Referenzpunktabhängigkeit von Entscheidungen

Forschungsarbeit auf diesem Gebiet und deren Schwerpunkte - Referenzpunktabhängigkeit für die Unternehmenspraxis


Seminararbeit, 2006

27 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung
1 Theoretische Grundlagen
1.1 Prospect Theory
1.1.1 Das Grundmodell
1.1.2 Verlustaversion
1.1.3 Framing
1.2 Mental Accounting
1.3 Arten von Referenzpunkten

2 Referenzpunktabhängigkeit in anderen Zusammenhängen
2.1 Biologie - Animal Model
2.2 Soziologie
2.2.1 Bezugsgruppen
2.2.2 Beurteilung sozialen Fortschritts
2.3 Psychologie
2.3.1 Referenzpunkte und die „Framing“-Wahl des Sprechers
2.3.2 Intertemporale Entscheidungen

3 Anwendung
3.1 Referenzpreise
3.2 Vergleichende Werbung

4 Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Die Wertefunktion

Abbildung 2: Referenzpunkte und die „Framing-Wahl“

Abbildung 3: Erwartete Gewinnhöhe auf dem Pfad der Status quo-Verbesserung oder Status quo-Verschlechterung

1. Einleitung

Die Erwartungsnutzentheorie diente lange Zeit als Standardmodell der Entscheidungstheorie in den Wirtschaftswissenschaften. Mit dieser Theorie lassen sich jedoch viele empirisch festgestellte Anomalien des Entscheidungsverhaltens nicht erklären. Neuere deskriptive Entscheidungstheorien, deren wichtigster Beitrag die Prospect Theory (Kahneman; Tversky, 1979) darstellt, liefern Erklärungsansätze für inkonsistentes Entscheidungsverhalten. Zahlreiche Forschungsergebnisse zeigen, dass nicht Vermögensendpositionen für Entscheidungen von Bedeutung sind, sondern relative Abweichungen von Referenzpunkten in Form von Gewinnen und Verlusten. Die Wissenschaft gelangt immer mehr zu der Erkenntnis, dass sich das Denken in Gewinnen und Verlusten als ein grundlegendes Prinzip des Entscheidungsverhaltens erweist.

Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es zunächst einen Überblick über grundlegende Forschungsergebnisse zur Referenzpunktabhängigkeit von Entscheidungen zu verschaffen sowie die aktuelle Forschungsarbeit auf diesem Gebiet und deren Schwerpunkte aufzuzeigen. Des Weiteren wird dargelegt, dass Referenzpunkte in den unterschiedlichsten Zusammenhängen eine bedeutende Rolle spielen. Mehrere wissenschaftliche Disziplinen befassen sich mit Referenzpunkten und deren Einfluss auf das Entscheidungsverhalten. Die Bedeutung von Referenzpunktabhängigkeit zeigt sich beispielsweise in der Biologie, der Soziologie und der Psychologie. Die Neurowissenschaften versuchen in jüngster Zeit Referenzpunktabhängigkeit physisch abzubilden. Referenzpunktabhängigkeit lässt sich zudem für die Unternehmenspraxis nutzen. Im Marketing können die Erkenntnisse aus der Referenzpunktabhängigkeit im Rahmen der Preisgestaltung und Produktwerbung angewendet werden.

Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: Nach der Einleitung werden im 2. Kapitel die theoretischen Grundlagen der Referenzpunktabhängigkeit mit einer schwerpunktmäßigen Betrachtung der Prospect Theory dargestellt.

Im 3. Kapitel wird Referenzpunktabhängigkeit in verschiedenen Kontexten behandelt. Es werden Ansätze aus der Biologie, Soziologie und Psychologie präsentiert. Darüber hinaus wird auf die Forschungsarbeit der Neurowissenschaften im Rahmen des „Animal Model“ eingegangen.

Das 4. Kapitel zeigt den Praxisbezug von Referenzpunktabhängigkeit für das Marketing. Exemplarisch wird dies anhand der Referenzpreise und der vergleichenden Werbung verdeutlicht. Der Schluss bildet ein kurzes Fazit der zentralen Aussagen der Arbeit und in welchen Bereichen die zukünftige Forschungsarbeit auf dem Gebiet der Referenzpunktabhängigkeit zu sehen ist.

1 Theoretische Grundlagen

Die von Kahneman und Tversky 1979 veröffentlichte Prospect Theory für Entscheidungssituationen unter Risiko gilt als bedeutendster Beitrag zur deskriptiven Entscheidungstheorie, die die Forschung auf diesem Gebiet seitdem maßgeblich prägt. In aktuellen Forschungsarbeiten beschäftigt man sich besonders mit dem Phänomen der Verlustaversion, welches eine zentrale Stellung in der Prospect Theory einnimmt. Es werden Erklärungsansätze für dieses psychologische Phänomen der starken Abneigung gegenüber Verlusten geliefert. Weiter zeigt sich in der Prospect Theory, dass die Darstellung („Framing“) einer Entscheidungssituation großen Einfluss darauf hat, wie Ergebnisalternativen beurteilt werden.

Einen wichtigen Beitrag leistete zudem Thaler (1985), der die Prospect Theory weiterführte, indem er für multiple und kombinierte Spielausgänge vier „Mental Accounting“-Prinzipien entwickelte.[1] Die Forschung hat sich auch mit der Frage auseinandergesetzt, welche verschiedenen Arten von Referenzpunkten existieren.

1.1 Prospect Theory

Kahneman und Tversky entwickelten die Prospect Theory zunächst für einfache Entscheidungssituationen unter Risiko mit lediglich zwei von Null verschiedenen Spielergebnissen. In ihren späteren Arbeiten wurde die Prospect Theory dann in der kumulativen Prospect Theory auf mehrere Spielergebnisse und im Referenzpunktmodel auf risikolose Entscheidungssituationen mit Handlungsalternativen, die durch mehrere Eigenschaften beschrieben werden, ausgeweitet.[2]

1.1.1 Das Grundmodell

Die zentrale Aussage der Prospect Theory ist, dass nicht absolute Größen bei Ergebnisausprägungen von Bedeutung sind, sondern deren relative Abweichungen in Form von Gewinnen oder Verlusten von einem Referenzpunkt („…people normally perceive outcomes as gains and losses, rather than as final states of wealth or welfare“).[3] Der Referenzpunkt wird in der Prospect Theory als „Zustand des unveränderten Wohlstandes“[4] interpretiert, der den Wert Null annimmt.

Ein wesentlicher Bestandteil der Prospect Theory stellt die Wertefunktion dar. Deren grafische Darstellung verdeutlicht die Kernpunkte der Prospect Theory. Die Wertefunktion ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet.

Abb. 1: Die Wertefunktion

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Kahneman, Tversky (1979)

Referenzpunktabhängigkeit: Die Wertefunktion ist durch positive und negative Abweichungen in Form von Gewinnen und Verlusten von einem Referenzpunkt gekennzeichnet. Personen orientieren sich demnach nicht an Endvermögensgrößen, sondern denken in Gewinnen und Verlusten.

Verlustaversion: Die Funktion verläuft im Bereich der Verluste steiler als im Bereich der Gewinne. Personen bewerten Verluste höher als gleich hohe Gewinne.

Abnehmende Sensitivität: Der Wert von Gewinnen und Verlusten nimmt mit zunehmender Entfernung vom Referenzpunkt ab, d. h. dass die Differenz von 10 und 20 Euro größer empfunden wird als von 1010 und 1020 Euro. Die Wertefunktion verläuft daher im Bereich der Gewinne konkav und im Bereich der Verluste konvex.[5]

Eine weitere wichtige Aussage der Prospect Theory bezieht sich auf die unterschiedliche Risikoneigung im Bereich der Gewinne und Verluste. Im Bereich der Gewinne verhalten sich Personen risikoscheu. Ein sicherer Gewinn wird einem lediglich wahrscheinlichen Gewinn vorgezogen. Dagegen zeigen Personen spielfreudiges Verhalten bei Verlustspielen. Ein lediglich wahrscheinlicher Verlust wir einem sicheren Verlust vorgezogen. Dieses inverse Risikoverhalten im Bereich der Gewinne und Verluste lässt sich auf die Überbewertung von sicheren Resultaten zurückführen („Certainty Effect“). Zu beachten ist, dass es zu einer Umkehrung der Risikoneigung im Bereich der Gewinne und Verluste für sehr geringe Wahrscheinlichkeiten, d. h. Risikofreude im Bereich der Gewinne und Risikoaversion im Bereich der Verluste, kommt.[6] Dies wird auf die Überbewertung von sehr geringen Wahrscheinlichkeiten zurückgeführt, was auch den großen Markt für Versicherungen und Lotterien erklärt. In der Prospect Theory wird über die Gewichtungsfunktion dem Umstand Rechnung getragen, dass die subjektiven Entscheidungsgewichte („Decision Weights“) von den objektiven Wahrscheinlichkeiten abweichen.

Eine Überprüfung zentraler Aussagen der Prospect Theory wurde von Camerer in einer Feldforschung vorgenommen. Er zeigt anhand von zehn Beispielen, dass sich auch in empirischen Daten die bisher nur aus Experimenten abgeleiteten Aussagen der Prospect Theory bestätigen lassen.[7]

1.1.2 Verlustaversion

Die stärkere Bewertung von Verlusten im Vergleich zu Gewinnen ist ein wichtiges Charakteristikum von Referenzpunktabhängigkeit. Die Forschung auf dem Gebiet der Verlustaversion wird stark vorangetrieben. Es wird untersucht, welche Mechanismen – sowohl in Entscheidungssituationen unter Risiko als auch ohne Risiko - Verlustaversion moderieren und welche psychologischen Prozesse dafür verantwortlich sind. Es stellt sich zudem die Frage, ob Verlustaversion als ein emotionaler Beurteilungsfehler anzusehen ist oder die tatsächliche Präferenz einer Person widerspiegelt.[8] Camerer interpretiert Verlustaversion als übertriebene Furchtreaktion des Menschen, die als evolutionäres Relikt das Verhalten des Menschen immer noch prägt. Die meisten Lebewesen führen einen ständigen Überlebenskampf und Verluste stellen häufig eine Lebensbedrohung dar. Auch wenn heutzutage Verluste den Menschen im Gegensatz zu seiner Frühzeit nicht mehr unbedingt in eine lebensbedrohliche Lage versetzen, reagieren sie gegenüber unbedeutenden Verlusten aufgrund des evolutionären Erbes immer noch mit einer starken Abneigung.[9]

Das bedeutendste Beispiel für starkes Verlustempfinden in einer risikolosen Entscheidungssituation ist der Endowment-Effekt. Experimente zeigen, dass Probanden, die mit einem Gut ausgestattet werden und als Verkäufer auftreten, einen höheren Preis für dieses Gut verlangen als Probanden, die als Käufer fungieren, bereit sind dafür zu bezahlen (Diskrepanz zwischen Verkäuferpreis und Käuferpreis).[10]

In einem aktuellen Forschungsbeitrag leiten Novemsky und Kahnemann aus verschiedenen Experimenten psychologische Prinzipien ab, die dem Endowment-Effekt unterliegen und erklären welche Einschränkungen für Verlustaversion gelten. Eine zentrale Aussage ist, dass Güter, deren Aufgabe beabsichtigt ist, zu keinem Verlustempfinden führen. Zu beachten ist jedoch, dass bei Konsumenten mit eingeschränktem Budget („Tight Budget Constraint“) Verlustaversion für kleine unerwartete Käufe auftreten kann. Weiter gilt, dass der Wert der einem Konsumgut zugeschrieben wird, Verlustaversion widerspiegelt. Keine Verlustaversion tritt jedoch auf, wenn ein Gut für ein nahezu identisches Gut aufgegeben wird. Eine weitere Aussage ist, dass keine Risikoaversion über Verlustaversion bei ausgeglichener Risikoverteilung auftritt. Dieses Prinzip gilt unter der Einschränkung, dass keine wesentlichen Einkommenseffekte auftreten und die Bewertung der Aufgabe des Gutes und der Erhalt des Geldes getrennt bewertet werden.

Ariely, Huber u nd Wertenbroch führen die Ansätze von Novemsky und Kahneman noch einen Schritt weiter. Sie sehen zwei grundlegende Faktoren, die „emotionale Bindung an ein Gut“ und die „kognitive Perspektive“, als die moderierenden Variablen von Verlustaversion. Es gilt, dass die Abneigung ein Gut aufzugeben mit der emotionalen Bedeutung eines Gutes ansteigt. So kann beispielsweise die Dauer des Besitzes eines Gutes die emotionale Bindung erhöhen. Zudem ist davon auszugehen, dass die emotionale Bindung an ein Konsumgut größer ist als für Geld, welches lediglich als Tauschmittel ohne emotionalen Wert anzusehen ist. Bei hedonistischen Gütern kann man annehmen, dass die emotionale Bindung am stärksten ist.[11]

[...]


[1] Vgl. Thaler (1985)

[2] Vgl. Tversky, Kahneman (1991), Tversky, Kahneman (1992)

[3] Vgl. Kahneman, Tversky (1979), S. 274

[4] Vgl. Herrmann, Bauer (1996), S.679

[5] Vgl. Kahneman (1979), S. 279

[6] Vgl. ebenda, S. 285

[7] Vgl. Camerer (2000), S. 1

[8] Vgl. Camerer (2005), S. 131

[9] Vgl. ebenda, S. 132

[10] Vgl Kahneman, Knetsch ,Thaler (1991), S.194

[11] Vgl. Ariely, Huber, Wertenbroch (2005), S. 135

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Referenzpunktabhängigkeit von Entscheidungen
Untertitel
Forschungsarbeit auf diesem Gebiet und deren Schwerpunkte - Referenzpunktabhängigkeit für die Unternehmenspraxis
Hochschule
Universität Hamburg  (Arbeitsbereich Marketing und Innovation)
Veranstaltung
Neue Modellierungen von Konsumentenwahlverhalten
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
27
Katalognummer
V61825
ISBN (eBook)
9783638551915
ISBN (Buch)
9783638677646
Dateigröße
628 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Referenzpunktabhängigkeit, Entscheidungen, Neue, Modellierungen, Konsumentenwahlverhalten
Arbeit zitieren
Marius Nickisch (Autor:in), 2006, Referenzpunktabhängigkeit von Entscheidungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61825

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