Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Definition von Analphabetismus
a. totale Analphabetismus
b. funktionale Analphabetismus
III. Gründe für funktionalen Analphabetismus
IV. Der Alltag von funktonalen Analphabeten
V. Der Weg aus dem funktionalen Analphabetismus
VI. Didaktische und Methodische Vorgehensweise in Alphabetisierungskursen
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Analphabetismus ist aus historischer Sicht kein neues Phänomen in Deutschland. Selbst Adlige wie Könige waren nicht in der Lage zu lesen oder zu schreiben (M. Döbert 2000: 16).
Dies lässt sich dadurch begründen, dass es bis vor einigen Jahrzehnten noch keine Schulpflicht gab und somit nur wenige Menschen Zugang zu Bildung hatten. Unterschrieben wurde speziell bei der armen Bevölkerung wie den Bauern lediglich mit drei Kreuzen. Wer seinen Namen ausschreiben konnte, zählte schon nicht mehr zu den Analphabeten. Die Fähigkeit zu schreben und zu lesen wurde erst Ende des 20. Jahrhunderts bedeutender, als diese Kompetenzen immer mehr im beruflichen Leben gefragt wurden.
In Deutschland besteht schon seit vielen Jahren eine umfassende Schulpflicht. Dies lässt im ersten Moment darauf schließen, dass alle Erwachsenen hier zu Lande in der Lage sind, zu lesen und zu schreiben. Doch die Zahlen zeigen etwas Anderes.
Es wird davon ausgegangen, dass in der BRD etwa vier Millionen (M. Döbert 2000: 29) Menschen unzureichende Lese- und Schreibkenntnisse vorweisen. Die Zahlen der unzähligen Untersuchungen variieren sehr stark. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass es „keine eindeutige Trennlinie zwischen Literarität und Analphabetismus“ gibt (Kretschmann1990: 11), was zu den starken Schwankungen der Ergebnisse führt.
Analphabetismus scheint gerade zu Zeiten der Globalisierung unerklärlich, in denen eine weltweite Verschmelzung auch von Bildung durch beispielsweise Medien stattfindet. Wie es mit diesen Voraussetzungen möglich, dass trotzdem so viele Bundesbürger kaum oder gar nicht in der Lage sind, zumindest ihren eigenen Namen zu schreiben?
In meiner Arbeit werde ich mich speziell mit dem funktionalen Analphabetismus in Deutschland beschäftigen. Es soll geklärt werden, wie eine so hohe Zahl von Betroffenen entstehen kann und wie sie mit dieser Schwäche ihren Alltag meistern. Ein anderer Bereich wird sich mit der Frage beschäftigen, was Analphabeten motiviert, gegen ihr Defizit anzukämpfen und welche Unterstützung sie durch unterschiedlichste Institutionen erfahren. Außerdem soll noch geklärt werden, wie die Öffentlichkeit mit diesem Thema umgeht.
II. Definition von Analphabetismus
Wir leben in der BRD in einer Schriftwelt. Daher scheint es unverständlich, wie ein Leben ohne Lese- und Schreibkompetenzen möglich ist. „Der Einkaufszettel, (…) das Entschuldigungsschreiben für die Schule (…) – alles wäre nicht möglich ohne die Schrift und ohne die Fähigkeit, mit ihr umzugehen.“ (M. Döbert 2000: 6)
Untersuchungen zur Alphabetisierung zeigen, dass es eine hohe Zahl von Analphabeten in der BRD gibt. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Personen, die als Analphabeten bezeichnet werden, weisen allgemein gesprochen „mangelhafte oder fehlende Kenntnisse und Beherrschung des Lesens und Schreibens“ vor (Brockhaus 1982: Analphabetismus). Dazu gehören auch jene Menschen, die zwar teilweise lesen und schreiben können, dabei aber so viele Fehler machen, dass sie nicht die geforderten Standards erreichen. Man unterscheidet zwischen dem totalen und dem funktionalen Analphabetismus. (M. Döbert 2000: 20 ff)
a. totale Analphabetismus
Personen, die keinerlei Kenntnisse über Buchstaben vorweisen, bezeichnet man als totale Analphabeten. Zu ihnen zählen beispielsweise Personenkreise, die geistig behindert sind und dadurch in ihrer Lernkraft eingeschränkt sind. Durch dieses Defizit ist das Erlernen von Wort und Schrift für einige nicht möglich.
Weiter können Menschen aus anderen Kulturen zu den totalen Analphabeten gezählt werden, die nie lesen oder schreiben erlernt haben. Grund dafür kann beispielsweise eine nicht vorhandene Schulpflicht in dem jeweiligen Land sein. Es fehlt die Grundbildung, die Deutsche Schriftsprache zu erlernen. Hier spricht man auch von primärem Analphabetismus. (M. Döbert 2000: 20)
b. funktionale Analphabetismus
Trotz Schulbesuch kann eine Vielzahl von Deutschen im Erwachsenenalter nicht richtig lesen und schreiben. Personen, die trotz Schulbildung kaum Kenntnisse über Schrift und Wort haben, bezeichnet man als funktionale Analphabeten. Definiert werden dieser wie folgt: „Funktionaler Analphabetismus bedeutet die Unterschreitung der gesellschaftlichen Mindestanforderung an die Beherrschung der Schriftsprache, deren Erfüllung Voraussetzung ist zur (…) Teilnahme (…) in allen Arbeits- und Lebensbereichen.“ (M. Döbert 2000: 21)
Wenn eine Person über Schrift und Lesekenntnisse verfügt, diese aber bewusst nicht einsetzt, wird auch hier vom funktionalen Analphabetismus gesprochen. Wichtig ist, dass die Definition davon, wer ein funktionaler Analphabet ist, stark mit der Kultur korreliert. Dies bedeutet, dass berücksichtigt werden muss „welcher Grad an Schriftgradbeherrschung innerhalb der konkreten Gesellschaft (…) erwartet wird“. (M. Döbert 2000: 21) Das heißt, dass in Industriestaaten, die eine hohe Anforderung an die Schriftgradbeherrschung stellen, bereits Personen mit eingeschränkten Lesen- und Schreibkenntnissen zu den funktionalen Analphabeten gezählt werden.
Der Grad der Unkenntnis ist sehr unterschiedlich. Einige Personen sind in der Lage, leichte Texte zu lesen, andere haben gravierende Schreibprobleme. Einer geringe Anzahl von Personen ist es möglich, ausschließlich ihren eigenen Namen zu schreiben. Die Literatur unterscheidet zwischen drei Typen von funktionalen Analphabeten:
1. Personen, die in der Lage sind, ihren Namen und ihre Adresse zu schreiben. Sie können einzelne Buchstaben erkennen, darüber hinaus aber nicht lesen oder schreiben.
2. Personen, die fähig sind, unter großer Anstrengung Texte mit geringen bis mittleren sprachlichen Niveau zu lesen. Eigene Schreibkenntnisse sind kaum vorhanden.
3. Personen, die Lesekenntnisse vorweisen, jedoch nur fehlerhaft schreiben können.
(s.h. S. Romberg 1993: 30)
Wie kann es in Deutschand dazu kommen, dass Personen, die eine Schule besucht haben, kaum oder gar nicht schreiben und lesen können?
III. Gründe für funktionalen Analphabetismus
Heutige Forschungen gehen davon aus, dass nicht nur ein einzelner Faktor für den funktionalen Analphabetismus genannt werden kann. Viel mehr liegt ein „multikausaler Zusammenhang“ vor (S. Romberg 1993: 31). Eine mögliche Ursache besteht in individuell-pathologischen Faktoren, wenn also beispielsweise eine Beeinträchtigung der Hirnfunktion vorliegt. Eine weitere Möglichkeit sind individuell-psychologische Faktoren. Zu diesen zählen unter anderem Vermeidungsstrategien und Versagensängste bei den Betroffenen. Auch familiäre Problemen wie viele Geschwister, Vernachlässigung und Alkoholismus bei einem Elternteil können Faktoren für einen funktionalen Analphabetismus sein.
Häufig haben spätere Analphabeten ähnliche familiären Leidensgeschichten erlebt: „Lernen wird nicht gefördert, sondern durch harte Strafen und Vorwürfe wie >Du bist sowieso zu dumm< gehemmt“. (M. Döbert 2000: 44) Hinzu kommen soziale, beziehungsweise ökonomische Faktoren. So kommen die meisten der späteren Analphabeten aus einer sozialen Schicht, die von Armut bedroht ist. Für die Erziehung und Unterstützung der Kinder bleibt nur wenig Zeit.
Auffallend ist außerdem, dass in Familien, in denen wenig gelesen und geredet wird, Kinder später dazu neigen, im Erwachsenenleben Lese- und Schreibdefizite aufzuweisen. Dies alles führt zu einem lerngehemmten Kind, das die Neugier auf Lernen verliert. (S. Romberg 1993: 31f)
Auch die Schule selber kann zu einem erschwerenden Faktor für die Lernbereitschaft von Kindern werden. Vorwürfe, es würde viel zu wenig auf die individuellen Vorkenntnisse bei der Einschulung und Bedürfnisse der Kinder eingegangen, finden sich immer wieder in der Literatur. Speziell im Primarbereich komme es zu Defiziten in der Didaktik und in den äußeren Bedingungen wie beispielsweise der Klassengröße. (S. Romberg 1993: 33)
Kommen also mehrere Faktoren zusammen, kann es trotz einer Schulbildung zu einer fehlenden Literarität kommen. Wie Menschen mit einem solchen funktionalen Analphabetismus umgehen, werde ich in dem kommenden Teil der Arbeit genauer beschreiben.
[...]