Der Selbstmord als literarisches Motiv im Spiegel der Zensur


Seminararbeit, 2006

34 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


Einleitung

Der Selbstmord, der für die meisten Menschen kein alltägliches Problem darstellt, nimmt dennoch in der Literatur einen wichtigen Platz ein. Über viele Epochen hinweg, ließen Dichter ihre Hauptcharaktere Hand an sich legen und provozierten somit die unterschiedlichsten Reaktionen.

Während Selbstmord bei den Römern noch als ehrenhafter Tod galt, wurde solches Handeln schon im Mittelalter als Todsünde verschrien. Und vor allem die Kirche übte starke Kritik am Suizid aus.

Dies bekamen auch die Dichter zu spüren: Zwar fanden sie immer wieder ein Publikum, dass sich mit ihren lebensmüden Figuren identifizieren konnte, jedoch hatten sie auch mit Rügen bis hin zur Indizierung zu rechnen.

Auf die Wirkungsgeschichte der literarischen Selbstmorde und ihre Konsequenzen für den Autor, bis hin zur neuen Bedeutung dieser Thematik in den heutigen Medien soll nun in dieser Seminararbeit eingegangen werden.

München, Oktober 2005

KI

1. Begriffsklärung

1.1 Definition des Begriffs Zensur

Zensur meint heute die staatliche Inhaltskontrolle von Veröffentlichungen oder zur Veröffentlichung bestimmten Presseerzeugnissen (Zeitungen, Zeitschriften, Bücher), von Filmen, sowie von Rundfunk- und Fernsehsendungen als auch Computerprogrammen.[1]

Dabei ist zu unterscheiden zwischen Vor- und Nachzensur:[2]

Bei der Vorzensur (Präventivzensur, censura praevia) besteht eine Pflicht zur Vorlage des Geisteswerks zur Genehmigung vor der Herstellung, Veröffentlichung oder Verbreitung.

Bei der Nachzensur (censura repressiva) findet die Kontrolle erst nach diesem Zeitpunkt statt.

Literaturwissenschaftler und Autoren sprechen noch von dem Phänomen der Selbstzensur, auch Logophobie genannt. Gemeint ist damit die bereits verinnerlichte Furcht vor tabuisierten Worten, Zeichen oder einem bestimmten Denken, die dazu führt, dass Schriftstücke anders geschrieben werden als der Autor im Zuge der künstlerischen Freiheit sonst würde.[3]

1.2 Ursprung des Begriffs

Das Wort Zensur leitet sich ab von der censura, dem Amt der Zensoren (censores) im alten Rom, das 366 v. Chr. durch die „Lex Aemilia“ als unabhängige Institution eingeführt wurde. Ursprünglich bestand ihre Aufgabe nur in der Vermögenseinschätzung, doch bald wuchs ihnen eine Art Sittengerichtsbarkeit zu, die sich an den Gewohnheiten bzw. Sitten der Vorväter (mos maiorem) orientierte. Dabei ließen sich politische und religiöse Gründe nicht immer trennen. In der Kaiserzeit verbrannte man sowohl astrologische „Zauberbücher“, als auch unliebsame Schriften griechischer Philosophen und natürlich Schmähschriften (libelli famosi) wegen Majestätsbeleidigung. Aber auch erotische Dichtung, wie etwa Ovids „Ars Amatoria“ kam unter die moralische Zensur.

1.3. Zweck der Zensur

Zweck der Zensur ist es, die Verbreitung unerwünschter oder gefährlicher Gedanken zu unterbinden. Angesichts der Verdichtung der heutigen Medienlandschaft ist es nicht mehr einfach, dem genüge zu tun. Kein Bereich der öffentlichen Meinungsäußerung ist frei von Normen, keiner ist aber auch frei von Konflikten um den notwendigen Normenwandel. Der Zensurbegriff des Literaturhistorikers beschränkt sich deshalb auf die autoritäre Kontrolle der Schriftsteller.[4]

1.4 Literaturgeschichte als Zensurgeschichte?

Historisch gesehen lässt sich die literarische Zensur an Hand der Geschichte der Medien erzählen (Buchdruck, Zeitschrift, Theater, Film, Fernsehen), aber auch an Hand der Geschichte der staatlichen und privaten Institutionen, die mit der Kontrolle literarischer Texte befasst sind. Dabei stellt man fest, dass die Entwicklung der Kontrollinstitutionen der Entwicklung der Medien folgt:[5] In dem Maß, in dem (historisch gesehen) die Reichweite der Medien wächst, so wachsen auch die Kontrollinstitutionen.

Bertold Brecht, einer der vielen verfolgten Schriftsteller, tröstet sich damit, mit der Zensierung seiner Schriften in bester Gesellschaft zu sein:

Die Auswanderung der Dichter

Homer hatte kein Heim

Und Dante musste das seine verlassen.

Li-Po und Tu-Fu irrten durch Bürgerkriege

Die 30 Millionen Menschen verschlangen

Dem Euripides drohte man mit Prozessen

Und dem sterbenden Skakespeare hielt man den Mund zu.

Den François Villon suchte nicht nur die Muse

Sondern ach die Polizei.

„Der Geliebte“ genannt

ging Lukrez in die Verbannung

So Heine, und so auch floh

Brecht unter das dänische Strohdach.

Wie dieses Gedicht zum Ausdruck bringt, fühlt er sich wie ein Glied in der die Jahrhunderte übergreifenden Kette bedeutender Zensuropfer und nimmt dies als Argument für die Richtigkeit seiner Poesieauffassung.

Für literarische Werke gibt es mehrere Möglichkeiten der Ausübung von Zensur:[6]

- Verbot des Buches (Rücknahme vom Markt, Verbot der Auslieferung, Entfernung aus Bibliotheken)
- Verbot einzelner Seiten (Diese müssen vor Veröffentlichung aus den Druckwerken entfernt werden)
- Schwärzung von Stellen (Unkenntlichmachen der zensierten Stellen.)

Wenn die Zensur vor dem Druck erfolgte, wurden die entsprechenden Stellen von den Verlagen auch oft leer gelassen, um zu zeigen, dass zensiert worden ist

2. Kurze Geschichte der (literarischen) Zensur

2.1 Von der Antike bis zur Aufklärung

„Wenn wir sie irgend überzeugen wollen, dass nie ein Bürger dem Anderen Feind zu sein pflegt, so muss auch dergleichen schon von Anfang an zu den Kindern gesagt werden (…) und auch die Dichter muss man nötigen, in demselben Sinne ihre Reden auszurichten. …“

aus: Politeia (Plato)

Schon Plato warnt in diesem Zitat vor einem Sittenverfall durch schlechte Vorbilder – dachte er vor allem an die blutrünstigen Geschichten von Homer – dem gerade junge Menschen nicht ausgesetzt werden dürfen. Als Maßnahme schlug er das Verbot bzw. die Streichung besonders anfechtbarer Textabschnitte vor.

Im Gegensatz zur Zensur, d.h. dem kirchlichen oder staatlichen Eingriff in die störende publizierte Meinungen und (Kunst-) Werke, der so alt ist wie die Kultur selbst, stellt das Recht auf Meinungsfreiheit eine vergleichsweise junge Errungenschaft der Demokratie dar. Zwischen Aufklärung und Toleranz hängt sie mit der Emanzipation des Einzelnen von seiner dogmatisch - bewusstseinskonstitutierenden Obrigkeit und deren lebensbestimmenden Einfluss zusammen.[7]

Wie oben bereits erklärt, stammt das Wort Zensur vom Amt der Zensoren, die auch als Sittenrichter tätig waren. Sie konnten Rügen und Strafen aussprechen, bis hin zum Ausschluss einzelner Personen aus dem Senatoren- oder Ritterstand.

Aufgegriffen wurde die Zensur später wieder von der christlichen Kirche, die somit ein gutes Mittel zur Aufsicht über das Leben ihrer Gläubigen hatte. Gegen deren Verfehlungen ging man mit Mitteln der Kirchenzucht vor: Man verhängte Kirchenbußen und Zensuren.[8]

Die censura war nach katholischem Kirchenrecht eine Beuge und Besserungsmaßnahme. Ziel war es, die Betroffenen wieder zurück in die kirchliche Gemeinschaft zurückzuführen. War dies erreicht, musste die Maßnahme wieder aufgehoben werden.[9]

Als Folge der Reformation führte die katholische Kirche im Jahre 1564 als neue Form der Nachzensur eine Liste der Bücher ein, deren Lektüre den Gläubigen verboten war: Den Index Librorum Prohibitorum. Seine letzte Auflage ist 1948 publiziert worden, im Jahre 1966 wurde er abgeschafft.[10]

Auch im weltlichen Bereich führte die Sorge um Erhaltung der Religion und der öffentlichen Ordnung zur Einrichtung weltlicher Zensurbehörden, z.B. 1485 in Frankfurt am Main (dem damals wichtigsten Buchhandelsplatz) und 1569 nach dem Aufblühen der Leipziger Buchmesse dann auch in Leipzig.[11]

Eine wichtige Rolle für Zensur auf Landesebene spielten die Universitäten, insbesondere für Schriften für die ein Privilegienwesen (privilegium impressorium) verlangt wurde und für die deshalb ein Zensurnachweis geführt werden musste.

Das erste nachweisbare kaiserliche Bücherverbot ist ein Mandat Maximilians I. vom 7. Oktober 1512 an die Stadt Frankfurt am Main, das zum Schutz des Glaubens die Verbreitung der Schriften des Johannes Reuchlin verhindern sollte. Das erste Zensuredikt auf Reichsebene ist das Wormser Edikt Karls V. vom 8. Mai 1521, das alle mit der herrschenden christlichen Lehre nicht übereinstimmenden Schriften – darunter die Schriften Martin Luthers – verbot.[12]

Detaillierte Vorschriften und Strafdrohungen findet man in den Reichspolizeiordnungen von 1548 (Titel 34) und 1577 (Titel 35). Verboten waren Schriften „so der christlichen allgemeinen Lehr und zu Ausgang aufgerichteten Religion – Frieden ungemäß und widerwärtig oder zur Unruhe und Weiterung ursach geben könnten“.[13] Die Peinliche Halsgerichtsordnung Karls des V. von 1532 bedroht Verfasser von Schmähschriften mit Strafe bis hin zur Todesstrafe.

Im Gegensatz zur frühen Neuzeit und dem Zeitalter des Absolutismus wurde die Zensur im Gefolge der Aufklärung zunehmend abgelehnt. Während man früher die Bücherzensur als selbstverständliche Pflicht der Obrigkeit und als Fürsorge für die Untertanen verstand, glaubte man später eher an naturrechtliche Theorien von Freiheit und Gleichheit der Menschen. Die Beschränkung der Meinungsfreiheit als Konsequenz der staatlichen Zensur wurde als immer unzumutbarer empfunden. Goethe beispielsweise sprach sich für die Abschaffung der Zensur in Sachsen – Weimar: Bürgerglück könne sich nur in gesicherter Ruhe entwickeln.[14]

Im Hinblick auf die Sprengkraft der Gedanken der Französischen Revolution allerdings, verschärften die Obrigkeiten die Zensurpraxis.[15]

2.2 Von 1848 bis heute

Erst im Jahre 1948 kam es schließlich zu einer Beseitigung der Zensur im Zuge der revolutionären Erhebungen. Ein Bundesbeschluss vom 3. März 1848 stellte es in Ziffer 1 jedem deutschen Bundesstaat frei, die „Censur aufzuheben und die Pressfreiheit wieder einzuführen“. Die Folge war eine Schwemme neuer Zeitungen.[16]

§ 143 der Paulskirchenverfassung garantierte die Meinungs- und Pressefreiheit, verbot die Vorzensur und stelle ein Reichspressgesetz in Aussicht, nach dem Schwurgerichte über Pressvergehen urteilen sollten.

Nach der Reichsgründung von 1871 gelang es dem Reichstag, Bismarck die Zustimmung zu einem freiheitlichen Presserecht abzuringen. Doch schon während des Ersten Weltkrieges übte das Kriegspresseamt wieder Zensur über die gesamte Presse aus. Auch als Reaktion darauf nahm man ein Vorzensurverbot in Art. 118 Abs. 2 der Weimarer Reichsverfassung in den Abschnitt Grundrechte und Grundpflichten der Deutschen auf: Eine Zensur findet nicht statt. Gleichzeitig legte man jedoch einen Gesetzesvorbehalt zur Bekämpfung der Schund- und Schmutzliteratur und zum Schutze der Jugend bei öffentlichen Schaustellungen und Darbietungen fest und bereits im Jahre 1926 folgte das „Schund- und Schmutzgesetz“.[17]

Vier Wochen nach der sog. Machtergreifung Hitlers, setzte die Reichstagsbrandverordnung vom 23. Februar 1933 neben anderen Grundrechten auch den Art 118 WRV „bis auf weiteres“ außer Kraft und beseitigte die Pressefreiheit somit wieder. Das Schriftstellergesetz vom 4. Oktober 1933 unterstellte die Redakteure aller deutschen Zeitungen der politischen Führung des Propagandaministeriums. Eine andere Form der Zensur kam bei bürgerlichen Verlegern zum Einsatz: sie wurden weitgehend enteignet.[18]

Nach Ende des 2. Weltkrieges führten die Alliierten zunächst ein Lizensierungssystem ein, welches besagte, dass Druckschriften nur mit Genehmigung der zuständigen Besatzungsmacht erscheinen durfte. In den Westzonen wurde es mit Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 aufgehoben.[19]

[...]


[1] Handbuch Deutscher Rechtsgeschichte, S. 1655

[2] Handbuch Deutscher Rechtsgeschichte, S. 1655

[3] Breuer, Geschichte der Literarischen Zensur, S. 13

[4] Breuer, Geschichte der literarischen Zensur, S. 13

[5] Breuer, Geschichte der literarischen Zensur, S. 14

[6] Breuer, Geschichte der literarischen Zensur, S. 14

[7] Seim/Spiegel, Ab 18, S. 8

[8] Handbuch Deutscher Rechtsgeschichte, S. 1655

[9] Handbuch Deutscher Rechtsgeschichte, S. 1656

[10] Seim/Spiegel, Ab 18, S. 11

[11] Handbuch Deutscher Rechtsgeschichte, S. 1656

[12] Handbuch Deutscher Rechtsgeschichte, S. 1656

[13] Handbuch der Deutschen Rechtsgeschichte, S. 1656

[14] Handbuch der Deutschen Rechtsgeschichte, S. 1659

[15] Handbuch der Deutschen Rechtsgeschichte, S. 1659

[16] Handbuch der Deutschen Rechtsgeschichte, S. 1660

[17] Handbuch der Deutschen Rechtsgeschichte, S. 1662

[18] Seim/Spiegel, Ab 18, S. 21f

[19] Seim/Spiegel, Ab 18, S. 26

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Der Selbstmord als literarisches Motiv im Spiegel der Zensur
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Veranstaltung
Grundlagenseminar
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
2006
Seiten
34
Katalognummer
V61861
ISBN (eBook)
9783638552202
ISBN (Buch)
9783656806950
Dateigröße
640 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
evtl. auch für Geistenwissenschaften geeignet
Schlagworte
Selbstmord, Motiv, Spiegel, Zensur, Grundlagenseminar
Arbeit zitieren
Kerstin Ivanova (Autor:in), 2006, Der Selbstmord als literarisches Motiv im Spiegel der Zensur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/61861

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