Von den EG-Organen geschlossene Völkerrechtsverträge sind nach überkommener Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung.1 Für das Recht der Welthandelsorganisation hat damit die gleiche Ausgangslage zu gelten. Der EuGH folgert hieraus jedoch nicht, dass die Bestimmungen deswegen Maßstab einer Rechtmäßigkeitsprüfung der sekundären Gemeinschaftsakte in einem Verfahren nach Art. 230 EGV sein müssen, sondern hat in verschiedenen Urteilen stets die unmittelbare Wirkung des GATT 1947 und nunmehr des WTO-Rechts abgelehnt. Damit wird dem Wirtschaftsvölkerrecht ein Großteil seiner Effektivität geraubt.
Begrifflich ist bei der Frage der direkten Anwendung des WTO-Rechts zwischen der Anwendungsfähigkeit und der Einklagbarkeit zu unterscheiden. Der erste Problemkreis betrifft die Frage, ob der materielle Gehalt einer Regelung der Anwendung fähig ist, das heißt, ob sie eine klare und eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder deren Wirkung nicht vom Erlass eines weiteren Rechtsakts abhängig ist. Die prozessuale Komponente zielt darauf ab, ob sich ein EG-Mitgliedstaat oder ein Bürger vor Gericht auf diese Norm berufen kann.2[...]
1 Vgl. EuGH Slg. 1974, S. 449 ff. – Rs. 181/73 „Haegeman”; EuGH Slg. 1982, S. 3641 (3662) – Rs. 104/81 „Kupferberg”.
2 von Danwitz, Der EuGH und das Wirtschaftsvölkerrecht – ein Lehrstück zwischen Europarecht und Politik, in: JZ 2001, S. 721 (722).
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung
- B. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts
- I. Konkretisierung und Verrechtlichung der Pflichten
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text untersucht die Frage, ob das Recht der Welthandelsorganisation (WTO) unmittelbar in der Rechtsordnung der Europäischen Gemeinschaft (EG) anwendbar ist und welche prozessuale Stellung die Mitgliedstaaten im Verhältnis zur WTO haben. Die Analyse befasst sich mit der direkten Anwendung des WTO-Rechts sowie der Frage, ob sich EG-Mitgliedstaaten oder Bürger vor Gericht auf WTO-Normen berufen können.
- Direkte Anwendbarkeit des WTO-Rechts in der EG-Rechtsordnung
- Einklagbarkeit von WTO-Normen vor den EG-Gerichten
- Verrechtlichung des WTO-Rechts im Vergleich zum GATT 1947
- Der Einfluss des Streitbeilegungsverfahrens der WTO auf die unmittelbare Anwendbarkeit
- Die prozessuale Stellung der EG-Mitgliedstaaten im Verhältnis zur WTO
Zusammenfassung der Kapitel
A. Einleitung
Der Text stellt die Problematik der unmittelbaren Anwendbarkeit von völkerrechtlichen Verträgen in der EG-Rechtsordnung dar und beleuchtet die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Frage der unmittelbaren Wirkung des GATT 1947 und des WTO-Rechts. Er stellt fest, dass der EuGH die unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts bisher abgelehnt hat.
B. Zur unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts
I. Konkretisierung und Verrechtlichung der Pflichten
Dieser Abschnitt analysiert die Voraussetzungen für eine direkte Wirkung des WTO-Rechts. Er untersucht den Charakter, die Struktur und die Ziele des WTO-Rechts und stellt fest, dass das WTO-Recht im Vergleich zum GATT 1947 stärker verrechtlicht ist. Dies zeigt sich insbesondere in der Präzisierung von GATT-Vorschriften, der Verbesserung des Streitbeilegungsverfahrens und der stärkeren Verpflichtung der Vertragsparteien zur Anpassung ihrer nationalen Rechtsordnungen an das WTO-Recht. Der Abschnitt diskutiert auch die Rechtsprechung des EuGH, die die unmittelbare Wirkung des GATT 1947 abgelehnt hat, und analysiert, ob diese Argumentation auch auf das WTO-Recht übertragbar ist.
Schlüsselwörter
WTO-Recht, EG-Rechtsordnung, unmittelbare Anwendbarkeit, Einklagbarkeit, Streitbeilegungsverfahren, GATT 1947, Verrechtlichung, Vertragsverletzung, EG-Mitgliedstaaten, Europäischer Gerichtshof, Rechtsprechung
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- Dr. Gerald G. Sander (Author), 2002, Zur unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6148