schwieriger erscheint die Bestimmung des Begriffs der Inhaltskontrolle. Dieser Begriff ist weit zu verstehen. Keineswegs ist Inhaltskontrolle gleichbedeutend mit Zensur im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG. Inhaltskontrolle ist vielmehr jegliche Form der Einwirkung auf mediale Inhalte, also sowohl präventive, wie auch repressive Maßnahmen. Diese beeinflussen mediale Inhalte unmittelbar, oder auch nur mittelbar. Inhaltskontrollmaßnahmen können dabei sowohl auf gesetzlicher Grundlage, als auch auf privatautonomer Vereinbarung beruhen.

B) Verfassungsrechtliche Grundlagen der Inhaltskontrolle

Bevor auf die Inhaltskontrollvorschriften im einzelnen eingegangen wird, soll zunächst ein Überblick über die verfassungsrechtlichen Grundlagen gegeben werden, an denen jede Form der Inhaltskontrolle bei audiovisuellen Medien zu messen ist.

I) Allgemeine verfassungsrechtliche Grundsätze

Die Maßnahmen der Inhaltskontrolle müssen in jedem Fall mit den allgemeinen Verfassungsgrundsätzen vereinbar sein. Die gesetzlichen Regelungen der Inhaltskontrolle müssen vom jeweils zuständigen Gesetzgeber (Art. 70 ff. GG)[6] in einem ordnungsgemäßen Gesetzgebungsverfahren erlassen worden sein. Inwieweit die Gesetzgebungskompetenz zwischen Bund und Ländern in Teilbereichen der Inhaltskontrolle streitig ist, wird später noch eingehend dargestellt. Gesagt sei an dieser Stelle nur soviel: Der Jugendschutz, der vielfach hinter den Inhaltskontrollnormen steht, wird heute als Verfassungsaufgabe verstanden,[7] die zudem dem Kompetenztitel der „öffentlichen Fürsorge“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG) unterfällt und damit Teil der konkurrierenden Gesetzgebung ist.[8] Dagegen fallen Jugendschutzregelungen im Bereich des Rundfunks unter die Gesetzgebungszuständigkeit der Länder für das Rundfunkwesen.[9]

Über die formelle Verfassungsmäßigkeit hinaus müssen die Inhaltskontrollnormen auch in materieller Hinsicht mit den verfassungsrechtlichen Grundsätzen vereinbar sein. Zu nennen ist hierbei insbesondere das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG, wonach eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Art. 103 Abs. 2 GG enthält ein grundrechtsgleiches Recht, ist eine Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips und letztlich spezielle Ausformung des allgemeinen Willkürverbots.[10] Soweit die Inhaltskontrollvorschriften Straf- bzw. Bußgeldvorschriften enthalten, ist somit notwendige Bedingung der Verfassungskonformität, dass der Tatbestand hinreichend bestimmt ist. Da Abs. 2 keine Eingriffsermächtigung enthält, könnte eine Verletzung des Bestimmtheitsgebots aus Art. 103 Abs. 2 allenfalls durch kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt werden, was jedoch weder in der Rechtsprechung, noch in der Literatur bislang versucht wurde.[11]

Zu beachten ist auch der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG.

II) Freiheitsgarantien des Art. 5 GG

Art. 5 GG enthält eine ganze Reihe von Grundrechten und wertentscheidenden Grundsatznormen: das Recht der freien Meinungsäußerung und –verbreitung, die Informationsfreiheit, die Pressefreiheit, die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film, sowie die Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre.

Im Folgenden seien die Grundrechte aus Art. 5 GG nach ihrem Inhalt und ihren Schranken dargestellt, wobei besonders auf die für audiovisuelle Medien relevanten Grundfreiheiten des Art. 5 GG eingegangen werden soll.

1) Grundfreiheiten des Art. 5 Abs. 1 GG

Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 gewährleistet den Schutz des Grundrechtes der Meinungsfreiheit. Dieses ist nicht nur eines der „vornehmsten Menschenrechte überhaupt“[12], sondern darüber hinaus ist es konstituierend für ein freiheitliches demokratisches Gemeinwesen.[13] Der Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst grundsätzlich Werturteile, aber auch Tatsachenbehauptungen, soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind.[14] Reine Tatsachenmitteilungen haben dagegen mit Meinungsbildung nichts zu tun.[15] Beispielhaft benennt Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG als geschützte Medien Wort, Schrift und Bild. Die Verbreitung der Meinung durch audiovisuelle Medien ist somit vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit erfasst. Auch Filmwerke enthalten Meinungsäußerungen. Selbst Filme rein unterhaltenden Charakters können zumindest indirekt oder verdeckt irgendeine Meinung transportieren.[16] Darüber hinaus müssten sogar rein informatorische Filme erfasst sein, denn Vorraussetzung jeder Meinungsbildung ist Information.[17]

Daneben garantiert Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten (Informationsfreiheit). Informationsquelle ist dabei jeder denkbare Träger von Informationen, also gerade auch die audiovisuellen Medien. Allgemein zugänglich ist eine Informationsquelle dann, wenn sie technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen.[18] Somit wird gewährleistet, dass die unter dem Schutz der Meinungsfreiheit stehenden Meinungen nicht nur verbreitet, sondern auch ungehindert zur Kenntnis genommen werden können.

Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ist für die audiovisuellen Medien besonders bedeutsam. Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 1 schützt zunächst die Pressefreiheit. Der Begriff der Presse umfasst dabei alle zur Verbreitung geeigneten und bestimmten Druckerzeugnisse.[19] Erfasst sind neben den periodisch erscheinenden Druckwerken, wie Zeitungen und Zeitschriften, auch solche, die nur einmal gedruckt werden.

Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 2 GG gewährleistet die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk. Gewährleistet ist über die bloße Berichterstattung hinaus die umfassende Freiheit der Programmgestaltung.[20] Rundfunk ist jede an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtete Übermittlung von Gedankeninhalten durch physikalische, besonders elektromagnetische Wellen.[21] Erfasst sind somit neben dem Hörfunk auch das Fernsehen,[22] aber auch das sogenannte Pay-TV.[23] Der Umfang der Freiheit der Rundfunkberichterstattung reicht von der Beschaffung der Information bis zur Verbreitung der Nachrichten und Meinungen.[24]

Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 3 GG schützt die Freiheit der Filmberichterstattung. In Anlehnung an die Definition des Rundfunks versteht man unter Film die Übermittlung von Gedankeninhalten durch Bilderreihen, die zur Projektierung bestimmt sind.[25] Der Filmbegriff ist entwicklungsoffen zu verstehen und sowohl auf Videokassetten und Laserdiscs als auch auf DVDs auszuweiten.[26] Entgegen dem Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 S. 2 Var. 3 wird heute eine restriktive, auf Nachrichtenübermittlung beschränkte Auslegung des Begriffs der Berichterstattung abgelehnt.[27] Somit sind unter anderem auch Kulturfilme, Experimentalfilme, Werbefilme und eben auch Spielfilme erfasst.[28] Geschützt ist der gesamte Prozess von der Herstellung bis zur Verbreitung, also auch die Erstellung des Drehbuchs, die Aufnahmen, die Herstellung der Kopien, der Verleih und das Abspielen.[29]

2) Verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen in Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2 durch Art. 5 Abs. 2 GG

Die soeben benannten Grundrechte werden jedoch nicht schrankenlos gewährt. Sie unterliegen vielmehr den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG.

a) Die Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG

Insoweit ein Eingriff in eines der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2 GG vorliegt, führt dies noch nicht automatisch zur Verfassungswidrigkeit der betreffenden Maßnahme. Eine eingreifende staatliche Maßnahme - oder im Rahmen der mittelbaren Drittwirkung auch eine nichtstaatliche Maßnahme - kann unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 GG gerechtfertigt sein. Demnach finden die Rechte aus Art. 5 Abs. 1 S. 1, 2 ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Allgemein ist ein Gesetz nicht schon dann, wenn es abstrakt – generell formuliert ist.[30] Das BVerfG folgt einer Kombination aus Sonderrechtslehre und Abwägungslehre.[31] Allgemeine Gesetzte sind danach solche, die nicht eine Meinung als solche verbieten, sondern vielmehr dem Schutz eines Rechtsgutes schlechthin dienen, welches Vorrang gegenüber der Meinungsfreiheit hat.[32] Die Regelungen zum Schutz der Jugend müssen dagegen nicht gleichzeitig allgemeine Gesetze sein, können sich also auch gegen bestimmte Meinungsinhalte richten.[33]

Neben den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG findet sich eine weitere Schranke des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 in Art. 17a GG, wonach Gesetze über den Wehrdienst und Ersatzdienst bestimmen können, dass für die Angehörigen der Streitkräfte oder des Ersatzdienstes während der Zeit des Wehr- oder Ersatzdienstes das Grundrecht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten eingeschränkt werden kann.

Auch die Eingriffsermächtigungen der Art. 9 Abs. 2, Art. 18, Art. 21 Abs. 2 GG können für die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG als Einschränkung von Bedeutung sein.[34] Einschränkungen für die Rechte des Abs. 1 können sich auch aus anderen Verfassungsnormen (kollidierendes Verfassungsrecht) ergeben.[35]

b) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Insoweit der Eingriff durch oder aufgrund eines der von der Schrankenregelung des Art. 5 Abs. 2 GG erfassten Gesetze erfolgt, führt dies wiederum nicht automatisch zu einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs. Vielmehr muss der Eingriff verhältnismäßig sein. Der Eingriff muss geeignet, erforderlich und angemessen sein. Hierbei ist zu beachten, dass dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zusteht, also eine Maßnahme nicht schon allein unverhältnismäßig ist, weil zum Beispiel die Medienwirkungsforschung die Wirkungszusammen-hänge zwischen Medien und Realität noch nicht endgültig beweisen konnte (vgl. oben).[36] Unverhältnismäßig sind jedoch solche Regelungen, die generell die Herstellung und Verbreitung bestimmter Medieninhalte verbieten, da sie somit auch eine Informationssperre für Erwachsene darstellen.[37] Ein angemessenes Verhältnis zwischen den widerstreitenden Interessen ist auch bei der Auslegung und Anwendung der auf Art. 5 Abs. 2 GG gestützten Gesetze zu beachten.[38] Grund hierfür ist gerade die bereits angesprochene Bedeutung der in Art. 5 Abs. 1 garantierten Grundrechte, welche konstituierend für ein freiheitliches demokratisches Gemeinwesen sind.

c) Zensur als absolute Eingriffsschranke – Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG

Gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 3 findet eine Zensur nicht statt. Die systematische Stellung des Zensurverbots bedeutet jedoch nicht, dass auch Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG beschränkbar ist.[39] Hierbei handelt es sich nicht um ein eigenständiges Grundrecht, so dass das Zensurverbot auch nicht den Schranken des Art. 5 Abs. 2 GG unterliegt.[40] Vielmehr handelt es sich bei Art. 5 Abs. 1 S. 3 um eine Schranke der Beschränkungsmöglichkeiten des Art. 5 Abs. 2, also eine absolute Eingriffsschranke („Schranken-Schranke“).[41] Das Zensurverbot gilt jedoch nicht für die Informationsfreiheit.[42]

Zensur im Sinne des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG ist ein präventives Verfahren, vor dessen Abschluss ein Werk nicht veröffentlicht werden darf.[43] Somit ist nur die Vor- oder Präventivzensur erfasst.[44] Nachträgliche Kontroll- und Repressivmaßnahmen (Nachzensur) sind dagegen solange zulässig, wie sie sich im Rahmen der Anforderungen der Schranken aus Art. 5 Abs. 2 GG bewegen.[45] Da nur ein absolutes Publikationsverbot erfasst ist, fallen unter den Begriff der Zensur auch nicht Kontrollmaßnahmen hinsichtlich eines bestimmten Personenkreises, wie zum Beispiel das Verbot Minderjährigen Medien ohne vorherige Kontrolle zugänglich zu machen.[46]

3) Die Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG

Über die Wissenschaftsfreiheit und die Freiheit von Forschung und Lehre hinaus, garantiert Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG die Freiheit der Kunst. Die Kunstfreiheit stellt dabei nicht nur ein individuelles Freiheitsrecht im klassischen Sinne dar, sondern darüber hinaus eine objektive wertentscheidende Grundsatznorm, die das Verhältnis des Bereiches „Kunst“ zum Staat regelt.[47]

Zu klären ist in diesem Zusammenhang, was Kunst aus verfassungsrechtlicher Sicht eigentlich ist. Das BVerfG sah in seinem „Mephisto-Beschluss“ das Wesentliche künstlerischer Betätigung in der freien schöpferischen Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden.[48] Neben diesem materialen Begriff hat das BVerfGE in späteren Entscheidungen einen typologisch formalen und einen „zeichentheoretischen“ Ansatz vertreten.[49]

Das BVerfG favorisiert nicht schlechthin einen der drei Kunstbegriffe, sondern erblickt in ihnen lediglich tragfähige Gesichtspunkte, welche in ihrer Gesamtheit im konkreten Einzelfall eine Entscheidung ermöglichen.[50] Festzuhalten ist jedenfalls, dass die hier interessierenden audiovisuellen Medien grundsätzlich auch Kunst sein können. Somit kann auch ein Action- oder Horrorfilm, selbst ein „gut gemachter“ pornographischer Film Kunst sein.[51] Auch hier sind alle Handlungen geschützt die zur Herstellung und Verbreitung erforderlich sind.[52]

4) Schranken der Kunstfreiheit

Die Schranken aus Art. 5 Abs. 2 GG gelten nicht für die Freiheiten des Art. 5 Abs. 3.[53] In der grundlegenden „Mephisto-Entscheidung“ hat das BVerfG ausgeführt, dass die systematische Stellung des Art. 5 Abs. 3 als lex specialis gegenüber Art. 5 Abs. 1 es verbietet, die Schranken des Abs. 2 auch auf die in Abs. 3 genannten Bereiche anzuwenden.[54] Die Kunstfreiheit ist jedoch nicht schrankenlos gewährt. Art. 5 Abs. 3 GG findet seine Schranken in den kollidierenden Grundrechten Dritter und anderen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswerten.[55] Als kollidierender Wert von Verfassungsrang wird auch der Jugendschutz gesehen, denn der Staat ist verfassungsrechtlich verpflichtet, Normen zum Schutz der Jugend zu erlassen.[56]

C) Inhaltskontrolle durch gesetzliche Regelungen

Es existiert eine ganze Reihe gesetzlicher Regelungen, welche sowohl repressiv, als auch präventiv auf Inhalte bei audiovisuellen Medien „kontrollierend“ einwirken. Diese Regelungen beschränken sich keineswegs nur auf den Bereich des Jugendschutzes, sondern finden sich in verschiedenen Rechtsbereichen, was noch darzustellen ist.

I) Gesetzliche Regelungen aus dem StGB

Das Strafrecht, als ultima ratio der Rechtsordnung, wirkt kontrollierend durch eine Vielzahl von Tatbeständen mit unterschiedlichen Schutzrichtungen auf audiovisuelle Medieninhalte ein.

1) Tatbestand der Volksverhetzung - § 130 Abs. 2 StGB

a) Tatobjekt – Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB)

§ 130 Abs. 2 Nr. 1 StGB setzt als Tatobjekt Schriften im Sinne der Gleichstellungsklausel des § 11 Abs. 3 StGB voraus. Der Schriftenbegriff des § 11 Abs. 3 hat zentrale Bedeutung für die Inhaltskontrollnormen des StGB, denn aus ihm ergibt sich, welche Medien der Inhaltskontrolle nach dem StGB grundsätzlich unterliegen.[57]

§ 11 Abs. 3 besagt, dass den Schriften Ton und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen insoweit gleichstehen, als die diesbezüglichen Vorschriften auf § 11 Abs. 3 verweisen. Hierbei handelt es sich nicht um eine Definition, sondern die Norm bezweckt vielmehr eine verweisungstechnische Zusammenfassung verschiedener Inhaltsträger, deren eigentlicher Oberbegriff die Darstellung ist.[58] § 11 Abs. 3 stellt somit klar, dass selbst Medien, die keine Schrift im Sinne des StGB sind, den Schriften gleichgestellt werden können. Oberbegriff der in § 11 Abs. 3 aufgeführten Medien ist also die Darstellung.[59] Darunter versteht man jedes körperliche Gebilde oder sonst fixierte Zeichen, die sinnlich wahrnehmbar eine Vorstellung oder einen Gedanken ausdrücken, so zum Beispiel abstrakte Bilder, Datenspeicher und Bildschirmtexte.[60] Erfasst sind damit auch die audiovisuellen Medien bzw. die Speichermedien, auf denen audiovisuelle Inhalte fixiert sind, so zum Beispiel Videos[61], aber auch Festplatten, CD-ROMs, Kinofilme und Digital Versatile Discs.[62]

Zusätzliche Voraussetzung ist jedoch, dass die Verkörperung von gewisser Dauer ist.[63] § 11 Abs. 3 stellt diesbezüglich klar, dass auch Datenspeicher diesem Erfordernis genügen.

§ 130 Abs. 2 Nr. 1 verweist auf § 11 Abs. 3, so dass der Begriff der Schriften im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 1 den Schriften und sonstigen Darstellungen im Sinne von § 11 Abs. 3 entspricht.

b) Erfasste Inhalte

§ 130 Abs. 2 Nr. 1 spezifiziert die strafwürdigen Inhalte der Schriften. Erfasst sind Schriften, die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung, oder gegen nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppen aufstacheln etc. Die zusätzliche Aufzählung weiterer Gruppen, über Teile der Bevölkerung hinaus, ist insofern geboten, als die Gruppen im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 1 nicht notwendig Teile der Bevölkerung sind, wohl aber des besonderen Schutzes durch § 130 Abs. 2 bedürfen.[64] Weitere Alternativen des § 130 Abs. 2 Nr. 1 sind das Auffordern zu Gewalt und Willkürmaßnahmen gegen die vorbezeichneten Gruppen und der Angriff auf die Menschenwürde anderer durch Beschimpfung, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden der vorbezeichneten Gruppen. Ein solcher Angriff gegen die Menschenwürde liegt noch nicht vor, wenn der Täter einzelne Persönlichkeitsrechte anderer (zum Beispiel deren Ehre) angreift.[65]

Alle von § 130 Abs. 2 Nr. 1 aufgezählten Inhalte von Schriften (§ 11 Abs. 3) sind auch denkbare Inhalte von audiovisuellen Medien.

c) Tathandlungen

Der Inhalt als solcher ist jedoch nicht unter Strafe gestellt. Hinzukommen muss eine der Tathandlungen des § 130 Abs. 2 Nr. 1 a – d oder Nr. 2. § 130 Abs. 2 Nr. 1 a stellt das Verbreiten von Schriften mit den aufgeführten Inhalten unter Strafe. Verbreiten ist eine Tätigkeit, die darauf gerichtet ist, die Schrift einem größeren, vom Täter nicht eingrenzbaren Personenkreis zugänglich zu machen.[66] Verbreitet werden muss die Schrift, das heißt die Schrift ihrer Substanz nach und nicht nur ihr Inhalt.[67]

§ 130 Abs. 2 Nr. 1 b erfasst unter anderem das öffentliche Zugänglichmachen als Tathandlung. Die Alternativen des Ausstellens, Anschlagens, Vorführens sind dabei lediglich Beispiele des öffentlichen Zugänglichmachens.[68] Eine Schrift macht öffentlich zugänglich, wer ein Medium seinem Inhalt nach für einen individuell und zahlenmäßig unbestimmten Personenkreis wahrnehmbar macht.[69] Insoweit ist keine Weitergabe der Schrift als Verkörperung des Inhalts erforderlich.

§ 130 Abs. 2 Nr. 1 c stellt neben dem Zugänglichmachen auch das Anbieten oder Überlassen einer Schrift im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 1 an einen Jugendlichen unter 18 Jahren unter Strafe. Dem Jugendlichen muss die Möglichkeit des unmittelbaren Zugriffs auf das Medium und dessen Inhalt gegeben werden, ohne dass er dazu besondere Hindernisse überwinden müsste.[70]

§ 130 Abs. 2 Nr. 1 d betrifft die Fälle der Vorbereitung der Tathandlungen der Ziffern 1 a- c, so das Herstellen, Beziehen, Vorrätighalten etc.

§ 130 Abs. 2 Nr. 2 stellt die Verbreitung einer Darbietung des in § 130 Abs. 2 Nr. 1 bezeichneten Inhalts durch Rundfunk unter Strafe. Dadurch wird der Gesetzgeber dem Umstand gerecht, dass Live-Übertragungen im Rundfunk von § 130 Abs. 2 Nr. 1 aufgrund fehlender Verkörperung von gewisser Dauer nicht erfasst werden, wohl aber ähnliche, wenn nicht schwerwiegendere Wirkung auf die Allgemeinheit entfalten können. Problematisch erscheint hierbei, dass lediglich der Rundfunk erfasst wird. Dies führt zunächst zu dem „seltsamen“ Ergebnis, dass die Übertragung eines zum Hass gegen Juden aufstachelnden Stücks im Rundfunk verboten ist, während es im Theater aufgeführt werden könnte.[71] Diese Dif-ferenzierung ließe sich jedoch mit der Annahme rechtfertigen, dass durch Rundfunk im Regelfall eine wesentlich größere Zahl von Menschen erreicht werden kann, als bei Aufführung eines Theater-stücks. Zudem wäre zu erwägen, ob im Theaterstückbeispiel nicht das Skript als Verkörperung von gewisser Dauer genügt und die Aufführung dann von § 130 Abs. 2 Nr. 1 b 3. Var. erfasst wird. In diesem Zusammenhang ist die Frage von praktischem Interesse, inwieweit die Live-Übertragung durch ein allgemein zugängliches Medium, wie das Internet erfasst wird. Denn ob die neuen digitalen Dienste insgesamt oder teilweise Rundfunk sind, ist im medienrechtlichen Schrifttum heftig umstritten.[72] Diese Frage bedarf gerade im Hinblick auf das „nulla poene sine lege“ Gebot aus Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB einer endgültigen Klärung, gegebenenfalls durch den Gesetzgeber. Zugrundezulegen ist der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff des Art. 5 Abs. 1 GG und nicht der des § 2 Abs. 1 RStV. Demnach ist Rundfunk jede an eine unbestimmte Vielzahl von Personen gerichtete drahtlose oder drahtgebundene Übermittlung von Gedankeninhalten durch physikalische Wellen.[73] Erfasst werden somit auch Internet-Dienste, die an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtet sind.[74]

Für den subjektiven Tatbestand des § 130 Abs. 2 ist zumindest dolus eventualis erforderlich.

d) Tatbestandseinschränkungen

§ 130 V verweist auf die Sozialadäquanzklausel des § 86 Abs. 3, wonach bereits der Tatbestand des § 130 Abs. 2 ausgeschlossen ist, wenn die Tathandlung i.V.m. dem Medium der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens und der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.

Diese Einschränkung erweist sich gerade im Hinblick auf die Inhaltskontrolle durch die Kontrollvorschrift des § 130 Abs. 2 als bedeutsam, da ohne den Verweis auf § 86 Abs. 3 bereits die Darstellung der bezeichneten Inhalte unter dem Gesichtspunkt der historischen Aufklärung strafbar wäre.

e) Schutzzweck

Umstritten ist der Schutzzweck des § 130 Abs. 2. Da auch Gruppen, die sich ausschließlich im Ausland befinden, Angriffsobjekt des § 130 Abs. 2 sein können, kann der öffentliche Friede in Deutschland wohl kaum vorrangiges Schutzgut sein.[75] Ebenso wenig kommt die Menschenwürde als primäres Schutzgut in Betracht, da nicht alle Inhaltsalternativen eine Verletzung der Menschenwürde voraussetzen. § 130 Abs. 2 wird daher als allgemeiner Antidiskriminierungstatbestand verstanden.[76]

Darüber hinaus geht es bei § 130 Abs. 2 um die möglichst wirksame Bekämpfung bestimmter Handlungen auch schon im Vorfeld tatsächlicher Gewalt, die Hassgefühle wecken, dadurch zu aggressivem Fehlverhalten führen und ein gewaltförderndes Klima begünstigen können.[77] Hauptschutzrichtung ist damit das allgemeine Prinzip der Toleranz, Menschlichkeit und der Gedanke der Völkerverständigung.[78]

Teilweise wird gerügt, dass der Gesetzgeber mit seinem Bestreben „keine Strafbarkeitslücke zu lassen“ „zuviel“ getan hat.[79] Dem steht jedoch ein historisches Verständnis des § 130 Abs. 2 entgegen. § 130 Abs. 2 beruht auf der historischen Erkenntnis der möglichen Gefahren und Folgen der Tathandlungen des § 130 Abs. 2. Insoweit soll § 130 Abs. 2 der historischen Verantwortung gerade im Hinblick auf die deutsche Geschichte Rechnung tragen. Dadurch wird auch das Ansehen der BRD im Ausland geschützt. Dies stellt einen bedeutenden Wert von Verfassungsrang dar und vermag insoweit die weitgehenden Inhaltseinschränkungen des § 130 Abs. 2 zu rechtfertigen. § 130 StGB ist allgemeines Gesetz im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG.[80]

Indem § 130 Abs. 2 auch die mediale Verbreitung bestimmter Inhalte unter Strafe stellt, wirkt die Norm zum einen als repressive Inhaltskontrollvorschrift. Darüber hinaus macht die generalpräventive Wirkung des Strafrechts in Kombination mit einer Inhaltsprüfung durch privatrechtlich organisierte Einrichtungen die Strafdrohung des § 130 Abs. 2 auch zu einem präventiven Kontrollmechanismus, ohne jedoch zur Zensur im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG zu werden.

2) Tatbestand der Gewaltdarstellung - § 131 StGB

§ 131 StGB ist eine weitere wesentliche Inhaltskontrollnorm aus dem Bereich des Strafrechts. Auffällig ist, dass die Norm eine ganze Reihe von Parallelen zu § 130 Abs. 2 aufweist.

a) Tatobjekt

Tatobjekt sind auch hier Schriften im Sinne von § 11 Abs. 3 auf den § 131 Abs. 1 verweist. Wie bereits gezeigt sind hiervon auch die verkörperten audiovisuellen Medien erfasst (vgl. oben).

b) Kontrollierte Inhalte

Repressiv kontrollierte Inhalte der Schriften sind hierbei die Schilderung grausamer oder sonst unmenschlicher Gewalttätigkeit gegen Menschen. Dabei muss die Art und Weise der Schilderung eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrücken oder das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellen.

Schildern bedeutet die unmittelbare optische und/oder akustische Wiedergabe einer Gewalttätigkeit.[81] Somit kommen gerade die audiovisuellen Medien als Schilderungen im Sinne von § 131 Abs. 1 in Betracht.[82]

Die Schilderung von Gewalttätigkeiten gegen Menschen liegt in der Darstellung aggressiven, die körperliche Integrität unmittelbar verletzenden oder gefährdenden Verhaltens.[83] Hierbei muss nicht die Schilderung selbst, sondern die geschilderte Gewalttätigkeit als solche unmenschlich oder grausam sein.

Die Darstellung drückt eine Verherrlichung aus, wenn sie die Gewalttätigkeiten als etwas Großartiges berühmt.[84] Dagegen liegt eine Verharmlosung vor, wenn die Gewalttätigkeit bagatellisiert wird als eine im menschlichen Leben übliche Form des Verhaltens, beziehungsweise als „nicht verwerfliche“ Möglichkeit der Lösung von Konflikten.[85]

Problematisch erscheint die Ausdehnung des Begriffs der Gewalt gegen Menschen auf Gewalt gegen menschenähnliche Wesen.[86] Eine solche Erweiterung des Tatbestandes ist zwar im Hinblick auf die Schutzfunktion des § 131 wünschenswert, jedoch vom Wortlaut nicht erfasst. Die Klarstellung des Gesetzgebers, dass auch menschenähnliche Wesen erfasst sein sollen,[87] kann insoweit den Tatbestand auch nicht erweitern, da sie den Wortlaut eben gerade nicht nur konkretisiert, sondern über den Wortlaut hinausgeht. Der Gesetzgeber hätte die Ausdehnung auf menschenähnliche Wesen somit ins Gesetz aufnehmen müssen,[88] was jedoch zu Schwierigkeiten im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot hätte führen können.

Unter der gegebenen Gesetzeslage erweist sich eine Erstreckung des § 131 Abs. 1 auf Gewalttätigkeiten gegen menschenähnliche Wesen als unzulässige Analogie, Art. 103 Abs. 2 GG.[89] Die Ausführungen des Bundestagsausschusses stellen somit eine Aufforderung des Gesetzgebers an die Gerichte zu verfassungswidrigem Verhalten dar.[90]

Die gewünschten Ergebnisse lassen sich jedoch auch auf verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Grundlage erzielen, indem man auslegt, inwieweit das dargestellte Wesen aus der Sicht des Zuschauers und nach dem Sinn des Films tatsächlich ein Mensch ist.[91] Diese einfachrechtliche Beurteilung ist der verfassungsrechtlichen Überprüfung grundsätzlich entzogen.[92]

Auch bezüglich des Merkmals der Schilderung ergeben sich „auf den zweiten Blick“ Auslegungsprobleme. Im Fall „Natural Born Killers“ hat die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München die Anforderungen an den Begriff der Schilderung konkretisiert.[93]

Zunächst wird eine optische und/oder akustische Wiedergabe einer Gewalttätigkeit gefordert. Hierbei wird kritisiert, dass nach Ansicht der Staatsanwaltschaft der Schwerpunkt der Schilderung auf dem Optischen liegen müsse.[94] § 11 Abs. 3 benennt ausdrücklich auch bloße Tonträger als in Frage kommendes Tatobjekt. Die Ausführungen der Staatsanwaltschaft schließen eine rein akustische Form der Darstellung jedoch keineswegs aus. Vielmehr liegt den Ausführungen die wesentlich höhere praktische Bedeutung des optischen Schwerpunkts der Darstellung zugrunde. Dennoch sind Darstellungen von Gewalt denkbar, bei denen die Gewalthandlung optisch gar nicht dargestellt wird, sondern lediglich die Geräusche des Gewaltvorgangs.

Dies erweist sich jedoch vielmehr als Problem des von der Staatsanwaltschaft aufgestellten Kriteriums der lückenlosen Darstellung.[95] Dieser Voraussetzung der lückenlosen Wiedergabe wird entgegengehalten, dass man die Tatbestandsverwirklichung dann einfach verhindern könne, indem man den Moment der Gewalteinwirkung auf das Opfer „ausspart“.[96] Dieses Ergebnis erscheint zunächst nicht sinnwidrig. Fraglich ist jedoch, ob es für eine Schilderung genügt, dass der Rezipient anhand der tatsächlich gegebenen Darstellung die Handlung im Kopf zu einem Ganzen zusammensetzen kann. Dies kann nicht vollumfänglich ohne Einschränkungen gelten, denn das Tatbestandsmerkmal der Schilderung würde sonst so weit ausufern, dass es von der Phantasie der Zuschauer abhinge und mit dem Bestimmtheitsgebot wohl kaum noch vereinbar wäre. Vielmehr ist zu fordern, dass da, wo die Darstellung eine optische oder akustische Lücke aufweist, unter schwerpunktmäßiger Betrachtung der sonstigen Tatbestandsmerkmale die Darstellung lückenlos wirken muss, also gerade das Grausame für einen besonnenen „DurchschnittsRezipienten“ ersichtlich ist. Demnach liegt eine Schilderung im Sinne von § 131 Abs. 1 auch in der Einblendung von umherspritzendem Blut, wenn gleichzeitig hervorgehobene Geräusche (Schreie des Opfers, Geräusche des eindringenden Messers und ähnliches) zu hören sind.

[...]


[1] Gerhardt in NJW 1975, 375.

[2] Vortrag eines Vertreters des Bundesministeriums für Justiz im Ausschuss,

abgedruckt in der Niederschrift über die 59. Sitzung (1971) des Sonderaus-

ausschusses, S. 1794, 1795.

[3] Fechner Rn 6.

[4] Fechner Rn 7, 8.

[5] Vgl. Duden – Fremdwörterbuch S. 95.

[6] Grundsätzlich zur Frage der Kompetenzverteilung bei den Inhaltskontroll-

vorschriften Vgl. Darstellung bei Weides in NJW 1987, 224 (226).

[7] Vgl. Darstellung bei Dörr/Cole S. 19.

[8] BVerfGE 31, 113 (117); BVerwGE 19, 94 (96); Weides in

NJW 1987, 224 (226) m.w.N.

[9] BVerfGE 92, 203 (238)

[10] Jarass/Pieroth Art. 103 Rn 40.

[11] So Jarass/Pieroth Art. 103 Rn 55.

[12] So BVerfGE 7, 198 (208).

[13] BVerfGE 62, 230 (247); 71, 206 (220); 76, 196 (208 f.).

[14] BK – Degenhart Art. 5 Rn 138; BVerfGE 61, 1 (8 f.); 65, 1 (41).

[15] BVerfGE 65, 1 (41).

[16] Erdemir S. 8.

[17] Obwohl die Tatsachenmitteilung auch Voraussetzung der Meinungsbildung

ist, schließt das BVerfG in E 65, 1 (41) diese vom Schutzbereich des Art. 5

Abs. 1 GG aus.

[18] BVerfGE 27, 71 (83).

[19] Jarass/Pieroth Art. 5 Rn 25; BVerfGE 95, 28 (35).

[20] Vgl. BVerfGE 87, 181 (201).

[21] Jarass/Pieroth Art. 5 Rn 36; Pieroth/Schlink Rn 573.

[22] BVerfGE 12, 205 (226).

[23] BK – Degenhart Art. 5 Rn 695.

[24] BVerfGE 77, 65 (74).

[25] Pieroth/Schlink Rn 580.

[26] Erdemir S. 11; Jarass/Pieroth – Jarass Art. 5 Rn 41;

Maunz/Dürig – Herzog Art. 5 Abs. 1, 2 Rn 198.

[27] Jarass/Pieroth – Jarass Art. 5 Rn 42; Brockhorst – Reetz S. 3 f.; aA dagegen

BVerwGE 1, 303 (305).

[28] Erdemir S. 9 f.

[29] Jarass/Pieroth Rn 51.

[30] Pieroth/Schlink Rn 586.

[31] beide dargestellt bei Hoppe in JuS 1991, 734 (735)

[32] Vgl. BVerfGE 7, 198 (209 f.); 97, 125 (146).

[33] BK – Degenhart Art. 5 Abs. 1, 2 Rn 78.

[34] Pieroth/Schlink Rn 585.

[35] Jarass/Pieroth Art. 5 Rn 65.

[36] von Hartlieb S. 42; BVerfGE 83, 130 (141 f.).

[37] BVerfGE 30, 336 (354).

[38] BVerfGE 59, 231 (256 f.).

[39] noch offengelassen in BVerfGE 27, 88 (102).

[40] Jarass/Pieroth Art. 5 Rn 63.

[41] BK – Degenhart Art. 5 Abs. 1, 2 Rn 743; Maunz/Dürig – Herzog Art. 5 Abs.

1, 2 Rn 296; Jarass/Pieroth Art. 5 Rn 52; BVerfGE 33, 52 (72).

[42] Vgl. Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 1, 2 Rn 157.

[43] BVerfGE 87, 209 (230); 47, 198 (236).

[44] BK – Degenhart Art. 5 Abs. 1, 2 Rn 17.

[45] Pieroth/Schlink Rn 605.

[46] Vgl. von Mangoldt/Klein/Starck Art. 5 Abs. 1, 2 Rn 160.

[47] Erdemir S. 23.

[48] BVerfGE 30, 173 (189).

[49] Vgl. Nachweise bei Erdemir S. 24.

[50] BVerfGE 67, 213 (226).

[51] Erdemir S. 27.

[52] BVerfGE 30, 173 (189).

[53] BVerfGE 67, 213 (228).

[54] Vgl. BVerfGE 30, 173 (191).

[55] BVerfGE 30, 173 (193); 67, 213 (228); diese ergibt sich aus der Pflicht des

Staates zum Schutz der Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und der Schutzpflicht des

Staates für das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Jugendlichen

(Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG), vgl. Jarass/Pieroth Art. 5 Rn 61.

[56] Vgl. BVerfGE 83, 130 (139 f.).

[57] §§ ohne Bezeichnung innerhalb dieses Abschnitts sind solche des StGB.

[58] von Bonin S. 36.

[59] RGSt 47, 404 (405).

[60] Tröndle/Fischer – Tröndle § 11 Rn 44; Lackner/Kühl § 11 Rn 28.

[61] Lackner/Kühl § 11 Rn 28.

[62] Erdemir S. 101.

[63] Tröndle/Fischer – Tröndle § 11 Rn 42a.

[64] Vgl. BT-Drs. 12/6853, 24.

[65] Tröndle/Fischer – Fischer § 130 Rn 14 i.V.m. Rn 8.

[66] Lackner/Kühl – Lackner § 74 d Rn 5.

[67] Tröndle/Fischer § 130 Rn 15 i.V.m. § 74 d Rn 4.

[68] SK – Horn § 74 d Rn 5.

[69] Lackner/Kühl – Lackner § 184 Rn 5.

[70] S/S – Lenckner/Perron § 184 Rn 9.

[71] So SK – Rudolphi § 130 Rn 15.

[72] Vgl. von Bonin S. 85 m.w.N.

[73] Pieroth/Schlink Rn 573.

[74] Jarass/Pieroth Art. 5 Rn 36.

[75] S/S – Lenckner § 130 Rn 1 a.

[76] Vgl. LK – von Bubnoff § 130 Rn 1.

[77] Erdemir S. 70.

[78] S/S – Lenckner § 130 Rn 1a.

[79] König/Seitz in NStZ 1995, 1 (3) m.w.N.

[80] BVerfGE 90, 241 (251).

[81] Tröndle/Fischer – Fischer § 131 Rn 6.

[82] Vgl. Erdemir S. 101.

[83] Tröndle/Fischer § 131 Rn 5; BVerfGE 87, 209 (227).

[84] Tröndle/Fischer § 131 Rn 6 a.

[85] Tröndle/Fischer § 131 Rn 6 b.

[86] Vgl. BT-Drs. 10/2546, S. 21 ff (22); Greger in NStZ 1986, 8 (9);

Brockhorst-Reetz S. 40.

[87] BT-Drs. 10/2546, S. 21 ff (22).

[88] Vgl. BverfGE 87, 209 (225).

[89] Erdemir S. 73.

[90] Schroeder in JZ 1990, 858.

[91] Mit diesem Ansatz wohl auch BVerfGE 87, 209 (226).

[92] Vgl. BVerfGE 18, 85 (92); 87, 209 (226).

[93] Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht München I

vom 12.5. 1995, abgedruckt in JMS-Report 3/1995, 5 f.

[94] Vgl. Erdemir S. 78.

[95] weiteres Kriterium der Staatsanwaltschaft vgl. FN 93.

[96] Erdemir S. 79.

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Inhaltskontrolle bei audiovisuellen Medien
Hochschule
Universität Leipzig  (Juristenfakultät Leipzig)
Veranstaltung
Seminar im Medienrecht
Note
12 Punkte
Autor
Jahr
2002
Seiten
84
Katalognummer
V6122
ISBN (eBook)
9783638137744
Dateigröße
674 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit gibt einen umfassenden Überblick über die Inhaltskontrollvorschriften in Deutschland, sowie die Institutionen der freiwilligen Selbstkontrolle. Es wird eingegangen auf die Inhaltskontrollvorschriften des StGB, GjSM, JÖSchG, RStV, MDStV, TDG, SächsPRG und die Institutionen FSK, FSM, FSF und USK. Es werden insbesondere die mit den Inhaltskontrollvor schriften zusammenhängenden verfassungsrechtlichen Pro bleme dargestellt (insbesondere Zensurverbot und Bestimmt heitsgebot. 430 KB
Schlagworte
Mediendienstestaatsvertrag, Rundfunkstaatsvertrag, Teledienstgesetz, GjSM, Jugendschutzgesetz, JÖSchG, RStV, SächsPRG, FSK, FSM, USK, FSF, Volksverhetzung, Gewaltdarstellung, Pornographiebegriff
Arbeit zitieren
Daniel Schnabl (Autor:in), 2002, Inhaltskontrolle bei audiovisuellen Medien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6122

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Titel: Inhaltskontrolle bei audiovisuellen Medien



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