„HARTMANNS EREC STEHT, TROTZ ALLER ARBEIT, die man schon auf ihn verwendet [hat], im ganzen nicht sehr überzeugend vor uns“. Mit diesem Ausspruch verdeutlicht Kuhn die besondere Problematik, der sich die Erec-Forschung gegenüber gestellt sieht. Viele Interpretationsansätze klaffen weit auseinander, und es herrscht noch nicht einmal Einigung darüber, was eigentlich die zentrale Angelegenheit des Werks ist. Hartmann verfasste seinen Erec,der zwar bis heute sehr bekannt, von welchem allerdings nur eine, fast vollständig überlieferte Handschrift vorhanden ist, um 1180 nach Vorlage des französischen Romans Erec et Enide von Chrétien de Troyes. Dabei nahm er einige inhaltliche Veränderungen vor und passte sein Werk dem höfischen Kontext seiner Zeit an.2Unter anderem sind in seiner Darstellung der Enite deren ärmliche Verhältnisse um einiges krasser herausgearbeitet, als dies bei Chrétien der Fall ist und er ‚vertauscht’ die Rollen in der Versöhnungsszene (6771-6801): während Erec bei Chrétien Enite verzeiht, entschuldigt er sich in Hartmanns Fassung bei seiner Frau für sein Verhalten, wodurch eine zentrale Frage noch mehr hervortritt: Hat sich Enite an der durch das verligen im Karnant entstandenen Misere zumindest mitschuldig gemacht und wie stark ist ihre Rolle zu bewerten? „Prüfstein“ fast jeder wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Epos ist die Frage mit welcher Begründung Erec Enite mit aufâventiurenimmt und sie schwierigen Prüfungen unterzieht.
Thomas Cramer bezeichnet Enite in seinem Aufsatz zu Recht als „crux interpretationis“, da ihre Funktion im Roman und damit die Frage nach ihrer Schuld bis heute streitbar geblieben ist.
Im Folgenden soll sich diese Arbeit damit auseinandersetzen, was im Einzelnen die Gründe für die zweite âventiure-Sequenz- nach dem verligen im Karnant - sind, welchen Zweck diese erfüllt und wie Enite eingebunden ist. Darüber hinaus soll versucht werden zu erörtern, wie stark die Bedeutung von Enite für die Entwicklung des Stücks ist und ob die Frage nach Schuld oder Unschuld überhaupt eine wesentliche Grundlage für einen Interpretationsansatz bietet.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Aufstieg und Fall
- Konflikt êre und minne
- Falsche Motivation für „Initialâventiure“
- Die âventiure als Sühneweg
- Die Rolle der Frau
- Enites Part
- Enites sozialer Status
- Das Schweigegebot
- Enites triuwe
- Spiegelungen für ungerechte Behandlung Enites
- Kritik von „unten“
- Die Oringels-Episode
- Enites Part
- Joie de la curt
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Problematik der Schuld und Sühne in Hartmanns Erec, insbesondere im Kontext der zweiten âventiure-Sequenz. Ziel ist es, die Gründe für diese Sequenz zu analysieren, ihren Zweck zu beleuchten und die Rolle Enites dabei zu untersuchen. Außerdem wird erörtert, wie stark Enites Bedeutung für die Entwicklung des Stücks ist und ob die Frage nach Schuld oder Unschuld eine wesentliche Grundlage für einen Interpretationsansatz bietet.
- Die Bedeutung des „Doppelwegs“ in Hartmanns Erec
- Der Konflikt zwischen êre und minne
- Enites Rolle in der âventiure-Sequenz und ihre mögliche Schuld
- Die gesellschaftliche Rechtfertigung der Herrschaft im Karnant
- Die Interpretation der Joie de la curt
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung beleuchtet die Problematik der Erec-Forschung und die Schwierigkeiten, eine einheitliche Interpretation des Werkes zu finden. Sie stellt die Besonderheiten von Hartmanns Erec im Vergleich zu Chrétien de Troyes' „Erec et Enide“ heraus, insbesondere die verstärkte Darstellung von Enites ärmlichen Verhältnissen und die veränderte Rolle in der Versöhnungsszene. Die Einleitung führt ein in die zentrale Fragestellung der Arbeit: Enites Rolle in der âventiure-Sequenz und die Frage nach ihrer möglichen Schuld.
- Aufstieg und Fall: Dieses Kapitel analysiert den „Doppelweg“ im Aufbau des Erec, der durch zwei aufeinanderfolgende Aufstiege und Fälle des Helden gekennzeichnet ist. Es beschreibt die erste Handlungssequenz, die zur Hochzeit von Erec und Enite führt, und den anschließenden Fall nach Erecs „Verligen“ im Karnant, der die zweite âventiure-Sequenz auslöst. Es wird diskutiert, ob Erecs Aufstieg unverdient war und ob die Königswürde tatsächlich gerechtfertigt war.
- Konflikt êre und minne: Dieses Kapitel untersucht den Konflikt zwischen den beiden ritterlichen Begriffen von êre und minne, der im gesamten Stück deutlich wird. Es wird gezeigt, wie Erec zunächst eine angesehene gesellschaftliche Stellung erlangt, diese aber durch sein „Verligen“ wieder verliert. Der Konflikt wird durch das junge Ehepaar verdeutlicht, das sich von der Außenwelt abschottet und seine höfischen Pflichten vernachlässigt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit der Problematik der Schuld und Sühne in Hartmanns Erec, insbesondere im Kontext der zweiten âventiure-Sequenz. Wichtige Begriffe sind: Doppelweg, êre, minne, Verligen, âventiure, Enite, Schuld, Sühne, gesellschaftliche Stellung, höfische Pflichten, Joie de la curt.
- Quote paper
- Nadine Scherny (Author), 2005, Die Schuld-Sühne-Problematik in Hartmanns 'Erec', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61682