Der NATO-Doppelbeschluss - Historische Chance oder Ende der Entspannung?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

23 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt:

1. Einleitung
Quellenlage und Forschungsstand

2. Der Doppelbeschluß politisch - Rahmenbedingungen und Bestimmungen

3. Der Nato-Doppelbeschluß in der Öffentlichkeit und die Konstruktion des Ost-West-Gegensatzes

4. Resümee

1. Einleitung

„Die Minister haben […] beschlossen, das LRTNF[1] -Potential der NATO durch die Dislozierung von amerikanischen bodengestützten Systemen in Europa zu modernisieren. Die Minister sind der Auffassung […] durch Rüstungskontrolle ein stabileres umfassendes Gleichgewicht bei geringeren Beständen an Nuklearwaffen auf beiden Seiten zu erzielen“[2].

Rüstungskontrollgespräche und Raketenstationierungen auf europäischem Boden – dies waren die Hauptbestimmungen des NATO-Doppelbeschlusses, der am 12. Dezember 1979 von den Außen- und Verteidigungsministern der NATO verabschiedet wurde. Ein paradoxer Beschluss? Wohl kaum eine außen- und sicherheitspolitische Entscheidung hatte seit Gründung der Bundesrepublik solch starke Auswirkungen auf die öffentliche Diskussion in allen politischen und gesellschaftlichen Lagern, wie diejenige, deren Anfänge im Jahre 1977 zu suchen sind.

Am 28. Oktober eben jenes Jahres hielt Helmut Schmidt im Londoner Institut für strategische Studien (IISS) einen Vortrag, in dem er sich mit den politischen und wirtschaftlichen Problemen der westlichen Sicherheit befasste. Dabei legte er besonderes Augenmerk auf die Disparitäten nukleartaktischer Waffen zwischen Ost und West. Anlass zur Sorge gab ihm das sowjetische Rüstungsgebaren. Die Sowjetunion begann Mitte der siebziger Jahre, ihre auf Westeuropa gerichteten Mittelstreckenraketen durch modernere des Typs SS-20 zu ersetzen. Die bis ins Jahr 1977 mündenden Rüstungskontrollbestimmungen der SALT I-Gespräche[3] und die daran anknüpfenden SALT II-Folgeverhandlungen sahen keine Einbeziehung der Mittelstreckenwaffen vor, welche im Ernstfall Europa hätten bedrohen können. Diese Grauzone empfand Helmut Schmidt als Gefährdung des strategischen Gleichgewichtes. Er befürchtete, dass dies zu „Droh- und Zwangoptionen“[4] der Sowjetunion gegenüber Westeuropa, insbesondere Deutschlands, führen könnte. Seine Rede zog im Atlantischen Bündnis eine Debatte um die Modernisierung der interkontinentalen Waffen der NATO nach sich. Im Januar 1979 trafen sich die Regierungschefs Jimmy Carter, Valery Giscard-d´Estaing, James Callaghan und Helmut Schmidt auf der Antilleninsel Guadeloupe zu einem Meinungsaustausch über die Modernisierung der taktischen Nuklearwaffen der Allianz und ein gemeinsames Rüstungskontrollangebot an die Sowjetunion. Das Ergebnis dieses Treffens war die „politisch-strategische Denkfigur“[5], die Regierung in Moskau zu Gesprächen zu bewegen und gleichzeitig die Modernisierung der eigenen, westlichen Waffen zu forcieren beziehungsweise deren Stationierung an die Verhandlungsergebnisse zu binden.

Am 12. Dezember 1979 verabschiedeten schließlich die vierzehn Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Staaten den so genannten Doppelbeschluss. Beschlossen wurde die Aufstellung 572 bodengestützter US-Mittelstreckenraketen[6] in Westeuropa ab 1983, während gleichzeitig der Sowjetunion Verhandlungen über die Begrenzung eurostrategischer Waffen angeboten werden sollte.

Ziel dieser Arbeit soll es sein, den NATO-Doppelbeschluss und seine Auswirkungen auf verschiedenen Ebenen darzustellen - in der Ost-West-politischen, innenpolitischen und gesellschaftlichen Dimension. War er „eine historische Chance“[7] für die Annäherung von Ost und West, wie es seine Befürworter darlegten, oder handelte es sich um einen „Nachrüstungsbeschluß“[8], eine „spektakuläre, gigantische Aufrüstung“[9] mit dem Ziel westlicher Überlegenheit auf militärischer Ebene, wie zahlreiche Gegner mutmaßten, und damit einer Verschärfung des Ost-West-Konfliktes? Welchen Einfluss hatte der Nato-Doppelbeschluss letztendlich auf die Entspannungspolitik und den Kalten Krieg?

Methode:

Dieser Frage soll systematisch anhand der Darlegung konträrer Positionen in der Bundesrepublik und der eingehenden Betrachtung des Kommuniqués von 1979 nachgegangen werden. Den zeitlichen Rahmen bilden dabei die Rede Helmut Schmidts in London als Beginn und das Scheitern der Genfer Gespräche und die unmittelbar darauf erfolgte Stationierung der amerikanischen Raketen im Herbst 1983 als vorläufiges Ende und zugleich Kulminationspunkt der Nato-Beschluss-Debatte.

Innerhalb dieser Ausführungen soll ebenfalls erläutert werden, wie sich der Beschluss vom Dezember 1979 in der Bundesrepublik sowohl innenpolitisch als auch gesellschaftlich auswirkte, denn die Kontroverse eröffnete sich zwar unter sicherheitspolitischen Aspekten, zog jedoch in Europa rasch weitere Politikfelder in den Bann des Ost-West-Konfliktes. Es kam zu einem politischen, einem gesellschaftlichen und einem kulturellen Konflikt in der Republik. Die Gegenüberstellung von Ost und West verwandelte sich in eine Frage nach Krieg oder Frieden. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung der öffentlichen Meinung bezüglich des Beschlusses von großer Bedeutung. Der Nato-Doppelbeschluss traf auf eine in hohem Maße politisch sensibilisierte Öffentlichkeit und war somit in den hier abgehandelten Jahren 1977 bis 1983 Thema in nahezu allen Bereichen des öffentlichen Lebens.

Quellenlage und Forschungsstand

Die Quellenlage zu Genese und Auswirkungen des NATO-Doppelbeschlusses ist relativ ergiebig. Liegt zum einen der Beschluss als solcher vor, geben auch die Debatten im Parlament der Bundesrepublik einen guten Einblick in die politischen Prozesse der Jahre 1977 bis 1983 – Jene, die für den hier behandelten Zeitraum von Belang sind. Zur Rezeption des Beschlusses in der Öffentlichkeit gibt es eine Vielzahl von Pressestimmen, wobei für die vorliegende Arbeit hauptsächlich Artikel deutschsprachiger Zeitungen ausgewertet wurden, darunter aus der Zeit, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Welt und der DDR-Tageszeitung Neues Deutschland.

In den siebziger- und achtziger Jahren war eine große Anzahl von Monographien über den Nato-Doppelbeschluss erschienen. Mit zunehmendem Näherrücken der Stationierung und zunehmender Friedensbewegungs-Aktivität stieg auch die Anzahl der Publikationen, die sich mit dem Nato-Doppelbeschluss nicht nur als sicherheitspolitisches, sondern hauptsächlich als gesellschaftspolitisches Phänomen auseinandersetzten. Der methodische Ansatz der jüngeren Literatur ist in den meisten Fällen der Betrachtung des NATO-Doppelbeschlusses im Lichte des Ost-West-Konfliktes geschuldet und argumentiert weitestgehend militärisch und sicherheitspolitisch. Bezüglich der hier erörterten Auswirkungen des Beschlusses auf den Ost-West-Konflikt sind unterschiedliche Stimmen zu finden. Stephan Layritz vertritt in seinem Buch Der Nato-Doppelbeschluß. Westliche Sicherheitspolitik im Spannungsfeld von Innen-, Bündnis- und Außenpolitik die Ansicht, dass der Nato-Doppelbeschluss insofern zu einer Verschärfung des Konfliktes beitrug, als die Artikel des Bündnisdokumentes dem rüstungskontrollpolitischen Ansatz weniger Bedeutung beimaßen, als der Modernisierung des Nuklearpotentials des Westens, also eine Raketenstationierung impliziert gewesen sei. Jene machte die Verschärfung des Antagonismus unumgänglich. Eine ähnliche Argumentation verfolgt Helga Haftendorn. Sie ist der Meinung, dass der Nato-Doppelbeschluss an seinem Ziel, dem Vorantreiben der europäischen Einigung, gescheitert sei. In ihrer Monographie Sicherheit und Stabilität betrachtet sie den Beschluss als Ost-West-politisches Phänomen, betont jedoch die Bemühungen der Europäer, sich von der Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen abzuschirmen, also die Entspannung innerhalb Europas abgekoppelt von der Entspannung zwischen den USA und der Sowjetunion zu betrachten. Die Ziele des Beschlusses, ein Rüstungskontrolldialog, seien gescheitert. Haftendorn sieht nicht den Doppelbeschluss an sich als einwirkendes Moment auf den Ost-West-Konflikt, sondern das Scheitern der Rüstungskontrollverhandlungen kausal in der Verschlechterung der Beziehungen zwischen Ost und West, im speziellen in der Afghanistan-Krise.

[...]


[1] LRTNF = Long Range Nuclear Theater Forces sind Nuklearwaffen mit einer Reichweite zwischen 1000 und 5500 Kilometern. LRTNF werden auch als eurostrategische Waffen bezeichnet, da sie mit ihrer Flugweite ausschließlich europäische Staaten zu bedrohen vermögen. Zu den LRTNF gehört zum Beispiel die sowjetische SS-20-Rakete, deren verstärkte Dislozierung Mitte der 70-er-Jahre die hier im Zentrum stehende Debatte anstieß.

[2] Kommuniqué der Sondersitzung der Außen- und Verteidigungsminister der NATO, Art. 7 und 9.

[3] SALT = Strategic Arms Limitation Talks. 1970 wurde die erste „Konferenz über die Begrenzung der strategischen Rüstung“ in Wien abgehalten und 1972 der SALT I -Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion unterzeichnet. Dabei wurden die Beschränkung ballistischer Abwehrraketen und ein Abkommen über Obergrenzen für Interkontinentalraketen vereinbart. In die SALT I -Bestimmungen flossen jedoch lediglich taktische Langstreckenwaffen ein, und nicht die so genannten eurostrategischen Waffen, welche auch als Grauzonenwaffen bezeichnet werden.

[4]Layritz, Stephan, Der NATO-Doppelbeschluß, S.43.

[5]Brauch, Hans Günther, Die Raketen kommen!, S.11

[6] 108 Pershing II-Raketen und 464 Cruise Missiles

[7] Helmut Kohl in einer Rede vor dem Bundestag am 21.11.1983, .

[8]Biermann, Wolfgang, Der „Nachrüstungsbeschluß“ der NATO, die SPD und die „Sicherheit der 80er Jahre“. In: Sozialistische Politik und Wirtschaft (SPW), Bd.6, Berlin 1980, S.78-93

[9] Der Baden-Württembergische SPD-Landesvorsitzende Erhard Eppler in einem Interview mit Journalisten des Weser Kurier am 7.11.1979. Zitiert aus: Layritz, S94.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Der NATO-Doppelbeschluss - Historische Chance oder Ende der Entspannung?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichtswissenschaften)
Veranstaltung
Der Ost-West-Konflikt 1945-1990
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
23
Katalognummer
V61420
ISBN (eBook)
9783638548854
ISBN (Buch)
9783656774860
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
NATO-Doppelbeschluss, Historische, Chance, Ende, Entspannung, Ost-West-Konflikt
Arbeit zitieren
Lucia Halder (Autor:in), 2005, Der NATO-Doppelbeschluss - Historische Chance oder Ende der Entspannung?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61420

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