Trance: Determinanten, Inhalte und Konsequenzen - Eine empirische Studie am Beispiel Ritueller Körperhaltungen


Diplomarbeit, 2005

361 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Überblick

Inhaltsverzeichnis

Verzeichnis der Abbildungen

Verzeichnis der Tabellen

Einleitung

Danksagung

Teil A – THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND
1. Phänomenologie von Bewusstseinszuständen
1.1. Evolutionstheoretische Überlegungen der Bewusstseinsentwicklung
1.2. Typologien, Topographien und Dimensionen des menschlichen Bewusstseins
1.2.1 Dittrich (1990): Typologie normaler und veränderter Wachbewusstseinszustände
1.2.2 Topographien veränderter Wachbewusstseinszustände
1.2.3 Topographien des Unbewussten
1.3. Kategorien, Dimensionen und Verläufe von Erfahrungen veränderten Wachbewusstseins
1.3.1 Zustandsbetrachtungen
1.3.2 Verlaufsbetrachtungen
2. Trance: Versuch einer Begriffsdefinition über Abgrenzungen.
2.1. Trance: allgemeine Einführungen
2.2. Ergotrope Trancen
2.2.1. Trancereisen in andere Wirklichkeiten
2.2.2. Besessenheitstrancen
2.2.3. Einfügung: Ekstase und Enthusiasmus
2.3. Trophotrope Trancen
2.3.1. Hypnotische Trance
2.3.2. Meditative Trance
3. Determinanten von Trance
3.1. Induktion: Taxonomie und Induktionsunabhängigkeit veränderter Bewusstseinszustände
3.2. Suggestion und Suggestibilität
3.2.1. Determinanten der Suggestibilität
3.2.2. Ritualleiter-Teilnehmer-Interaktion
3.3. Dissoziation
4. Ritual, Set und Setting.
4.1. Ritual
4.1.1. Mythos
4.1.2. Formalia, Symbole und Performanz
4.2. Set und Setting
4.2.1. Set
4.2.2. Setting
4.2.3. Einfügung: Zeit
5. Umgang mit Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände
5.1. Erlebnis versus Erfahrung
5.1.1. Erlebnis
5.1.2. Erfahrung
5.2. Integration
5.2.1. Autotelische Erlebnisse und reflektierter Umgang
5.2.2. Adaption: Assimilation und Akkomodation
5.3. Dimensionen der Integration: individuelle und soziokulturelle Determinanten
5.3.1. Weltbild
5.3.2. Extreme der Interpretation: Grenz- und Gewohnheitserfahrungen
5.3.3. Individuation
6. Schamanismus und Trance: Rituelle Körperhaltungen.
6.1. Schamanismus
6.1.1. Schamanisches Weltbild
6.1.2. Schamane als Beruf(ung) zum Psychologen?
6.2. Rituelle Körperhaltungen
6.2.1. Zur Person: Felicitas Goodman
6.2.2. Anthropologie
6.2.3. Methodik: das Ritual
7. Forschungsstand: Rituelle Körperhaltungen
7.1. Grundlagenartikel (Goodman, 1986)
7.2. Physiologische Aspekte
7.2.1. Neurophysiologische Veränderungen
7.2.2. Neurochemische Veränderungen
7.3. Psychologische Aspekte
7.3.1. Wenzel (1995)
7.3.2. Kremer und Krippner (1994)
7.3.3. Woodside, Kumar und Pekala (1997)
7.4. Diplomarbeiten
7.4.1. Baldemair (1999)
7.4.2. Schirmbrand (1991)
7.4.3. Gesell (2004)
7.5. Zusammenfassung: Erlebniskonsistenz Ritueller Körperhaltungen
7.6. Zusammenfassung: Determinanten und Konsequenzen von Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen
7.7. Zusammenfassung: Vergleiche zwischen Erfahrenen und Neulingen
7.8. Zusammenfassung: Methodenkritik

Teil B – METHODENTEIL
8. Fragestellungen der Studie
8.1. Fragestellung 1: Erlebniskonsistenz Ritueller Körperhaltungen
8.2. Fragestellung 2: Determinanten und Konsequenzen von Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen
8.3. Fragestellung 3: Vergleiche zwischen Erfahrenen und Neulingen
9. Begründung der Auswahl qualitativer Methoden
9.1. Menschenbild: Kognitiver Realismus, Interpretatives Paradigma und Symbolischer Interaktionismus
9.2. Sensibilität der Fragestellung
9.3. Unerforschtheit der Fragestellung
9.4. Unzureichende quantitative Erhebungsinstrumente
9.5. Explikation: Offenlegung des Untersuchungsprozesses und Ergebnisgenerierung
10. Rahmenbedingungen der Forschung
10.1. Selbsterfahrungsgruppe „Reisen in die andere Wirklichkeit“
10.2. Auswahl der untersuchten Rituellen Körperhaltungen
10.3. Aspekte der Teilnehmerauswahl
10.3.1. Theoretische Aspekte: Theoretical Sampling
10.3.2. Praktische Aspekte
10.4. Datenschutz
10.5. Untersuchungsplan: Tabellarischer Überblick
11. Vorstellung der ausgewählten qualitativen Methoden
11.1. Teilnehmende Beobachtung
11.1.1. Eignung für die Fragestellung der Studie (teilnehmende Beobachtung)
11.1.2. Konzeption, Inhaltlichkeit und Durchführung (teilnehmende Beobachtung)
11.1.3. Datenerfassung (teilnehmende Beobachtung)
11.1.4. Auswertung und kritische Reflexion (teilnehmende Beobachtung)
11.2. Selbstentwickelter Fragebogen
11.2.1. Eignung für die Fragestellung der Studie (Fragebogen)
11.2.2. Konzeption und Inhaltlichkeit (Fragebogen)
11.2.3. Durchführung und Datenerfassung (Fragebogen)
11.2.4. Auswertung (Fragebogen)
11.3. Rezeptives Interview
11.3.1. Eignung für die Fragestellung der Studie (rezeptives Interview)
11.3.2. Konzeption und Inhaltlichkeit (rezeptives Interview)
11.3.3. Durchführung (rezeptives Interview)
11.3.4. Datenerfassung (rezeptives Interview)
11.3.5. Auswertung (rezeptives Interview)
11.4. Erfahrungszentriertes Interview
11.4.1. Eignung für die Fragestellung der Studie (erfahrungszentriertes Interview)
11.4.2. Konzeption (erfahrungszentriertes Interview)
11.4.3. Inhaltlichkeit: Interviewleitfaden (erfahrungszentriertes Interview)
11.4.4. Durchführung (erfahrungszentriertes Interview)
11.4.5. Datenerfassung (erfahrungszentriertes Interview)
11.4.6. Auswertung (erfahrungszentriertes Interview)
12. Gütekriterien
12.1. Objektivität, Verfahrensdokumentation und Regelgeleitetheit
12.2. Reliabilität
12.3. Validitätsformen qualitativer Sozialforschung

TEIL C – ERGEBNISTEIL
13. Ergebnisse der teilnehmenden Beobachtung.
13.1. Teilnehmerstatistik
13.2. Körperpositionen der Rituellen Körperhaltungen
13.3. Ritualablauf: Rituelle Körperhaltungen und die Selbsterfahrungsgruppe
13.4. Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse
14. Ergebnisse des Fragebogens
14.1. Demographische Angaben
14.1.1. Interviewteilnehmer der rezeptiven Interviews
14.1.2. Interviewteilnehmer der erfahrungszentrierten Interviews
14.2. Bestimmung des Erfahrungsniveaus von Neulingen, Mittleren und Erfahrenen
14.3. Erfahrungshintergrund
14.4. Erlebnisintensität, praktische Übung und theoretisches Wissen
14.5. Erlernbarkeit von Trance
14.6. Erwartungen an Rituelle Körperhaltungen
14.7. Wichtiges im Selbsterfahrungsnachmittag
14.8. Erkenntnisse aus den Kreisgesprächen
14.9. Störung durch empirische Arbeiten
14.10. Teilnahme und Intensität Ritueller Körperhaltungen
14.11. Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse
15. Ergebnisse der rezeptiven Interviews
15.1. Kategorienüberblick: Erlebniskonsistenz Ritueller Körperhaltungen
15.2. Bärenhaltung (1. RK)
15.2.1. Kategorie: Sinneserleben (1_Bärenhaltung)
15.2.2. Kategorie: Zeiterleben (1_Bärenhaltung)
15.2.3. Kategorie: Gefühlserleben (1_Bärenhaltung)
15.2.4. Kategorie: Gefühle der Verjüngung (1_Bärenhaltung)
15.2.5. Kategorie: Kontrollerleben (1_Bärenhaltung)
15.2.6. Kategorie: Verbalisierung und Kommunizierbarkeit (1_Bärenhaltung)
15.3. Olmekischer Prinz (2. RK)
15.3.1. Kategorie: Sinneserleben (2_Olmekischer Prinz)
15.3.2. Kategorie: Zeiterleben (2_Olmekischer Prinz)
15.3.3. Kategorie: Gefühlserleben (2_Olmekischer Prinz)
15.3.4. Kategorie: Gefühle der Verjüngung (2_Olmekischer Prinz)
15.3.5. Kategorie: Kontrollerleben (2_Olmekischer Prinz)
15.3.6. Kategorie: Verbalisierung und Kommunizierbarkeit (2_Olmekischer Prinz)
15.4. Saami-Schamane (5. RK)
15.4.1. Kategorie: Sinneserleben (5_Saami-Schamane)
15.4.2. Kategorie: Zeiterleben (5_Saami-Schamane)
15.4.3. Kategorie: Gefühlserleben (5_Saami-Schamane)
15.4.4. Kategorie: Gefühle der Verjüngung (5_Saami-Schamane)
15.4.5. Kategorie: Kontrollerleben (5_Saami-Schamane)
15.4.6. Kategorie: Verbalisierung und Kommunizierbarkeit (5_Saami-Schamane)
15.5. Südmährische Frau (8. RK)
15.5.1. Kategorie: Sinneserleben (8_Südmährische-Frau)
15.5.2. Kategorie: Zeiterleben (8_Südmährische-Frau)
15.5.3. Kategorie: Gefühlserleben (8_Südmährische-Frau)
15.5.4. Kategorie: Gefühle der Verjüngung (8_Südmährische-Frau)
15.5.5. Kategorie: Kontrollerleben (8_Südmährische-Frau)
15.5.6. Kategorie: Verbalisierung und Kommunizierbarkeit (8_Südmährische-Frau)
15.6. Vergleich der untersuchten Rituellen Körperhaltungen
15.6.1. Kategorie: Sinneserleben
15.6.2. Kategorie: Zeiterleben
15.6.3. Kategorie: Gefühlserleben
15.6.4. Kategorie: Gefühle der Verjüngung
15.6.5. Kategorie: Kontrollerleben
15.6.6. Kategorie: Verbalisierung und Kommunizierbarkeit
15.7. Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse
16. Ergebnisse der erfahrungszentrierten Interviews
16.1. Kategorienüberblick: Determinanten und Konsequenzen von Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen
16.2. Allgemeines Verständnis von Trance Ritueller Körperhaltungen
16.2.1. Veränderungen im Denken [EI-1]
16.2.2. Veränderungen der Sinneswahrnehmung [EI-1]
16.2.3. Schwierigkeiten der Kommunizierbarkeit von Tranceerfahrungen [EI-1]
16.3. Trancecharakteristik Ritueller Körperhaltungen
16.3.1. Kontrollverlust [EI-1, EI-2]
16.3.2. Vergleiche und Abgrenzungen Ritueller Körperhaltungen
16.3.3. Begriffsverwendung` Trance´ für Erfahrungen Ritueller Körperhaltungen [EI-4]
16.4. Motivation zu Rituellen Körperhaltungen [EI-4]
16.5. Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen im Ritual
16.5.1. Ritualverlauf
16.5.2. Ritualleiterin [EI-32]
16.6. Bedeutende Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen
16.6.1. Schlüsselerfahrung: Ersterfahrung [EI-4; EI-5]
16.6.2. Schlüsselerfahrung: Nicht Ersterfahrung [EI-4; EI-5 + Explikation]
16.6.3. Veränderungen aus Schlüsselerfahrung [EI-4; EI-5]
16.6.4. (Grundlegende) Lebensveränderungen [EI-13; EI-14 + Explikation]
16.7. Wirkungen von Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen auf den Alltag
16.7.1. Nachwirkungen
16.7.2. Unterstützung: Verstehen der eigenen Person
16.7.3. Unterstützung: Verstehen der Umwelt
16.7.4. Unterstützung: Positive Veränderungen vermuteter Fremdbilder
16.7.5. Problematik: Schwierigkeiten der Verbalisierung und Kommunizierbarkeit
16.8. Bedürfnis, gezielte Anwendung und Abgrenzung von Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen gegenüber Drogenerfahrungen
16.8.1. Bedürfnis nach Rituellen Körperhaltungen [EI-22 + Explikation]
16.8.2. Abgrenzungen zu Drogen und Alkohol [EI-21 + Explikation]
16.8.3. Gezielte Anwendung Ritueller Körperhaltungen im Ritual [EI-18, EI-19]
16.8.4. Taktiken der Erfahrungsverarbeitung im Übergang vom Ritual in den Alltag [EI-8]
16.9. Erlernbarkeit
16.9.1. Günstige Lernvoraussetzungen [EI-33 bis EI-35]
16.9.2. Ungünstige Lernvoraussetzungen [EI-35]
16.9.3. Zeitabhängige Veränderungen der Tranceerlebnisse [EI-12 + Explikation]
16.10. Abweichungsprofil [EI-36 bis EI-39].
16.10.1. Beeinflussung durch Wissenschaftlichkeit [EI-36]
16.10.2. Persönliche Bedeutung des Interviews [EI-36 bis EI-39]
16.11. Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse.

TEIL D – DISKUSSION UND AUSBLICK..
17. Diskussion der Ergebnisse zu den Fragestellungen..
17.1. Trance – ein Begriff für das Erleben Ritueller Körperhaltungen?.
17.2. Fragestellung 1: Erlebniskonsistenz Ritueller Körperhaltungen.
17.2.1. Schwerpunkte Ritueller Körperhaltungen: Wie konsistent sind die Tranceerlebnisse?.
17.2.2. Erlebniskategorien.
17.2.3. Erlebnishorizonte: Ungewohnte taktile und außergewöhnliche visuelle und visionäre
(Grenz-)Erlebnisse
17.2.4. Unangenehme Erlebnisse: Sind diese wirklich notwendig?
17.3. Fragestellung 2: Determinanten von Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen
17.3.1. Ritual: Interaktion von Set und Setting sowie Aspekte der Fremdsuggestion
17.3.2. Motivation: Suche nach (Selbst-)Erkenntnis im Sinne einer personalen und transpersonalen Persönlichkeitsentwicklung
17.3.3. Erfahrungshorizonte: (Des-)Integration der Persönlichkeit
17.3.4. Verbalisierung und Kommunizierbarkeit
17.3.5. Bedürfnis, gezielte Anwendung und Abgrenzung von Tranceerfahrungen Ritueller
Körperhaltungen zu Drogenerfahrungen
17.4. Fragestellung 3: Vergleiche zwischen Neulingen und Erfahrenen: Ein hermeneutischer
Ansatz zur Entwicklung eines Trance-Schemas
17.4.1. Entwicklung eines Trance-Schemas im Innen
17.4.2. Entwicklung eines Trance-Schemas im Beziehungsverhalten
17.5. Abgrenzung Ritueller Körperhaltungen hin zu einer spirituellen Körper- und Psychotherapie
17.5.1. Ansatz zu einer spirituellen Körper- und Psychotherapie
17.5.2. Grenzen des Ansatzes zu einer spirituellen Körper- und Psychotherapie
18. Diskussion der eingesetzten Methoden.
18.1. Objektivität, Subjektivität und Selbstreflexion: Die Forscherin als Erhebungsinstrument
18.2. Gütekriterien: Qualität der Arbeit
18.2.1. Objektivität, Verfahrensdokumentation und Regelgeleitetheit
18.2.2. Reliabilität, Stabilität und Reproduzierbarkeit sowie Beeinflussung der Teilnehmer durch den wissenschaftlichen Hintergrund der Studie
18.2.3. Validitätsformen qualitativer Sozialforschung, Gültigkeit der Studiengruppe und
Vergleichbarkeit des Rituals zu den Rituellen Körperhaltungen
18.3. Angemessenheit der methodischen Konzeption, Durchführung und Auswertung
18.3.1. Teilnehmende Beobachtung
18.3.2. Fragebogen
18.3.3. Rezeptive Interviews
18.3.4. Erfahrungszentrierte Interviews
18.3.5. Zusammenfassende Bewertung: Zur Ökonomie der vorliegenden Arbeit
19. Grenzen der Arbeit

Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Anhänge

Erklärung

Verzeichnis der Abbildungen

Abbildung 1 Typologie von Bewusstseinszuständen (Dittrich, 1990, S.74), ergänzt um Scharfetter (1994)

Abbildung 2 Kontinuum außergewöhnlicher Bewusstseinszustände
(Fischer, 1989, 1998)

Abbildung 3 Zwei unabhängige Bewusstseins-Dimensionen: Aktiviertheit des Bewusstseins und Ich-Klarheit (Guttmann, 1992, S.301) [kursiv gesetzte Begriff von der Verfasserin nachgetragen]

Abbildung 4 Gemeinsame Darstellung der Ebenen des normalen Wachbewusstseins (Strobel, 1994) und der Schichten des veränderten Wachbewussteins
(Rittner & Hess, 1996)

Abbildung 5 Drei Phasen veränderter Bewusstseinszustände
(Clottes & Lewis-Williams, 1997, S.14)

Abbildung 6 Zweidimensionale Taxonomie von psychologischen Stimuli zur Auslösung von veränderten Wachbewusstseinszustädnen (Dittrich, 1985, S.44)

Abbildung 7 Rituelle Körperhaltung: Singender Schamane
(Goodman & Nauwald, 1998)

Abbildung 8 Rituelle Körperhaltung: Saami-Schamane
(Goodman, 2000; Goodman & Nauwald, 1998)

Abbildung 9 Rituelle Körperhaltung: Bärenhaltung
(Goodman, 1996; Goodman & Nauwald, 1998)

Abbildung 10 Rituelle Körperhaltung: Sümährische Frau (Goodman & Nauwald, 1998)

Abbildung 11 Rituelle Körperhaltung: Olmekischer Prinz (Goodman & Nauwald, 1998)

Abbildung 12 Abbildungen verschiedener DC-Potentiale während Schlaf, Hypnose und Ritueller Körperhaltung (Guttmann, 1992)

Abbildung 13 Kategorien: Konsistenz von Tranceerlebnissen Ritueller Körperhaltungen (Fragestellung 1)

Abbildung 14 Kategorien: Determinanten und Konsequenzen von Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen (Fragestellung 2)

Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 1 Vermutungen zu Ungewöhnlichen Menschlichen Erfahrungen (UME)
(Lukadou, 2003, S.45; 2003a)

Tabelle 2 Zeitlicher und inhaltlicher Überblick über den Ablauf des Forschungsvorgehens (TB: teilnehmende Beobachtung; FB: Fragebogen; RI: rezeptives Interview; EI: erfahrungszentriertes Interview)

Tabelle 3.1 Theoretische Merkmale und praktische Umsetzung der teilnehmenden Beobachtung (TB)

Tabelle 3.2 Hauptkategorien und Intention des ethnographischen Tagebuchs

Tabelle 4 Charakteristik der erfahrungszentrierten Interviews

Tabelle 5.1 Zusammensetzung der Selbsterfahrungsgruppe

Tabelle 5.2 Erfahrungen mit Rituellen Körperhaltungen und anderen Trance- und Entspannungstechniken (FB-1 bis FB-5) (Häufigkeiten)

Tabelle 5.3 Erlebnisintensität, praktische Übung und theoretisches Wissen
(FB-6 bis FB-8) (Mittelwerte)

Tabelle 5.4 Wichtigkeit der Erlernbarkeit von Trance (FB-9) (Mittelwerte)

Tabelle 5.5 Erwartungen an Rituelle Körperhaltungen (FB-10) (Häufigkeiten)

Tabelle 5.6 Wichtiges am Selbsterfahrungsnachmittag (FB-11) (Häufigkeiten)

Tabelle 5.7 Erkenntnisse aus den Kreisgesprächen (FB-12) (Häufigkeiten)

Tabelle 5.8 Störung durch empirische Arbeiten (FB-13) (Mittelwerte)

Tabelle 6.1.1 Sinneserleben in der Bärenhaltung

Tabelle 6.1.2 Taktile Sinneswahrnehmungen in der Bärenhaltung

Tabelle 6.1.3 Temperaturempfindungen in der Bärenhaltung

Tabelle 6.1.4 Nozizeptive Sinneswahrnehmungen in der Bärenhaltung

Tabelle 6.1.5 Kinästhetische Sinneswahrnehmungen in der Bärenhaltung

Tabelle 6.1.6 Auditive Sinneswahrnehmungen in der Bärenhaltung

Tabelle 6.1.7 Zeiterleben in der Bärenhaltung ([S]: zeitliche Stauchung, [D]: zeitliche Dehnung, [Syn]: zeitliche Synchronizität)

Tabelle 6.1.8 Gefühlserleben in der Bärenhaltung

Tabelle 6.1.9 Verbalisierung und Kommunizierbarkeit der Tranceerlebnisse der
Bärenhaltung

Tabelle 6.2.1 Sinneserleben im Olmekischen Prinzen

Tabelle 6.2.2. Taktile Sinneswahrnehmungen im Olmekischen Prinzen

Tabelle 6.2.3 Nozizeptive Sinneswahrnehmungen im Olmekischen Prinzen

Tabelle 6.2.4 Kinästhetische Sinneswahrnehmungen im Olmekischen Prinzen

Tabelle 6.2.5 Auditive Sinneswahrnehmungen im Olmekischen Prinzen

Tabelle 6.2.6 Olfaktorische Sinneswahrnehmungen im Olmekischen Prinzen

Tabelle 6.2.7 Zeiterleben im Olmekischen Prinzen ([S]: zeitliche Stauchung, [D]: zeitliche Dehnung, [Syn]: zeitliche Synchronizität)

Tabelle 6.2.8 Gefühlserleben im Olmekischen Prinzen

Tabelle 6.2.9 Verbalisierung und Kommunizierbarkeit der Tranceerlebnisse des Olmekischen Prinzen

Tabelle 6.3.1 Sinneserleben im Saami-Schamanen

Tabelle 6.3.2 Taktile Sinneswahrnehmungen im Saami-Schamanen

Tabelle 6.3.3 Nozizeptive Sinneswahrnehmungen im Saami-Schamanen

Tabelle 6.3.4 Auditive Sinneswahrnehmungen im Saami-Schamanen

Tabelle 6.3.5 Gefühlserleben im Saami-Schamanen

Tabelle 6.4.1 Sinneserleben in der Südmährischen Frau

Tabelle 6.4.2 Taktile Sinneswahrnehmungen in der Südmährischen Frau

Tabelle 6.4.3 Nozizeptive Sinneswahrnehmungen in der Südmährischen Frau

Tabelle 6.4.4 Kinästhetische Sinneswahrnehmungen in der Südmährischen Frau

Tabelle 6.4.5 Gefühlserleben in der Südmährischen Frau

Tabelle 6.4.6 Gefühle der Verjüngung in der Südmährischen Frau

Tabelle 6.4.7 Kontrollerleben in der Südmährischen Frau

Einleitung

Die Menschen sagen,

dass das, was wir alle suchen, die Bedeutung des Lebens ist

Ich glaube das nicht.

Ich denke, das, wonach wir suchen, ist die Erfahrung des Lebendigseins.

(Joseph Campbell)

Viele Kinderbücher handeln von Geschichten über andere Ereignisse und Begebenheiten als jene, die den Tag bestimmen. Tiere verhalten sich z.B. wie Menschen. Gegenstände fangen an zu sprechen. Wesen wie Gnome, Zwerge oder Wichtel und andere werden existent. Die Menschen besitzen Fähigkeiten, von denen manche im Alltag sonst vielleicht nur träumen. Sie erlangen ungeahnte Kräfte, reisen in Windes Eile von einer Gegend dieser Welt in eine weit entfernte andere und bedienen sich dabei aller möglicher Flugobjekte, die im eigentlichen Sinne doch gar nicht zum Fliegen geeignet sind.

Derartige Geschichten fand ich immer ganz `nett´, gelesen habe ich sie selten. Im Prinzip fehlte mir dazu die Neugierde, denn diese magischen Bilder kannte ich als selbstverständliche Bestandteile meiner kindlichen Erlebniswelt. Dort zeigten sie sich mir viel lebhafter als jedes Buch in der Lage war sie zu beschreiben. Bücher suggerierten sie als mehr oder weniger fest umrissene Vorstellungsbilder. Doch hatte ich das Gefühl, das meine Erlebniswelt echt war –irgendwie, denn von meinen (außer-)gewöhnlichen Erlebnissen konnte ich – wenn überhaupt – nur selten berichten.

Bis zu meiner ersten Begegnung mit Rituellen Körperhaltungen wusste ich wenig über Trance und Ekstase und auch nichts über Schamanismus. Zwar lebte ich zwei Jahre zuvor ca. 6 Monate lang in Peru, doch meine Sozialisation hatte mir beigebracht, das Verhalten von Schamanen als skurril abzuwerten und meine Aufmerksamkeit auf anderes zu lenken. Auf die Rituellen Körperhaltungen wurde ich erst durch eine Aneinanderreihung von Zufällen aufmerksam. Immer wieder stieß ich auf diesen Begriff z.B. während der Literaturrecherche zu Themen wie Bioenergetik, Tanztherapie, Tanz und Ritual sowie Positiver Psychotherapie im Sinne Nossrat Peseschkians. Meine erste eigene Erfahrung mit Rituellen Körperhaltungen, der Maisgöttin und der Südmährischen Frau im Kontext eines Selbsterfahrungsseminars, war zwar äußerst eindrucksvoll und ergreifend, das Tranceerleben an sich stellte sich jedoch nicht als das von mir erwartete Aha-Erlebnis dar. Die Aha-Momente kamen erst, als die anderen Ritualteilnehmer über ihre Erlebnisse berichteten. Fast alle erzählten von `ver-rückten´ Geschichten. Und was mich besonders beeindruckte: Auch für sie waren diese Erlebnisse nichts grundlegend Neues. Ich besuchte noch zwei, drei Workshops und stellte fest: Der erste Eindruck bestätigte sich erneut. Seitdem begleiten Rituelle Körperhaltungen mich zunehmend in meinem Leben – und mit der vorliegenden Arbeit auch in meinem Studium.

Rituelle Körperhaltungen dienen der Induktion eines veränderten Wachbewusstseinszustandes, konkret dem Zustand ekstatischer Trance. Durch Einnahme einer vorgegebenen Körperposition und gleichzeitiger auditiver Stimulierung werden ekstatisch-visionäre Erfahrungen möglich. Bereits seit 1968 untersuchte Prof. Dr. Felicitas Goodman viele verschiedene Körperhaltungen, die Heilern und Schamanen seit Jahrtausenden dazu dienen, in andere Räume des Bewusstseins zu gelangen. Als Anthropologin entwickelte sie eine Ritualform, die eine Verbindung zwischen schamanischem und westlichem Kulturkontext schafft. Diese Art von Tranceritual erleichterte mir, Abstand zu nehmen von meiner Abneigung gegenüber allem Schamanischen. Darüber hinaus war Goodman lange Jahre im universitären Bereich tätig und erforschte Rituelle Körperhaltungen auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten. Ihre Forschungsberichte ließen mir Rituelle Körperhaltungen als seriös erscheinen und vermittelten ein Gefühl von Sicherheit, indem sie sich auf diese Art und Weise von der überquellenden Flut an Selbsterfahrungsangeboten der Esoterikszene absetzten. Interessant erschien mir die Annahme, dass jede Rituelle Körperhaltung ein spezifisches, voraussagbares und von anderen Rituellen Körperhaltungen abgrenzbares Erlebnis ermöglicht (Goodman, 1986). Wenn dem so wäre, dachte ich mir, dann könnten Rituelle Körperhaltungen gezielt eingesetzt werden, z.B. im Rahmen von Psychotherapien. Wäre es nicht möglich, einem phobischen Patienten mit ausgeprägter Angst vor Wasser diese zu nehmen, indem ich ihn in einen durch Rituelle Körperhaltungen induzierten Trancezustand führe, für den Erlebnisse mit Wasser, wie z.B. in der Rituellen Körperhaltung des Saami-Schamanen, charakteristisch sind? Dazu müsste genau bekannt sein, welche Rituelle Körperhaltung welches Erlebnis hervorbringt. Leider lassen die Arbeiten von Goodman viele Fragen offen. So scheint die genannte Annahme der Erlebniskonsistenz Ritueller Körperhaltungen eher auf einer Ad-hoc-Verifikation diesbezüglicher Ergebnisse zu beruhen denn auf einer methodengeleiteten Auswertung. Kontroll- oder zumindest Vergleichsgruppen fehlen. Fragen der Ergebnisbeeinflussung durch Suggestionen seitens der Ritualleiterin, in der Arbeit von Goodman (1986) deutlich erkennbar, bleiben unreflektiert. Und doch immer wieder die Annahme: Rituelle Körperhaltungen ermöglichen spezifische Erlebnisse (Goodman 1986, 1993, 1996, 1999, 2000, 2001, 2003; Goodman & Nauwald, 1998).

Was in keiner der Arbeiten von Goodman hinterfragt wird, sind die Folgen derartiger Erlebnisse im veränderten Wachbewusstsein. Wie weiter oben beschrieben erlebte auch ich nicht das Tranceerlebnis an sich als Aha-Ereignis. Vielmehr erstaunte mich ihr natürlicher Umgang seitens der anderen Ritualteilnehmer. Und nicht nur mit der Tranceerfahrung: Auch die schamanischen Ritualelemente wirkten ihnen vertraut. Wieder in meiner sogenannten normalen Umgebung, versuchte ich mit neuer Selbstsicherheit von meinem Wochenendseminar zu berichten. Doch es wurde deutlich: Andere Personen konnten auch weiterhin nicht verstehen, was ich ihnen mitteilen wollte. Ich behielt meine erste Erfahrung mit Rituellen Körperhaltungen in sehr guter Erinnerung. Nach außen tragen konnte ich die Erfahrungen nicht. Sie erhielten für mich keine soziale Realität und es erschwerte sich ihre uneingeschränkte Integration.

Im Rahmen meines Studiums war ich es gewohnt, umfassende Literaturrecherchen durchzuführen. Ich suchte nach Studien zum Thema des Erfahrungsumgangs mit veränderten Bewusstseinszuständen und deren Integration in den Alltag. Das Ergebnis: Es existieren so gut wie keine Forschungsberichte zu dieser Frage. Zwar beschäftigen sich viele Studien mit Erlebnissen von Trancezuständen. Deren Auswirkungen auf den Alltag der betreffenden Personen werden jedoch weniger systematisch untersucht. Auch berücksichtigt keine der mir bekannten Untersuchungen das Erfahrungsniveau der Teilnehmer. Wie in so vielen anderen Bereichen des Lebens auch, ist jedoch davon auszugehen, dass Übung und Vertrautheit mit Rituellen Körperhaltungen auf diese wiederum zurückwirken: Erfahrene Ritualteilnehmer wissen mindestens um die Abläufe im Ritual Bescheid, lassen sich weniger von äußeren Gegebenheiten irritieren und können sich daher in der Regel leichter auf das Geschehen einlassen. Darüber hinaus haben sie vielleicht bereits Strategien entwickelt, um das in der Trance Erfahrene in den Alltag zu integrieren.

Nachdem somit viele Fragen zum Thema der Rituellen Körperhaltungen offen blieben, entschied ich mich, diese im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu thematisieren. Als Fragestellung interessiert einerseits die Untersuchung der Annahme der Erlebniskonsistenz Ritueller Körperhaltungen und andererseits der alltägliche Umgang mit aus diesen resultierenden Erfahrungen. Merkmale von Ritualteilnehmern mit langjähriger Erfahrung Ritueller Körperhaltungen im Gegensatz zu Neulingen auf diesem Gebiet werden ebenso hinterfragt.

Vom methodischen Standpunkt aus gesehen basiert die realisierte Studie auf Forschungsansätzen und Analysemethoden der qualitativen Sozialforschung. Diese bieten sich vor allem zur Untersuchung sensibler und explorativer Fragestellungen wie den genannten an. Auch zeigte die Sichtung bisheriger Studien zum Thema Ritueller Körperhaltungen, dass quantitative Messinstrumente unzureichende, teilweise sogar falsche Ergebnisse hervorbrachten. Auf diesen Aspekt wird in den Ausführungen zum Forschungsstand Ritueller Körperhaltungen (Kapitel 7) vertiefend eingegangen. Für mich persönlich stellte sich die Realisierung einer qualitativen Studie insofern als Herausforderung dar, da mir während meines Studiums und meiner zweijährigen Anstellung als studentischer Hilfskraft im Arbeitsbereich Statistik und Methoden die Psychologie als ausgeprägt naturwissenschaftlich orientiert vermittelt wurde. Ausschließlich durch Experiment und statistische Messmethodik kausal Erklärbares galt als für die Forschung von Interesse. Weniger Wert lag auf der Vermittlung von im Sinne der Geistes- und Kulturwissenschaften geschichtlich und sozio-kulturell geprägten seelischen Gegebenheiten. Sehr gegenteilig erfuhr ich den Forschungsansatz des als psychologischen Wahlpflichtfachs belegten Studiums der Ethnologie, die in ihrer Arbeitsweise deutlich den Fokus auf Methoden der qualitativen Sozialforschung legt. In der geforderten praktischen Umsetzung erfahrungszentrierter Interviews lernte ich, sie auf psychologische Fragestellungen anzuwenden. Mein bisheriges Bild, qualitative Sozialforschung diene nur als `Handlanger´ quantitativer Messoptionen – ein bei Lamnek (2005) in seiner Auseinandersetzung mit Kritikern des qualitativen Paradigmas entlehnter Begriff – revidierte sich.

Um dem Leser einen Überblick über die vorliegende Arbeit zu ermöglichen, sei im Folgenden der Aufbau der Arbeit einleitend wiedergegeben. Insgesamt unterteilt sich die Ausarbeitung in vier Teilbereiche. Der Theorieteil (Teil A) wird durch eine phänomenologische Darstellung veränderter Bewusstseinszustände eröffnet (Kapitel 1). Diesem folgt eine definitorische Annäherung an den Begriff der `Trance´ (Kapitel 2). Auf die Taxonomie und Induktionsunabhängigkeit veränderter Bewusstseinszustände geht das folgende Kapitel ein (Kapitel 3). Anschließend werden einige ausgewählte Ritualaspekte berücksichtigt (Kapitel 4). Ebenso stellen sich Fragen des Umgangs mit Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände (Kapitel 5). Es folgt eine Kurzdarstellung zum Thema Schamanismus sowie zur Anthropologie und Methodik Ritueller Körperhaltungen (Kapitel 6). Den Theorieteil abschließend eröffnet sich der Forschungsstand (Kapitel 7).

Der Erarbeitung des theoretischen und empirischen Hintergrundes zum Thema veränderter Bewusstseinszustände folgt die Darstellung der Durchführung und Auswertung der eingesetzten qualitativen Methoden (Teil B). Zu Beginn werden die forschungsleitenden Fragestellungen präzisiert (Kapitel 8). Gründe für die Auswahl qualitativer Messmethodik (Kapitel 9) sowie die Rahmenbedingungen der Forschung (Kapitel 10) schließen sich an. Es folgt eine ausführliche Vorstellung der ausgewählten qualitativen Untersuchungsmethoden (Kapitel 11) bevor abschließend die Gütekriterien, an der sich die vorliegende Arbeit zu messen hat, thematisiert werden (Kapitel 12).

Die Ergebnisdarstellung (Teil C) orientiert sich an der Chronologie des Forschungsvorgehens. Zuerst wird auf Resultate der teilnehmenden Beobachtung eingegangen (Kapitel 13). Es folgen die Ergebnisse des selbstentwickelten Kurzfragebogens (Kapitel 14), der rezeptiven Interviews (Kapitel 15) und abschließend die der erfahrungszentrierten Leitfadeninterviews (Kapitel 16). Zusammen bilden sie die Basis weiterführender Diskussionen unter Rückbezug auf die im Theorieteil erörterten theoretischen Gesichtspunkte (Teil D). Die Ausführungen im Diskussionsteil reflektieren zuerst die Ergebnisse hinsichtlich der zugrunde liegenden Fragestellungen und grenzen Rituelle Körperhaltungen gegenüber einer spirituellen Körper- und Psychotherapie ab (Kapitel 17). Es folgt die Diskussion der zur Untersuchung eingesetzten Methoden (Kapitel 18). Die vorliegende Arbeit abschließend werden die Grenzen der Forschung aufgezeigt (Kapitel 19).

Zum Abschluss dieser einleitenden Worte möchte ich auf einige Besonderheiten der vorliegenden Arbeit hinweisen: Da sie sich im Spannungsfeld zwischen den Kulturkontexten des schamanischen und westlichen Weltbildes befindet, ergeben sich notwendiger Weise Unschärfen. Diese zeigen sich vor allem in Begriffsbildungen und -verwendungen. Nun liegt der vorliegenden Arbeit eine psychologische Fragestellung zugrunde. Insofern müssen historische, soziologische und ethnologische Beschreibungen in weiten Teilen unberücksichtigt bleiben. Wo jedoch möglich, wird an geeigneter Stelle auf eine weiterführende Literatur hingewiesen.

Die verwendete Geschlechtsform orientiert sich in erster Linie am biologischen Geschlecht der Teilnehmer. Wo jedoch z.B. Teilnehmer unterschiedlicher Geschlechter zusammen erwähnt werden, wird auf die männliche Form zurückgegriffen. Das Schriftbild der Zitate folgt – soweit der eigentliche Sinn und Stil nicht verloren geht – den Regeln der neuen Rechtschreibreform. Mögliche Rechtschreibfehler werden korrigiert.

Die Bezeichnung „Rituelle Körperhaltungen und ekstatische Trance nach Dr. Felicitas Goodman®“ stellt einen gesetzlich geschützten Begriff dar. Auch wenn aus Gründen der Lesbarkeit in den folgenden Ausführungen auf die Angabe der Trademark verzichtet wird, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Weitergabe dieser Trance induzierenden Methode, in z.B. therapeutischen Kontexten, Selbsterfahrungsgruppen, Seminaren, etc., nur ausgebildeten Personen gestattet ist.

Danksagung

Die vorliegende Arbeit wurde durch viele Menschen begleitet, ohne deren Unterstützung einerseits die empirische Studie selbst und zum anderen ihre schriftliche Ausarbeitung nicht hätten umgesetzt werden können.

Mein besonderer Dank gilt:

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Rolf Verres für sein Interesse, seine Offenheit und gleichzeitig konstruktive Kritik. Seine Wertschätzung meines Tuns und sein Vertrauen auf eine erfolgreiche Ausarbeitung der Forschung ermutigten mich, das Begonnene zu vollenden.

Prof. Dr. Dipl.-Psych. Renaud van Quekelberghe für die mir zugestandene Freiheit in der empirischen Umsetzung der Untersuchung und ihrer schriftlichen Darstellung.

Sabine Rittner für die Offenheit gegenüber meinem Forschungsvorhaben und ihrer Betreuung im Rahmen seiner Realisation. Die mit ihr geführten Diskussionen und mir entgegengebrachten Anregungen ließen mich meine Arbeit fortwährend reflektieren und aus verschiedenen Perspektiven betrachten. Gerne stellte sie mir ihr umfangreiches fachliches Wissen zu veränderten Bewusstseinszuständen und ganz speziell zu den Rituellen Körperhaltungen zur Verfügung. Ihrem unerschütterlichen Vertrauen gegenüber meiner Arbeit ist es zu verdanken, dass Phasen grundlegender Zweifel im Forschungsprozess nicht dazu führten, diese aufzugeben. Durch die Teilnahme an der Selbsterfahrungsgruppe „Reisen in die andere Wirklichkeit“ ermöglichte sie mir den Zugang zu einem Forschungsfeld, in dem wissenschaftliches Arbeiten und Persönlichkeitsschulung mit einander interagieren konnten.

Dr. Horst Scherg für seine kritische Rückmeldung in Bezug auf die methodische Korrektheit des statistischen Auswertungsvorgehens und der Darstellung ausgewählter qualitativer Ergebnisteile.

Den Diplomanden- und Doktorandenkolloquien am Institut für Medizinische Psychologie, Universitätsklinik Heidelberg, unter der Leitung von Prof. Dr. Jochen Schweitzer-Rothers, und im Fachbereich für Klinische Psychologie, Universität Landau, unter der Leitung von Prof. Dr. Annette Schröder. Die kritischen Reflexionen und erhaltenen Ratschläge unterstützten mich nicht nur in der Lösung der eingebrachten Fragestellungen sondern führten zu erneut vertiefenden Auseinandersetzungen mit dem Datenmaterial.

Den Teilnehmern der Selbsterfahrungsgruppe „Reisen in die andere Wirklichkeit“ (Jahresgruppe 2003/2004). Während der Gruppentreffen konnte ich mit ihnen gemeinsam mein individuelles Verständnis über die Erlebnismöglichkeiten und Erfahrungshorizonte der Trance Ritueller Körperhaltungen sukzessive erweitern. Erst ihre Erzählberichte und Interviewaussagen führten zu den präsentierten Studienergebnissen. Ohne die von ihnen mir entgegengebrachte Offenheit wären viele der folgenden Seiten weiß und die erlebten Tranceerfahrungen im wahrsten Sinne des Wortes „un-beschrieben“ geblieben.

Maria Balfar für ihre Reflexionen und Anregungen in der nochmaligen Strukturierung ausgewählter Problembereiche des vielfältigen Datenmaterials und für die so präzise Korrektur von Teilbereichen des Manuskripts.

Carsten Hoffman für seine Kritik an der ersten Fassung des Methodenteils, die dazu führte, diesen in Teilen umzustellen und zusammenzufassen.

Britta Fölling, Carsten Hoffmann, Diane Quakernack, Claudia Rendenbach, Helke Rheingans, Sahra Roller und Monika Wendtland für die geduldige, ausdauernde und sorgfältige Prüfung jeweils unterschiedlicher Kapitel des Manuskripts auf Rechtschreibung und Grammatik.

Helke Rheingans für ihre tiefe Verbundenheit, für ihre Freundschaft, für ihre Lebensfreude und ihre Fähigkeit, mir auch in Stunden der Selbstzweifel immer wieder das Positive im Leben zu zeigen, dabei jedoch durchaus kritisch zu bleiben. Mit nur wenigen Menschen kann ich gemeinsam, und doch jeder für sich, so konzentriert arbeiten und anschließend zusammen dass Leben so leicht genießen.

Hannes Scholten für seine immerwährende Anteilnahme, für seine Freundschaft und für seine motivierende Zusprache in den vielen Stunden der Skepsis.

Claudia Rendenbach für ihre Freundschaft und ihr Geduld bis an die Grenzen ihres Verständnisses.

Malte Quakernack, meinem jüngst geborenen Neffen, für seine beruhigende Ausstrahlung, im Urvertrauen eines schlafenden Kindes, mit der er, ohne es zu wissen, den letzten Teil der Fertigstellung der vorliegenden Arbeit begleitete.

Benita Hunger und Manfred Hunger, meinen Eltern, die mir Halt geben, die mich lieben und die immer für mich da sind, wenn ich sie brauche. Sie unterstützten mich während meiner Forschung zudem finanziell und machten diese somit erst möglich. Damit haben sie mir eine große Freude bereitet.

Teil A – THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND

Der erste Teil der vorliegenden Ausarbeitung beschäftigt sich mit theoretischen und empirischen Hintergründen veränderter Bewusstseinszustände und spannt sukzessive einen Bogen zu der durch Rituelle Körperhaltungen induzierten Trance. Im ersten Kapitel wird auf phänomenologische Aspekte veränderter Bewusstseinszustände eingegangen. Evolutionstheoretische Überlegungen (Gebser, 1986a, 1986b) bilden die Basis einer weiterführenden Betrachtung von Typologien (Dittrich, 1990) und ausgewählten Topographien veränderter Wachbewusstseinszustände (Guttmann, 1992; R. Fischer, 1989, 1998) sowie ausgewählter Topographien des Unbewussten (Freud, 2002; Jung, 1972; Grof, 1998). Zustandsbetrachtungen (Dittrich, 1985, 1996; Dittrich, Lamparter & Maurer, 2002; Ludwig, 1966) und Verlaufsbetrachtungen (Clottes & Lewis-Williams, 1997) schließen sich an. Eine definitorische Annäherung an den Begriff der `Trance´ unter Abgrenzung von Besessenheitstrancen sowie hypnotischen und meditativen Trancen erfolgt im zweiten Kapitel. Determinanten von Trance vor dem Hintergrund ihrer Induktionsunabhängigkeit, ihrer Beeinflussung durch Suggestion und Suggestibilität sowie ihrer Charakteristik als dissoziativer Zustand thematisiert das dritte Kapitel. Einige ausgewählte Aspekte zum Thema Mythos und Ritual, wie z.B. Ritualstruktur, Set und Setting, berücksichtigen die Ausführungen des vierten Kapitels. Das anschließende fünfte Kapitel erörtert Fragen des Umgangs mit Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände. Einleitend werden Begrifflichkeiten des `Erlebnisses´ und der `Erfahrung´ differenziert. Es folgen Auseinandersetzungen zum Thema der Integration von Tranceerfahrungen in den Alltag, bevor auf ausgewählte Dimensionen individueller und sozio-kultureller Determinanten eingegangen wird. Sodann zeigt sich im sechsten Kapitel eine Kurzdarstellung des Schamanismus sowie der Anthropologie und Methodik Ritueller Körperhaltungen. Den Theorieteil abschließend eröffnet sich der Forschungsstand im siebten Kapitel.

1. Phänomenologie von Bewusstseinszuständen

Mit einem Schlage war mir klar,

dass es noch etwas gibt, was mich zutiefst betrifft,

mich anrührt und erschreckt, mich rüttelt und mich weckt.

Und wer darin, momentelang verweilt,

wird Heil gewinnen und im Grunde geheilt.

So bist du, Mensch, aus zweien Welten.

Die eine lässt du schon – lass auch die andere[n] gelten.

(Mayer, 1998, S.270)

1.1. Evolutionstheoretische Überlegungen der Bewusstseinsentwicklung

Evolutionstheoretische Überlegungen beruhen auf der Annahme, dass die menschliche Psyche zu Beginn ihrer Existenz aus einfachen, wenig differenzierten Strukturen besteht. Erst im Laufe ihrer Entwicklung ist sie in der Lage, komplexere Formen auszubilden. In wissenschaftlichen Kreisen erfreuten sich derartige Ansichten vor allem Anfang des 19. Jh. besonderer Beliebtheit. Vertreter der Völkerkunde, wie Wilhelm Wundt, der Psychologie, wie Sigmund Freud oder der Philosophie, wie Jean Gebser äußerten sich konform dem Postulat der Hierarchisierung jeder menschheitsgeschichtlichen Entwicklung des Bewusstseins. Gebser beschäftigte sich mit diesbezüglichen Fragen eingehender als seine Kollegen anderer Fachrichtungen der Geistes- und Kulturwissenschafen. Daher sei im Folgenden auf seine Theorie des Integralen Bewusstseins (Gebser, 1986a, 1986b) ausführlicher eingegangen. Vergleiche zu Wundt und Freud sollen jedoch nicht fehlen.

Die Theorie des Integralen Bewusstseins geht davon aus, dass jeder Mensch vier Entwicklungsstufen durchläuft: Das archaische, das magische und das mythische münden in unser heutiges mentales Bewusstsein. Das archaische Bewusstsein ist gekennzeichnet durch Vor-Zeitlichkeit, ist dimensionslos, Ich-los, also unbewusst im Sinne von bewusst-los (vgl. Guttman, 1992) und folglich nicht im Alltagsbewusstsein verhaftet (Gebser, 1986a, 1986b). Es findet ein ständiger Austausch mit den „Anderwelten“ (Scharfetter, 1992, S.26) statt. Diese stellen Räume des Bewusstseins dar, welche aus der Perspektive der geltenden westlichen Weltsicht außerhalb des normalen Alltagsbewusstseins liegen. Diese gelten im Gegenteil zur Stufe des mentalen Bewusstseins jedoch nicht als „ausserweltlich“ (Scharfetter, 1992, S.26). Was Gebser (1986a, 1986b) als archaisches Bewusstsein beschreibt, zeigt sich bei Freud in seinen Ausführungen über die animistische Phase der menschlichen Weltanschauung (Holz & Zahn, 1995). Im Animismus gilt sowohl alle Materie als auch die Natur als beseelt (Häcker & Stapf, 2004). Den Aussagen Freuds folgend glaubt der Mensch, er könne Kraft seiner Gedanken auf die Welt einwirken: Unheil heraufbeschwören oder dieses abwenden. Eine derartige Denkweise findet sich seiner Meinung nach im westlichen Kulturkontext ausschließlich bei Zwangsneurotikern. Insofern hält er Rituale für ein „zurückgebliebenes magisches Denken“ (Holz & Zahn, 1995, S.29). Ähnlich definieren Häcker und Stapf (2004) den Animismus als „in Kulturen geringerer Naturbeherrschung das Gesamtgebiet primitiven Seelenglaubens“ (S.46) bezeichnend, eine Aussage, die trotz der Aktualität ihrer Veröffentlichung meiner Ansicht nach sowohl inhaltlich als auch bezüglich der verwendeten Begrifflichkeiten grundlegend in Frage zu stellen ist.

Das magische ist im Gegensatz zum archaischen Bewusstsein nicht mehr dimensionslos. Es ist eindimensional, bleibt aber auch weiterhin unbewusst (Gebser, 1986a, 1986b). Freud verbindet mit dieser Bewusstseinsstufe den Ursprung jeder religiösen Weltanschauung: die Götter leiten die Welt, können aber vom Menschen beeinflusst werden (Holz & Zahn, 1995).

Zum mythischen Bewusstsein gehört ein dauerhaftes Zeitgefühl: Zweidimensionalität entsteht. Es kommt zu einer umfassenden Bewusstwerdung der Seele (Gebser, 1986a, 1986b). Wundt beschreibt es als das Zeitalter der Götter und Helden. Die Inhalte des Bewusstseins sind noch wenig konkret. Erstmals tritt die Befriedigung auch sekundärer Bedürfnisse in den Vordergrund – und mit ihnen die Möglichkeit des „Seelenheil[s]“ (Holz & Zahn, 1995, S.26). Somit kommt dem mythischen Bewusstsein evolutionstheoretisch eine erstmalige psychologische Bedeutsamkeit zu (Holz & Zahn, 1995).

Das mentale Bewusstsein bezeichnet unser heutiges Bewusstsein. Es tritt aus der Zweidimensionalität heraus in den dreidimensionalen Raum (Gebser, 1986a, 1986b). Nach Freud charakterisiert es das wissenschaftliche Denken: Die Naturgesetze leiten die Welt, die Welt wird objektivierbar in Kategorien eingeordnet. Doch räumt Freud auch ein: „…in dem Vertrauen auf die Macht des Menschengeistes, welcher mit den Gesetzen der Wirklichkeit rechnet, lebt ein Stück des primitiven Allmachtsglaubens weiter“ (Freud, 1912/1913, in Holz & Zahn, 1995, S.29).

Die Theorie des integralen Bewusstseins stellt sich nach Gebser (1986a, 1986b) als Hierarchie aufeinander folgender Entwicklungsstufen dar. Im Sinne evolutionstheoretischer Weltanschauungen bauen die einzelnen Stufen aufeinander auf. Jede nachfolgende enthält das Gesamt der vorherigen Entwicklungen. Insofern kann meiner Ansicht nach auch der `moderne Mensch´ ein anderes als das heutige, das mentale Bewusstsein erleben. Als notwendige Voraussetzung würde Freud in diesem Zusammenhang vor allem regressive Prozesse postulieren. Regression bedeutet, auf ein früheres Niveau des psychischen Geschehens zurückzufallen (Kriz, 2001). Dieser Ansicht kann jedoch auch widersprochen werden, wenn sich der Fokus der Betrachtung weniger auf eine evolutionstheoretische Weltanschauung richtet, sondern von einer Gleichzeitigkeit verschiedener Bewusstseinszustände ausgeht. Dann vereinen sich in jedem Moment des menschlichen Daseins die Eventualitäten des animistischen, magischen, mythischen und mentalen Bewusstseins. Das archaische ist dem mentalen und das mentale dem archaischen Bewusstsein immanent: Eine Regression erübrigt sich. Ähnliche Ansichten vertritt auch Goodman (1981), die in einer ihrer Untersuchungen über Sprachmuster in veränderten Wachbewusstseinszuständen – unter anderem Schlaf, Hypnose und Besessenheitstrance –zeigt, dass diese sich eindeutig von kindlicher Vokalisation unterscheiden. Sie schloss daraus, dass sich veränderte Wachbewusstseinszustände klar von regressiven Prozessen abgrenzen, denn es handelt sich bei diesen nicht um ein Zurückfallen auf kindliche Verhaltensmuster. Nicht Regression sonder Progression wird zum Handlungsprinzip. Das Ziel menschlichen Strebens sollte daher sein, eine neugeordnete Verbindung zwischen allen Bewusstseinsstufen herzustellen (Schirmbrand, 1991). Insofern widerspricht meiner Meinung nach die heute gültige Weltanschauung der Transpersonalen Psychologie auch der Feststellung Wundts, dass erst auf der Stufe des mythischen Bewusstseins dieses psychologische Bedeutung erhält. Im Gegenteil: Jede der Bewusstseinsstufen wird bedeutsam, wenn als Ziel menschlicher Entwicklung eine Integration aller vier Bewusstseinsstufen gilt.

1.2. Typologien, Topographien und Dimensionen des menschlichen Bewusstseins

Die im Folgenden vorgestellten Typologien, Topographien und Dimensionen des menschlichen Bewusstseins sollen einen ersten Einblick in die Ansätze zur Strukturierung und Klassifizierung veränderter Bewusstseinszustände geben. Aufgrund der Komplexität des menschlichen Bewusstseins sind diesbezügliche Unschärfen unumgänglich. Nichts desto trotz haben sich die vorgestellten Ansätze als gute Heuristiken erwiesen (Scharfetter, 1995).

1.2.1 Dittrich (1990): Typologie normaler und veränderter Wachbewusstseinszustände

Bewusstsein im Sinne von „sich zurechtfinden“ (Guttmann, 1992, S.119) umfasst eine Vielzahl komplexer Erfahrungen und Erkenntnisse der menschlichen Existenz (Hegi, 1998). Bis heute fehlt jedoch ein umfassendes Modell zur Erklärung seiner Komponenten. Ein Grund hierfür liegt sicherlich in der Unausweichlichkeit seiner immanenten Tautologie: Erst das Bewusstsein ermöglicht dem Menschen, innere Vorgänge und Zustände wahrzunehmen. Doch auch wenn sich das Bewusstsein an sich nicht definieren lässt, so können verschiedene Zustände des Bewusstseins unterschieden werden (Dittrich, 1990). Eine vereinfachende Typologie von Bewusstseinszuständen zeigt die folgende Abbildung 1.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1 Typologie von Bewusstseinszuständen (Dittrich, 1990, S.74), ergänzt um Scharfetter (1992) [„NWB“: normales Wachbewusstsein; „VWB“: verändertes Wachbewusstsein]

Dittrich (1990) unterteilt das Bewusstsein in Zustände des Wach- und Schlafbewusstseins. Das Schlafbewusstsein, nach Scharfetter (1992) dem Bereich des Unter-Bewussten zuzuordnen, wird vor allem durch Träume – ausgenommen sind luzide Träume – bestimmt. Auch kann es durch Pharmazeutika ausgelöst werden (Scharfetter, 1992). Für derartige Zustände charakteristisch ist ihre Unmöglichkeit, sie zu steuern. Dafür ist der vorhandene Grad an Bewusstheit zu gering. Der ihm Rahmen der vorliegenden Ausarbeitung zu untersuchende Bewusstseinszustand der durch Rituelle Körperhaltungen induzierten Trance unterscheidet sich jedoch grundsätzlich von Schlafzuständen. Eine diesbezügliche Forschungsarbeit von Guttmann (1992) findet der Leser in den Ausführungen zum Forschungsstand Ritueller Körperhaltungen (Kapitel 7.2.1.1).

Nach Dittrich (1990) unterteilt sich das Wachbewusstsein in ein normales und ein verändertes Wachbewusstsein. Das normale Wachbewusstsein, auch alltägliches Bewusstsein genannt, zeichnet sich durch Linearität, Kausalität, Rationalität, logische Verknüpfungen und Personenhaftigkeit (`Ich´) aus. Es steht in den westlichen Kulturen in engem Zusammenhang mit geistiger Gesundheit: „Dinge wahrzunehmen, wie sie sind (Realitätskontrolle)“ (Resch, 1990, S.156), „emotionale Ausgeglichenheit und Selbstdisziplin“ (ebd.), „soziale Anpassung“ (ebd.) und „Wahrnehmung der Grenzen der eigenen Fähigkeiten“ (ebd.) gelten als seine Hauptkriterien. Auf kognitiver Ebene lässt sich das Wachbewusstsein als eine `kohärente Organisation mentaler Prozesse´ (Freud, 1953-1974, in R. Fischer, 1989, S.18 [Übersetzung der Verfasserin]) beschreiben.

Dem normalen Wachbewusstsein gegenüber steht das veränderte Wachbewusstsein („altered states of consciousness“ (Dittrich, 1990, S.75), „Außergewöhnliche Bewusstseinszustände (ABZ)“ (ebd.), „non-ordinary states of consciousness“ (ebd.) bzw. „ungewöhnliche menschliche Erfahrungen“ (von Lucadou, 2003b, S.44). Es zeichnet sich durch Nicht-Linearität und Irrationalität aus (Scharfetter, 1992). Multidimensionale Bewegungen werden möglich. Veränderungen im Denken und in den Sinnesempfindungen sowie Auflösungen von Raum- und Zeitstrukturen sind nur einige seiner Charakteristika. Das Kapitel über Kategorien, Dimensionen und Verläufe „veränderter“ Erfahrungen (Kapitel 1.3) beschreibt weitere Aspekte. Zu differenzieren ist zwischen einem freiwilligen und einem unfreiwilligen bzw. aufgezwungenen veränderten Wachbewusstseinszustand. Wenn eine Person ohne freie Entscheidungsmöglichkeiten in einen veränderten Wachbewusstseinszustand gerät, so gilt dieser als pathologisch. Einem ohne Zwang erlebten veränderten Wachbewusstseinszustand kommt dagegen weniger bzw. keine klinische Bedeutsamkeit zu. Als weitere Unterscheidungskriterien in Fragen der Pathologisierung gelten die Kurzfristigkeit und Steuerbarkeit des Zustandes, sowie der mit diesem einhergehende Grad an Kontrollverlust versus alltäglichem Realitätsbezug (Dittrich, 1990). Die psychologischen Klassifikationssysteme der ICD-10 (Dilling, Mombour, Schmidt & Schulte-Markwort, 2005) und des DSM-IV-TR (Saß, Wittchen, Zaudig & Houben, 2003) bieten weitere Orientierungskriterien an. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist die Frage nach dem sozio-kulturellen Hintergrund, vor welchem die Frage der Pathologisierung gestellt wird. Meiner Erfahrung nach tendieren Mitglieder westlicher Kulturen auch heute noch dazu, veränderte Bewusstseinszustände als geistige bzw. körperliche Erkrankungen von vornherein zu stigmatisieren. Doch schon die ICD-10 betont, dass die bezeichneten Symptome erst dann auf pathologische Trance- und Besessenheitszustände (F44.3) hinweisen, wenn sie „außerhalb religiöser oder anderer in diesem Sinn kulturell akzeptierter Situationen auftreten (oder höchstens im Anschluss an diese)“ (Dilling et al., 2005, S.178). Das DSM-IV-TR formuliert diesen Aspekt ähnlich: Erst wenn der Trancezustand „innerhalb des Kulturkreises der Person kein normaler Bestandteil allgemeiner kultureller oder religiöser Riten ist und in klinisch bedeutsamer Weise zu Leiden oder zu Funktionsbeeinträchtigungen führt“ (Saß et al., 2003, S.856) ist von einer psychischen Störung, der Dissoziativen Trancestörung, zu sprechen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der Dissoziativen Trancestörung um keine anerkannte Kategorie im DSM-IV-TR, sondern um einen auch weiterhin zu überprüfenden Vorschlag eines neuen Störungsbildes im zukünftigen DSM-V handelt.

Eine Abgrenzung pathologischer versus nicht-pathologischer veränderter Wachbewusstseinszustände erschien mir an dieser Stelle insofern grundlegend, als sich die vorliegende Ausarbeitung ausschließlich mit nicht-pathologischen Trancezuständen beschäftigt. Dieser kann zwar klinische Relevanz erhalten, ist es aber nicht per definitionem. Aus diesem Grunde bleiben pathologische Aspekte den weiteren Betrachtungen außen vor. Wenn notwendig, werden sie ergänzt. Der interessierte Leser sei für eine vertiefende Beschäftigung an die vielfältige Literatur zu diesem Thema verwiesen.

Kontrovers zu diskutieren bleibt die Frage, ob sich ein veränderter Wachbewusstseinszustand als Einengung (Peters, 1984; Schmidbauer, 2001; Tewes & Wildgrube, 1999) oder nicht vielleicht als Erweiterung des Bewusstseins definieren lässt. Vor dem Hintergrund der Überlegungen des vorangegangenen Kapitels ließe sich ebenso diskutieren, ob ein verändertes Wachbewusstsein eher im Sinne einer psychoanalytisch geprägten Regression oder in der von der Transpersonalen Psychologie fokussierten Progression zu verstehen ist.

1.2.2 Topographien veränderter Wachbewusstseinszustände

Topographien veränderter Wachbewusstseinszustände existieren in vielfältiger Art und Weise. Vor dem Hintergrund der vorliegenden Ausarbeitung seien exemplarisch zwei ausgewählte Beschreibungsarten dargestellt. Das Kontinuum außergewöhnlicher Bewusstseinzustände (R. Fischer, 1989, 1998) grenzt sich von einer reinen Kategorisierung, wie sie im vorherigen Kapitel thematisiert wird, ab. Es bleibt jedoch der Eindimensionalität verhaftet. Daher zeigt sich das Zweidimensionale Modell der Aktiviertheit des Bewusstseins und der Ich-Klarheit (Guttmann, 1992) als eine diesbezüglich wertvolle Ergänzung. Die dargestellten Ausführungen abrundend, wird im abschließenden Kapitel auf Aspekte der Aufmerksamkeit und Vigilanz, als für beide Topographien sowie für ein allgemeines Verständnis veränderter Bewusstseinszustände grundlegend, eingegangen.

1.2.2.1. R. Fischer (1989, 1998): Kontinuum außergewöhnlicher Bewusstseinszustände

Eine häufig zitierte Topographie veränderter Wachbewusstseinszustände legt R. Fischer (1989, 1998) vor: Das Kontinuum außergewöhnlicher Bewusstseinszustände. Es ist in Abbildung 2 wiedergegeben. Ähnlich dem im nächsten Kapitel vorgestellten Ansatz von Guttmann (1992) gründet es in erster Linie auf Ergebnissen neurophysiologischer Forschungen. Erst später fand eine Übertragung dieses Ansatzes auf psychologische Erlebnisdeterminanten statt (R. Fischer, 1989, 1998). An einem kurzen Beispiel sei dieser Sachverhalt verdeutlicht: Physiologisch betrachtet beschreibt sich z.B. Angst anhand einer erhöhten Erregung des zentralen Nervensystems. Der Körper ist in Alarmbereitschaft und in der Lage, schnell zu reagieren. Gleichzeitig führt Angst, vom psychologischen Standpunkt aus gesehen, in einen Zustand erhöhter Bewusstheit. So können mögliche Gefahren schneller wahrgenommen werden. Beide Erklärungsansätze führen dazu, dass Angst im Sinne R. Fischers (1989, 1998) als ergotroper Zustand definiert wird. Was genau einen ergotropen Zustand charakterisiert klärt sich im übernächsten Abschnitt. Festzuhalten bleibt jedoch: Physiologische und psychologische Prozesse bedingen sich gegenseitig (R. Fischer, 1989, 1998).

Der zentrale Fokus des Kontinuums außergewöhnlicher Bewusstseinszustände liegt auf Erfahrungsmöglichkeiten der menschlichen Entwicklung auf ihrem Weg vom Ich zum Selbst. Das Ich definiert sich parallel zu dem von Freud geprägten Begriff des Ego als „eine kohärente Organisation mentaler Prozesse“ (Freud, 1953-1974, in R. Fischer, 1989, S.18 [Übersetzung der Verfasserin]). Es wird synonym zur Welt und der objektivierten Alltagsroutine beschrieben und steht in Du-Beziehung mit dem Außen (R. Fischer, 1989, 1998). Als wesentlich abstrakteres Konstrukt gilt das Selbst. Was genau unter dem Begriff des Selbst zu verstehen ist, bleibt bisher kontrovers diskutiert. Eine Einführung und einen Überblick zu diesbezüglichen psychologischen Betrachtungsweisen eröffnet Schachinger (2002). Ihren Ausführungen folgend lässt sich das `Selbst´ in erster Linie als eine ganzheitliche Sichtweise beschreiben, welche ein „sowohl umfassendes als auch tiefgründiges Bild des Menschen auf theologisch-philosophischer-psychologischer Ebene“ (Schachinger, 2002, S.24) impliziert. Es bildet das innerste Wesen des Menschen und ist zugleich energetischer und kognitiver Kernpunkt des Ich. So wird das Ich zum Ausgangspunkt und das Selbst zum Endpunkt der menschlichen Entwicklung (R. Fischer, 1989, 1998). Diese Entwicklung wird meiner Ansicht nach niemals erreicht. Annäherungen sind möglich, eine endgültige Zielerreichung jedoch nicht. Insofern beschreibt das gesamte Leben einen Selbstfindungsprozess.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 Kontinuum außergewöhnlicher Bewusstseinszustände (Fischer, 1989, 1998)

Was bedeutet es nun, wenn R. Fischer (1989) von der menschlichen Entwicklung als einer `Reise´ („voyages“) (S.18) vom Ich zum Selbst spricht? Es bedeutet, dass materielle Konstrukte und alltägliche Determinanten, wie sie im Kapitel über die Typologie normaler und veränderter Wachbewusstseinszustände beschrieben werden (Kapitel 1.2.1) zurückgelassen werden. Notwendigerweise ergibt sich das Erleben eines veränderten Bewusstseinszustandes. Im Sinne ergotroper Zustände charakterisiert sich dieser durch Übererregtheit („hyperaroused“) (R. Fischer, 1989, S.17) des zentralen Nervensystems. Es kommt z.B. zu einer erhöhten Muskelaktivität sowie einer Verminderung des Hautwiderstandes. Gegenteilig sind trophotrope Zustände durch Untererregtheit („hypoaroused“) (ebd.) gekennzeichnet. Im EEG zeigt sich ein Anstieg der Amplitude sowie der Frequenz der Alpha-Wellen. Insgesamt kommt es zum Absinken des Muskeltonus sowie einer Entspannung der gestreiften Muskulatur. Einige der im Kontinuum außergewöhnlicher Bewusstseinszustände genannten Zustände, z.B. Angst oder Katalepsie, fallen unter psychologischen Gesichtspunkten betrachtet, schnell in Bereiche der Pathologie. Von einer derartigen Bewertung ist jedoch Abstand zu nehmen. Erst wenn die betroffenen Personen aus einem der genannten oder anderer beschriebener Zustände nicht wieder herauskommen, kann von krankmachenden Prozessen gesprochen werden (R. Fischer, 1989, 1998). Denn dann gelten sie im Sinne der Ausführungen von Dittrich (1990) als nicht mehr freiwillig (Kapitel 1.2.1).

Interessant an R. Fischers (1989, 1998) Ansatz erscheint mir, dass letzten Endes die Art des gewählten veränderten Bewusstseinszustandes als ergotrop bzw. ekstatisch versus trophotrop bzw. meditativ bedeutungslos wird. Die Reise endet mit der Begegnung des Selbst, wie auch immer dieses definiert werden mag. Veränderte Bewusstseinszustände vermögen, das Eigentliche des menschlichen Seins zu offenbaren. Sie dienen unmittelbar der Suche und Orientierung nach Sinn gebenden Erlebnissen und Strukturen im individuellen Leben.

1.2.2.2. Guttmann (1992): Zweidimensionales Modell der Aktiviertheit des Bewusstseins und der Ich-Klarheit

So einleuchtend einerseits die Typologie normaler und veränderter Bewusstseinszustände (Dittrich, 1990) und andererseits die Topographie veränderter Bewusstseinszustände (R. Fischer, 1989, 1998) sind, so haben sie doch einen entscheidenden Nachteil: Ihre Klassifikationen bleiben ausschließlich eindimensional. Guttmann (1992) geht einen Schritt weiter. Als zwei von einander unabhängige Dimensionen beschreibt er auf der einen Seite die Aktiviertheit des Bewusstseins als hellwach und konzentriert versus tiefgehender Desaktivierung bis hin zur Bewusstlosigkeit und auf der anderen Seite die Klarheit des Ich-Erlebens als Differenzierungsfähigkeit zwischen der eigenen Person und der äußeren Realität. Werden beide Hauptdimensionen zueinander in Bezug gesetzt, so ergibt sich das in Abbildung 3 dargestellte Vier-Felder-Schema.

Im ersten Quadranten hoher Bewusstheit und klaren Ich-Erlebens findet das normale Wachbewusstsein seinen Platz. Auch die Hypnose ist konform den Ergebnissen physiologischer Untersuchungen als „entspannter Wachzustand“ (Guttmann, 1992, S.286) hier eingeordnet. Der zweite Quadrant beinhaltet ebenfalls Zustände hellwachen Bewusstseins. Jedoch fehlt diesen ein jegliches Ich-Bewusstsein. Als Beispiel dient der in der Zenmeditation unter dem Begriff „Satori“ (Guttmann, 1992, S.302) bekannte Bewusstseinszustand: Alles Denken

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3 Zwei unabhängige Bewusstseins-Dimensionen: Aktiviertheit des Bewusstseins und Ich-Klarheit
(Guttmann, 1992, S.301) [kursiv gesetzte Begriffe sind von der Verfasserin nachgetragen]

hört auf und das reine Erleben im Sinne des „Bewusstsein[s] des absoluten All“ (Engel, 1995, S.116) wird möglich. Dem Alltagserleben diametral gegenüber steht im dritten Quadranten der Schlafzustand. Er ist gekennzeichnet durch eine hohe Desaktiviertheit. Bleibt noch der vierte Quadrant: Er verbindet extreme Desaktivierung mit hoher Erlebnisklarheit. Explizit ordnet Guttmann (1992) diesem ausschließlich die luziden Träume zu. Seinen vorangegangenen Ausführungen folgend, findet jedoch auch der Zustand der durch Rituelle Körperhaltungen induzierten Trance im Sinne einer „entspannten Hochspannung“ (Guttmann, 1992, S.282) in diesem Bewusstseinsfeld seinen Platz. Zu betonen ist, dass unter inhaltichen Gesichtspunkten, luzide Träume und Trance grundlegend unterschiedliche Bewusstseinszustände darstellen.

1.2.2.3. Einfügung: Aufmerksamkeit und Vigilanz

Wer sich mit Fragen veränderter Bewusstseinzustände beschäftigt, darf das Thema der Aufmerksamkeit bzw. der Vigilanz nicht außer Acht lassen. Beide Aspekte finden sich in den Definitionen sowohl zum Kontinuum außergewöhnlicher Bewusstseinszustände (R. Fischer, 1989, 1998) als auch zum zweidimensionalen Modell der Aktiviertheit des Bewusstseins und der Ich-Klarheit (Guttmann, 1992) wieder.

Aufmerksamkeit ist definiert als ein „Zustand konzentrierter Bewusstheit, begleitet von der Bereitschaft des zentralen Nervensystems, auf Stimulation zu reagieren“ (Zimbardo & Gerrig, 1996, S.166). Sie wird bestimmt durch Erwartungshaltung, Interesse sowie Auffälligkeiten des fokussierten Objekts. Eine gesammelte Aufmerksamkeit, als die Fähigkeit zur Aufmerksamkeitsverlagerung sowie zum Widerstand gegenüber Ablenkungen, beschreibt die Konzentration. Die Vigilanz stellt sich als „andauernde Aufmerksamkeit“ (Koelega, 1996, S.421) dar. Forschungen der 1940er Jahre ergeben, dass die Fokussierung eines oder mehrerer repetitiv monoton gegebener Objekte über einen längeren Zeitraum hinweg zu starken Leistungseinbußen der Aufmerksamkeit führt (Koelega, 1996): Vigilanzreduktion tritt ein. Im Kontinuum außergewöhnlicher Bewusstseinzustände (R. Fischer, 1989, 1998) werden derartige Zustände als trophotrop beschrieben. Gegenteilig charakterisieren ergotrope und folglich auch ekstatische Zustände Vigilanzsteigerungen – und das, obwohl auch sie unter anderem durch monotones Rasseln im Rahmen Ritueller Körperhaltungen induziert werden. Diese Feststellung steht somit im Gegensatz zu den bisherigen Forschungen zum Thema der Aufmerksamkeit bei Vorgabe eintöniger Stimuli. Im Zweidimensionalen Modell der Aktiviertheit des Bewusstseins und der Ich-Klarheit (Guttmann, 1992) entspricht eine Reduktion der Vigilanz der beschriebenen tiefen Desaktivierung des Bewusstseins. So beschreibt eine ekstatische Trance einen Zustand verminderter Aufmerksamkeit. Dieser Ansicht schließen sich auch Dittrich et al. (2002) bezüglich der von ihnen postulierten Dimension der Vigilanzreduktion als für veränderte Bewusstseinszustände charakteristisch an. Auf die von ihm ermittelten ätiologie-unabhängigen Dimensionen veränderter Bewusstseinszustände wird weiter unten eingegangen (Kapitel 1.3.1.2).

Es lässt sich somit feststellen, dass die Äußerungen von Guttmann (1992) und später auch von Dittrich et al. (2002) denen von R. Fischer (1989, 1998) konträr gegenüber stehen. Dieser Widerspruch lässt sich meiner Ansicht nach auf den Umstand zurückführen, dass auch heutige Forschungen zum Thema der Vigilanz in erster Linie mit Vorgaben visueller Reize arbeiten. Bezüglich des Zusammenhangs von Vigilanz und auditiver Stimulation existieren keine eindeutigen Befunde. In Studien zur Wirkung von Lärm auf das Erregungsniveau zeigt sich ein Anstieg der Vigilanzleistung. Derartige Ergebnisse würden den Annahmen von Guttmann (1992) und Dittrich et al. (2002) widersprechen. Empirisch abgesichert ist die Feststellung der Vigilanzerhöhung jedoch nicht. Auch bleibt offen, ob Lärm die gleichen Qualitäten beschreibt wie die während Ritueller Körperhaltungen durch Rasseln bzw. Trommeln gegebene auditive Stimulierung. Zu dieser Frage existieren keine Forschungsarbeiten.

1.2.3 Topographien des Unbewussten

Ebenso wie eine Vielzahl von Ansätzen zur Beschreibung veränderter Wachbewusstseinszustände existieren, haben sich auch viele Wissenschaftler mit Fragen des Unbewussten beschäftigt. Freud gilt als Begründer dieses Begriffs. So sei auf seine Topographie des Unbewussten, welche sich um die Begriffe des `Es´ und `Über-Ich´ dreht, zuerst eingegangen (Freud, 2002). Wesentlich zukunftsorientierter im Sinne der Hinterfragung des `Wozu´ unbewusster Prozesse gilt der Ansatz von Jung (1972). Zentrale Begriffe stellen sich mit den `Archetypen´ und dem `kollektiven Unbewussten´ vor. Eine zeitlich jüngere Topographie beschreibt Grof (1998) in Form des von ihm beschriebenen Transpersonalen Bewusstseins. Die Ausführungen über die Darstellungsweisen des Unbewussten abschließend, folgt eine Zusammenfassung und – soweit möglich – Integration der genannten Ansätze.

1.2.3.1. Freud (2002): Es und Über-Ich

Die wohl bekannteste Auseinandersetzung mit dem menschlichen Unbewussten basiert auf den Ausführungen von Sigmund Freud (2002). Nachdem er dem „psychischen Apparat“ (Kriz, 2001, S.27) die Strukturen des Es, Ich und Über-Ich zuordnete, beschäftigte er sich in seiner zweiten Topographie des Bewusstseins mit der Unterteilung der Seele in einen Ort des Bewussten, des Vorbewussten und des Unbewussten (Kriz, 2001). Das in erster Linie bewusste Ich vertritt in dieser Trias die Gegenwart, das unbewusste Es und vorbewusste Über-Ich die Vergangenheit. Das Es bezieht sich auf die organische, von Geburt an vorhandene Kraft hinter den Bedürfnissen der Libido. Das Über-Ich bzw. das Gewissen, als die Verinnerlichung äußerer Normen, offenbart die kulturelle Vergangenheit des Individuums. Die Grenzen sind insofern variabel, als auch das Ich vorbewusste Anteile bzw. „bewusstseinsfähiges Material“ (Kriz, 2001, S.28) enthält (Fisseni, 1998). Diese werden aus ökonomischen Gründen nicht immer bewusst (Kriz, 2001).

Veränderte Bewusstseinszustände ermöglichen, Unbewusstes sowie Vorbewusstes zu vergegenwärtigen. Konflikte zwischen den Bestrebungen des Es und denen des Über-Ichs bzw. den individuellen Bedürfnissen und den Ansprüchen der Außenwelt können bearbeitet werden. Das Ich, der Integrator dieser widerstrebenden Tendenzen, wird gestärkt. Projektionen als nach außen verlagerte Gefühle, Wünsche oder Gedanken (Kriz, 2001) verlieren an Bedeutung.

1.2.3.2. Jung (1972): Archetypen und kollektives Unbewusstes

Anders als Freud beschrieb Carl Gustav Jung (1972) das Unbewusste als die von der Gesamtpsyche abgespaltenen Teilbereiche. Diese bezeichnet er als Komplexe. Sie verbinden sich durch gleiche Emotionen und Bedeutungskerne, auch als Archetypen bezeichnet. Die Archetypen beschreiben dynamische, komplementäre Grundmuster in denen sich Schattenseiten menschlichen Handelns darstellen. Sie verdeutlichen die Neigung einer Person, in einer bestimmten Weise auf spezifische Begebenheiten zu reagieren. Gleichzeitig verkörpern sie das kollektive Unbewusste und mit diesem das gesamte Wissens der Menschheitsgeschichte. Als „Mutterboden des Bewusstseins“ (Kriz, 2001, S.55) dienen sie der Strukturierung bewusst werdender Symbole. Symbole wiederum verweisen auf Innerpsychisches und unterstützen grundlegende Prozesse der Selbsterfahrung bzw., der Terminologie Jungs (1972) folgend, der Individuation.

Auch wenn der Ansatz von Jung (1972) sich als wesentlich zukunftsorientierter im Vergleich zu Freud (2002) darstellt, beschreibt auch Jung regressive Prozesse als für Selbsterfahrung bzw. Selbstfindung grundlegend. Im Folgenden sei daher auf eine Topographie eingegangen, welche die Progressivität der Individuation betont: Die Topographie des Transpersonalen Bewusstseins (Grof, 1998).

1.2.3.3. Grof (1998): Transpersonales Bewusstsein

Der Begriff des transpersonalen Bewusstseins geht in seinen Ursprüngen auf Abraham Maslow (1968) sowie auf Roberto Assagioli (1992) zurück. Ihr Ziel galt der Generierung eines Begriffs, der in angemessener Weise zu bezeichnen vermochte, „was sich jenseits oder oberhalb der gewöhnlichen Persönlichkeit befindet“ (Pfluger-Heist, 2003, S.64). Dieser Tradition folgend wird das transpersonale Bewusstsein als Zustand der Progression über das Ich hinaus zum `Selbst´ verstanden. Beispiele derartiger Zustände finden sich in Beschreibungen über Flow-Erlebnisse (Csikszentmihalyi, 1996, 2000) sowie zu Grenz- bzw. Gipfelerfahrungen (Maslow, 1959, 1968, 1985; Rheinberg, 1996) oder Erfahrungen in Bereichen des Sensation Seeking (Zuckermann, 1988).

Heute zählt neben anderen Stanislav Grof (1985, 1987a, 1987b, 1998; Grof & Grof, 1991) zu den Hauptvertretern der Transpersonalen Psychologie. Er skizzierte eine Topographie des Unbewussten auf der Basis jahrelanger Arbeit mit psychedelischen Drogen sowie der ohne pharmakologische Stimuli arbeitenden Methode des holotropen Atmens. Seine Topographie des Unbewussten umfasst vier Bereiche: Abstrakte und ästhetische, psychodynamische, perinatale und transpersonale Erfahrungen.

Abstrakte und ästhetische Erfahrungen entstehen durch Reizung der Sinnesorgane, wie sie durch monotones Rasseln oder Trommeln hervorgerufen werden. In der Auseinandersetzung mit der eigenen Person spielen sie eine untergeordnete Rolle (Grof, 1998). Psychodynamische Erfahrungen stehen in engem Zusammenhang vor allem mit kritischen Lebensereignissen. Ähnlich den Archetypen bei Jung (1972) verbinden sich Kernerfahrungen (Schirmbrand, 1991) bzw. sogenannte `COEX-Systeme´ („systems of co ndensed ex perience“) (Grof, 1998, S.104) auf der Grundlage spezifischer Grundthemen. Sie können negativ, z.B. als Verdichtung unlustvoller Gefühlserfahrungen, wie auch positiv ins Bewusstsein treten. „Auf dieser Ebene der Selbsterforschung kann alles aus der Lebensgeschichte einer Person aus dem Unterbewussten hervortreten und Inhalt der Erfahrung werden, das einen ungelösten Konflikt, einen verdrängten, nicht integrierten Gedächtnisinhalt oder eine ungeschlossene psychologische ‚Gestalt‘ irgendeiner Art darstellt“ (Grof, 1987b, S. 167). Perinatale Erfahrungen orientieren sich an den einzelnen Stadien des Gebärvorgangs. Folgende Erfahrungen sind möglich: a) Gefühle mystischen Einheitserlebens (perinatale Matrix I: organische Einheit von Mutter und Kind als autotelisches Erleben), b) „Erlebnis eines gewaltigen Wirbels, der den Einzelnen und seine Welt zur Mitte hin fortzieht“ (Schirmbrand, 1991, S.20) (perinatale Matrix II: Niederkunft als Antagonisms zur Mutter), c) „Jagderlebnisse mit Raubtieren“ (Schirmbrand, 1991, S.21) (perinatale Matrix III: Gebärmutterkontraktionen bei geschlossenem Muttermund als Synergie mit der Mutter) sowie d) personifizierte Bilder, z.B. die „Gestalt eines archetypischen weisen alten Mannes“ (Schirmbrand, 1991, S.23) (perinatale Matrix IV: Gebärmutterkontraktionen bei offenem Muttermund als Trennung von der Mutter).

Transpersonale Erfahrungen führen zu einer die individuelle Person übersteigenden Seinsgewissheit: Die Einheit und Verbundenheit mit allem Lebenden erscheint unbegrenzt. Derartige Erfahrungen stellen über die Alltäglichkeit hinausgehende Ereignisse dar. Erst jetzt heben sich Subjekt-Objekt-Trennungen auf, werden z.B. außerkörperliche Erfahrungen und Metamorphoseerlebnisse möglich. Transpersonale Erfahrungen bestimmen das Bewusstsein, sobald sie sich in die intrapsychischen Strukturen einer Person eingliedern. Und im gleichen Moment der Bewusstwerdung lösen sie sich auf und werden gelöscht.

1.2.3.4. Zusammenfassung: Schichten des Bewusstseins

Abschließend sei versucht, zu einer Zusammenführung der verschiedenen Topographien zu gelangen. Als Überblicksmodell eignet sich das von Rittner und Hess (1996) vorgestellte Modell der Schichten des Bewusstseins. Es sei durch die Ebenen des normalen Wachbewusstseins, wie sie Strobel (1994) anführt, ergänzt: „Die Heilung [als Erfahrung des `integrierten Selbst´] resultiert dann aus einem dialektischen Zusammenspiel zwischen Wachbewusstsein, individuellem und kollektivem Unbewussten“ (Grof, 1987b, S.178). Eine graphische Darstellung des Modells findet der Leser in Abbildung 4.

Sich selbst zu (er-)leben bedeutet, sowohl normale wie auch veränderte Wachbewusstseinszustände gleichermaßen zuzulassen. Insofern steht auch der im Rahmen der vorliegenden Ausarbeitung betrachtete veränderte Bewusstseinszustand der Trance im Dienste der Selbstfindung, der Individuation und der Adaption an die Gegebenheiten des alltäglichen Lebens. Eine vertiefende Auseinandersetzung mit diesbezüglichen Aspekten findet der Leser in den Ausführungen über den Umgang mit Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände (Kapitel 5).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

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Abbildung 4 Gemeinsame Darstellung der Ebenen des normalen Wachbewusstseins (Strobel, 1994) und der Schichten des veränderten Wachbewussteins (Rittner & Hess, 1996)

1.3. Kategorien, Dimensionen und Verläufe von Erfahrungen veränderten Wachbewusstseins

Das veränderte Wachbewusstsein läßt sich durch Kategorien (Ludwig, 1966) und Dimensionen (Dittrich, 1985, 1996; Dittrich et al. 2002) in seinen Zuständen beschreiben. Längsschnittliche Betrachtungen bieten sich im Rahmen von Verlaufsdarstellungen an (Clottes & Lewis-Williams, 1997).

1.3.1 Zustandsbetrachtungen

Phänomenologische Beschreibungen veränderter Wachbewusstseinszustände werden durch das Kategorienschema veränderter Wachbewusstseinszustände (Ludwig, 1966) und die ätiologie-unabhängigen Dimensionen (Dittrich, 1985, 1996; Dittrich et al., 2002) strukturiert. Beide Ansätze bejahen als ein grundlegendes Charakteristikum veränderter Wachbewusstseinszustände die von der Art ihrer Induktion unabhängige Auslösung nicht alltäglicher Erlebniswelten. Ebenso zeigen sich in der Inhaltlichkeit der beschriebenen veränderten Wachbewusstseinszustände weitreichende Überschneidungen. Das Interessante an dieser Feststellung ist, dass das Kategorienschema veränderter Bewusstseinszustände (Ludwig, 1966) auf einem Literaturstudium ethnologischer Arbeiten beruht. Die ätiologie-unabhängigen Dimensionen veränderter Bewusstseinszustände (Dittrich, 1985, 1996; Dittrich et al., 2002) gehen dagegen auf Ergebnisse empirischer Untersuchungen in westlichen Kulturkontexten zurück.

Den Ausführungen von Ludwig (1966) kommt im Folgenden besondere Beachtung zu. Auch wenn seine Forschungen nun schon fast 40 Jahre zurückliegen, so haben sie doch nichts an ihrer Aktualität eingebüßt. Die von ihm formulierten Kategorien sind weniger abstrakt als die von Dittrich et al. (2002) erläuterten Dimensionen. Die wissenschaftliche Nutzbarkeit des Kategorienschemas veränderter Wachbewusstseinszustände (Ludwig, 1966) zeigt sich in der Auswertung der rezeptiven und erfahrungszentrierten Interviews im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit (vgl. Kapitel 11.3.5.3 bzw. Kapitel 11.4.6.3)

1.3.1.1. Ludwig (1966): Kategorienschema veränderter Wachbewussteinszustände

Das Schema veränderter Bewusstseinszustände (Ludwig, 1966) beschreibt zehn Kategorien. Diese werden im Folgenden vorgestellt.

Verzerrungen der Wahrnehmung. Veränderte Bewusstseinszustände zeichnen sich durch Wahrnehmungsveränderungen („Perceptual Distortions“) (Ludwig, 1966, S.228) aus, die alle Sinnesebenen und nicht selten auch Synästhesien umfassen. Synästhesien beschreiben den Zusammenbruch sensorischer Modularitäten und somit das gleichzeitige Auftreten mehrerer Sinneseindrücke (Baron-Cohen, 1996; Ramachandran & Hubbard, 2001, 2003): Farben werden gehört, Töne geschmeckt, etc. . Häufig dominieren visuelle Halluzinationen (Ludwig, 1966).

Veränderungen im Denken. Ausführungen zu Themen der Aufmerksamkeit und Vigilanz werden im Zusamenhang mit den Topographien veränderter Wachbewusstseinszustände beschrieben (Kapitel 1.2.2.3). Aufmerksamkeitsprozesse, Erinnerungsleistung und Urteilsvermögen vermindern sich während veränderter Wachbewusstseinszustände und führen zu Veränderungen im Denken („Alterations in Thinking“) (Ludwig, 1966, S.227). Logische und kausale Zusammenhänge beschreibende Denkprozesse treten zugunsten archaischer Denkweisen zurück. Rationale Inkonsistenzen und Paradoxien bestehen, werden jedoch nicht als störend empfunden.

Veränderungen im Bedeutungserleben. Während veränderter Bewusstseinszustände können im Alltag außerordentlich wichtige Begebenheiten bedeutungslos werden. Auch das Gegenteil ist möglich: Unbedeutendes wird zum einprägsamen Aha-Erlebnis, zur „`eureka´ experience“ (Ludwig, 1966, S.229) („Change in Meaning or Significance“) (Ludwig, 1966, S.228).

Veränderungen des Emotionalen Ausdrucks. Positive emotionale Veränderungen zeigen sich z.B. in Zuständen allumfassender Glückseligkeit und Freude. Sie können jedoch im Zustand extremer Angst und Existenzbedrohung auch als negativ erfahren werden („Change in Emotional Expression“) (Ludwig, 1966, S.228).

Veränderungen des Körperschemas. Veränderungen des Körperschemas, des körperbezogenen räumlichen Vorstellungsbildes („Body Image Change“) (Ludwig, 1966, S.228) können in Zustände der Depersonalisation, Derealisation sowie Dissoziation führen (Ludwig, 1966). Einzelne Körperteile werden als geschrumpft oder vergrößert, der eigene Körper als von der eigenen Person losgelöst, die Realität als fremd, etc., wahrgenommen (Davison & Neale, 2002). Je nach individueller Sichtweise finden die beschriebenen Empfindungen eine positive oder negative Bewertungsgrundlage.

Kontrollverlust. Der Begriff der Kontrolle beschreibt die subjektiv wahrgenommene
Überzeugung, in einer bestimmten Situation mehrere Reaktionsmöglichkeiten zu besitzen. Beeinflussbarkeit und Vorhersehbarkeit sowie Möglichkeiten zur aktuellen bzw. retrospektiven kognitiven Umstrukturierung von Ereignissen bestimmen den Grad an Kontrollgefühl (Osnabrügge, Stahlberg & Frey, 1998). In Zuständen veränderten Wachbewusstseins geht mit der Auflösung der Subjekt-Objekt-Dualitäten potentiell immer ein Gefühl des Kontrollverlusts („Loss of Control“) (Ludwig, 1966, S.228) einher. Insofern kann auf einen Kontrollverlust auch explizit hingearbeitet werden. Erfahrungen existentieller Bedrohungen wie auch von Gefühlen umfassender Einheit sind gleichermaßen möglich.

Gefühl des Unbeschreiblichen. Erlebnisse veränderter Wachbewusstseinszustände sind nur schwer kommunizierbar („Sense of the Ineffable“) (Ludwig, 1966, S.229). Da sie in erster Linie auf analogen Wahrnehmungen beruhen, Sprache hingegen digital strukturiert ist, bleibt ein Transformationsprozess unumgänglich, soll das Erlebte mitgeteilt werden.

Gestörtes Zeitgefühl. Veränderungen des Zeiterlebens („Disturbed Time Sense“) (Ludwig, 1966, S.227) zeigen sich in der Nicht-Synchronizität der subjektiv erlebten versus objektiv gegebenen Zeitabschnitte. Die Zeit kann als gestaucht, extrem gekürzt bzw. gedehnt und scheinbar unendlich lang andauernd erlebt werden.

Gefühle der Verjüngung. Diese Kategorie, welche Gefühle von neuer Hoffnung, Erneuerung und Wiedergeburt („Feelings of Rejuvenation“) (Ludwig, 1966, S.229) beschreibt, gilt als vom ätiologischen Standpunkt aus betrachtet am unspezifischsten. Auf gegenteilige Empfindungen, wie z.B. Todeserfahrungen, wird nicht eingegangen.

Hypersuggestibilität. Als eine weniger durch Selbstbeschreibungen, vielmehr durch spezifische Messverfahren erfassbare Kategorie veränderter Bewusstseinszustände gilt die Kategorie der Hypersuggestibilität („Hypersuggestibility“) (Ludwig, 1966, S.229) dar. Da auf diese in den Ausführungen zur Suggestion (Kapitel 3.2) ausführlich eingegangen wird, sei auf eine vertiefende Betrachtung an dieser Stelle verzichtet.

1.3.1.2. Dittrich (1985, 1996; Dittrich et al., 2002): Ätiologie-unabhängige Dimensionen veränderter Bewusstseinszustände

Ebenso wie Ludwig (1966) gehen Dittrich (1990) und Dittrich et al. (2002) von interpersonellen Invarianzen im Erleben veränderter Bewusstseinszustände aus. In der Reflexion lassen sich zwischen beiden Ansätzen keine grundlegenden Diskrepanzen feststellen. Für die Psychologie ist die testtheoretische Absicherung der Dimensionen veränderter Bewusstseinszustände, wie sie Dittrich et al. (2002) zeigen, jedoch von grundlegender Bedeutung. Die inhaltlich den Phänomenen veränderter Bewusstseinzustände nähere Strukturierung findet sich dagegen bei Ludwig (1966).

Die Hypothese ihrer ätiologischen Unabhängigkeit überprüfte Dittrich (1990) auf Grundlage des von ihm entwickelten Fragebogens APZ („Abnorme Psychische Zustände“) (Dittrich et al., 2002, S.5). Dimensionsanalytische Untersuchungen, in welchen er veränderte Bewusstseinszustände sowohl durch psychologische als auch pharmakologische Stimuli induzierte, ergeben drei primäre Kerndimensionen: Ozeanische Selbstentgrenzung (OSE), Angstvolle Ich-Auflösung (AIA) sowie Visionäre Umstrukturierung (VUS) (Dittrich, 1990). Sowohl die Reliabilität als auch die Validität berichten Dittrich et al. (2002) als „gut“ (S.6). Sie verweisen jedoch auf bessere Reliabilitäten des Fragebogens OAV (O zeanische Selbstentgrenzung, A ngstvolle Ich-Auflösung, V isionäre Umstrukturierung) (Bodmer, 1998). In einer späteren Veröffentlichung zum 5D-ABZ (5-Dimensionen-Fragebogen zur Erfassung außergewöhnlicher Bewusstseinszustände) fügen Dittrich et al. (2002) zwei weitere Dimensionen den bereits genannten hinzu: Auditive Veränderungen (AVE) und Vigilanzreduktion (VIR). Im Gegensatz zu den zuvor genannten, handelt es sich bei diesen beiden Dimensionen weniger um ätiologie-unabhängige Dimensionen. Für die Dimension der Vigilanzreduktion lehnen die Autoren eine Nicht-Spezifität ihrer Induktion sogar ausdrücklich ab. Jedoch gehen sie nicht darauf ein, welche Induktionsmethoden eine Reduktion der Vigilanz bewirken.

Im Folgenden seien die erwähnten ätiologie-unabhängigen Dimensionen veränderter Bewusstseinszustände (Dittrich, 1985, 1990, 1996; Dittrich et al., 2002) in aller Kürze vorgestellt und mit den Kategorien veränderter Bewusstseinszustände (Ludwig, 1966), wie sie im vorherigen Kapitel beschrieben werden, verbunden. Eine Auflistung einzelner Items des Fragebogens APZ (Dittrich, 1985) findet der Leser im Anhang A.

Ozeanische Selbstentgrenzung (OSE). Die Dimension der Ozeanischen Selbstentgrenzung orientiert sich in ihrer Begrifflichkeit an dem aus der Psychoanalyse bekannten `kosmisch mystischen Erleben´ (Dittrich et al., 2002) des Eins(seins) mit All(em), der Ekstase. In Anlehnung an Ludwig (1966) beschreibt sie eine positive Form der Ich-Auflösung durch Kontrollverlust. Depersonalisationen und Derealisationen sind erwünscht. Eine mystische Verschmelzung (Scharfetter, 1992) innerer und äußerer Zustände wird möglich, begleitet von einer allumfassenden Glückseligkeit als Ausdruck stark veränderter Emotion.

Angstvolle Ich-Auflösung (AIA). Die Dimension der Angstvollen Ich-Auflösung beschreibt einen Zustand der Desintegration (Dittrich et al., 2002), begleitet durch negative Angstzustände bis hin zu Gefühlen der Existenzbedrohung. Auch sie steht im Zusammenhang mit dem Gefühl eines Kontrollverlustes. Depersonalisationen und Derealisationen werden jedoch als pathologisch wahrgenommen. Im ungünstigsten Fall kann „von einem `bad trip´ oder `Horror-trip´“ (Dittrich et al., 2002, S.10) geredet werden. „Diese desintegrative Krise ist erscheinungsbildlich dem nahe, was man als schizophrenes Syndrom ichpsychopathologisch beschreiben kann“ (Scharfetter, 1992, S.33).

Visionäre Umstrukturierung (VUS). Die Dimension der Visionären Umstrukturierung beschreibt Veränderungen in der Wahrnehmung und im Bedeutungserleben (Dittrich et al., 2002). Auf beide Inhalte geht Ludwig (1966) ausführlich ein. Interessant erscheint, dass diese Skala, so wie Dittrich et al. (2002) sie konzipieren, vier Teilbereiche abbildet, die nach Schirmbrand (1991) als Entwicklungslinie zu verstehen sind. Auf Erlebnisse elementarer bzw. amorpher Begebenheiten (z.B. Item 29, 70) folgen sowohl klar strukturierte Halluzinationen (z.B. Item 100) als auch szenische Darstellungen (z.B. Item 33), die in einer veränderten Bedeutungsgebung (z.B. Item 42, 51, 128) münden. Die ersten drei Stadien zeigen sich als grundlegend archetypisch. Die abschließende Bedeutungsgebung unterliegt jedoch in erster Linie sozio-kulturellen Determinanten (Schirmbrand, 1991). Was sich an dieser Stelle andeutet – dass im inhaltlichen Erleben veränderter Wachbewusstseinszustände unterschiedliche Stadien durchlaufen werden – wird im nächsten Kapitel über Verlaufsbetrachtungen veränderter Bewusstseinszustände (Kapitel 1.3.2) vertiefend dargestellt.

Auditive Veränderung (AVE) und Vigilanzreduktion (VIR). Auf die Dimensionen der Auditiven Veränderung sowie der Vigilanzreduktion gehen Dittrich et al. (2002) nur in aller Kürze ein. Die Dimension der Auditiven Veränderung gilt als Ergänzung zur Visionären Umstrukturierung (Dittrich et al., 2002). Die Dimension der Vigilanzreduktion (Dittrich et al., 2002) als Verminderung der Aufmerksamkeit (Koelega, 1996) führt - bezogen auf das Kontinuum außergewöhnlicher Bewusstseinzustände (R. Fischer, 1989, 1998) – in einen trophotropen Zustand. Die Möglichkeit ergotroper Zustände als Dimensionen veränderter Wachbewusstseinszustände vernachlässigen Dittrich et al. (2002) grundlegend. Insofern wäre ihrer Argumentation folgend ein veränderter Wachbewusstseinszustand wie z.B. der einer ekstatischen Trance nicht als solcher definiert.

1.3.2 Verlaufsbetrachtungen

In den bisherigen Ausführungen wurde lediglich auf die Erfahrungsvielfalt veränderter Bewusstseinszustände im Sinne einer querschnittlichen Betrachtung eingegangen. Als einzige Ausnahme lässt sich die ätiologie-unabhängige Dimension der Visionären Umstrukturierung (VUS) (Dittrich et al., 2002), wie sie im vorherigen Kapitel beschrieben wird, benennen. Die im Folgenden wiedergegebenen Überlegungen von Clottes und Lewis-Williams (1997) stellen daher eine wertvolle Ergänzung dar. Sie befassen sich mit der Frage der Entwicklung von Tranceerlebnissen. Unter Bezugnahme auf Ergebnisse neurophysiologischer Forschungen (Lewis-Williams & Dowson, 1988 in Clottes & Lewis-Williams, 1997) beschreiben sie drei ineinander greifende Phasen veränderter Bewusstseinszustände. Der Trancetiefe kommt dabei eine im Wesentlichen vermittelnde Bedeutung zu. In Abbildung 5 ist dieser Entwicklungsprozess des Tranceerlebens graphisch dargestellt.

In der ersten Phase veränderter Bewusstseinszustände bestimmen geometrische Muster wie z.B. Gitternetz- und zackige Linien das Tranceerlebnis. Sie können ineinander übergehen oder sich verwandeln. Lichtmustern werden Merkmale wie Linien, Konturen und Farben entnommen (Clottes & Lewis-Williams, 1997). Losgelöst von einer fokussierten Betrachtung veränderter Bewusstseinszustände beschreiben Zimbardo und Gerrig (2004) visuelle Prozesse als (Licht-)Reize in Teile und Merkmale zerlegend. Die so entstehenden geometrischen Formen bilden die Grundstrukturen der Wahrnehmung. Den Aussagen von Clottes und Lewis-Williams (1997) folgend entwickelt sich die erlebte Zickzacklinie des ersten Stadiums in der zweiten Phase veränderter Bewusstseinszustände in eine Schlange. Außerhalb veränderter Bewussteinszustände beschreibt dieser Übergang Entstehungen von Merkmalskombinationen (Zimbardo & Gerrig, 2004). Eine derartige Transformation steht in enger Beziehung mit religiösen oder gefühlsmäßigen Bedeutungsgebungen (Clottes & Lewis-Williams, 1997). Es folgt der Übergang durch einen Tunnel, eine Spirale oder einen Strudel, an dessen Ende helles Licht und in der dritten Phase „die fremdartige Welt der Trance“ (Clottes & Lewis-Williams, 1997, S.16) sich eröffnet. Begebenheiten, die zuvor ausschließlich vom inneren, subjektiven Standpunkt aus betrachtet werden konnten, werden nun in der Rolle des von außen Zuschauenden ebenso erfahrbar.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 5 Drei Phasen veränderter Bewusstseinszustände (Clottes & Lewis-Williams, 1997, S.14)

Obwohl die einzelnen Entwicklungsphasen als aufeinander folgend vorstellt werden, müssen sie nicht jeweils im Einzelnen durchlaufen werden. So sind Wahrnehmungen der dritten Phase auch ohne erlebte z.B. geometrische Muster der ersten Phase möglich.

Wie erwähnt lassen sich in den Items zur ätiologie-unabhängigen Dimension der Visionären Umstrukturierung (Dittrich et al., 2002) unterschiedliche Teilbereiche visuellen Erlebens erkennen (Schirmbrand, 1991). Auch wenn Dittrich et al. (2002) diese weniger als Entwicklungslinie definieren, seien sie in aller Kürze im Zusammenhang mit dem Ansatz von Clottes und Lewis-Willimas (1997) reflektiert. Es lässt sich feststellen, dass in beiden Ansätzen einfache Strukturen von komplexeren Formen unterschieden werden. In der Dimension der visionären Umstrukturierung (Dittrich et al., 2002) bestimmen derartige Muster die ersten drei Teilbereiche: Die Erlebnisse elementarer bzw. amorpher Begebenheiten, strukturierter Halluzinationen sowie szenischer Darstellungen (vgl. Kapitel 1.3.1.2). In den Ausführungen von Clottes und Lewis-Williams (1997) charakterisieren sie die ersten beiden Phasen. Bezüglich der verwendeten Begrifflichkeiten lassen sich beide Ansätze jedoch wenig direkt miteinander vergleichen. Übereinstimmend berichten die Autoren aber die erwähnte Bedeutungsgebung des Wahrgenommenen in der jeweils letzten von ihnen dargestellten Phase (Clottes & Lewis-Williams, 1997; Dittrich et al., 2002). Sie beschränken sich auf Fragen der unmittelbaren Bedeutungsgebung im Moment des veränderten Wachbewusstseinszustandes. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird darüber hinaus zu zeigen sein, welchen Einfluss veränderte Bewusstseinszustände in ihrer Übernahme auch in alltägliche Strukturen besitzen. Es wird sich zeigen, dass zwar veränderte Bewusstseinszustände – zumindest aus dem Weltbild der Neurophysiologie – allen Menschen gemeinsam sind (Clottes & Lewis, 1997). Was jedoch erlebt wird und welche Bedeutung dem Geschehen zukommt, ist grundlegend von der individuellen Biographie sowie vom sozio-kulturellen Kontext der jeweiligen Person abhängig (Woodside, Kumar & Pekala, 1997). Nicht nur der veränderte Bewusstseinszustand beeinflusst das Individuum sozusagen `von außen´, auch das `Außen´ wirkt auf die Art des Erfahrbaren zurück.

2. Trance: Versuch einer Begriffsdefinition über Abgrenzungen

…alle meine Wahrnehmungen und Erfahrungen

von dem, was um mich herum vorgeht,

[scheinen] intensiver zu sein,

sie sind „echter“, mehr vom Sein erfüllt.

Die Dinge scheinen „realer“, und ich scheine Teil von ihnen zu sein.

(Larry; aus Ingermann, 1998, S.164)

Den vorangegangenen Ausführungen lag die Betrachtung veränderter Bewusstseinszustände auf ganz allgemeiner Ebene zugrunde. Es wurde beschrieben, worin sich diese von normalen Wachbewusstseinszuständen unterscheiden. Typologien und Topographien trugen zur Orientierung, Klassifizierung sowie modellartigen Darstellung veränderter Bewusstseinszustände bei und gaben erste Einblicke in das Potential, welches sich mit diesen verbindet. Phänomenologische Betrachtungen beschäftigten sich mit ihren Inhalten und Entwicklungsmöglichkeiten. Nun sollen die folgenden Ausführungen dazu dienen, ausgewählte veränderte Wachbewusstseinszustände von einander abzugrenzen. Da die vorliegende Arbeit sich im empirischen Teil mit durch Rituelle Körperhaltungen induzierten Zuständen ekstatischer Trance beschäftigt, liegt der Fokus auf einer Abgrenzung vergleichbarer Zustände eines veränderten Wachbewusstseins. Nach einer allgemeinen Einführung (Kapitel 2.1) werden ergotrope Bewusstseinszustände als Trancen, die Reisen in andere Wirklichkeiten ermöglichen, von Besessenheitstrancen abgegrenzt (Kapitel 2.2). Im Zuge des der vorliegenden Ausarbeitung zugrunde liegenden Forschungsvorgehens zeigte sich, dass sowohl Hypnose als auch Meditation vielen Personen bekannte Methoden darstellen. So versuchten diejenigen von ihnen, die Rituelle Körperhaltungen nicht kannten, Parallelen zwischen dieser und hypnotischen bzw. meditativen Erfahrungen herzustellen. Insofern liegt den Beschreibungen über trophotrope Trancen, wie eben der Hypnose oder Meditation, das Anliegen zugrunde, etwas mehr Einsicht in die häufig verwirrend und scheinbar austauschbar verwendeten Begrifflichkeiten zu bringen (Kapitel 2.3).

2.1. Trance: allgemeine Einführungen

Das Wesen der Trance zu beschreiben erscheint fast unmöglich. Sie stellt ein Ereignis dar, welches nur aus dem direkten Erleben selbst zu erklären ist. Würde jedoch an derartigen Aussagen festgehalten, so wäre an dieser Stelle die vorliegende Arbeit beendet. Auch wenn Erfahrungen nicht durch Schriftliches zu ersetzen sind, so soll doch versucht werden, erste Eindrücke in das Wesen der Trance zu ermöglichen. Aufgrund der Vielfalt möglicher Trancezustände sei im Folgenden auf den Artikel „die“ als zu stark spezifizierend weitestgehend verzichtet und ausschließlich von Trance die Rede.

Aus psychophysiologischer Sicht geht Trance mit reversiblen Veränderungen der gesamten individuellen Persönlichkeit einher (Rittner & Fachner, 2003). Grundlegende Körperfunktionen werden auf vielfältige Art und Weise beeinflusst (Goodman, 1993, S.23). Sie sind anhand von „Zittern, Schütteln, Wärmegefühl“ (Baldemair, 1999, S.216) und vielem mehr beobachtbar. Es existieren scheinbar unzählige Abstufungen „von der kaum bemerkbaren Veränderung bis zu höchst dramatischen, den ganzen Körper einbeziehenden Vorgängen“ (Goodman, 1993, S.31). Wie im Zusammenhang mit dem Kontinuum außergewöhnlicher Bewusstseinszustände (R. Fischer, 1989, 1998) (Kapitel 1.2.2.1) beschrieben, werden Trancezustände in Abhängigkeit von der Art der Über- versus Unterregung als halluzinatorisch versus meditativ bzw. als ergotrop versus trophotrop klassifiziert.

Trance, das ist folglich nur eine der vielen Möglichkeiten eines veränderten Wachbewusstseinszustandes. Diesbezügliche Definitionsversuche reichen von der Pathologisierung des Begriffs im Rahmen psychogener Erkrankungen (Dilling et al., 2005) bis hin zu der Feststellung, bei Trance handele es sich, weil allen Menschen angeboren, um „völlig normale Vorgänge“ (Goodman, 2000, S.25) – eine Kontroverse die ihren Ursprung schon am Ende des 19. Jahrhunderts in der Auseinandersetzung Charcots mit Bernheim hatte (Spinu & Thorau, 1994). Charcot pathologisierte die durch Hypnose hervorgerufenen Trancezustände, Bernheim beschrieb sie als einen Erregungszustand der Nerven, der allen Menschen möglich sei, und bestand daher auf ihren „Normalcharakter“ (Spinu & Thorau, 1994, S.86). Im heute alltäglichen Sprachgebrauch wird Trance mit außergewöhnlichen, skurrilen Verhaltensweisen außerhalb anerkannter Normen in Verbindung gebracht, wohingegen andere Standpunkte das Leben allgemein als eine alltägliche Trance (Wolinsky, 1993) bezeichnen. Auch vor dem Hintergrund veränderter Bewusstseinzustände lassen sich Trancezustände in vielfältiger Art und Weise beschreiben. Die folgende Darstellungsweise folgt dabei den Ausführungen R. Fischers (1989, 1998), der zwischen ergotropen und trophotropen veränderten Bewusstseinszuständen unterscheidet. Was sich im Detail hinter diesen Begriffen verbirgt, erklärt das Kontinuum außergewöhnlicher Bewusstseinszustände (R. Fischer, 1989, 1998) (vgl. Kapitel 1.2.2.1). Ergotrope Trancen können einerseits Reisen in andere Wirklichkeiten ermöglichen. Andererseits fallen auch z.B. Besessenheitstrancen in diesen Bereich veränderter Wachbewusstseinszustände. Trophotrope Trancen beschreiben z.B. hypnotische wie auch meditative Trancen. Nicht zu vergessen sind pathologische Trancen wie die im Kapitel über die Typologie normaler versus veränderter Wachbewusstseinszustände (Kapitel 1.2.1) und im Kapitel zur Dissoziation (Kapitel 3.3) erwähnten. Dabei kann die im Folgenden vorgenommene Klassifizierung verschiedener Trancezustände nur als ein Versuch angesehen werden, Trance begrifflich fassbar zu machen. Vollständig zu erklären vermag sie sie auf keinen Fall.

2.2. Ergotrope Trancen

Sowohl Trancereisen in andere Wirklichkeiten als auch Besessenheitstrancen gehören in den Bereich ergotroper Trancen. Vom physiologischen Standpunkt aus betrachtet, bewirken ergotrope Trancen eine Übererregtheit des zentralen Nervensystems (R. Fischer, 1989, 1998). Ihre psychologische Bedeutung hängt von dem sie umgebenden sozio-kulturellen Kontext ab. Traditionellerweise definieren sie eine an feste Normen gebundene und in hohem Maße gemeinschaftliche Erfahrung. Die Absicht, die sich mit der Einnahme derartiger Bewusstseinszustände verbindet, besteht in der Er- und Vermittlung von Wissen, Botschaften und Aufträgen, etc. zwischen den verschiedenen Welten innerhalb der schamanischen Kosmologie. Eine kurze Einführung in das schamanische Weltbild bietet sich dem Leser im Kapitel 6.1 an.

2.2.1. Trancereisen in andere Wirklichkeiten

Tranceformen, zu deren charakteristischen Merkmalen Reisen in andere Wirklichkeiten zählen, spielen vor allem im Weltbild der schamanischen Völker der nördlichen Erdhalbkugel eine zentrale Rolle (van Quekelberghe, 2005). In Trance wird es Schamanen in außerkörperlichen Erfahrungen (Baruss, 2003) möglich, mit der Seele als dem „Gefährt des `wirklichen Selbst´“ (Goodman & Nauwald, 1998, S.75) andere Welten zu betreten und Erfahrungen außerhalb des Normalbewusstseins zu erlangen. Als Voraussetzung jeder Seelenreise gilt die Aufhebung bestehender räumlicher und zeitlicher Dimensionalitäten (van Quekelberghe, 1991). An dieser Stelle sei an die Kategorien (Ludwig, 1966), Dimensionen (Dittrich, 1985, 1996; Dittrich et al., 2002) und Entwicklungsverläufe (Clottes & Lewis-Williams, 1997) veränderter Bewusstseinszustände erinnert (vgl. Kapitel 1.3). Im Prinzip kann die Seele überall hinreisen: In die obere, die untere und ebenso auch in die mittlere Welt des schamanischen Weltenbaumes (vgl. Kapitel 6.1.1). Nur die Zukunft bleibt ihr verschlossen. Dafür stehen ihr vielfältige Verwandlungsmöglichkeiten offen: Metamorphosen in Tiergestalten oder Pflanzen bilden gängige Erlebnisse. Ebenso kann die Seele jedoch auch z.B. im Rahmen eines Übergangsrituals eine verstorbene Person auf ihrem Weg in die andere Wirklichkeit begleiten (Goodman, 1996; Goodman & Nauwald, 1998; Ingermann 2002). Nach Beendigung ihrer Seelenreise erinnern Schamanen oftmals nur einige wenige, dafür umso bedeutendere Erlebnisse ihrer Trance. Ihre Mitteilungen zeigen sich stark visuell geprägt (Baruss, 1996). Die größte Gefahr während der Reisen in andere Wirklichkeiten besteht für Schamanen darin, nicht „die richtigen Wege der Landkarte der `Anderswelt´ von den Irrwegen und gefährlichen Gegenden zu unterscheiden“ (Goodman & Nauwald, 1998, S.76). Das ist eine Frage der Übung.

Schon an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Trancereisen in andere Wirklichkeiten im Zusammenhang mit der vorliegenden Ausarbeitung besondere Bedeutung zukommt. Die im empirischen Teil untersuchte Methode der Tranceinduktion durch Rituelle Körperhaltungen beschreibt eine derartige Tranceform. Daher betonen die folgenden Ausführungen über Besessenheitstrancen, hypnotische und meditative Trancen in erster Linie diesbezügliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

2.2.2. Besessenheitstrancen

Besessenheitstrancen sind, im Gegensatz zu der im vorherigen Abschnitt genannten Tranceform der Reisen in andere Wirklichkeiten, vor allem auf der südlichen Hemisphäre der Erdkugel zu finden (van Quekelberghe, 2005). Von weltanschaulichen Grundeinstellungen unabhängig zeigen sie sich in christlichen Bewegungen, wie z.B. dem Pentekostalimus, einer Bewegung der Pfingstgemeinden die vor allem in den USA und Brasilien anzutreffen ist. Zu ihren Inhalten zählt der Glaube an eine übernatürliche Heilung und damit verbunden die Erfahrung der eigenen Integrität durch ekstatische Verkörperung, z.B. in Form der Glossolalie (Goodman, 2000, 2003; Baruss, 2003). Besessenheitstrancen beschreiben die Besetzung einer Person durch eine andere Seele (Resch, 1990). Gegenteilig zur Trancereise in andere Wirklichkeiten handelt es sich also nicht um außerkörperliche Erfahrungen. Während Besessenheitstrancen kommt es zu einem Verlust der Selbst-Bewusstheit (Baruss, 2003). Häcker und Stapf (2004) benennen als einzige Möglichkeit der Besessenheit die in Besitznahme einer Person durch einen „Dämon, einem bösen Geist“ (S.130). Doch auch gute `Geister´ bedienen sich der Körper von Schamanen zur Interaktion mit der Außenwelt. Auf den Begriff der `Geister´ gehen die Ausführungen zum schamanischen Weltbild (Kapitel 6.1.1) ein.

Ähnlich wie im Anschluss an Trancereisen in andere Wirklichkeiten können sich auch zuvor von anderen Seelen besessene Personen oftmals nicht erinnern, was sie während ihres veränderten Bewusstseinszustandes gesagt, getan oder gefühlt haben (Baruss, 2003). Diese Annahme der Amnesie gilt jedoch als umstritten. Nach van Quekelberghe (1991) benennen einige Autoren die Erinnerungsfähigkeit sogar als ein Charakteristikum von Besessenheitstrancen. Andere Autoren stellen fest, dass nur der Freiwilligkeit und Kontrollierbarkeit des veränderten Wachbewusstseins Bedeutung zukommt. In vielen Kulturen wird von besessenen Schamanen sogar eine gewisse Erinnerungsunfähigkeit erwartet. Letzen Endes entscheidet somit einmal mehr der sozio-kulturelle Kontext über das Erscheinungsbild der Tranceerfahrung.

2.2.3. Einfügung: Ekstase und Enthusiasmus

Sowohl in der wissenschaftlichen Literatur als auch im alltäglichen Sprachgebrauch (Baldemair, 1999) wird vielfach nicht zwischen Begriffen wie `Trance´ und `Ekstase´ bzw. `Enthusiasmus´ differenziert. Wenn Trance jedoch einen Erfahrungszustand definiert, so gilt Ekstase (Baldemair, 1999) bzw. Enthusiasmus als ihre Erlebnisqualität. Sowohl Ekstase als auch Enthusiasmus orientieren sich daher grundlegend an den beschriebenen Kategorien (Ludwig, 1966) und ätiologie-unabhängigen Dimensionen (Dittrich, 1985, 1996; Dittrich et al., 2002) veränderter Wachbewusstseinzustände (vgl. Kapitel 1.3.1).

Die Ekstase „[griech. `Außer-sich-Stehen´]“ (Faktum-Lexikoninstitut, 1995, S.80) bezeichnet eine „erhöhte sinnliche Reaktionsfähigkeit oder […] völlige Unempfänglichkeit gegenüber Umweltreizen“ (ebd.). R. Fischer (in Goodman, 1981) beschreibt sie als eine „erotische Euphorie oder orgasmische Intensität“ (S.217 [Übersetzung der Verfasserin]). Dass jedoch ekstatische Bewusstseinszustände wenig mit ausschließlich orgasmischem Erleben zu tun haben, zeigt Goodman (1981). In Untersuchungen zur Vokalisation während veränderter Bewusstseinszustände stellt sie fest, dass sich die Intonationsmuster kindlichen „Babbelns“ (Goodman, 1981, S.211 [Übersetzung der Verfasserin]) wie auch beim Reden im Schlaf, in hypnotischer oder auch Besessenheitstrance grundlegend von den Redemustern während eines Orgasmus unterscheiden. In Trancezuständen der Reisen in andere Wirklichkeiten treten ekstatische Phänomene der Art auf, dass die Seele außerhalb ihrer alltäglichen Begrenzungen handlungsfähig wird. Gegenteilig löst sich im Erleben des Enthusiasmus die Seele nicht von ihren Strukturen. Eine andere Seele besetzt den Körper der betroffenen Person. So stehen Besessenheitstrancen in enger Verbindung mit enthusiastischen Zuständen (Baldemair, 1999; Bick, 1990; Goodman, 1981, 1993).

2.3. Trophotrope Trancen

Trophotrope Trancen beschreiben, in Anlehnung an R. Fischer (1989, 1998) (Kapitel 1.2.2.1), Zustände der Untererregtheit des zentralen Nervensystems. Den Forschungen von Guttmann (1992) folgend fallen sowohl hypnotische als auch meditative Zustände in diesen Bereich. Sie gelten als stärker bewusst im Vergleich zu Trancezuständen der Reisen in andere Wirklichkeiten. Die folgenden Ausführungen über hypnotische und meditative Tranceformen geben überblicksartig erste Eindrücke in das Wesen dieser veränderten Bewusstseinszustände. Durch Abgrenzungen zu Trancereisen in andere Wirklichkeiten soll dem Leser ein möglichst verständliches Bild vermittelt werden, um den im empirischen Teil der vorliegenden Arbeit untersuchten Gegenstand der Rituellen Körperhaltungen abgrenzen zu können.

2.3.1. Hypnotische Trance

Unter dem Stichwort `Hypnose´ findet sich im Lexikon der Psychologie folgende Definition: „Hypnose [griech. hypnos `Schlaf´], ein veränderter Bewusstseinszustand (Trance)“ (Faktum-Lexikoninstitut, 1995, S.181). Welch eine Begriffsverwirrung vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen der vorliegenden Arbeit! Im Folgenden sei daher auf einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen hypnotischer Trance und Trancereisen in andere Wirklichkeiten eingegangen.

Als Ziele der Hypnose beschreibt Revenstorf (1990) die „1) Unterbrechung gewohnter Muster, 2) Veränderung physiologischer Prozesse, 3) Anregung einer szenischen Vorstellung, 4) Auslösung innerer Suchprozesse, 5) nachträgliche Bearbeitung negativer Erfahrungen, 6) Erschließung von Ressourcen, 7) Transformation von Störungen und Symptomen“ (S.137). Wenn auch nicht ausschließliche Ziele von Trancereisen in andere Wirklichkeiten, so lassen sich die genannten Ziele doch auch auf Tranceformen ergotroper Zustände beziehen. Ebenso fällt die große Ähnlichkeit hypnotischer Phänomene (Peter, 1990) zu Trancereisen in andere Wirklichkeiten auf. Sowohl kinästhetische Phänomene wie Ermüdung, Verstärkung subliminaler Bewegungen, Katalepsien, etc. als auch Halluzinationen, Altersretrogressionen, Amnesien, Hypermnesien und Paramnesien sind in beiden veränderten Wachbewusstseinszuständen zu finden.

Was die Hypnose jedoch von Trancereisen in andere Wirklichkeiten unterscheidet, verdeutlichen die im Folgenden dargestellten Argumentationen. Zuerst einmal handelt es sich bei der Hypnose um eine Technik zur Induktion veränderter Wachbewusstseinszustände (Kossak, 1989). Hypnose ist also ein Tun, ein Prozess. Trance bezeichnet dagegen immer einen Zustand, in diesem Fall den Zustand der hypnotischen Trance, auf den die vom Hypnotiseur angewandte Technik hinführt. Insofern verändert im Sinne des zweiten Differenzierungskriteriums ein Hypnotiseur („hypnotist“) (Baruss, 2003, S.109) den Zustand der hypnotisierten Person („hypnotic subject“) (Baruss, 2003, S.109). Gegenteilig verändert im Rahmen von Trancereisen in andere Wirklichkeiten der das Ritual leitende Schamane – und nicht die bei ihm Rat suchende Person – seinen Bewusstseinszustand. Sowohl in hypnotischen Trancen als auch in Trancereisen finden sich also veränderte Wachbewusstseinszustände. Sie beziehen sich jedoch auf explizit unterschiedliche Personen. Als drittes charakteristisches Merkmal hypnotischer Trancen gilt die Art ihrer Induktion durch Vorgabe einerseits von Imaginationen – „simply a guided imagery exercise“ (Baruss, 2003, S.110) – und andererseits durch den Einsatz verbaler Suggestionen (Gheorghiu, 1990). Derartige Leitbilder fehlen in Trancereisen. Vielmehr erleben Schamanen diese sukzessive sozusagen aus sich selbst heraus. Als vierte Besonderheit ist die Intention hypnotischer Trance zu benennen: Eine Änderung der Verhaltensweisen der hypnotisierten Person (Peter, 1990). Im Rahmen von Trancereisen in andere Wirklichkeiten würde parallel eine Verhaltensänderung des Schamanen zu erwarten sein. Doch stellt er sich `nur´ als Übermittler des auf seiner Reise erhaltenen Wissens zur Verfügung. Zielperson ist die Rat suchende Person.

Wie gezeigt dienen sowohl hypnotische als auch schamanische Trancen möglichen Veränderungen im Verhalten: Während jedoch der Hypnotisand diese im veränderten Wachbewusstseinszustand zum ersten Mal erproben kann, bekommt sie der bei einem Schamanen Rat Suchende im Zustand des normalen Wachbewusstseins mitgeteilt. Sicherlich ließen sich noch eine Reihe weiterer Unterschiede finden, doch mögen die bisherigen Diskussionen der thematischen Einführung genügen.

2.3.2. Meditative Trance

Der Begriff der `Meditation´ ist ebenso wie die diesem Kapitel vorausgehend betrachteten veränderten Wachbewusstseinszustände „keineswegs eindeutig“ (Häcker & Stapf, 2004, S.586). Da die Bezeichnung „Meditation“ nicht gesetzlich geschützt ist, entstanden im Laufe der letzten Jahre „Myriaden“ (Baruss, 2003, S.198 [Übersetzung der Verfasserin]) an Ausführungsformen (Scharfetter, 1992). Vor allem sogenannte passive Meditationsformen im Sinne der Konzentration auf ein bestimmtes Objekt erfuhren in westlichen Kulturkontexten besondere Beachtung (Engel, 1995). Neben Zen- und Yoga-Meditationen behandeln die meisten Studien vor allem Transzendentale Meditationen (Baruss, 2003; Engel, 1995). Im Westen zwar in erster Linie als eine Technik zur Entspannung und Stressreduktion bekannt (Engel, 1995), stehen Meditationen in Asien im Dienste einer „radikalen Transformierung des Bewusstseins“ (Baruss, 2003, S.195 [Übersetzung der Verfasserin]). Dort beschreiben sie einen Lebensweg, einen innern Zustand, der sich auf allen Ebenen des Wirkens offenbart (Scharfetter, 1992). Dieser Aussage nicht widersprechend, sie jedoch präzisierend, beschreibt Engel (1995, S.255) „Meditation als Weg zur Transzendenz“. Äquivalent zur Unterscheidung zwischen Hypnose als Technik und hypnotischer Trance als deren Zielzustand lässt sich Meditation somit als eine Technik beschreiben, deren intendierter Zustand eine meditative Trance bzw. Transzendenz darstellt.

Ähnlich den Trancereisen in andere Wirklichkeiten steht auch im Mittelpunkt von Meditationen die Schulung des Bewusstseins zur Erlangung eines veränderten Wachbewusstseins (Baruss, 2003; Engel, 1995, Scharfetter, 1992). Sowohl Zen- als auch Yoga-Meditationen geben bestimmte Körperhaltungen vor, in welchen zu meditieren ist (Engel, 1995; Kossak, 1989). Aus der Zen-Meditation ist der Lotussitz bekannt. Der Yoga-Meditation liegen die Asanas zugrunde (Engel, 1995). Wie in der vorliegenden Arbeit noch gezeigt wird, beinhalten auch Trancereisen in andere Wirklichkeiten, speziell Rituelle Körperhaltungen, vielfältige Möglichkeiten, unterschiedliche Körperhaltungen als Hilfestellung zur Induktion von Trance einzunehmen. Eine weitere Parallele zwischen Trancereisen in andere Wirklichkeiten und meditativer Trance beschreibt der Zustand der Untererregtheit des zentralen Nervensystems (Engel, 1995; R. Fischer, 1989, 1998) (vgl. Kapitel 1.2.2.1).

Zwischen Trancereisen in andere Wirklichkeiten und Meditationen zeigen sich vielfältige Unterschiede. Im Folgenden sei daher auf einige dieser Gegensätze eingegangen. Sie betreffen Aspekte a) des Settings, b) des intendierten Zielzustandes im veränderten Wachbewusstsein, c) der Induktion, d) der Erlebnisinhalte und e) der Person, welche sich im veränderten Wachbewusstsein befindet.

Der auffälligste Unterschied zwischen Meditationen und Trancereisen in andere Wirklichkeiten besteht wohl in ihrem a) unterschiedlichen Setting. Vor allem passive Meditationen werden alleine bzw. ohne Bezug zu möglicherweise anderen sich im Raum befindenden Personen schweigend durchgeführt (Engel, 1995). Im Schamanismus tragen alle Anwesenden, vor allem Familienmitglieder, wesentlich zum Gelingen des Rituals bei. Ebenso werden eine Vielzahl möglicher Sinnesreize und -äußerungen zugelassen. Im Gegensatz zu Trancen, welche in andere Wirklichkeiten führen, fokussieren b) Meditationen die vollkommene Überwindung allen diskursiven Denkens und jeglicher äußerer Wahrnehmungen (Engel, 1995). Diese kann c) „konzentrativ“ („concentrative meditation“) (Baruss, 2003, S.198 [Übersetzung der Verfasserin]) durch Vorgabe eines Gegenstandes, z.B. eines Koans oder eine Klangfolge (Engel, 1995), erfolgen. Ein Koan besteht in einer „kognitiven Aufgabe, eines Rätsels, das durch rationales Denken nicht zu lösen ist – z.B. das Klatschen der rechten Hand zu hören“ (Engel, 1995, S.170). Er wird dem Meditierenden durch seinen Lehrer vorgegeben. Ebenso ist auch die „bezeugende Meditation“ („witnessing meditation“) (Baruss, 2003, S.201 [Übersetzung der Verfasserin]) möglich. In dieser wird jeder Gedanke des Bewusstseinsstromes in aller Kürze „etikettiert“ („to label“) (Baruss, 2003, S.200 [Übersetzung der Verfasserin]). Hierin äußert sich wohl auch der wesentlichste Unterschied zwischen Meditationen und Hypnosen. Während erste ohne Intervention zur Beobachtung des Geistes führt, steuert die Hypnose den Gedankenfluss aktiv (K. Thomas, 1990). Auch wenn Schamanen sich im Trancezustand von der Außenwelt zurückziehen, so verweigern sie jedoch nicht im Innern den Dialog mit dem ihnen Begegnendem. Im Gegenteil: Erst dieser Dialog ermöglicht ihnen, Wissen zu generieren. Nicht eine Beobachtung des Geistes sondern die des Lebens in anderen Welten charakterisiert somit Trancereisen in andere Wirklichkeiten. Oberstes Ziel von Meditationen ist die verminderte „Kontrolle der eigenen Gedanken“ (Baruss, 2003, S.198 [Übersetzung der Verfasserin]), der „Intrusion irrelevanter Gedanken“ (ebd. [Übersetzung der Verfasserin]). In Bezug auf Begrifflichkeiten zur Beschreibung von Trancereisen in andere Wirklichkeiten stehen in diesen weniger die Gedanken denn vielmehr die Geschehnisse inneren Erlebens im Vordergrund. In diesem Sinne denken Schamanen weniger, sie erleben vielmehr. Keines dieser Erlebnisse wird als irrelevant betrachtet. Ziel ist nicht, wie z.B. während Transzendentaler Meditationen, d) das Erleben einer inneren Leere im Sinne eines „Bewusstsein[s] vollkommener Leerheit ohne Sinnesreizungen und sinnliche Bilder“ (Engel, 1995, S.238). Vielmehr wird in Trancezuständen der Reisen in andere Wirklichkeiten der Fülle des Erlebten insofern Bedeutung beigemessen als sich aus diesen Lösungsmöglichkeiten für anstehende Probleme ergeben. So unterscheiden sich die Erzählungen Meditierender von Personen, die Trancereisen in andere Wirklichkeiten erleben. Meditierende berichten in überwiegendem Maße von Licht- und Energiewahrnehmungen. Äußerungen wie: „Die Wurzeln der Pflanzen und Bäume schimmerten durch den transparent gewordenen Boden hindurch, und ich konnte den inneren Saftstrom erkennen“ (Engel, 1995, S.159) kommen in den Erlebnisberichten Meditierender wenn überhaupt nur äußerst selten vor. Im animistischen Weltbild des Schamanismus spielen Begegnungen mit der Tier- und Pflanzenwelt jedoch eine bestimmende Rolle. Letzten Endes dienen e) Meditationen, ebenso wie hypnotische Trancen, der Auseinandersetzung mit dem eigenen Bewusstsein, und weniger der Wissensvermittlung für andere Personen, wie sie Trancereisen in andere Wirklichkeiten ermöglichen.

3. Determinanten von Trance

Castiglio trug mir auf, ich solle dem Fürsten nachdrücklich bestellen,

dass dieses Mittel unfehlbar [sei]…

Ob das stimme? fragte ich keck.

Zu meiner Überraschung antwortete der Alchemist, er wüsste es nicht genau…

Die Wirkung liegt also halb im Sesamöl,

halb in der Laudatio des Rezepts begründet.

(Krausser, 1994, S.129).

Als Determinanten von Trancezuständen werden in den folgenden Ausführungen Aspekte der Induktion (Kapitel 3.1), Fragen der Suggestion und Suggestibilität (Kapitel 3.2) sowie der Dissoziation (Kapitel 3.3) beschrieben: Induktionen lösen veränderte Wachbewusstseinszustände aus, Suggestionen leiten diese und Dissoziationen machen sie erfahrbar. Dass diese Aussage nicht grundlegend unwahr ist, jedoch bei weitem viele Fragen unberücksichtigt läßt, zeigen die Darstellungen dieses Kapitels.

3.1. Induktion: Taxonomie und Induktionsunabhängigkeit veränderter Bewusstseinszustände

Veränderte Wachbewusstseinszustände lassen sich durch eine Vielzahl pharmakologischer und psychologischer Stimuli induzieren. Einen diesbezüglich umfassenden Überblick findet der interessierte Leser bei Dittrich (1985). Vor dem Hintergrund des der vorliegenden Arbeit zugrunde liegenden Themenbereichs von Trancen Ritueller Körperhaltungen sei in den folgenden Ausführungen ausschließlich auf psychologische Induktionsmöglichkeiten eingegangen. Als Grundlage dient die von Dittrich (1985) vorgeschlagene zweidimensionale Taxonomie der Intensität und Variabilität des Wahrnehmungsfeldes (Abbildung 6).

Die Dimension der Intensität des Wahrnehmungsfeldes misst die „Gesamtheit der Empfindungsintensitäten“ (Dittrich, 1985, S.44). Sie beschreibt das Ausmaß, die Stärke und den Grad der Wahrnehmung taktiler, visueller, kinästhetischer, auditiver, olfaktorischer und gustatorischer Eindrücke. Die Dimension der Variabilität des Wahrnehmungsfeldes definiert die Differenziertheit der Sinneseindrücke: Die „Anzahl unterschiedlicher `Figuren´ pro Zeiteinheit, die von einem `Grund´ als abgehoben erlebt werden“ (Dittrich, 1985, S.43). So lassen sich eine Vielzahl veränderter Wachbewusstseinszustände in Abhängigkeit ihres auslösenden Moments den verschiedenen Quadranten zuordnen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6 Zweidimensionale Taxonomie von psychologischen Stimuli zur Auslösung von veränderten Wachbewusstseinszuständen (Dittrich, 1985, S.44)

Meditative und hypnotische Trancen ordnen sich in den Bereich sowohl stark verminderter Intensität als auch Variabilität des Wahrnehmungsfeldes ein. Methoden der Tranceinduktion, wie z.B. die der Terpsichoretrancetherapie (Akstein, 1977 in Dittrich, 1985), eine Kombination von Trommeln und rhythmischen Tanzbewegungen, übernommen aus dem Besessenheitskult der Umbanda, Brasilien, zählen zu den Stimuli extrem hoher Variabilität bei gleichzeitig leicht erhöhter Intensität des Wahrnehmungsfeldes. Im Rahmen der vorliegenden Ausarbeitung erscheint auf den ersten Blick der Quadrant mit extrem hoher Intensität bei gleichzeitig extrem verminderter Variabilität des Wahrnehmungsfeldes interessant. In ihn ordnet Dittrich (1985) jede Reizüberflutung durch rhythmisch-monotone Stimulierung ein. In der Vorgabe nur eines einzigen Stimulus stellt sie sich als parallel zur sensorischen Deprivation dar. Indem dieser eine Stimuli bis an die Grenzen der Belastbarkeit erfahrbar wird, bildet sie jedoch auch gleichzeitig ihren Gegenpol. Eine derartige Induktion findet im Rahmen von Trancereisen in andere Wirklichkeiten Anwendung.

An dieser Stelle sei noch einmal grundlegend darauf hingewiesen, dass veränderte Wachbewussteinszustände in ihren Grunddimensionen, unabhängig von der Art ihrer Induktion (Dittrich, 1985, 1996; Dittrich et al., 2002; Ludwig, 1966) (Kapitel 1.3.1), gleich sind. Es ist also nicht möglich, durch die Auswahl eines spezifischen Stimulus ein bestimmtes und genau festgelegtes Erlebnis zu induzieren (Strobel, 1994). So begleiten z.B. auf Haiti Trommelrhythmen einerseits Besessenheitstrancen, andererseits aber auch Trauerzeremonien. Besessenheitsphänomene zeigen sich jedoch ausschließlich im Zustand der Trance und nicht während der Trauerfeierlichkeiten. Daher gilt: „Die Heftigkeit der Bewegungen, die Dauer der Besessenheit, die Art der Kommunikation u.ä.m. hängen weitgehend von den mythischen Annahmen und Zeremonieregeln ab“ (van Quekelberghe, 1991, S.175). Nichts desto trotz erhält die Art der Induktion – ob nun gerasselt oder getrommelt wird – doch auch eine die Trance gestaltende Wirkung (Strobel, 1994). Insgesamt gilt als Ziel jeder Tranceinduktion, ausnahmslos jeden der Ritualteilnehmer in den angestrebten veränderten Zustand des Wachbewusstseins zu versetzen. Nur so können die Rituale und mit ihnen die Trancen ihre volle Kraft entfalten (Holz & Zahn, 1996).

3.2. Suggestion und Suggestibilität

Ebenso wie für Hypnose (Revenstorf, 1990) und Meditation (Engel, 1995) gilt auch für Reisen in andere Wirklichkeiten als grundlegende Voraussetzung zum Erleben von Interesse an imaginativen Wahrnehmungen und eine mit diesen verbundene spezifische Erwartungshaltung (Gheorghiu, 1990; Kossak, 1989). Letztere bedeutet nicht, gegenüber Trancereisen in andere Wirklichkeiten ausschließlich positiv eingestellt zu sein. Auch Skepsis ist erlaubt. Von ausschließlicher Wichtigkeit ist allein die Bereitschaft des Einzelnen, sich auf das Geschehen einzulassen (Goodman, 2000). Das wiederum bedeutet, für potentielle Suggestionen offen zu sein.

Suggestibilität beschreibt die Empfänglichkeit einer Person für Beeinflussungen ihrer Denk-, Willens- und Gefühlsabläufe (Baruss, 2003). Suggestionen definieren intern (Autosuggestion) bzw. extern (Fremdsuggestion) vermittelte Reize. Sie werden sowohl im normalen wie auch im veränderten Wachbewusstsein wirksam (Gheorghiu, 1990). Ein verändertes Wachbewusstsein führt zu einer Erhöhung des Grades der Beeinflussbarkeit der betreffenden Person (Kossak, 1989). Im Rahmen der Hypnose verbinden sich Imaginationen (Vorstellungen, Bilder und Metaphern) und rationales Denken (Logik). Diese psychischen Wirkungen lassen sich auch auf Trancereisen, die in andere Wirklichkeiten führen, und auf nonverbale Suggestionen (Kossak, 1989) bzw. Techniken „ohne expliziten Suggestionseinfluss“ (Gheorghiu, 1990, S.70) übertragen. Diese haben dann jedoch nichts mehr mit der Hypnose gemeinsam. Das Ziel von Suggestionen besteht in der Vorgabe von Rahmenbedingungen, die dann von der Person, auf die sich die Suggestion bezieht, selbst ausgeführt werden (Gheorghiu, 1990). Rituale beschreiben in sich eine „tradierte suggestive Absicht“ (Holz & Zahn, 1995, S.62). Im traditionellen Kontext durch z.B. Schamanen vermittelt, kann so „Jahrhunderte altes Wissen genutzt“ (ebd.) werden.

3.2.1. Determinanten der Suggestibilität

Zur Erforschung der Suggestibilität entwickelten die Wissenschaftler eine Vielzahl an Messinstrumenten (Baruss, 2003; Kossak, 1989). Nach Kossak (1989) und Gheorghiu (1990) untersuchen diese vor allem fünf Determinanten der Suggestibilität: Stabilität und Erlernbarkeit, Persönlichkeitseigenschaften, Tagesform, Erwartungshaltung und soziale Beeinflussbarkeit. Als in ihrer Suggestionsfähigkeit bewiesen gelten jedoch ausschließlich die Aspekte zeitlicher Stabilität und Erlernbarkeit sowie die aktuelle Tagesform der Person, auf die sich die Suggestion richtet (Kossak, 1989). Kritisch anzumerken ist die Individualität der Tagesrhythmen. Sie bestimmen, wann der Mensch besonders leistungsfähig ist und wann er Ruhephasen benötigt. Objektive Tagesrhythmen existieren nicht. Diesen Aspekt vernachlässigen jedoch die externen Zeitgeber in den Untersuchungen zu hypnotischen Trancen (Kossak, 1989). Bezüglich der Frage nach Zusammenhängen zwischen Persönlichkeitsvariablen und Suggestibilität zeigen sich dieser Annahme widersprechende Ergebnisse. Ebenfalls nicht zu unterschätzende Einflussgrößen beschreiben die Fertigkeit zur Aufmerksamkeitsfokussierung (vgl. Kapitel 1.2.2.3) und zum bildlichen Erleben. Hoch suggestible Personen zeigen vermehrt „synthetische bzw. ganzheitliche (holistische) Denkformen…während Geringsuggestible mehr zu analytischen Denkstrategien neigen“ (Crawford & Allen, 1983, in Kossak, 1989, S.177). Ebenso wenig wie die Persönlichkeitsvariablen sind Formen sozialer Beeinflussbarkeit, operationalisiert als Konformität und Leichtgläubigkeit, korreliert (Gheorghiu, 1990). Zu sehr widersprüchlichen Ergebnissen kommt die Erforschung der Suggestibilität im Zusammenhang mit möglichen Placeboeffekten. Ob die Ursache hierfür in der Operationalisierung der Begriffe der `Suggestibilität´ bzw. des `Placebo´ begründet liegt, auf Fragen der Messmethodik zurückzuführen ist oder ob überhaupt ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Dimensionen besteht bleibt offen (Kossak, 1989). Aufgrund der Komplexität menschlicher Beziehungen sind sie jedoch sicherlich immer möglich. Daher soll diesem Aspekt im Folgenden ein eigener Abschnitt gewidmet werden.

3.2.2. Ritualleiter-Teilnehmer-Interaktion

Kossak (1989) betont die Art der zwischenmenschlichen Beziehung während einer Hypnoseinduktion als die Suggestibilität einer Person grundlegend beeinflussend: Ein dem Hypnotiseur attribuierter hoher Status führt zur Verbesserung der Hypnotisierbarkeit auf Seiten des Patienten (Kossak, 1989). Mit Fragen der Therapeut-Patient-Beziehung beschäftigt sich vor allem die Psychoanalyse im Rahmen von Übertragungs- und Gegenübertragungsprozessen. Übertragungsprozesse zeigen sich als Zuschreibungen positiver und negativer Erlebnisinhalte seitens des Patienten durch Identifikation mit und Projektion auf den Therapeuten. Ebenso finden Übertragungen vom Therapeuten auf den Patienten statt. Diese sollen möglichst unbelastet, also nicht-neurotisch oder durch den Patienten ausgelöst sein (Kriz, 2001). Im Grunde genommen unterliegt jede zwischenmenschliche Interaktion Prozessen der beschriebenen Dynamik. Im Sinne des psychoanalytischen Weltbildes sind es so vor allem die unbewussten Gefühle und Wünsche, die im aktuellen Umgang erneut in Erscheinung treten (Kossak, 1989). Auf eher sozio-kultureller Ebene beschreibt Kleinmann (1980) in seinem Modell der Explanatory-Modells die Beeinflussbarkeit des Patienten durch den Arzt. Würden beide Ansätze miteinander verbunden, erweitert sich die auf das Individuum zentrierte psychoanalytische Sichtweise um die Berücksichtigung gesellschaftlicher Einflüsse. Leider sind wir davon jedoch meiner Ansicht nach noch weit entfernt. Erste empirische Umsetzungen finden sich bei Weiss (1997, 2001).

In der Auseinandersetzung mit Aspekten veränderter Bewusstseinszustände ist stets zu fragen, ob die spezifischen Erlebnisse wirklich sind oder aus einer Übernahme projizierter Erwartungshaltungen, z.B. des Hypnotiseurs, des Schamanen oder einer anderen durch das Tranceritual führenden Person, resultieren. Im günstigen Fall beschreiben sie nicht nur „subjektiv wahrhafte Ereignisse“ (Gheorghiu, 1990, S.71), sondern gelten als wahrhaftig in sich selbst. Die Übertragung von derartigen Ereignissen auf Fragen des alltäglichen Lebens schließt, der Terminologie von Freud (in Kriz, 2001) folgend, die Schere zwischen den Bestrebungen des Es und denen des Ich. Konflikte lösen sich auf. Bedrohungen des Alltags ebenso. Es eröffnen sich neue Möglichkeiten im Umgang mit alltäglichen Anforderungen.

3.3. Dissoziation

Neben der Fertigkeit zur Suggestion kommt der Dissoziation eine bedeutende Rolle in der Möglichkeit des Erlebens veränderter Wachbewusstseinszustände zu (Baruss, 2003). Schon Janet verwendete den Begriff der „Bewusstseinsspaltung“ (Kriz, 2001, S.9) im Zusammenhang mit seinen Untersuchungen zur Hysterie. Er entdeckte, dass die „hysterischen Symptome mit eindrucksvollen, aber vergessenen Szenen (Traumata) im Leben des Individuums zusammenhängen“ (Kriz, 2001, S.9). In diesem Sinne beschreibt der Begriff der Dissoziation eine „funktionale Trennung“ (Baruss, 2003, S.124 [Übersetzung der Verfasserin]) Identität definierender Elemente. Vom psychologischen Standpunkt aus betrachtet bezeichnen Dissoziationen pathologische Prozesse traumatischer Erfahrungen. Die diesen zugrunde liegende Dynamik extremer Emotionen verhindert – um nur einen der vielen möglichen Erklärungsansätze der Dissoziation zu benennen – die Kategorisierung neuer Erfahrungen in bestehende schemaorientierte Gedächtniseinträge. Erinnerungen werden nicht in das Bewusstsein integriert sondern von diesem abgespalten. Was Janet als „Phobie der Erinnerung“ (Resick & Maercker, 2003, S.74) bezeichnete, wird so vor dem Hintergrund aktueller und in erster Linie kognitivistisch geprägter Theorien erklärbar.

Als eine besondere Form dissoziativer Störungen benennt die ICD-10 Trance- und Besessenheitszustände (F44.3) (Dilling et al., 2005) und das DSM-IV-TR schlägt als neue, noch bis zur Veröffentlichung des DSM-V zu überprüfende Kategorie, die Dissoziative Trancestörung (Saß et al., 2003) vor. Zu ihren Symptomen gehören ein partieller Verlust der Identität, der Aufmerksamkeitskontrolle, der Erinnerungsfähigkeit sowie der Willkürmotorik. Während jedoch im Zusammenhang pathologischer Dissoziation die Symptome unwillkürlich in Erscheinung treten, zeichnen sich gegenteilig nicht-pathologische veränderte Wachbewusstseinszustände durch den Erhalt der Selbststeuerungsfähigkeit aus.

Depersonalisationen und Derealisationen spielen im Zusammenhang mit Dissoziationen eine ebenfalls bedeutende Rolle. Gerade Depersonalisationen ähneln dem, was Schamanen während Trancereisen in andere Wirklichkeiten erleben: Gefühle der Unwirklichkeit bezogen auf die eigene Person, ein aus dem Körper gleiten und sich und die Welt von außen betrachten (Davison & Neale, 2002). Doch im Gegensatz zur pathologischen Depersonalisation verlieren Schamanen nicht ihre Identität oder Teilelemente derselben. Somit gilt, in Abhängigkeit des zugrunde liegenden Weltbildes, die pathologisch fokussierte Feststellung von Resick und Maercker (2003), dass Dissoziationen „dem Kapitulieren vor der Situation“ (S.13) gleichzusetzen sind, als nicht allgemein gültig. Dies ist wohl auch einer der Gründe dafür, dass in der Klassifizierung der Trance- und Besessenheitszustände ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass aufgrund des nur teilweisen Identitätsverlusts Aspekte der Depersonalisation sowie Derealisation der klinischen Betrachtung außen vor bleiben.

Abschließend sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Begegnung mit anderen Wirklichkeiten auch für Schamanen eine Gefahr darstellen kann. Bereits das Kapitel über Trancereisen in andere Wirklichkeiten geht auf diesen Aspekt ein (Kapitel 2.2.1). Verirren sich Schamanen auf ihrer Reise, dann finden Teile ihrer Seele nicht zurück. Dieses Phänomen ist dem Zustand der pathologischen Dissoziation wohl am ehesten vergleichbar. In derartiger Gefahr stehen vor allem noch ungeübte Schamanen, die die Wege der „Anderwelten“ (Scharfetter, 1992, S.26) noch wenig kennen gelernt haben. Übertragen auf die eingangs vorgestellte westliche und kognitionspsychologische Interpretation der Dissoziation, implizieren derartige Erfahrungen einen so hohen Neuheitswert bei gleichzeitiger Auslösung extremer Emotionen, dass eine Einordnung des Erlebten nicht möglich erscheint. Mit zunehmender Übung nimmt jedoch das Risiko pathologischer Dissoziationen ab.

4. Ritual, Set und Setting

We dance around in a ring and suppose,

but the secret sits in the middle and knows.

(„The Secret Sits“,

unbekannter Autor)

Rituale ermöglichen dem Menschen, Handlungen auszuführen und sie gleichsam so mit Bedeutungen zu belegen, dass die „bloße Handlung zur Erfahrung“ (Stender, 1994, S.34) wird. Das ist jedoch bei weitem noch nicht alles, was sich hinter dem Begriff des `Rituals´ verbirgt (Kapitel 4.1). Hinter jedem Ritual und der ihm impliziten Ritualsstruktur steht ein es erst hervorbringender Mythos. Darüber hinaus beeinflussen das Set, die Gesamtheit der Persönlichkeit der einzelnen Ritualteilnehmer, und das Setting, die physische Ritualumgebung, im Wesentlichen die Erfahrbarkeit ritueller Handlungen (Kapitel 4.2). Auf diese Aspekte gehen die folgenden Ausführungen ein. Doch so wie die Beschreibung des inneren Wesens von Trancezuständen fast unmöglich erscheint (vgl. Kapitel 2.1), so vermag sich auch das direkte Ritualerlebnis nicht in Worte fassen zu lassen: „Es scheint weitaus einfacher und vor allem eindrücklicher, unmittelbar zu erleben, was ein Ritual ausmacht, indem man dem Geschehen beiwohnt – und sei es nur als Zuschauer. Jedes Ritual lebt von und in seinen Handlungen und Symbolen, und diese wiederum lassen sich nicht so einfach ihrem Sinn entreißen und kaum vollständig in Sprache verpacken“ (Holz & Zahn, 1995, S.9).

4.1. Ritual

Der Begriff `ritus´ wurde im 17. Jahrhundert aus dem Lateinischen übernommen und bezeichnete damals feierliche, religiöse Bräuche. Heute findet der von diesem abgeleitete Begriff `Ritual´ darüber hinausgehend im Zusammenhang mit festlichen und formellen Anlässen Verwendung (Holz & Zahn, 1995). Rituale stellen Basishandlungen dar. Werden mehrere Rituale über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführt, so definieren sie Zeremonien. Zyklen von Zeremonien bilden wiederum einen Kult (van Quekelberghe, 2005). Für Goodman (2003) besteht die „ausdrückliche Aufgabe…[von Ritualen darin], die Verbindung zur anderen Wirklichkeit herzustellen“ (S.27). Insofern bilden Rituale einen Rahmen für Tranceerlebnisse.

Nach Krieger und Belliger (1998) ist eines der auffälligsten Merkmale der Ritualforschung „die Vielfalt der Ansätze und Perspektiven“ (S.9), mit welcher menschliche Handlungen als Rituale bezeichnet werden. Im Gegensatz zu den erwähnten Ausführungen von Goodman (2003) dient sowohl Alltägliches wie Nicht-Alltägliches gleichermaßen als Ritual. Zu betonen ist, dass Goodman alltägliche Rituale durchaus nicht ablehnt. Doch führen diese ihrer Ansicht nach nicht in andere Wirklichkeiten. Da im Zentrum der vorliegenden Arbeit fest umrissene Trancerituale stehen, die außerhalb des alltäglichen Lebens in einem eigens für diese geschaffenen „Schonraum“ (van Quekelberghe, 1996, S.19) stattfinden, bleibt eine Auseinandersetzung mit alltäglichen Ritualen den folgenden Ausführungen außen vor.

4.1.1. Mythos

Das tiefste und erhabendste Gefühl, dessen wir fähig sind,

ist das Erlebnis des Mystischen.

Aus ihm allein kommt wahre Wissenschaft.

(Albert Einstein)

Mythen bieten Erklärungsmodelle im Sinne einer kognitiven Matrix zur Beantwortung grundlegender Lebensfragen. In Anlehnung an das Sprachparadigma der generativen Grammatik von Chomsky (1974) beschreiben Holz und Zahn (1995) die abstrakte Themen wie z.B. Krise, Heilung, Übergang, etc. als die Tiefenstruktur des Rituals. Ihre Oberflächenstruktur offenbart dagegen stärker strukturierte Inhalte wie z.B. Initiation, Konfirmation, Hochzeit, etc. . Mythen beschreiben somit das, was hinter dem Ritual steht. Das Ritual belebt diesen Mythos: Vergangenes wird gegenwärtig, greifbar, nachvollziehbar und somit auch veränderbar.

Anliegen, Fragestellungen oder Botschaften, im Mythos begründet (Holz & Zahn, 1995), können sowohl allgemeine Fragen bezüglich der Welt und ihrer Ordnung betreffen, sie können aber auch als Fragen an die eigene Person formuliert werden. Ebenso werden Anliegen für außerhalb des Rituals stehende Personen gleichermaßen handlungsleitend. Egal vor welchem Hintergrund, Rituale intendieren „einen Augenblick herausragender Intensität, um diesem Ereignis Bedeutung und vielleicht auch Dauer zu verleihen“ (Stender, 1994, S.34).

So wie sich Mythen verändern, so verändert sich mit ihnen das menschliche Verhalten und in ihrer Folge die Rituale. Von daher können Untersuchungen ritueller Wirklichkeiten auch der Psychologie zu einem erweiterten Verständnis menschlichen Handelns, Denkens und Fühlens verhelfen.

4.1.2. Formalia, Symbole und Performanz

Zur Frage der Definition, was ein Ritual ist bzw. nicht ist, gibt es scheinbar ebenso viele Vorschläge wie Wissenschaftler, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben. Platvoet (1998) schlägt als „eine provisorische operationelle `Ritual´-Definition“ (S.173) folgende vor:

Ein Ritual ist eine Reihenfolge stilisierten sozialen Verhaltens, das von normaler Interaktion durch seine besonderen Fähigkeiten unterschieden werden kann, die es ermöglichen, die Aufmerksamkeit seiner Zuschauer – seiner Gemeinde wie auch eines breiteren Publikums – auf sich zu ziehen, und welche die Zuschauer dazu bringt, das Ritual als ein besonderes Ereignis, das an einem besonderen Ort und/oder zu einer besonderen Zeit, zu einem besonderen Anlass und/oder mit einer besonderen Botschaft ausgeführt wird, wahrzunehmen. Dies wird dadurch erreicht, dass das Ritual geeignete, kulturell spezifische, übereinstimmende Konstellationen von Kernsymbolen benutzt. Das Ritual führt mehrere redundante Transformationen dieser Symbole durch. Dies geschieht mittels multimedialer Performance, die eine reibungslose Übertragung einer Vielzahl von Botschaften – einige offen, die meisten aber implizit – die meisten latent, manchmal aber auch offenkundig – von jenen erreicht, die das Ritual aufführen. Diese Ziele beziehen sich im Fall vereinheitlichter Gemeinden auf die Teilnehmer ad intra und im Fall pluralistischer Situationen auch auf Teilnehmer ad extra. (Platvoet, 1998, S.187)

Wesentlich kürzer äußern sich Holz und Zahn (1995). Sie definieren Rituale als „formalisierte, symbolische Handlungen, die für die Teilnehmenden eine subjektive und eine kulturelle Bedeutung haben“ (Holz & Zahn, 1995, S.10). Formalia beschreiben den Grad der Offenheit versus Geschlossenheit von Ritual(handlungen). Je geschlossener ein Ritual ist, desto weniger Freiheit bietet es für Improvisationen. Symbole dienen der „Erfassung der tiefsten Wirklichkeit“ (Holz & Zahn, 1995, S.43). Sie besitzen Ausdruckscharakter, weil sie es ermöglichen, mitzuteilen, was nach Eliade (1975) und Jung (in Jung-Merker & Rüf, 2001) eigentlich noch gar nicht mitteilbar ist. Insofern charakterisieren sie eine vorsprachliche Stufe. Gleichzeitig besitzen Symbole sozusagen einen Eindruckscharakter, indem sie im Ausdruck ihrer selbst auf die Person zurückwirken. Für Jung bildet die Arbeit mit Symbolen die Grundlage jeder psychischen und körperlichen Gesundheit und damit jedes Individuationsprozesses (Holz & Zahn, 1995). Es gilt also: Rituale sind gesund. Diese Feststellung kann als eine notwendige Schlussfolgerung angesehen werden, wenn schon Goodman (in Nauwald, 2002) betont: „Trance ist gesund“ (S.51) – und Tranceerfahrungen sich in traditionellen Kontexten an Rituale binden.

Ein wesentlicher Aspekt, den Holz und Zahn (1995) in ihrer Ritualdefinition zunächst außer Acht lassen, zeigt sich mit dem Begriff der `Performanz´. Krieger und Belliger (1998) beschreiben ihn als den „gemeinsamen Nenner“ (S.9) der von ihnen herausgegebenen vielfältigen Beiträge über Ritualtheorien. Auch „scheint [er] den Begriff des Rituals oft sogar zu ersetzen“. Nach Gaenszle (2000, S.42) besteht das Ritual nicht in erster Linie aus formalisierten Aspekten im Sinne der korrekten Ritualausführung. Wesentliche Bedeutung liegt in der Frage nach dem, was auf welche Art und Weise wie gesagt oder getan wird. Die Performanz trägt wesentliche Verantwortung für die Wirksamkeit des Rituals. Erst durch sie wird ritualisiertes zu rituellem Verhalten. Einem wesentlichen Einfluss kommt in diesem Zusammenhang der subjektiven Erwartungshaltung der Teilnehmer an das Ritual zu. Rituale wirken nicht per se. Sie entfalten sich erst bei innerer emotionaler Beteiligung der Ritualteilnehmer (van der Hart, 1983, in Holz & Zahn, 1995, S.36). Da im traditionellen Kontext mehrere Personen an einem Ritual teilnehmen, „entsteht immer auch die Möglichkeit, dass das Ritual scheitert“ (Gaenszle, 2000, S.41).

Abschließend sei auf die Wiederholbarkeit von Ritualen hingewiesen. Sie führt im positiven Sinne zu verstehenden rituellen Automatisierungen, und „erlauben mir, ohne nachzudenken etwas zu tun, was ich eigentlich will“ (Stender, 1994, S.34).

4.2. Set und Setting

Gerade in der Arbeit mit sogenannten aufdeckenden Methoden wie z.B. Trancezuständen, stellt sich immer wieder die Frage nach den Voraussetzungen, welche erfüllt sein müssen, um positive Erlebnisse zu ermöglichen. Ein gewisses Strukturniveau der Persönlichkeit im Innen sowie eine Sicherheit und Halt gebende physische Umgebung im Außen sind sicherlich nur zwei der vielfältig zu beachtenden Aspekte.

Im Folgenden sei daher näher auf Aspekte des Sets und des Settings eingegangen. Timothy Leary, Harvard Professor für transexistentielle Psychologie, prägte als erster diese beiden Begriffe. Auch wenn Leary sich für die Erforschung von Drogenerfahrungen interessierte, so lassen sich beide Begriffe auch auf alle anderen Arten menschlicher Erfahrung übertragen.

4.2.1. Set

Das Set beschreibt den Einfluss der Gesamtheit einer Persönlichkeit auf ihre Erfahrungen. Sowohl der geistige, körperliche und seelische Zustand eines Menschen als auch sein sozio-kultureller Hintergrund und ebenso sein (religiöses) Glaubenssystem sind in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen. „Intelligenz, Einfühlungsvermögen, emotionale Grundstimmung, Grundhaltungen, Charaktereigenschaften im weitesten Sinne, Veranlagung für psychische Erkrankungen (die nicht immer sichtbar sein muss) und körperliche Fitness sind nur einige Faktoren, die Einfluss auf das Set haben“ (van Treeck, 2000, S.361). Die zitierten Aspekte des Set möchte ich an dieser Stelle vor dem thematischen Hintergrund der vorliegenden Arbeit um Prozesse der Aufmerksamkeit, Suggestibilität, Dissoziation, gesellschaftlich adäquate Kausalattribuierungen, Hintergrundwissen, sowie der individuellen Erwartungshaltung und nicht zuletzt um das Verhältnis von z.B. Ritualteilnehmer und -leiterin erweitern. Da diese Aspekte in den Ausführungen über Aufmerksamkeit und Vigilanz im Zusammenhang mit den Topographien veränderter Wachbewusstseinszustände (Kapitel 1.2.2.3) sowie bezüglich der Determinaten von Trance (Kapitel 3) besprochen werden, sei an dieser Stelle auf eine erneute Betrachtung verzichtet.

So wie das Set, im ursprünglichen Sinne seiner Begriffentstehung, als das Rauscherlebnis beeinflussend definiert wurde, so beeinflusst es gleichermaßen das Erleben von Trancereisen in andere Wirklichkeiten. Es kann davon ausgegangen werden, dass Personen mit z.B. schlechter seelischer Verfassung und bzw. oder einer nur mäßig ausgeprägten Ich-Struktur auch in Bezug auf Tranceerfahrungen dazu tendieren, dieses, für solche Erfahrungen ungünstige Set, noch zu verstärken. Ein gewisses Maß an Reflexionsfähigkeit hinsichtlich des persönliche Befindens, bevor sich auf Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände eingelassen wird, sollte daher als Notwendigkeit betrachtet werden. Doch gerade während seelischer Notlagen stellen sich Prozesse der Selbstreflexion als in hohem Maße erschwert dar. Wie sich im nächsten Kapitel über Fragen der Adaption zeigt, sprechen Rituale und mit diesen an veränderte Wachbewusstseinszustände verbundene Erwartungen gerade Personen in derartigen Lebensumständen besonders an (Kapitel 5.2.2.2).

4.2.2. Setting

Das Setting beschreibt die physische Umgebung (van Treeck, 2000), den situativen Kontext, in welchem Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände gemacht werden. Unter diesen Begriff fällt auch die Gestaltung des Ritualraumes. Zur Unterstützung und Verdeutlichung des Heraustretens aus der profanen Welt (Holz & Zahn, 1995) finden Rituale in einem eigens für sie geschaffenen „Schonraum“ (van Quekelberghe, 1996, S.19) statt. Im Alltag nicht äußerbare Handlungen, vor allem aber Emotionen, können in diesem Ausdruck finden. Obwohl dem Setting für das Gelingen eines Rituals weniger grundlegende Bedeutung zukommt als dem Set, darf sein Einfluss auf Erfahrungen veränderter Wachbewusstseinszustände nicht überschätzt werden. Als wesentlichere Determinanten des Tranceerlebnisses und der mit diesem verbundenen Potentialen und Risiken gelten, im Zusammenhang der Erforschung von durch pharmakologische Stimuli ausgelösten Bewusstseinzuständen, die Art der Droge, die Dosis und das Set (van Treeck, 2000). Übertragen auf durch ausschließlich psychologische Stimuli ausgelöste Tranceerfahrungen, wie z.B. solche während Ritueller Körperhaltungen, ließe sich als Droge die Körperhaltung in Kombination mit der auditiven Stimulierung bezeichnen. Die Dosis wäre in diesem Zusammenhang das Maß der Anstrengung, mit welcher die vorgegebene Körperposition eingenommen wird.

4.2.3. Einfügung: Zeit

Zeitliche Aspekte betreffen sowohl Fragen des Sets als auch des Settings. Daher seien sie an dieser Stelle den vorherigenen Ausführungen übergreifend betrachtet. Bezüglich zeitlicher Dimensionen im Ritual ist zwischen einer äußeren und einer inneren Struktur zu unterscheiden. Aspekte der inneren Zeitstruktur, im Sinne eines veränderten Zeitgefühls, thematisiert das Kapitel über die Kategorien (Ludwig, 1966) und ätiologie-unabhängigen Dimensionen (Dittrich, 1985, 1996; Dittrich et al., 2002) veränderter Wachbewusstseinszustände (vgl. Kapitel 1.3.1). Die äußere Zeitstruktur definiert den Zeitpunkt, wann das Ritual stattfindet. Sowohl jahreskalendarische, z.B. dass das Pfingstfest immer 40 Tage nach Ostern stattfindet, als auch tages- bzw. nachtzeitliche Bedingungen, z.B. dass Einschlaf-Rituale meistens abends realisiert werden, spielen eine Rolle (Holz & Zahn, 1995). In diesen Bereich fällt auch die Frage, wie das Ritual in sich aufgebaut ist, welche Handlungen wann auf welche anderen Handlungen folgen.

5. Umgang mit Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände

„Das goldene Licht,

das am frühen Morgen

durch mein Schlafzimmerfenster strömte,

war das gleiche wie immer,

auch die Pferde auf dem Viehmarkt jenseits der Straße

rochen wie zuvor.

Nur ich hatte mich geändert“

(Goodman, 1993, S.16)

Nur das Erleben eines veränderten Wachbewusstseinszustandes isoliert zu erfragen ermöglicht noch keine Aussage bezüglich des Umgangs mit demselben. Ebenso wenig beantwortet es die Frage, ob die betreffende Person über das reine Erleben hinaus auch etwas erfahren hat. Diese Frage wird jedoch wichtig, wenn davon ausgegangen werden kann, dass jede Erfahrung, die ein Mensch macht, in welcher Weise auch immer, Einfluss auf sein Leben hat. Watzlawik und Weakland (1980) beschreiben, dass der Mensch nicht nicht kommunizieren könne. Im übertragenen Sinne ist davon auszugehen, dass ein Mensch, der etwas in Erfahrung gebracht hat, sein Denken, Fühlen und Handeln nicht nicht mit dieser Erfahrung in Bezug setzen kann.

Die folgenden Ausführungen gehen zunächst auf eine Abgrenzung der Begriffe des `Erlebnisses´ und der `Erfahrung´ ein (Kapitel 5.1). Es schließen sich Betrachtungen zur Integration von Erfahrungen veränderter Wachbewusstseinszustände an (Kapitel 5.2), die im Besonderen durch die Berücksichtigung individueller und soziokultureller Determinanten ergänzt werden (Kapitel 5.3).

5.1. Erlebnis versus Erfahrung

Die Begriffe `Erlebnis´ und `Erfahrung´ werden im alltäglichen Sprachgebrauch nahezu synonym behandelt. Dahinter verstecken sich jedoch grundlegend unterschiedliche Bedeutungen. Sowohl inhaltlich als auch bezüglich der Frage des Umgangs mit Erlebnissen bzw. Erfahrungen veränderter Wachbewusstseinszustände implizieren und verweisen sie auf verschiedene Stufen der Wahrnehmung und Einbindung in die individuelle Lebensgeschichte.

5.1.1. Erlebnis

Erlebnisse definieren das „Gewahrwerden von inneren und äußeren Zuständen“ (Faktum-Lexikoninstitut, 1995, S.91), bezeichnen „das Erlebte selbst“ (Häcker & Stapf, 2004, S.266). So hat Schweitzer (2003) sicherlich Recht, wenn er feststellt, dass alle Menschen nicht nur zu Erlebnissen fähig sind, sondern diese auch haben. Erlebnisse können in Abhängigkeit vom Set der Person sehr umfassend sein oder sich ausschließlich auf einige bzw. ein ausgewähltes Wahrnehmungsfeld beschränken. Sie können „präsent“ (Häcker & Stapf, 2004, S.266) sein im Sinne eines Sinneseindrucks von schon Anwesendem. Oder sie können „repräsent“ (ebd.) sein. In diesem Fall beschreibt das Erleben etwas von der Person sich Vergegenwärtigtes. Eine aktive Erlebnisweise zeichnet sich durch bewusste Ausrichtung und Auswahl erlebter Inhalte aus (Häcker & Stapf, 2004). Passives Erleben kann als `die Dinge auftauchen lassen´ beschrieben werden. Welcher Art die Erlebnisse auch sein mögen, sie lassen sich nur in Selbstbeobachtung bzw. introspektiv analysieren (Faktum-Lexikoninstitut, 1995, S.91).

5.1.2. Erfahrung

Erfahrungen stellen Verarbeitungen und Einbindungen von Erlebnissen in den individuellen Lebenskontext (Schweitzer, 2003) dar. Insofern sind Erfahrungen gedeutete Erlebnisse. Der Deutungsprozess kann reflexiv verlaufen und das Erlebte in Bezug auf die Passung bzw. Nicht-Passung bezüglich der individuellen Lebenslage hin überprüfen. Erlebnisse können jedoch auch unhinterfragt, im Sinne eines „passiven Hinnehmens“ (Faktum-Lexikoninstitut, 1995, S.90) übernommen werden.

Deuten heißt reflektieren, heißt sich zurückbeugen auf Inhalte des Bewusstseins und das muss nach Schweitzer (2003) erst einmal gelernt werden. Viel zu oft werden ausschließlich Grenzerfahrungen im Sinne einer Ausnahmeerfahrung mit Bedeutung belegt. Weniger intensive Erfahrungen, ob nun inner- oder außerhalb des Alltags sei dahingestellt, finden kaum Berücksichtigung. Es zählen die Ausnahmebiographien. Normalbiographien werden zunehmend bedeutungslos. Wer aber nicht gelernt hat, das, was ihm widerfährt zu reflektieren, hat auch nicht gelernt zwischen produktiven und destruktiven Grenzerfahrungen zu unterscheiden. Nicht die Grenzerfahrung an sich ist also zu pathologisieren: Entscheidende Rolle kommt dem Umgang mit derselben zu.

5.2. Integration

Der Begriff „Integration [lat. integer unversehrt, ganz]“ (Häcker & Stapf, 2004, S.446) beschreibt die (Wieder-)Herstellung eines Ganzen, einer Einheit, durch Einbeziehung außen stehender Elemente und Vervollständigung. Er meint auch das „einheitliche Zusammenwirken mit gegenseitiger Durchdringung der verschiedenen ps[ychologischen] Prozesse“ (ebd.). Ziel ist, auf die Anforderungen des Lebens effektiv einzugehen und zu reagieren, sie entsprechend den aktuell gegebenen Bedingungen interpretieren zu können. Interpretieren bedeutet, Erklärungen zu finden, sich einem Gegenstand oder Sachverhalt anzunähern, ihn zu ordnen und zu strukturieren, kommunizierbar zu machen. Es werden bewusste Prozesse angesprochen, die jedoch in ihrer Annäherung an die betreffende Erscheinung immer nur vorläufig, daher ergänz- bzw. ersetzbar sind. Doch gerade diese bewussten Annäherungsprozesse stellen die Vorbedingung für Integrationsprozesse dar (R. Fischer, 1989, 1998). `What does it all mean?´ ist die hinter diesem Begriff stehende und ihn bestimmende Frage. Diese Frage kann nur durch differenzierendes Erkennen beantwortet werden.

5.2.1. Autotelische Erlebnisse und reflektierter Umgang

Wie können Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände nun reflektiert werden? Differenzierendes Erkennen im Zusammenhang mit veränderten Bewusstseinszuständen fällt nicht leicht. Diesbezügliche Schwierigkeiten liegen darin begründet, dass Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände autotelische Erlebnisse darstellen. Dieser Begriff setzt sich aus den griechischen Wörtern `auto´ (= selbst) und `telos´ (= Ziel) zusammen und besagt, dass das Ziel einer Handlung ihrer Ausübung implizit ist: Das Aufgehen in einer Tätigkeit durch vollkommene Involviertheit (Csikszentmihalyi, 1996, 2000). Autotelische Erlebnisse sind im Sinne von Guttmann (1992) als bewusst-los zu bezeichnen, da Selbstreflexionsprozesse per definitionem verhindern, sich der Tätigkeit vollkommen hingeben zu können. Sich z.B. während eines Seelenfluges als Adler, durch die Lüfte hinauf in die unendlichen Weiten des Weltraumes fliegend zu fragen, wie viele Flügelschläge pro Minute mit welchem Kraftaufwand unter Berücksichtigung des Gradwinkels des einfallenden Luftstromes notwendig sind, um mit maximaler Geschwindigkeit dem Ziel näher zu kommen, dürfte der völligen Absorption des Bewusstseins im Tätigkeitsvollzug des Fliegens eher hinderlich sein.

Im Umgang mit dieser Erfahrung kommt der Fähigkeit zur Selbstreflexion jedoch vor allem dann große Bedeutung zu, wenn die gemachte Erfahrung auch im Alltag Relevanz erhalten soll. So kann das Gefühl des Fliegens, als Erinnerung an die verspürte Leichtigkeit in der Tätigkeit selber, den Umgang z.B. mit beruflichen Anforderungen erleichtern. Ein derartiges Beispiel berichtet Pargament (1997). Es ist in der vorliegenden Ausarbeitung in den Ausführungen zum Thema der Adaption und Trance (Kapitel 5.2.2.1) dargestellt. Sich immer wieder daran zu erinnern, wie leicht es doch ist, zu fliegen, und dieses Gefühl nun auf die berufliche Tätigkeit zu übertragen, kann zielgerichtet und planmäßig eingeübt und eingesetzt werden. Die Gefahr besteht darin, sich in der Erinnerung des Fliegens zu verlieren, vom Alltag abzudriften und im Extremfall sogar handlungsunfähig zu werden. Selbstreflexionsprozesse können in diesem Fall dazu beitragen, sich zwar auf die Erinnerung einzulassen, jedoch zwischen der diese Erfahrung generierenden und der aktuell gegebenen Situation beruflicher Anforderungen zu differenzieren. Ziel ist es zu erkennen, dass ein sich in der Erinnerung verlieren der Erfüllung der momentanen Ansprüche der äußeren Welt entgegen seht.

Insofern besteht ein grundlegender Unterschied zwischen autotelischen Erlebnisse an sich und ihrer Integration in die individuelle Lebenswelt. Hierauf soll im Kapitel 5.3.3. zum Thema der Individuation genauer eingegangen werden.

5.2.2. Adaption: Assimilation und Akkomodation

Ob Erlebnisse zu Erfahrungen werden und in welcher Art und Weise Erfahrungen wiederum Einfluss auf das Leben eines Menschen haben, das hängt von dem Zusammenspiel einer Persönlichkeit mit den sie umgebenden kosmo-bio-psycho-sozialen Umweltanforderungen ab (van Quekelberghe, 1996). Als in diesem Sinne wichtige Vermittlungsprozesse beschreibt Piaget (in Shaffer, 2002) die Begriffe der Adaption, Äquilibration, Assimilation und Akkomodation.

Im Sinne der von Piaget formulierten genetischen Epistemologie definiert die Äquilibration ein Gleichgewicht zwischen der inneren Repräsentation, die eine Person bezüglich der Welt aufgebaut hat, und ihrer im Äußeren gegebenen Realität. Die Verwirklichung dieses Zustandes ist Ziel eines jeden Organismus. Um dieses Ziel zu erreichen setzt bei gegebenem Anlass der Prozess der Reäquilibration ein. Er definiert einen Vorgang des kognitiven Lernens im Zuge der Auseinandersetzung mit den Anforderungen der jeweils aktuellen Situation. Neue Erlebnisse, wie z.B. veränderte Bewusstseinszustände, können den Zustand der Äquilibration gefährden. Reäquilibration bedeutet, diese neuen Erlebnisse so zu bearbeiten, dass das Gleichgewicht wieder hergestellt wird. Reäquilibration kann also bedeuten, aus einem Erlebnis eine Erfahrung zu machen. Auf der anderen Seite trifft der Begriff auch dann zu, wenn das Erlebte nicht weiter in den individuellen Lebenskontext eingebunden wird.

Der Mensch passt sich folglich aktiv an seine Umwelt an. Prozesse der kognitiven Adaption werden wiederum durch Assimilation und Akkomodation bestimmt (Sodian, 1998). Die Assimilation verändert Informationen der äußeren Realität so, dass sie mit den bereits bestehenden psychischen Strukturen übereinstimmen. Insofern bleibt auf das Individuum bezogen alles so wie es ist, das erste Bestreben jedes Menschen in neuen Situationen (Pargament, 1997). Erlebtes wird als bekannt erfahren.

Wenn sich jedoch das Repertoire bereits zurückliegender Erfahrungen im Umgang mit der aktuellen Situation als nicht förderlich erweist, führen Prozesse der Akkomodation zur Veränderung der bestehenden kognitiven Strukturen. Nicht die Information wird verändert, sondern die auf sie bezogene bereits vorhandene psychische Struktur. „Die Assimilation bewahrt und erweitert das Bestehende und verbindet so die Gegenwart mit der Vergangenheit, und die Akkomodation entsteht aus Problemen, die die Umwelt stellt, also aus Informationen, die nicht zu dem passen, was man weiß und denkt“ (Zimbardo, 1996, S.463).

Wenn jedoch weder Prozesse der Assimilation noch der Akkomodation in der Lage sind, einen adäquaten Umgang mit dem Erlebten zu ermöglichen, kommt es zur Abwehr, z.B. zur Dissoziation, wie diese im Rahmen der Determinanten der Trance beschrieben wird. Es sei darauf hingewiesen, dass Dissoziation nicht als ausschließlich pathologisch zu verstehen ist. Wesentliches Bestimmungskriterium stellt die Freiwilligkeit des Dissoziationszustandes dar. Es ist daher zu fragen, ob auch freiwillige Abwehrprozesse existieren, die ebenso wenig wie Dissoziationen immer und notwendigerweise als pathologisch einzuordnen sind.

5.2.2.1. Adaption: Trance

Den „`Höhen´-Psychologen“ (Scharfetter, 1995, S.164) der humanistischen und transpersonalen Psychologieschulen folgend, ermöglichen Trancezustände sich mit Fragen des individuellen Lebenssinns und der Selbstfindung auseinander zu setzen. Für die „Tiefenpsychologen“ (Scharfetter, 1995, S.165) verweist sie auf die Hinterfragung von unbewussten Prozessen und fokussiert dabei vor allem auf Kindheitserfahrungen, um diese in ihrer Bewusstwerdung neu zu bewerten. Trance steht also im unmittelbaren Dienste der im vorangegangenen Kapitel erläuterten und im Überblicksmodell der Schichten des Bewusstseins angesprochenen Prozesse der Reäquilibration: Sie steht im Dienste der Adaption und der mit ihr einhergehenden fortwährenden Anpassung individueller Bestrebungen an alltägliche Lebensanforderungen. So berichtet Pargament (1997) von einem Patienten, der große Schwierigkeiten hat, im beruflichen Alltag zurechtzukommen. Erzählt der Patient jedoch von seinen Erlebnissen als Pilot seines Flugzeuges, verschwinden seine beruflichen Sorgen augenblicklich. In den Gedanken an das Erleben des Fliegens erscheint ihm auch alles andere so leicht zu sein, dass er schließlich zu folgender Erkenntnis kommt: „I guess I need to learn how to fly at work, huh?“ (Pargament, 1997, S.105). Wie in den Kapiteln über ergotrope Trancen dargestellt, sind Erlebnisse des Fliegens für Trancereisen in andere Wirklichkeiten charakteristisch. Das Erlebnis, zum Beispiel in Gestalt eines Vogels durch die Lüfte zu fliegen, das Erlebnis des Fliegens und Fließens, und seine Übernahme in alltägliche, z.B. berufliche Situationen, kann diese positiv verändern. Insofern kann Trance als eine Ressource verstanden werden. An dieser Stelle sei jedoch betont, dass der Flug des Schamanen nicht immer nur eine Wohltat ist. Wie im Kapitel über Trancenreisen in andere Wirklichkeiten erwähnt (Kapitel 2.2.1), gibt es für ihn unzählige Gefahren auf seinem Weg durch die „Anderwelten“ (Scharfetter, 1992, S.26).

Eine dieser Gefahren besteht in der Auflösung der Abgrenzung von verändertem und normalem Bewusstseinszustand. Die dem Alltag Halt gebenden Strukturen weichen auf. Eine Rückbindung aus der Trance in einen normalen Wachbewusstseinszustand und die Strukturen der alltäglichen Welt wird erschwert. Bezüglich des Kontinuums außergewöhnlicher Bewusstseinszustände beschreibt R. Fischer (1989, 1998) dies als ein `stecken bleiben´ im veränderten Wachbewusstseinszustand. Auch Symptome der Dissoziation, wie sie weiter oben bereits erwähnt werden (Kapitel 3.3), sind hier einzuordnen. Die betroffene Person verliert sich im Zustand der Trance. In Anbindung an das genannte Beispiel bedeutet dies, dass berufliche Aufgaben z.B. nicht bearbeitet oder gar nicht erst gesehen. Der berufliche Alltag wird folglich nicht erleichtert sondern es zeigen sich negative Auswirkungen der Tranceerfahrungen.

Besondere Bedeutung kommt der innerhalb der Trance ausgebildeten Weltsicht der betroffenen Person zu. Weicht diese zu sehr von der Weltanschauung ihrer sozialen Gruppe im Alltag ab, können so gravierende Probleme entstehen, dass therapeutische Hilfe notwendig wird (Holz und Zahn, 1995). Das Individuum befindet sich in einer Krise (Filipp & Aymanns, 1997). Es sei an dieser Stelle erneut betont, dass nicht die Erfahrung an sich sondern die Verarbeitung derselben bestimmt, ob die gestellten Anforderungen als Herausforderung oder Krise erlebt werden.

5.2.2.2. Adaption: Rituale

Holz und Zahn (1995) beschreiben einen kurvilinearen Zusammenhang zwischen Umweltkomplexität und kognitivem Niveau des Individuums. Eine erfolgreiche Adaption hängt also davon ab, ob die Komplexität der Umweltanforderungen dem kognitiven Entwicklungsniveau des Individuums entspricht. Rituale werden also vor allem dann wichtig, wenn der Mensch von seiner Umgebung über- bzw. unterfordert ist. In vielen Lebenslagen dienen Rituale daher als Anpassungshilfen an die Umwelt. Außerhalb des Alltags stehend, bieten sie vor allem bei Überforderungen einen Raum, in welchem „mit Hilfe einer äußeren Struktur eine innere wieder aufgebaut, gefestigt und bestätigt wird“ (Holz & Zahn, 1995, S.53).

Interessant in diesem Zusammenhang erscheint, dass Rituale selbst für die Teilnehmer oftmals „unangenehme oder angsterzeugende Situationen mit relativer Unfreiheit“ (Boesch, 1980, in Holz & Zahn, 1995, S.59) darstellen. In der Phase der „Auflösung von Konventionen, Verhaltensmustern und sozialen Differenzen erleben Menschen…einen Zustand der Unbestimmtheit…“ (Krieger & Belliger, 1998, S.13). Auch werden die Symbole im Ritual nicht selten als zweideutig wahrgenommen. Die Unsicherheit (Krieger & Belliger, 1998) bzw. die Laminalität (Turner, 1984; Wolf, 2000) als Äquivalent der Antistruktur (Turner, 2000) stellen eines der entscheidenden Ritualmerkmale dar. Insofern spiegeln sie die Realität des Äußeren wieder und sind auf diese Weise in abstrakter Art mit dem Alltag verbunden.

Warum aber begeben sich Menschen, welche nach Sicherheit suchen, in unsichere Situationen? Warum begeben sie sich in einen „Prozess des Bruchs, der Krise“ (Krieger & Belliger, 1998, S.13)? Wohl nur weil sich am Ende des Rituals die Widersprüche wieder auflösen. Gleichzeitig beinhaltet der Zustand der „Unbestimmtheit“ (Krieger & Belliger, 1998, S.13) auch immer eine gewisse „Potentialität“ (ebd.). Er gibt „Raum, eigene Fähigkeiten zu entwickeln“ (Hüsten, Gruber & Winkler, 2000, S.12). So werden „Transformation, Versöhnung und Verschmelzung“ (Krieger & Belliger, 1998, S.13) möglich. Es wird wieder Sicherheit – nun aber in einer neuen Ordnung der Dinge – geschaffen. Im Sinne des Schemas der Struktur–Anti-Struktur–Stuktur von Turner (2000) kommt es zu einer Lösung und Reintegration. Letzten Endes tragen Struktur, Ordnung und Kontinuität zum Verständnis der Basiskomponenten des Rituals bei, machen seine Abläufe transparent und somit vorhersehbar. Die Situation stellt sich als bewältigbar dar (Holz & Zahn, 1995). Die Übernahme des im Ritual Erlebten in den Alltag kann dazu führen, dass auch dieser als leichter zu bewältigen eingeschätzt wird (Hüsten, Gruber & Winkler, 2000). Stellt sich nun nur die Frage, wie diese Integration zu verwirklichen ist.

5.3. Dimensionen der Integration: individuelle und soziokulturelle Determinanten

Integrationsprozesse betreffen alle Ebenen des menschlichen Lebens: biologische, wirtschaftliche, politische, kulturelle sowie psychische Dimensionen. Da der vorliegenden Ausarbeitung in erster Linie eine psychologische Fragestellung zugrunde liegt, sei im Folgenden diese fokussiert.

Im Zusammenhang mit Fragen der Integration kommt Prozessen der (Selbst-)Reflexion grundlegende Bedeutung zu: „…the integration of the mature personality is likened to process of increasing unification through self-realization“ (Ruffing-Rahal, 1991, S.11). Die Bedeutung der Selbstreflexivität zeigt sich im Integration Inventory (Ruffing-Rahal, 1991) anhand der hohen Anzahl diesbezüglicher Subskalen: Selbsteflektiertes Glück („self-related happiness“) (Ruffing-Rahal, 1991, S.19 [Übersetzung der Verfasserin]), selbstreflektierte Gesundheit, selbstreflektierte Lebenszufriedenheit und selbstreflektierter Vergleich mit anderen.

Bei aller Selbstreflexion ist dabei grundlegend zu unterscheiden zwischen einer auf das Individuum an sich bezogenen Integration, welche die einzelnen psychischen Prozesse innerhalb der Gesamtpersönlichkeit betrifft, und einer die Eingebundenheit des Individuums in eine soziale Gruppe betreffenden Integration, also ihre Auseinandersetzung mit den an sie von außen gestellten Anforderungen (Schachinger, 2002). Immer geht es um Beziehungen: die Beziehung des Individuums zu sich im Sinne des eigenen Selbstbildes und zu den anderen im Sinne des Fremdbildes. Nicht vernachlässigt werden darf das vermutete Selbstbild, Gedanken darüber, was nach Ansicht des Indivdiuums das soziale Umfeld z.B. über eine Veränderung des persönlichen Verhaltens denken würde (A. Thomas, 2001). Fragen an die Güte der Gesamtheit sozialer Beziehungen finden sich auf familärer, sozialer und beruflicher Ebene wieder.

5.3.1. Weltbild

Eine Integration von Erlebnissen veränderter Wachbewusstseinszustände kann nur dort stattfinden, wo ein passendes Interpretationsmodell Orientierungshilfe leistet. Dieses Interpretationsmodell offenbart sich im individuellen Weltbild einer Person. Ziel von Integrationsprozessen ist es, jeder Erfahrung den ihr gebührenden Platz in der Gesamtheit des individuellen Weltbildes zuzuordnen (Galuska, 2003a, 2003b, 2005). Dabei bereitet die Kultur als soziales Bedingungsgefüge das Fundament der subjektiv als sinnvoll angesehenen Verhaltensmöglicheiten (Pargament, 1997). Als Beispiel seien die von Igreja, Riedesser und Walter (2003) beschriebenen Trancezustände junger Frauen, ehemalige Kindersoldatinnen, in Zentral-Mosambik genannt. Sie zeigten Verhaltensweisen wie lautes Schreien, zu Boden fallen, die Augen verdrehen, etc. . Derartige, in der westlichen Kultur als posttraumatische Belastungsstörung pathologisierte Verhaltensweisen, werden von den Frauen in Zentral-Mosambik ganz und gar nicht mit traumatischen Ursachen in Verbindung gebracht. Sie gelten als Folge des im Krieg verletzten Tabus, Menschen zu töten. Nun irren die Seelen der Verstorbenen solange umher, bis ihre Mörder sie in ritualisierter Form um Verzeihung bitten. Erst dann lassen sie davon ab, sich an den nachfolgenden Generationen zu rächen.

In Beobachtungen zum Umgang mit außergewöhnlichen Grenz- und Extremerfahrungen hat sich gezeigt, dass darüber hinaus der Grad der Offenheit des individuellen Weltbildes für Erlebnisse der „Anderwelt“ (Scharfetter, 1992, S.26) entscheidenden Einfluss darauf hat, ob das Erlebte als existentielle Bedrohung wahrgenommen wird (von Lucadou, 2003b). Im Falle veränderter Bewusstseinszustände, wie z.B. schamanischer Trancen, erschwert sich eine Einbindung des Erlebten in alltägliche Strukturen, wenn unterschiedliche Weltbilder dem Wahrgenommenen zugrunde liegen.

5.3.2. Extreme der Interpretation: Grenz- und Gewohnheitserfahrungen

Grundlegend für jede Beschäftigung mit Themen wie Grenzerfahrungen ist ihre Abgrenzung zu alltäglichen Erfahrungen. Wieso bringt das Erlebnis der Grenzauflösung, z.B. das Verlassen des eigenen Körpers, eine Person an die Grenzen ihrer Belastbarkeit, während sie bei einer anderen Person lediglich ein entspanntes Lächeln auslöst? Erlebt nur die erste Person eine Grenzerfahrung? Ungewöhnliche Ereignisse, die keinen negativen Stress verursachen, würden dann nicht als Grenzerfahrungen bezeichnet werden. Um Antworten auf diese Fragen geben zu können, sei im Folgenden eine vertiefende Auseinandersetzung sowohl zum Begriff der `Grenzerfahrungen´ als auch der `Gewohnheitserfahrungen´ ermöglicht.

5.3.2.1. Gewohnheitserfahrungen

In der Literatur wird häufig der Begriff `Alltagserfahrungen´ für Begebenheiten verwendet, mit deren Umgang eine Person sehr vertraut ist, auf die sie in angemessener Weise zu reagieren weiß und die sie in der Lage ist, effektiv zu bewältigen. Aufgrund der Kongruenz situativer Anforderungen und individueller Gedächtniseinträge steht einer Aneinanderreihung automatischer Handlungen ohne vertiefende Reflexion scheinbar nichts entgegen (Tisdale, 1998). Im Sinne kognitionspsychologischer Überlegungen binden Gewohnheitshandlungen als weitestgehend habitualisiert folglich nur in verschwindend geringem Maße Aufmerksamkeit. Sie zeichnen sich durch Routine auch im Umgang mit Problemen aus (Olbrich, 1995). Ist nun eine Person sehr geübt darin, zwischen ihrem menschlichen Körper und dem Körper eines Tieres hin und her zu wechseln, so kann dies durchaus sehr vertraut und habitualisert sein. Insofern ist der Begriff `Alltagserfahrungen´– auch über den Rahmen der vorliegenden Ausarbeitung hinaus – als zumindest sehr missverständlich wenn nicht sogar als unzutreffend einzuordnen.

Nun ist das Beispiel der ehemaligen Kindersoldatinnen in Zentral-Mosambik (vgl. Kapitel 5.3.1) sehr extrem gewählt. In unserer westlichen Kultur gehören Erfahrungen persönlicher Konflikte, Auseinandersetzungen in Familie und Beruf und Fragen finanziellen Hintergrundes zu den häufigeren Situationen. Ebenso stellen Themen, die sich um Geburt, Krankheit und Tod drehen, wenn auch kritische Lebensphasen, so doch reguläre Prozesse und Übergänge im menschlichen Leben dar (Pargament, 1997). Sie implizieren jedoch noch lange nicht, dass die betroffenen Personen im Augenblick der Konfrontation mit einer der beschriebenen Situationen automatisch und effektiv wissen, wie mit diesen umzugehen ist. Von daher sei im Folgenden der Begriff der `Alltagserfahrungen´, welchen Wagner (1994) in seiner Vielfalt und Komplexität vertiefend diskutiert, durch den Begriff der `gewohnten Erfahrungen´ ersetzt. Sie bilden die „Gewohnheitswirklichkeit“ (Rittner, persönliche Mitteilung, 2004). „Diese [gewöhnlichen] Situationen [welcher Art sie auch immer sein mögen] sind uns in ihren Grundzügen und von ihren Anforderungen her bekannt und kehren – mit leichten Veränderungen – immer wieder“ (Tisdale, 1998, S.13). Und manchmal sind es genau diese kleinen Veränderungen, die aus einer gewohnten Erfahrung eine Erfahrung machen, die einer Person die Grenzen ihrer Belastbarkeit aufzeigt.

5.3.2.2. Grenz- und Extremerfahrungen

Grenz- und Extremerfahrungen zeigen sich im interdisziplinären Dialog (Klosinski, 2003) durch zwei definitorische Herangehensweisen (von Lucadou, 2003a, 2003b). Einerseits beschreiben sie ungewohnte Erfahrungen, hervorgerufen durch die ungewohnte Intensität des konfrontierenden Reizes. Auf der anderen Seite definieren sie außergewöhnliche, auf der Basis des heute gültigen Wissenschaftsstandes nicht erklärbare Erfahrungen. Aufgrund der in der Literatur vielfältigen Undifferenziertheit im Umgang mit beiden Begrifflichkeiten, seien diese in einer zusammenfassenden Abgrenzung explizit einander gegenüber gestellt.

Ungewohnte Grenzerfahrungen. Ungewohnte Grenzerfahrungen werden über die Intensität eines bestimmten Reizes, mit dem eine Person konfrontiert wird, definiert. In seiner Intensität droht dieser Reiz eine subjektiv als kritisch wahrgenommene Grenze zu übersteigen (von Lucadou, 2003a, 2003b). Hat nun eine Person schon einmal zwischen ihrem menschlichen Körper und dem Körper eines Tieres hin und her gewechselt, ist ihr diese Erfahrung also mehr oder weniger vertraut, und ist diese Verwandlung für den Betroffenen mit extrem gesteigerten Emotionen verbunden, die ohm zwar grundlegend bekannt sind, jedoch über ihr gewohntes Maß hinausgehen, so ist von einer Extremerfahrung im Sinne einer ungewohnten Grenzerfahrung zu sprechen. Als autotelisches Erlebnis (Csikszentmihalyi, 1996, 2000) implizieren derartige Erfahrungen z.B. positive Sinneswahrnehmungen wie das Erleben unbändiger Freude. Sie werden als Flow-Erlebnisse und im Rahmen des Sensation-Seeking-Konzepts vielfach erforscht (Csikszentmihalyi, 1996, 2000; Rheinberg, 1996). Auch Tranceerlebnisse während Meditationen können hier eingeordnet werden (Tisdale, 1998). Nicht immer müssen derartige Erfahrungen jedoch positiv sein. Als Synonym einer extrem negativ wahrgenommenen, ungewohnten Grenzerfahrung gilt das Trauma. Insofern implizieren Grenz- und Extremerfahrungen immer zwei Seiten der Medaille: Sie können sich in ihrer Unmittelbarkeit als der Sinn des Lebens offenbaren, sie können ihn jedoch auch unmittelbar in Frage stellen.

Außergewöhnliche Grenzerfahrungen. Den zweiten Ansatz zur Definition von Grenzerfahrungen prägte die Parapsychologie. Die Bezeichnung `para´, „[gr. para neben, bei, über hinaus, abwegig]“ (Häcker & Stapf, 2004, S.684) verweist auf Phänomene, die sich nach dem heutigen Stand der Wissenschaften nicht erklären lassen. Im Unterschied zu den im vorangegangenen Kapitel beschriebenen ungewohnten Grenzerfahrungen handelt es sich hier also nicht um Reizkonfrontationen, die zwar extrem, jedoch ihrer grundlegenden Struktur nach nicht bekannt sind. Es handelt sich um Erfahrungen, für die es einfach keine Erklärung gibt (z.B. Spuk, Bewegung von Gegenständen, Klopfgeräusche). „Sie treten zwar im Verlauf einer sehr intensiven Selbsterfahrung auf, doch lassen sie sich nicht einfach als intrapsychische Phänomene interpretieren. Sie scheinen vielmehr direkt von Informationsquellen gespeist zu werden, die eindeutig außerhalb des konventionell definierten Bereichs des Individuums liegen“ (Schirmbrand, 1991, S.25). Sie verdeutlichen einerseits die Begrenztheit menschlicher Existenz, auf der anderen Seite offenbaren sie die Möglichkeit, Neues zu erfahren. Insofern lässt sich das Erlebnis der Verwandlung in ein Tier in diese Kategorie extremer Erfahrungen einordnen. Zu einer außergewöhnlichen Erfahrung wird es, wenn es in allem bisher Bekannten keine Begründung seiner selbst findet, wenn also keine bereits vorhandene Erfahrungsgrundlage existiert. Menschen, die versuchen alle Begebenheiten in ihrem Leben im Sinne eines realistischen Weltbildes zu interpretieren, und hier an die Grenzen ihrer Erklärungskraft stoßen, zeigen eine Disposition, außergewöhnliche Grenzerfahrungen als existentielle Bedrohung zu erleben (von Lucadou, 2003a, 2003b). Dagegen können Menschen, die auch für Erwartungen offen sind, die ihrem gewohnten Weltbild zunächst nicht entsprechen, derartige Erfahrungen als Herausforderung bewerten. Oftmals interpretieren sie diese als Möglichkeit, neue Verhaltensweisen und damit neue Verhaltensstrategien im Umgang mit der alltäglichen Realität zu erlernen.

Abgrenzung: ungewohnte versus außergewöhnliche Grenzerfahrungen. Außergewöhnliche Grenzerfahrungen beschreiben Inkonsistenzen zwischen den aktuellen und den bereits vergangenen Erfahrungen eines Individuums. Nicht die vordergründigen Phänomene differenzieren zwischen ungewohnten und außergewöhnlichen Grenzerfahrungen. Wesentlich ist der Grad ihrer Einordnung in bereits bestehende psychische wie auch sozio-kulturelle Strukturen. Außergewöhnliche Grenzerfahrungen finden „an der Systemgrenze von äußerer physikalischer Realität und innerpsychischen Vorgängen“ (von Lucadou, 2003b, S.42) statt. Insofern strapazieren sie mehr noch als ungewohnte Grenzerfahrungen Prozesse der Adaption und mit dieser Prozesse der Assimilation und Akkomodation.

5.3.2.3. Schlüsselerfahrungen

Grenz- und Extremerfahrungen berühren als „Erfahrungen von großer Intensität und jenseits des Alltäglichen“ (Schweitzer, 2003, S.79) die Grundspannungen des Daseins. Schlüsselerfahrungen bestehen in ihrer `Rohform´ aus Grenz- und Extremerfahrungen, erweitert um die Dimension des direkten Bezugs zum Lebenskontext und zur Biographie der betroffenen Person. Schweitzer (2003) betont, dass sie nicht notwendigerweise die großen Erfahrungen des Lebens darstellen müssen. Doch werden diese mit dem Begriff der Schlüsselerfahrungen in der überwiegenden Zahl der Fälle assoziiert. Schlüsselerfahrungen beinhalten immer auch Grenzerfahrungen – aber nicht alle Grenzerfahrungen werden zu Schlüsselerfahrungen.

5.3.2.4. Von extremer zu ausgewogener Integration

Alich ([On-line], 2000) benennt zwei Extreme im Umgang mit Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände: a) die umfassende Trennung von Alltags- versus Tranceerfahrungen und b) ihre totale Vermischung. Im ersten Fall ist es dem Individuum möglich, umfassende Informationen, Techniken und Übungen beider Erfahrungswelten zu sammeln. Sie werden jedoch nie (An-)Teil der eigenen Persönlichkeit. Insofern zeigen sie sich im Sinne zweier sogenannter getrennter Leben. Der zweite Fall der Auflösung der Grenzen zwischen Erlebnissen der „Anderwelt“ (Scharfetter, 1992, S.26) mit alltäglichen Begebenheiten erinnert an das Beispiel von Pargament (1997) (vgl. Kapitel 5.2.1). Indem zwischen den einzelnen Erfahrungen nicht differenziert wird, bleibt eine Beurteilung ihrer potentiellen Positivität bzw. Negativität auf die Gesamtpersönlichkeit unmöglich.

Eine dritte Möglichkeit im Umgang mit Erfahrungen veränderter Bewusstseinszustände beschreibt von Lucadou (2003a, 2003b). Er betitelt sie als eine Art „doppelte Buchführung“ (von Lucadou, 2003b, S.45). Vor allem gegenüber fremden Personen beschreiben die betroffenen Personen das Erlebte erst einmal in einer Art und Weise, die sie selber als „`politisch korrekt´“ (von Lucadou, 2003b, S.45) bewerten: Sie werten die Realität ihrer außergewöhnlichen Erfahrungen ab. Gegenüber vertrauten Personen eröffnen sie jedoch ganz andere, ganz intime Interpretationen. Die Tabelle 1 mag einen Eindruck geben, welche Vermutungen von Betroffenen ungewöhnlicher Erfahrungen in Abhängigkeit ihres sozialen Umfeldes geäußert werden.

Als Folge ergibt sich ein ständiger Spannungszustand. Im Sinne der Rollenübernahme und Anpassung an die Umwelt versuchen die Betroffenen, für ihre Erfahrungen auch von der Außenwelt als real anerkannte Erklärungen zu finden. Wie weiter oben beschrieben, spielen hier Aspekte der Konsistenz der Erfahrung, d.h. die Möglichkeit der Einordnung neuer Erfahrungen in bereits bestehende Gedächtnisstrukturen, eine wichtige Rolle. Subjektiv vertreten die Betroffenen für sich jedoch nicht selten eine der äußeren konträren Meinung.

Als Lösung dieses Konflikts bietet sich einzig und allein ein flexibler Umgang mit derartigen Erfahrungen an (Galuska, 2003a, 2003b, 2005). Es gilt, sich den Erfahrungen zuzuwenden, aber auch sich von diesen wieder abwenden zu können. Es geht darum, sie nicht über zu bewerten, sie aber auch nicht zu negieren (Galuska, 2003a, 2003b, 2005). In das individuelle Selbstkonzept eingebaut, dieses aber nicht bestimmend, werden sie verbalisier- und mitteilbar. Reziprok erhalten sie eine soziale Realität, werden für andere Menschen zugänglich, bestenfalls sogar verstehbar, und erhalten so wiederum eine verstärkte Anerkennung seitens des einzelnen Individuums. Bezogenheit versus Ausgrenzung wird möglich. Äußere und innere Welt treten in Verbindung, wirken wechselseitig aufeinander ein. Individuation wird möglich.

Tabelle 1 Vermutungen zu Ungewöhnlichen Menschlichen Erfahrungen (UME) (von Lucadou, 2003b, S.45)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5.3.3. Individuation

C. G. Jung beschreibt die Individuation als einen Prozess der Selbstfindung bzw. der Verwirklichung des individuellen Selbst, als einen inneren „Prozess der Menschwerdung“ (Kriz, 2001, S.63). Emotional-kognitive Anlagen, Fähigkeiten und Kapazitäten, welche die Person in einem recht weit gefassten Begriff beschreiben, sowie das zugrunde liegende Kern-Selbst, das Ich, als Zusammenspiel von Ideal-Selbst und wahrem Selbst, steuern im Rahmen der Selbstverwirklichung den Prozess seiner Entfaltung und Realisierung. Sie fördern Qualitäten wie die der individuellen Autonomie, Kreativität, Authentizität, unverfälschten (Selbst-) Wahrnehmung und sozialen Verantwortlichkeit. Besondere Betonung liegt auf der inneren Ausgewogenheit und äußeren Harmonie (Schachinger, 2002). Ziel ist, von der individuellen Potentialität zur Aktualität zu gelangen. Insofern gilt Individuation als Synonym der Integration.

Veränderte Bewusstseinzustände ermöglichen es, sich selbst kennen zu lernen. Die Erforschung von Gipfelerlebnissen hat zu der Erkenntnis geführt, dass – entgegen der grundlegenden Annahme der Traumaforschungen – nicht nur traumatische sondern auch hoch positive Erlebnisse einen Einfluss auf das Langzeitgedächtnis haben (Berntsen, 2001). Beide werden im Gegensatz zu anderen Erfahrungen sowohl öfter und emotionaler als auch lebhafter und stärker von physischen Reaktionen begleitet und klarer erinnert. Einziger Unterschied zwischen traumatischen und glücklichen Erlebnissen ist, dass erstere häufiger und ungewollt auftreten, glückliche Erlebnisse dagegen über die Zeit hinweg aus der Erinnerung schneller wieder verschwinden. Beide Erfahrungsqualitäten bilden Ankerpunkte der Erinnerung, vor deren Hintergrund neue Ereignisse interpretiert werden. Jedoch können negative Erfahrungen das Erleben glücklicher Momente überschatten. Dieses Phänomen wird in der Literatur als sogenanntes „overshadowing“ (Berntsen, 2001, S.153) bezeichnet.

Ob diesem Prozess des sich Kennenlernens nun regressive oder progressive Prozesse zugrunde liegen, sei dahin gestellt. Eine diesbezügliche Auseinandersetzung in Ansätzen findet der Leser im Kapitel zu den evolutionstheoretischen Überlegungen der Bewusstseinsforschung. Immer geht es aber um Selbsterfahrung, die Erfahrung des eigenen wie auch des `Selbst´ anderer Personen. Erst im Austausch dieser Erfahrungen, in Beziehung zu sich und zu anderen, wird Integration, verstanden als Integration der Anteile der eigenen Persönlichkeit und somit ein sich selbst (Er-)leben im nach außen gerichteten Beziehungsverhalten möglich. Integration ist folglich weniger ein Synonym als vielmehr eine Voraussetzung der Individuation.

6. Schamanismus und Trance: Rituelle Körperhaltungen

Nachdem sich die vorherigen Kapitel dem Thema der veränderten Bewusstseinszustände in erster Linie auf allgemeiner Ebene annäherten, soll im Folgenden eindrücklicher auf die dem empirischen Teil der vorliegenden Ausarbeitung zugrunde liegende Methodik der Tranceinduktion durch Rituelle Körperhaltungen eingegangen werden. Eingebettet in einen rituellen Kontext werden durch die Kombination der Einnahme einer exakt vorgegebenen Körperposition und gleichzeitiger auditiver Stimulierung Tranceerfahrungen möglich. Auf die Abgrenzung dieser Tranceform gegenüber Besessenheitstrancen sowie hypnotischen und meditativen Trancen geht das Kapitel zum Thema der Abgrenzungen diesbezüglicher Begrifflichkeiten ein (Kapitel 2). Konkret handelt es sich bei Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen um ekstatisch-visionäre Erlebnisse (Goodman, 1986, Rittner & Fachner, 2004), um Trancereisen in andere Wirklichkeiten und damit um ergotrope Trancen (vgl. Kapitel 2.2).

Anhand einiger ausgewählter Literaturen aus der scheinbar unendlichen Vielzahl an Veröffentlichungen zum Thema des Schamanismus soll im Folgenden dem Leser ein erster Zugang zu dem Weltbild, welches sich hinter Rituellen Körperhaltungen verbirgt, ermöglicht werden (Kapitel 6.1). Ebenso wird auf den `Berufsstand´ des Schamanen versus des Psychotherapeuten Bezug genommen. Darstellungen der Ursprünge Ritueller Körperhaltungen sowie ein kurzer Einblick in das Arbeitsfeld der archäologischen Anthropologie bilden anschließend den Hintergrund für ein breiteres Verständnis der Kategorisierung der durch Rituelle Körperhaltungen induzierten Tranceerfahrungen anhand ihrer spezifischen Erlebnisinhalte (Kapitel 6.2). Die Ausführungen schließen mit der Beschreibung der Struktur und des Ablaufs praktisch realisierter Rituale Ritueller Körperhaltungen.

6.1. Schamanismus

…der Schamane [ist] neben seiner Tätigkeit als Magier, Zauberer und Medizinmann

„noch Psychopomp, Seelengeleiter, und er kann Priester sein, Mystiker und Dichter“

(Eliade, 1975 in Düe, 1993, S.25)

Der Schamanismus gehört „zu den ältesten Glaubenswelten des Menschen überhaupt“ (Hultkrantz, 2000, S.167). Es wird vermutet, dass viele der heute noch gültigen Vorstellungen bereits im paläolitischen Jäger- und Sammlertum entwickelt wurden (Stutley, 2003). Damit wäre der Schamanismus über 20.000 bis 40.000 Jahre alt (Woodside et al., 1997). Die Erforschung des Schamanismus durch die Europäer begann in der Auseinandersetzung mit dem Volk der Tungusen (Stutley, 2003), heute unter dem Namen der Evenki bekannt (Hultkrantz, 2000). Die Evenki leben in Sibirien und bezeichnen Angehörige ihres Volkes, welche geheimes und folglich nicht im Alltag zugängliches Wissen besitzen, als „sama“ oder „saman“, europäisiert als Schamane. Der Sibirische Schamanismus gilt, wegen der Fülle an Informationen, die über ihn gesammelt wurden (Grim, 1983) und weil Ähnlichkeiten zwischen den Völkern Sibiriens, Zentralasiens sowie den Einwohnern Nord- und Südamerikas aus ethnologischer Sicht vor allem über Diffusion erklärt werden (Pentikäinen, 2001), als `Klassischer Schamanismus´ (Grim, 1983, S. 34). Nicht zu vernachlässigen sind jedoch auch andere Formen wie z.B der afrikanische Schamanismus. Grundlegender Unterschied zwischen beiden besteht in der Art ihrer Begegnung mit den anderen Wirklichkeiten. Während Schamanen der Nordhalbkugel in erster Linie Trancereisen erleben (vgl. Kapitel 2.2.1), stehen im Vordergrund der schamanischen Tranceerfahrungen auf der Südhalbkugel Besessenheitstrancen (vgl. Kapitel 2.2.2). Vor dem Hintergrund der vorliegenden Arbeit sei im Folgenden auf das Verständnis des Schamanismus der Nordhalbkugel sowie der Merkmale von Trancereisen in andere Wirklichkeiten eingegangen.

6.1.1. Schamanisches Weltbild

Das schamanische Weltbild wird insofern als animistisch bezeichnet als es auf dem Glauben an die Beseeltheit allen Lebens basiert. Gute wie ungünstige Lebensereignisse werden durch andere als die alltäglichen `Seelen´ und `Geister´ bestimmt (Baruss, 2003). Nun handelt es sich bei diesen jedoch nicht um Gespenster, wie sie dem westlich geprägten Menschen z.B. in Horrorfilmen suggeriert werden. Die `Geister´ (Baruss, 2003, S.149) der Schamanen lassen sich zutreffender als Formen nicht-materiellen Lebens beschreiben, die sich in allen Dingen offenbaren (Häcker & Stapf, 2004). Unter den Begriffen der `Seele´ bzw. der `Geister´ sei im Rahmen der vorliegenden Arbeit „eine Summe der Abstraktionen aller psychischen, mentalen, kognitiven und emotionalen Fähigkeiten“ (Gruber & Kratky, 2002, S.254) verstanden.

Strukturell wird das schamanische Weltbild durch die drei Welten des so genannten Weltenbaumes beschrieben. Die Baumkrone stellt die obere Welt dar, der Stamm die mittlere und die Wurzeln die untere Welt. Die untere Welt ist in erster Linie die Welt der Verstorbenen, die Welt der Seelen. Sollen verlorene Seelen(anteile), die sich aus einem westlichen Kulturverständnis heraus z.B. im Rahmen von Dissoziationserfahrungen zeigen (vgl. Kapitel 3.3), zurückgeholt werden, so ist es die Aufgabe von Schamanen, diesen Teil des Weltenbaumes zu bereisen. Hier findet sich darüber hinaus der Lebensraum der Kraftiere. Als parallel zu unserer Welt, als „geistiges Gegenstück“ (Goodman & Nauwald, 1998, S.75) und als „die wirkliche Welt hinter der sichtbaren Welt“ (ebd.) wird die mittlere Welt beschrieben. Die Oberwelt ist mit dem Kosmos, dem Himmel mit allen Sternen und allem Existierenden inner- und außerhalb unserer Galaxie gleichzusetzen.

Wie sich dieses Weltbild vor dem Hintergrund einer westlichen Wissenschaftsanschauung interpretieren lässt, zeigen die Ausführungen hinsichtlich der evolutionstheoretischen Überlegungen über die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins (Kapitel 1.1). Von den dort dargestellten evolutionstheoretischen Annahmen möchte ich mich an dieser Stelle deutlich abgrenzen. Sie postulieren eine Entwicklungshierarchie religiöser Glaubensrichtungen. Meiner Ansicht nach ist es jedoch unzulässig, z.B. monotheistische Religionsvorstellungen wie das Christentum, Judentum oder den Islam bzw. polytheistische Religionsvorstellungen wie den Hinduismus oder Buddhismus als gegenüber dem Animismus und damit dem Schamanismus weiter entwickelt zu erklären. Eher ist eine Parallelität der verschiedenen Weltbilder anzunehmen.

6.1.2. Schamane als Beruf(ung) zum Psychologen?

„Nach Ansicht einiger Psychotherapeuten sind Schamanen sogar von niedriger Intelligenz und zeigen einen pathologischen, hysterischen Geisteszustand“ (Hultkrantz, 2000, S.166). Diese Einstellung von Angehörigen westlicher Kulturkontexte gegenüber Schamanen mag für den einen oder anderen Unwissenden sicherlich auch heute noch gelten. Jedoch: „Die jüngsten anthropologischen Forschungen zeigen, dass Schamanen Menschen mit einer vollkommen normalen Persönlichkeit und von häufig überdurchschnittlicher Intelligenz sind“ (ebd.).

Auf dem Weg in den `Berufsstand´ des Schamanen, kommt den Initiationsprozessen eine wichtige, wenn nicht sogar die bedeutendste Rolle zu. Die „Einweihung“ (Goodman & Nauwald, 1998, S.77) ist fest verbunden mit dem Übergang in einen neuen Lebensabschnitt am Ende eines Reifeprozesses. Sie zeigt sich im symbolischen Erleben von Tod und Wiedergeburt als Zeichen der Erneuerung der Selbst-Identität (Müller, 1997). Ein Teil des Wesens der Person stirbt, da er nicht weiter gebraucht wird (Goodman, 2000). So entsteht Raum zur Integration von neuem. Das bedeutet aber auch, dass sich das Individuum in der noch unbekannten Lebensstruktur neu definieren muss. Philosophisch gesehen stellt sich mit Sokrates die Frage: Woher komme ich und wohin gehe ich? Von psychotherapeutischer Sichtweise aus kann der therapeutische Prozess als eine ebensolche (Wieder-)Entdeckung und damit möglicherweise verbundene (Neu-)Definition der eigenen Person angesehen werden (Gore, 1995). Die Initiation ist abgeschlossen, wenn sich die Strukturen so gefestigt haben, dass sich, in Anlehnung an die Begrifflichkeiten der kognitiven Psychologie, eine kognitive Landkarte (Eysenck, 2001) gebildet hat, anhand derer Handlungen im Umgang mit der neuen Welt abgeleitet werden können (Müller, 1997).

Initiierte Schamanen werden in der Literatur wiederholt als Wanderer zwischen den Welten (Eliade, 1975; Goodman & Nauwald, 1998) beschrieben. Wie im Kapitel über Trancereisen, die in andere Wirklichkeiten führen erläutert (vgl. Kapitel 2.2.1), überschreiten sie im veränderten Wachbewusstseinszustand die Grenzen des weltlichen Bewusstseins. Sie erleben unter anderem außerkörperliche Erfahrungen und der Seele wird die Fähigkeit offenbar, zwischen den Welten zu reisen (Baruss, 2003). In der Begegnung mit den Bewohnern der oberen, mittleren und unteren Welt (vgl. Kapitel 6.1.1) können sowohl verlorene Seelenanteile zurückgeholt (Baruss, 2003; Hultkrantz, 2000; Ingermann, 2002) als auch Antworten auf lebenswichtige Fragen für die Mitglieder der Gemeinschaft gefunden werden. Nicht umsonst werden Schamanen als Integratoren ihrer Gesellschaft bezeichnet. Der hier vorgestellten Definition folgend bleiben gewollt alle Personen der Benennung als Schamane außen vor, die sich zwar mit den genannten Phänomenen beschäftigen, in diesem Zusammenhang jedoch nicht ihr Bewusstsein verändern (Baruss, 2003).

Insofern hinkt die Gleichsetzung von Schamanen mit dem Berufstand der Ärzte bzw. Psychologen im westlichen Kulturkontext, wenn ausschließlich die Betrachtung des wie diese Personen ihren Beruf ausüben fokussiert wird. Doch zeigen sich Annäherungen. Um noch einmal auf den weiter oben bereits kritisch reflektierten Begriff des Animismus zurückzugreifen, besagt die „Animistische Hypothese“ (Häcker & Stapf, 2004, S.46) nichts anderes, als dass für körperstoffliche Veränderungen psychische Parallelen vorliegen. Dieser Teil des schamanischen Weltbildes lässt sich im Selbstverständnis der Psychosomatik wiederfinden. Auch wenn diese vor dem Hintergrund psychologischer Wissenschaften in erster Linie eine Kausalität psychischer Prozesse auf körperliche Erscheinungen beschreibt, so berücksichtigt sie doch auch ihre Umkehrfunktion: Die Veränderung der Psyche durch Veränderung körperlicher Prozesse. Was den Schamanismus jedoch von der westlichen Psychosomatik unterscheidet ist die von ihm vertretene Nicht-Annahme möglicher Kausalitäten. Auch fokussiert er mehr als westlich geprägte Psychotherapieformen auf die Ganzheitlichkeit des Heilungsprozesses und nicht auf Logik, Bewertung und Alltagsrationalität bzw. hierarchische Systemstrukturen.

6.2. Rituelle Körperhaltungen

…der Träumer,

so erzählen die Navajo

…[wurde] von den ye´i , den Gottheiten

in die andere Wirklichkeit entführt

und erhielt dort das Ritual[zu den Rituellen Körperhaltungen] als Geschenk.

Es ist ein sich in den Mythen der ganzen Welt wiederholendes Motiv.

Die [Rituellen Körper]Haltungen sind also Geschenke

oder – mit einem gängigeren Ausdruck – Offenbarungen .

(Goodman, 2003, S.37)

Wie in der Einleitung zu den vorliegenden Ausführungen über Schamanismus und Rituelle Körperhaltungen beschrieben, ermöglichen Rituelle Körperhaltungen durch Einnahme einer genau beschriebenen Körperhaltung und gleichzeitiger auditiver Stimulierung durch z.B. Rasseln oder Trommeln, ekstatisch-visionäre Tranceerfahrungen zu erleben (Goodman, 1986; Rittner & Fachner, 2004). Da Goodman von einer direkten Köper-Geist-Beziehung ausgeht, werden archaische Bewusstseinsinhalte ganzheitlich erfahrbar.

6.2.1. Zur Person: Felicitas Goodman

Felicitas Goodman wurde 1914 in Ungarn geboren, lebte später in Deutschland und schließlich in den USA. Aufgewachsen in einer “westlichen Umgebung, in der solche Erwartungen [dass Rituale mit dem Erleben von Wunderbarem verbunden sind] nicht gefördert werden“ (Goodman, 2000, S.17), las sie schon früh die Mythen und Märchen Ungarns. In diesen sah sie den Grund für ihre „Sehnsucht nach einer anderen Dimension...eine Sehnsucht, die für mein ganzes zukünftiges Leben entscheidend geworden ist“ (ebd.). Nach ihrer Tätigkeit als Diplom-Dolmetscherin und Übersetzerin begann sie 1965 mit 51 Jahren das Studium der Linguistik. Bei Erika Bourguignon besuchte sie ein Seminar über „Die Religion bei den nichtwestlichen Kleingesellschaften“. Diese Veranstaltung basierte auf einer vom National Institute of Mental Health geförderten Studie, deren Ziel darin bestand, „eine vielfältige Analyse von einem psychokulturellen Phänomen vorzunehmen, über das befremdender Weise kaum etwas Systematisches bekannt ist. Das Phänomen, das uns beschäftigt, ist die religiöse Wertung...eines psychologischen Zustandes, bekannt unter verschiedenen Bezeichnungen wie `Dissoziation´, `Trance´ oder neuerdings, und etwas allgemeiner, `veränderte Bewusstseinszustände´ (Bourguignon, 1973, in Goodman, 2000, S.25). Goodman wurde als Übersetzerin in dem Projekt von Bourguignon angestellt und führte ab 1966 Feldforschungen über eine spezifische Form von Besessenheitstrancen, der Glossolalie, in Yucatán durch. Im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit als Professorin der Linguistik realisierte sie darüber hinaus in den Jahren von 1972 bis 1976 mit freiwilligen Studenten Untersuchungen zu deren Erlebnissen veränderter Bewusstseinszustände, durch unterschiedliche Tranceinduktionsmethoden ausgelöst, durch. Es zeigte sich, dass das Erleben der nicht-alltäglichen Wirklichkeit der verschiedenen Teilnehmer interindividuell völlig unterschiedlich war. Ebenfalls 1972 veröffentlichte Emerson einen Artikel, in welchem er vor dem Hintergrund von Meditationen Wechselwirkungen zwischen dem individuellen Glaubenssystem einer Person, der von ihr zur Trance eingenommenen Körperposition und ihren Erlebnissen im veränderten Wachbewusstseinszustand beschrieb. Über den Gedanken, dass die Position des Körpers bzw. die Körperstellung einen Einfluss auf das Erleben der Trance haben könnte, hatte Goodman trotz ihrer vielen Studien und praktischen Übungen mit Studenten noch nie zuvor nachgedacht (Goodman [Film], 2001). Fast zeitgleich erschien ein neues Buch über die Kultur der Jäger, und als Goodman dieses durchblätterte, stieß sie auf eben solche Körperpositionen, „von denen ich annehmen konnte, dass sie rituellen Charakter haben“ (Goodman, 2000, S.36). Der rituelle Charakter dieser Körperhaltungen zeigte sich für sie darin, „dass die Menschen anders standen, sich anders hielten, als im gewöhnlichen Leben“ (Goodman [Film], 2001). Diese plötzliche Einsicht ist das, was Felicitas Goodman als ein Geschenk der Götter bezeichnet: „Ein Geschenk, denn es kam ja so plötzlich“ (Goodman [Film], 2001). Der erste Meilenstein zur Wiederentdeckung Ritueller Körperhaltungen war gelegt.

Goodman wurde 1979 pensioniert, doch hielt sie das nicht davon ab, Phänomene der Trance sowie der Rituellen Körperhaltungen auch weiterhin zu erforschen. Felicitas Goodman starb am 30.03.2005 im Alter von 91 Jahren. Ihr innerlicher Lebensweg hat sie über das ekstatische Erleben in der Trance zu einer bewussten Wanderin in den anderen Welten des Bewusstseins werden lassen. So empfindet sie sich „als Brücke zwischen den Dimensionen des menschlichen Bewusstseins. Ich sehe keinen Gegensatz zwischen mir als Wissenschaftlerin und mir als Reisende in anderen Bewusstseinszuständen“ (Felicitas-Goodman-Institut [On-line], 2004).

6.2.2. Anthropologie

Bis heute konnten Goodman und ihre Mitarbeiterinnen eine Vielzahl Ritueller Körperhaltungen wiederentdecken. Leider existieren zu diesen nur in begrenztem Maße auch anthropologische Aufzeichnungen. Erlebnisse und Erfahrungen Ritueller Körperhaltungen offenbaren so intim das Wesen einer Kultur, dass sie westlichen Anthropologen nur schwer zugänglich sind. Zumeist wissen diese nicht einmal von ihrer Existenz und erfragen sie daher auch nicht (Goodman, 1996). Soweit jedoch möglich, soll im Folgenden auf einige bekannte Aspekte sowohl aus dem Bereich der archäologischen wie auch der psychologischen Anthropologie (Bourguignon, 1979; Goodman, 2000) eingegangen werden.

6.2.2.1. Archäologische Anthropologie: Wiederentdeckung Ritueller Körperhaltungen

Vor allem Kleinplastiken, Felsmalereien, aber auch Zeichnungen und Fotos dienen als Vorlagen der Rituellen Körperhaltungen. Wie eingangs in den Ausführungen zum anthropolgischen Hintergrund Ritueller Körperhaltungen erwähnt, existieren jedoch nur wenige Berichte über die Art und Weise ihrer Ausübung (Goodman, 1996). Zu wichtigen Erkenntnissen tragen solche Tranceerfahrungen bei, in denen etwas in der Körperposition der ausgewählten Rituellen Körperhaltung falsch gelaufen ist. So berichtet Gore (1995), sich in einem von ihr geleiteten Ritual zur Rituellen Körperhaltungen des Singenden Schamanen (Abbildung 7), in den Erklärungen der Körperposition geirrt zu haben. In dem das Ritual abschließenden Kreisgespräch berichtete die überwiegende Anzahl der Teilnehmer, sich während des Hauptrituals sehr unwohl gefühlt zu haben. Schließlich erwähnte eine Krankenschwester wie beiläufig die Existenz einer physiologischen Verbindung zwischen den kleinen Fingern mit dem Herzen. Der Fehler war erkannt: Die Ritualleiterin hatte erklärt, die Mittelfinger sollten sich auf der Brust berühren. Richtig wäre jedoch gewesen, die kleinen Finger zusammen zu bringen.

Diese von Goodman und ihren Mitarbeiterinnen der Erforschung Ritueller Körperhaltungen zugrunde gelegte Strategie zeigt ein intuitiv-induktives Vorgehen. In der Ethnologie ist dieser naturalistische Ansatz weit verbreitet und unterscheidet sich grundlegend von dem von Rosenthal und Rosnow (vgl. Bortz & Döring, 1995) entwickelten und das wissenschaftliche Bild der Psychologie bestimmenden positivistischen Ansatz. Auf einige Vor- und Nachteile des naturalistischen Paradigmas geht der zweite Teil der vorliegenden Ausarbeitung in der Begründung der Auswahl qualitativer Messmethoden (Kapitel 9) vertiefend ein. Aus diesem Grunde seien sie an dieser Stelle nicht zusätzlich erläutert.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 7 Rituelle Körperhaltung: Singender Schamane (Goodman & Nauwald, 1998)

Es bleibt, die Ausführungen über archäologisch-anthropologische Hintergründe Ritueller Körperhaltungen abschließend, in den Worten von Goodman (2000) festzustellen: „Die [Forschungs-]Ergebnisse [zu den Rituellen Körperhaltungen] sind nicht sicher, sondern wahrscheinlich und spekulativ“ (S.36). Weitere Untersuchungen müssen sie erst verifizieren.

6.2.2.2. Psychologische Anthropologie: Erlebnisspezifische Kategorisierung Rituellen Körperhaltungen

Die psychologische Anthropologie setzt sich mit Fragen individuellen Verhaltens unter besonderer Berücksichtigung kultureller Kontexteinflüsse auseinander (Bourguignon, 1979). Die Untersuchung Ritueller Körperhaltungen, so wie sie Goodman (1986, 1993, 1996, 1999, 2000, 2001, 2003; Goodman & Nauwald, 1998; Gore, 1995) und ihre Mitarbeiterinnen durchführen, fällt in diesen Bereich, da dem Individuum ein spezifisches, in seiner `Tiefenstruktur´ (Goodman, 1986, S.83 [Übersetzung der Verfasserin]) kulturell kollektives und in seiner
`Oberflächenstrukur´(ebd. [Übersetzung der Verfasserin]) kulturell individualistisches ekstatisch-visionäres Tranceerlebnis ermöglicht (Goodman, 1986) wird. Die Begriffe der Tiefen- und Oberflächenstruktur entlehnt Goodman aus dem von Chomsky (1974) formulierten Sprachparadigma und seinen Thesen und Theorien der generativen Grammatik, ohne jedoch ausführlicher auf dieses einzugehen.

Auf kulturell kollektiver Ebene lassen sich die Tranceerfahrungen in die von Goodman und Nauwald (1998) beschriebenen sieben Räume der anderen Wirklichkeit einordnen: Seelenfahrten, Initiation, Heilung, Metamorphose, Wahrsagung, Jägerhaltungen und Mythen. So eindeutig sich diese Wirklichkeitsbereiche aufzählen lassen, so eindrücklich zeigt sich bei einer vertiefenden Betrachtung der Literatur, dass die Zusammenstellungen Ritueller Körperhaltungen zu den jeweiligen Kategorien nicht übereinstimmen. Abweichungen bezüglich vereinzelter Ritueller Körperhaltungen zeigen sich z.B. zwischen der Kategorisierung von Goodman und Nauwald (1998) und der von Gore (1995). Gründe für diese Unterschiede finden sich in keiner der beiden Veröffentlichungen. Um sich bezüglich des im empirischen Teil der vorliegenden Ausarbeitung realisierten Forschungsvorgehens festzulegen, wird als Entscheidungskriterium die Aktualität der Publikationen gewählt. Die weiteren Ausführungen folgen daher dem Arbeitsbuch über Rituelle Körperhaltungen (Goodman & Nauwald, 1998). Eine Gesamtbetrachtung aller Rituellen Körperhaltungen einschränkend, konzentrieren sie sich darüber hinaus auf die Rituellen Körperhaltungen, die im empirischen Forschungsvorgehen der vorliegenden Arbeit zur Untersuchung ausgewählt werden. Diese betreffen die Wirklichkeitsbereiche der Seelenfahrten, der Heilung und der Metamorphose. Die analysierten Rituellen Körperhaltungen zeigen sich sowohl bei Goodman und Nauwald (1998) als auch bei Gore (1995) eindeutig denselben Wirklichkeitsbereichen zugeordnet. Im Folgenden seien sie als Beispiele ihrer themenspezifischen Kategorien dargestellt. Zu einer Auseinandersetzung mit allen sieben Wirklichkeitsbereichen sei der interessierte Leser auf die entsprechenden Literaturen, vor allem auf das Arbeitsbuch über Rituelle Körperhaltungen (Goodman & Nauwald, 1998) verwiesen.

Seelenfahrten: Saami-Schamane

Die Seelenfahrten, z.B. in der Rituellen Körperhaltung des Saami-Schamanen (Abbildung 8), verkörpern das grundlegendste Charakteristikum von Trancereisen in andere Wirklichkeiten (vgl. Kapitel 2.2.1) (Goodman & Nauwald, 1998). Nun ermöglichen auch andere, dieser Kategorie nicht zugehörige Rituelle Körperhaltungen, Reisen zwischen den Welten des schamanischen Weltenbaumes. Jedoch gehören Rituelle Körperhaltung wie die des Saami-Schamanen zu jenen, die sich diesbezüglich in besonderer Weise anbieten (Goodman, 2000).

Die Rituelle Körperhaltung des Saami-Schamanen verdankt ihren Namen einer Zeichnung aus dem Reisetagebuch eines Deutschen im Jahre 1673 (Abbildung 8) (Goodman, 2000). Das nomadisierende Volk der Saami lebt in Nordeuropa, vor allem in Finnland und Norwegen sowie in weiter östlich gelegenen Gebieten. Als relativ sicher gilt sein Usprung um 1000 bis 500 v.Chr. . Die älteste Beschreibung der Zaubertrommel des sitzenden Schamanen stammt aus einem lateinischen Text des 12. Jahrhunderts. Durch die Missionierungstendenzen im 17. Jahrhundert durften die Saami ihre Rituale nicht mehr praktizieren und mussten ihre Zaubertrommeln abgeben. Die verschiedenen Zeichnungen auf der Trommel symbolisieren die Pforten zu den anderen Wirklichkeiten.

Wie anhand der Abbildung 8 deutlich wird, handelt es sich bei der Rituellen Körperhaltung des Saami-Schamanen um eine partnerzentrierte Reise. Während einer der Schamanen auf dem Boden liegt, trommelt der andere für ihn. Reisen in die Unterwelt gelten als Schwerpunkt des Saami-Schamanen. Insofern ist diese Trancehaltung besonders dann von Bedeutung, wenn Kontakt mit den Ahnen oder Krafttieren gesucht wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8 Rituelle Körperhaltung: Saami-Schamane (Goodman, 2000; Goodman & Nauwald, 1998)

Heilung: Bärenhaltung, Südmährische Frau

Zu den heilenden Rituellen Körperhaltungen zählen z.B. die Bärenhaltung (Abbildung 9) oder die Südmährische Frau (Abbildung 10) (Goodman & Nauwald, 1998). In das Ritual eingebrachte Anliegen können sich sowohl auf die eigene als auch auf dem Ritual außen vor stehende Personen oder Tiere beziehen. Sie können ganze Familien, jedes andere System, Wesen oder eine archetypische Figur, wie z.B. die Mutter Erde, berücksichtigen (Gore, 1995). Mit Aspekten der Heilung eng verbunden ist die Wiederherstellung eines Gleichgewichts körperlicher, psychischer, sozialer und bzw. oder kosmischer Art. Aus diesem Grunde werden innerhalb dieser spezifischen Tranceerfahrungen nicht selten Paradoxe wahrgenommen. Erlebnisse eines Schamanen, der zur Hälfte im Mond- und zur anderen Hälfte im Sonnenlicht steht, sowie Empfindungen von Energieströmen, die einerseits von links und andererseits von rechts in den Körper einströmen, werden berichtet (Gore, 1995). Ähnlich der Erlebniswelt der Seelenfahrten, ist auch den Rituellen Körperhaltungen dieser Kategorie die Vermittlung heilender Erlebnisse nicht ausschließlich vorbehalten. „Alle erforschten rituellen Körperhaltungen ermöglichen die Aktivierung der eigenen Heilenergie, unabhängig von der Zuordnung zu einem Erlebnismittelpunkt“ (Goodman & Nauwald, 1998, S.111).

Die Bärenhaltung. Ihren Namen verdankt die Bärenhaltung einer Holzschnitzfigur, die in

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 9 Rituelle Körperhaltung: Bärenhaltung (Goodman, 1996; Goodman & Nauwald, 1998)

Abbildung 9 dargestellt ist. Sie wurde von Indianern der kanadischen Nordwestküste anfertigt (Goodman, 2000). Es kann davon ausgegangen werden, dass die Bärenhaltung schon seit mehr als 7000 Jahren in den Kulturen der Garten- und Ackerbauern, der Jäger sowie der Nomaden Sibiriens bekannt ist. Es gibt auch weibliche Haltungen aus Südosteuropa, die ungefähr 3000 Jahre jünger sind.

Die Südmährische Frau. Die Südmährische Frau gehört zu einer der neueren und noch wenig erforschten Rituellen Körperhaltungen. Sie stammt aus dem Gebiet Südmährens und wird auf 3500 v.Chr. datiert (Abbildung 10).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 10 Rituelle Körperhaltung: Sümährische Frau (Goodman & Nauwald, 1998)

Metamorphose: Olmekischer Prinz

Rituelle Körperhaltungen, die sich besonders für Verwandlungserlebnisse eignen, finden sich im Bereich der Metamorphose. Eine derartige Rituelle Körperhaltung eröffnet sich mit dem Olmekischen Prinzen (Abbildung 11). Metamorphosen ermöglichen den Ritualteilnehmern im Zustand der Trance einen anderen Blickwinkel zu einer in das Ritual eingebrachten Angelegenheit einzunehmen, die Perspektive zu wechseln und so neue Erkenntnisse zu gewinnen (Goodman & Nauwald, 1998).

Die in Abbildung 11 dargestellte reich verzierte und geschmückte Kopfbedeckung gab der Rituellen Körperhaltung des Olmekischen Prinzen ihren Namen. Die Figur des Olmekischen Prinzen stammt aus Tabasco, Mexiko und wird auf die Jahre zwischen 1100-600 v.Chr. datiert. Zu dieser Zeit entwickelten die Olmeken eine Kulturgesellschaft, die auf dem Gartenbau basierte. Für die Olmeken stellte der Jaguar das wichtigste Tier in den Erlebnissen des veränderten Wachbewusstseins dar (Goodman, 2000).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 11 Rituelle Körperhaltung: Olmekischer Prinz (Goodman & Nauwald, 1998)

Zusammenfassung: Erlebnisspezifität

Auch wenn einzelne Rituelle Körperhaltungen in spezifische Räume der anderen Wirklichkeit führen, so sind die Erfahrungen innerhalb dieser Räume an sich sehr vielfältig (Goodman & Nauwald, 1998). Die genannten Erfahrungsräume stellen keine sich ausschließenden Kategorien dar. Wie in den Beschreibungen zu den Seelenfahrten und den Heilhaltungen erwähnt, sind Charakteristika derselben auch in anderen Rituellen Körperhaltungen möglich. Insofern handelt es sich im Sinne von Goodman und Nauwald (1998) bei jeder Tranceerfahrung Ritueller Körperhaltungen um eine Möglichkeit der Seelenfahrt. Diese ist zwar ganz und gar nicht orientierungslos, sie läuft aber auch nicht nach einer exakt festgelegten Reiseroute ab: Es handelt sich eben nicht um ein Fernsehprogramm, welches an- und ausgeschaltet werden kann.

6.2.3. Methodik: das Ritual

Sowohl anthropologische, geschichtliche als auch ganz persönliche Faktoren spielten bei der sukzessiven Entstehung des Rituals, in welches die Rituellen Körperhaltungen eingebettet sind, eine Rolle. Wie bereits erwähnt beschreiben sie ein induktiv-intuitives Vorgehen, eine stark eklektizistische Methode, ein „…Sammelsurium von allen möglichen Anregungen, Erlebnissen, Träumen…“ (Goodman [Film], 2001).

Wie jedes Ritual setzt sich auch das Ritual zu den Rituellen Körperhaltungen aus den klassischen Phasen zusammen (Goodman & Nauwald, 1998). Am Anfang steht die gegenseitige Reinigung der Teilnehmer in Form einer Salbei-Räucherung. Es folgt die Phase der Konzentration, die der Bewusstwerdung der mit dem Ritual verbundenen Intention dient. Dann werden die Seelen und Geister (vgl. Kapitel 6.1.1) der anderen Welten zur Teilnahme am Ritual eingeladen. Eine Möglichkeit der Anrufung der unterstützenden Kräfte der vier Himmelsrichtungen und der drei schamanischen Welten ist im Anhang B wiedergegeben. Anschließend üben die Ritualteilnehmer die Körperposition der ausgewählten Rituellen Körperhaltung, wobei viel Wert auf ihre exakte Einnahme gelegt wird. Die Ritualleiterin demonstriert zuerst die Körperposition. Anschließend korrigiert sie mögliche Fehlstellungen der probenden Teilnehmer. Das Üben in der Gruppe führt zum Abbau von Angst. Es wird sich mit der Rituellen Körperhaltung bekannt gemacht. eine mögliche Skepsis hinsichtlich der Frage, wie die oft sehr anstrengenden Körperstellungen während des Rituals durchzuhalten seien, können geäußert und somit offen gelegt werden (Schirmbrand, 1991). Im Sinne einer Realitätsüberprüfung erleben die Teilnehmer, dass auch andere Personen ähnliche Befürchtungen haben. Es entsteht eine „Resonanzwirkung“ (Schirmbrand, 1991, S.83) und mögliche Ängste und Befürchtungen können losgelassen werden. So wird Trance überhaupt erst erfahrbar.

Wenn alle Teilnehmer in der Ausübung der Rituellen Körperhaltung sicher sind, schließt sich das in der Regel 15 Minuten andauernde Hauptritual an. Die Ritualleiterin begleitet die Teilnehmer durch eine auditive Stimulierung in Form von einer oder zwei Rasseln oder durch das Schlagen einer Trommel. Wichtig ist, dass mit 200 bis 210 Schlägen pro Minute gerasselt bzw. getrommelt wird. Diese Schlagzahl wird im Zusammenhang gesehen mit den den Zustand der Trance während Ritueller Körperhaltungen charakterisierenden Thetawellen (Goodmann,2000). Auf neurophysiologische Bedingungen Ritueller Körperhaltungen wird im Kapitel über den Forschungsstand (Kapitel 7) ausführlicher eingegangen. Ist das Ritual zu Ende, folgt eine Phase der Stille, um den Teilnehmern Zeit zu geben, einerseits ihre Erfahrungen nachwirken zu lassen und andererseits langsam wieder in der alltäglichen Realität anzukommen.

Anschließend erhalten die Teilnehmer die Möglichkeit, dem Erlebten sowohl bildlich als auch schriftlich Ausdruck zu geben. Wenn alle Teilnehmer bereit sind, werden im Kreisgespräch die Tranceerlebnisse verbalisiert und, wenn notwendig, reflektiert. Die Erzählrunden fungieren als Sharing. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass schon Goodman viel Wert darauf legte, die wahrgenommenen Erlebnisse als solche stehen zu lassen und sie nicht im Sinne tiefenpsychologischer Ansätze zu deuten. Insofern stellen sich die Rituellen Körperhaltungen in erster Linie als erlebniszentriert versus therapeutisch deutend dar.

Hinsichtlich der Konzeption der der vorliegenden Ausarbeitung zugrunde liegenden empirischen Studie gilt als Besonderheit, dass auch im klassischen Ritual der Name oder sonstige, zum Beispiel ethnologische oder physiologische Hintergründe zu der ausgeübten Rituellen Körperhaltung in aller Regel erst nach Abschluss der Erzählrunde erläutert werden. So bleiben nicht nur die Erlebnisse innerhalb des veränderten Wachbewusstseinszustandes der Trance, sondern auch deren soziale Bedeutungsgebung innerhalb des kommunikativen Austauschs möglichst frei von unreflektierten oder übernommenen Erwartungshaltungen. Goodman (o.A.) weist jedoch darauf hin, dass die Arbeit mit Kindern an dieser Stelle anderen Regeln folgt.

7. Forschungsstand: Rituelle Körperhaltungen

…ihr [Goodmans] Modell der religiösen Trance

erscheint daher als durchaus plausibel

und aufgrund der übersichtlichen Anzahl der relevanten Faktoren

in der offenbar guten Reproduzierbarkeit

ein gutes Labormodell `für die Erforschung veränderter Bewusstseinszustände´.

(Wenzel, 1995, S.186)

Im Folgenden soll nun ein Überblick über bisherige Forschungsarbeiten im Zusammenhang mit Rituellen Körperhaltungen gegeben werden. Der Fokus der Betrachtung liegt auf Ergebnissen, die bezüglich der mit dieser Ausarbeitung präsentierten empirischen Forschung von Interesse sind. Die Veröffentlichung von Goodman (1986) sei den weiteren Studien vorangestellt (Kapitel 7.1). Sie kann als Grundlagenartikel bezeichnet werden. Viele der späteren Arbeiten beziehen sich auf die in dieser Publikation zuammengefassten Studien. Der Leser erhält einen Einblick in Ergebnisse physiologischer (Kapitel 7.2) und psychologischer Untersuchungen (Kapitel 7.3). Ebenso werden drei unveröffentlichte Diplomarbeiten vorgestellt (Kapitel 7.4). Abschließend bieten sich Zusammenfassungen über die theoretischen Erkenntnisse aus den Studien bezüglich der Erlebniskonsistenz Ritueller Körperhaltungen (Kapitel 7.5), ihrer Determinanten und Konsequenzen (Kapitel 7.6), hinsichtlich der Vergleiche zwischen Neulingen und auf diesem Gebiet sehr erfahrenen Personen (Kapitel 7.7) und bezüglich der Kritik der eingesetzten Methoden (Kapitel 7.8) an. Einen tabellarischen Überblick über die einzelnen Forschungsarbeiten findet der Leser in Anhang C.1.

7.1. Grundlagenartikel (Goodman, 1986)

Das Interesse von Goodman (1986) gilt folgenden Fragestellungen:

a) Induzieren Rituelle Körperhaltungen veränderte Bewusstseinszustände?
b) Sind die Tranceerlebnisse konsistent?
c) Stimmen die Tranceerlebnisse mit Beschreibungen aus der ethnographischen Literatur überein?

In ihrer Veröffentlichung fasst Goodman (1986) fünf Studien aus den Jahren von 1977 bis 1982 zusammen. In jeder dieser Untersuchungen praktizieren zwischen drei und zehn Studienteilnehmer im Alter von 19 bis 60 Jahren fünf Rituelle Körperhaltungen (Bärenhaltung, Singender Schamane, Nupe Mallam, Knochenweise aus Australien, Mann von Lascaux). Das Ritual folgt den Vorgaben, wie diese im Kapitel 6.2.3 dargestellt sind. Goodman (1986) kann alle drei Fragestellungen bestätigen.

Zur Konsistenz der Erlebnisberichte. Es zeigen sich Übereinstimmungen in den Erzählberichten sowohl innerhalb einer jeden Rituellen Körperhaltung als auch im Vergleich derselben zur ethnographischen Literatur. Die Erlebnisse verschiedener Ritueller Körperhaltungen grenzen sich eindeutig gegeneinander ab.

Ergebnisse der Vergleichshaltungen. Zusätzlich zu den Rituellen Körperhaltungen praktizieren die Studienteilnehmer eine neutrale Körperhaltung (Venus von Willendorf). Den Teilnehmern wird nicht mitgeteilt, dass sich diese Körperhaltungen von denen der Rituellen Körperhaltungen darin unterscheiden, dass sie keinen mythologischen Hintergrund beinhalten. Als Ergebnis dieses Vergleichs zeigt sich: Ein Erleben von Trance in einer nicht Rituellen Körperhaltung ist äußerst erschwert bzw. unmöglich. Von den Teilnehmern berichtete Trancen stellen irritierende und von alltäglichen Dingen durchdrungene Erlebnisse dar. Das Ritual wird als äußerst unangenehm empfunden. Somit kann festgehalten werden, dass Rituelle Körperhaltungen nicht nur in ihrem Erlebnishorizont konsistent und von einander abgrenzbar sind, sondern sie unterscheiden sich ebenso deutlich von Körperhaltungen ohne rituellen Hintergrund.

Erfahrungen keiner Trance. Auch wenn Rituelle Körperhaltungen in Zustände veränderten Wachbewusstseins führen, garantieren sie diese jedoch nicht notwendigerweise. Während der fünf Studien zeigen 4 Teilnehmer keine Anzeichen von Trance. Zwei der betroffenen Personen begründen dies in ihrer zu geringen Konzentrationsfähigkeit. Die beiden anderen führen ihre `Trancelosigkeit´ auf ihren hohen Übungsgrad in meditativen Trancen zurück.

Weitere Ergebnisse: Konsequenzen im Alltag. Nicht als explizite Fragestellung der Studie zugrunde liegend, im Rahmen der vorliegenden Arbeit jedoch durchaus interessant, erscheinen folgende Aussagen von zwei Ritualteilnehmern: Eine Teilnehmerin berichtet, dass es ihr aufgrund ihrer Tranceerfahrungen im Alltag nun leichter fällt, Entscheidungen zu treffen. Ein anderer Teilnehmer berichtet über verbesserte Interaktionen mit seinem sozialen Umfeld.

7.2. Physiologische Aspekte

Zur Frage der durch Rituelle Körperhaltungen ausgelösten neurophysiologischen Veränderungen liegen bisher drei Forschungsarbeiten vor (Goodman, 1999; Guttmann, 1992; Rittner & Fachner, 2004) vor. Neurochemische Veränderungen zeigen sich in einer Studie (Goodman, 1999).

7.2.1. Neurophysiologische Veränderungen

Bei den drei Studien über neurophysiologische Veränderungen während Ritueller Körperhaltungen (Goodman, 1999; Guttmann, 1992; Rittner & Fachner, 2004) handelt sich um Untersuchungen auf der Grundlage von EEG(Elektroenzephalogramm)-Aufzeichnungen. EEG-Ableitungen erfassen zeitlich genau das elektronegative Gleichspannungspotential (DC-Potential: D irect C urrent Potential) der Kortexoberfläche. Sie erstellen sozusagen eine Landkarte des gehirnregionalen Aktivitätsniveaus (Rittner & Fachner, 2004). Im Wachzustand zeigt sich ein relativ stabiles und nur von kleinen Schwankungen unterbrochenes DC-Potential (Guttmann, 1992).

7.2.1.1. Guttmann (1992)

Guttmann (1992) realisiert eine experimentelle Studie zur Frage neurophysiologischer Determinanten der Trance Ritueller Körperhaltungen. An seiner Studie nehmen zehn Probanden teil. Welche Rituelle Körperhaltung praktiziert wird, teilt Guttman (1992) nicht mit.

Es zeigt sich, dass während Ritueller Körperhaltungen das DC-Potential, analog dem Zustand eines schlafenden Menschen, erhöht ist. Es bildet sich jedoch in genau entgegengesetzter Richtung ab, so dass es schließlich um ca. 2000 bis 4000 Mikrovolt unter dem des Wachzustandes liegt. Gleichzeitig treten Theta-Wellen auf, die normalerweise Kennzeichen eines Schlafzustandes zumindest mittlerer Tiefe sind. Interessanterweise korrelieren die Perioden, in denen das Muster der Theta-Wellen besonders ausgeprägt ist, mit den Phasen im Trancezustand, in welchen die Probanden „besonders eindrucksvolle Szenen“ (Guttmann, 1992, S.282) erleben. Zu dieser Feststellung gelangt Guttman (1992) anhand der anschließenden Befragungen seiner Studienteilnehmer. Angaben, wie die Berichte der Probanden den einzelnen Perioden zeitlich zugeordnet werden können, finden sich in seinen Ausführungen jedoch nicht. Den in den EEG-Ableitungen abgebildeten „Mischzustand“ (S.282) bezeichnet Guttmann (1992) mit dem Begriff der „entspannten Hochspannung“ (ebd.) oder auch „Paradoxical Arousal“ (ebd.)

Im Vergleich der Trance Ritueller Körperhaltungen mit hypnotischen und Schlafzuständen lassen sich grundlegende Unterschiede erkennen (Abbildung 12). Bezüglich des Schlaf- und Trancezustandes Ritueller Körperhaltungen finden sich diesbezügliche Erläuterungen im vorherigen Abschnitt. In hypnotischer Trance ändert sich die elektronegative Aufladung der Großhirnrinde nicht signifikant gegenüber dem alltäglichen Wachzustand (Guttmann, 1992).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 12 Verschiedene DC-Potentiale während Schlaf, Hypnose und Ritueller Körperhaltungen (Guttmann, 1992)

7.2.1.2. Goodman (1999) [bzw. Kugler, 1984]

Die im vorherigen Kapitel wiedergegebene Studie von Guttmann (1992) stellt bereits eine Verifikation der Ergebnisse der ersten Untersuchung zu den Rituellen Körperhaltungen dar. Sie wurde 1984 an der Münchener Universität unter Leitung von Prof. Dr. Johann Kugler, des ehemaligen Leiters des neurophysiologischen Labors, durchgeführt. Es nehmen sechs Versuchspersonen teil. Der Name der praktizierten Rituellen Körperhaltung ist unbekannt. Auch in dieser Studie zeigen die Ergebnisse einer Versuchsperson, dass Trancezustände Ritueller Körperhaltungen mit einem verstärkten Auftreten von Thetawellen langsamer Frequenzen und hoher Amplituden einhergehen (Goodman, 1999). Analysen der Ergebnisse der anderen fünf Versuchpersonen können aufgrund äußerer Umstände nicht durchgeführt werden (vgl. Kapitel 7.2.2.1).

7.2.1.3. Rittner und Fachner (2004)

Eine dritte Studie zur Frage der Gehirnwellenaktivität in Trancezuständen Ritueller Körperhaltungen ist die im Rahmen einer authentischen Gruppensituation an zwei Probanden durchgeführte Untersuchung von Rittner und Fachner (2004) zur Rituellen Körperhaltung des Olmekischen Prinzen. Die bei Guttmann (1992) beschriebenen Ergebnisse werden nicht nur verifiziert, sie werden in wichtigen Aspekten spezifiziert. So zeigt sich neben langsamen Thetawellen auch eine hochsignifikante Zunahme von Betawellen. Die stehen in Verbindung mit Aktivitäten des Wachbewusstseins, z.B. Kognitionen (Hutchinson, 1996). So zeigt sich erneut: Zum einen induzieren Rituelle Körperhaltungen Trancezustände, zum anderen rechtfertigt sich der Begriff der „entspannten Hochspannung“ (Guttmann, 1992, S.282). Konnte bei Guttmann (1992) noch die Frage gestellt werden, ob seine Untersuchungsergebnisse auf eine Überwachheit der Person während des Trancezustandes hinweisen, kann anhand der Betawellen-Veränderungen diese Annahme nun zugelassen werden. Weiterhin stellen Rittner und Fachner (2004) fest, dass Trancen Ritueller Körperhaltungen Aspekte sowohl ergotroper als auch trophotroper Zustände (vgl. Kapitel 2) aufweisen.

Als Fazit gilt: Bei den durch Rituelle Körperhaltungen induzierten veränderten Wachbewusstseinszuständen handelt es sich tatsächlich um eine ganz „spezifische Reaktion auf diese von Goodman wiederentdeckte Methode der Tranceinduktion“ (Rittner & Fachner, 2004). Und dieser Zustand ist, zumindest auf der Grundlage neurophysiologischer Korrelate wie der Gehirnaktivität, klar von anderen veränderten Wachbewusstseinszuständen abgrenzbar.

Im Zusammenhang mit Fragen der Steuerungsfähigkeit und Kontrolle des individuellen Tranceerlebens erscheint folgendes interessant: Guttmann (1990, in Nauwald, 2002) fand heraus, dass immer dann das DC-Potential ansteigt, wenn der Proband bewusst seine Körperspannung erhöhte. Entspannung führt zu einem Absinken der elektronegativen Aktivität. Diese Befunde gelten als „der erste Schritt zu einem Brückenschlag zwischen jahrtausendealten Erfahrungen und moderner Technologie: Die Skelettmuskelspannung ist ein überaus potenter Hebel zur Bewusstseins-Steuerung und ein gut trainierter Mensch vermag mit ihrer Hilfe enorme DC-Verschiebungen herbeizuführen, die mehrere Minuten andauern. Die dadurch erreichte Bewusstseinslage kann aber auch innerhalb von wenigen Sekunden wieder aufgehoben werden…Die Körperhaltung ist ein `Steuerungssystem´“ (Nauwald, 2002 S.78). Auch diese Annahme kann durch die Forschungen von Rittner und Fachner (2004) bestätigt werden. Die beschriebene, hochsignifikante Zunahme von Betawellen steht für eine außerordentlich hohe Aufmerksamkeit, Wachheit und Konzentration (Hutchinson, 1996). Die Autoren sehen diese im Zusammenhang mit dem Erhalt der Selbstkontrolle auch während des direkten Erlebens von Trancen Ritueller Körperhaltungen (Rittner & Fachner, 2004).

7.2.2. Neurochemische Veränderungen

Mit Fragen neurochemischer Veränderungen sowie Veränderungen im zentralen Nervensystem beschäftigt sich ausschließlich die 1984 durchgeführte Münchener Untersuchung unter Leitung von Prof. Dr. Johann Kugler (Goodman, 1999).

7.2.2.1. Goodman (1999) [bzw. Kugler, 1984]

An der Münchener Untersuchung, einer experimentellen Studie, nehmen sechs Versuchspersonen teil. Der Name der praktizierten Rituellen Körperhaltung ist unbekannt. Ergebnisse liegen nur zu den Messwerten einer Versuchsperson vor. Auf diesen Umstand wird weiter unten eingegangen.

Im Trancezustand Ritueller Körperhaltungen zeigt sich ein Anstieg der Pulsrate bei gleichzeitiger Abnahme des Blutdrucks. Diese Veränderungen in der Aktivität des zentralen Nervensystems bieten eine Erklärung für die von den Teilnehmern berichteten visionären Erfahrungen. So verweist Goodman (1999) auf Rituale des Aderlasses („blood letting rituals“) (S.75) bei den Maya. Innerhalb dieser Rituale auftretende visionäre Erfahrungen erklären die Maya als physiologische Reaktion auf den Blutverlust (Schele & Miller, 1986, in Goodman, 1999).

Neben den Veränderungen der Pulsrate und des Blutdrucks werden vermehrt verschiedene Katecholamine wie Epinephrin und Norepinephrin ausgeschüttet. Die Produktion der Beta-Endorphine steigt an. Im Gegensatz zu den Katecholaminen können Beta-Endorphine auch nach Beendigung der rituellen Körperhaltung weiterhin im Blut nachgewiesen werden. Dieses Ergebnis erklärt die im Anschluss an Tranceerfahrungen oft berichteten Gefühle der enormen Euphorie (Goodman & Nauwald, 1998). Beta-Endorphine stehen mit intensiven Freudegefühlen in Verbindung. Gleichzeitig führen sie zu einer Reduktion der Schmerzwahrnehmung. Wie in den Studien von Guttmann (1992) und deren Verifikation von Rittner und Fachner (2004) bereits beschrieben, zeigt sich auch in dieser Studie, dass sich die Rituellen Körperhaltungen auf neurochemischer Ebene von anderen Zuständen der Trance unterscheiden.

Leider können die Ergebnisse der Münchener Studie nicht in ihrer Gesamtheit ausgewertet werden. Auch stellt die Publikation von Goodman (1999) die einzige stringente Wiedergabe ihrer Ergebnisse dar. Meine persönliche Korrespondenz mit Prof. Dr. Kugler ergab, dass die ihm vorliegenden Fragmente der Untersuchungsergebnisse sich zu einer erneuten Auswertung einer Forschung mit heute 20-jähriger Vergangenheit nicht anbieten. Nach Durchsicht der Dokumente gelangt er zu folgender Schlussfolgerung: „Das Vorliegende [die Fragemente der Untersuchungsergebnisse] spricht im Sinn der Interpretation von Frau Goodman, doch kann das Ergebnis einer einzigen Versuchsperson nicht als relevant beurteilt werden und nur ein Fortsetzen des Planes für serologische Kontrollen und EEG-Ableitungen mit Analysen von Synchronisationen und Kohärenzen rechtfertigen“ (Prof. Dr. Kugler, persönliche Mitteilung, 10.10.2004). Hinweise auf die Umstände, die eine Auswertung der Ergebnisse der Münchener Studie verhinderten, sowie eine Rekonstruktion des Untersuchungsablaufs, findet der interessierte Leser in der im Anhang C.2 wiedergegebenen Korrespondenz mit Prof. Dr. Kugler.

7.3. Psychologische Aspekte

Im Folgenden werden drei Studien vorgestellt, die Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen vor dem Hintergrund psychologischer Fragestellungen untersuchen. Die Studie von Wenzel (1995) bestätigt in einigen Punkten die Annahmen von Goodman (1986). Daher sei diese zuerst wiedergegeben. Die Forschungen von Kremer und Krippner (1994) sowie Woodside et al. (1997) können die Annahmen von Goodman (1986) nicht bestätigen. Ihre Darstellung erfolgt anschließend.

7.3.1. Wenzel (1995)

Eine Replikationsstudie der Untersuchungen von Goodman (1986) liegt mit der Publikation von Wenzel (1995) vor. Die Studie basiert auf dem Vergleich einer Rituellen Körperhaltung (Bärenhaltung) mit einer nicht näher bezeichneten Yoga-Haltung. Im Rahmen eines experimentellen Settings nehmen 25 Versuchspersonen im Alter zwischen 19 und 37 Jahren an der Untersuchung teil.

Zur Konsistenz der Erlebnisberichte. Als Ergebnis zeigt sich, dass die „im Einzelnen angeführten, subjektiven Erfahrungen…weitgehend den von Goodman [1986] entsprachen“ (Wenzel, 1995, S.186). Es werden taktile, visuelle, kinästhetische sowie akustische Sinneseindrücke wahrgenommen. Interessant erscheint, dass sieben der 25 Teilnehmer von einer Begegnung mit „einem großen Tier oder ähnlichem“ (Wenzel, 1995, S.186) berichten und vier Teilnehmer “hörten oder sahen einen Bären oder fühlten sich in einen solchen verwandelt“ (ebd.). An dieser Stelle sei angemerkt, dass keiner der Teilnehmer zuvor Rituelle Körperhaltungen praktiziert hatte bzw. über deren ethnographischen Hintergrund aufgeklärt wurde. „Die überraschend hohe Übereinstimmung der Versuchspersonen in Bezug auf die richtige Identifikation der von uns als solcher postulierten Trancehaltung war für uns überraschend und lässt sich nicht durch Vorwissen der Vpn [Versuchspersonen] erklären“ (Wenzel, 1995, S.186).

Ergebnisse der Vergleichshaltungen. Obwohl die Versuchspersonen nicht über die unterschiedlichen Hintergründe der einzunehmenden Körperhaltungen informiert wurden, berichten 23 Probanden, einen „tranceartigen Zustand“ (Wenzel, 1993, S.186) nur während der Rituellen Körperhaltung wahrgenommen zu haben. Auch dieses Ergebnis repliziert die Befunde von Goodman (1986).

Erfahrungen keiner Trance. Ein Teilnehmer brach die Studie während der Rituellen Körperhaltung ab. Er berichtet, dass es ihm unmöglich war, seine alltäglichen Gedanken abzuschalten.

7.3.2. Kremer und Krippner (1994)

Kremer und Krippner (1994) führen drei Replikationsstudien (1989-1992) gemäß dem von Goodman (1986) beschriebenen Ritualablauf (vgl. Kapitel 6.2.3) in Workshops zum Thema veränderter Bewusstseinszustände durch. An ihren Untersuchungen nehmen insgesamt 54 Personen teil. Es werden zwei Rituelle Körperhaltungen (Singender Schamane, Chiltan-Haltung) und eine Körperhaltung ohne rituellen Hintergrund (Venus von Willendorf) praktiziert.

Zur Konsistenz der Erlebnisberichte. Kremer und Krippner (1994) können in beiden Rituellen Körperhaltungen weder die Annahme der Erlebniskonsistenz noch die der Vergleichbarkeit der Tranceerlebnisse mit Beschreibungen aus der ethnographischen Literatur bestätigen. Diese Feststellung basiert auf Ergebnissen sowohl qualitativer wie auch quantitativer Daten. Einerseits werden inhaltsanalytische Auswertungen der Erzählberichte der Teilnehmer durch zwei Psychologen unabhängig voneinander durchgeführt. Die Bestimmung der Konsistenz der Erlebnisse orientiert sich an den Benennungshäufigkeiten der erarbeiteten Kategorien. Auf der anderen Seite kommt der PCQ (Phenomenology of Consciousness Questionnaire) (Pekala, 1991a, 1991b) zum Einsatz. Anhand der Subskala „Altered Experience“ können Kremer und Krippner (1994) die Studienteilnehmer in Personen mit hoher versus niedriger Bewusstseinsveränderung unterscheiden. Interessant erscheint, dass Personen mit hohen Veränderungen ihrer Erfahrungen weniger übereinstimmende Erlebnisse im Vergleich zur ethnographischen Literatur berichten. Die Erzählberichte von Teilnehmern mit niedrigen Veränderungen des Bewusstseinszustandes zeichnen sich durch eine geringe Dichte im visuellen Erleben und vielfältige unangenehme Wahrnehmungen aus.

Ergebnisse der Vergleichshaltungen. Gegenteilig zu Goodman (1986) und Wenzel (1995) können Kremer und Krippner (1994) nicht zeigen, dass eine neutrale Körperhaltung nicht auch veränderte Wachbewusstseinszustände induziert. Eine Drittel bis die Hälfte der Studienteilnehmer berichten auch in dieser von Tranceerlebnissen. Das Fazit der Autoren lautet, dass somit auch die Körperposition ohne rituellen Hintergrund mit Rituellen Körperhaltungen vergleichbar ist. Doch ähnlich wie bei Goodman (1986) und Wenzel (1995) überwiegen in der nicht rituellen Körperhaltung Beschreibungen unangenehmer und unlustvoller Wahrnehmungen.

Grenzen der Studie. Kremer und Krippner (1994) kritisieren an ihrer Studie, im Gegensatz zu Goodman (1986) mehrere Rituelle Körperhaltungen an einem Tag praktiziert zu haben. Sie diskutieren, dass somit eine Konfundierung der Effekte nicht auszuschließen ist.

7.3.3. Woodside, Kumar und Pekala (1997)

Woodside et al. (1997) führen eine Replikationsstudie gemäß dem von Goodman (1986) beschriebenen Ritualablauf durch. Ihre Ergebnisse stellen sie in einer sehr detaillierten und reflektierten Ausarbeitung zur Verfügung.

Den Forschungsrahmen bilden vier Untersuchungsbedingungen mit insgesamt 284 Teilnehmern im Alter von 17 bis 38 Jahren. In zwei Bedingungen praktizieren die Teilnehmer eine alltägliche Sitzhaltung auf Stühlen mit bzw. ohne begleitenden Trommelrhythmus. Während der beiden anderen Bedingungen nehmen die Studienteilnehmer eine Rituelle Körperhaltung (Gefiederte Schlange) ein, wobei in einer dieser Bedingungen während der Trancephase zusätzlich verbale Suggestionen in Anlehnung an die Beschreibungen aus der ethnographischen Literatur eingestreut werden. Als Messinstrumente dienen einerseits die schriftlichen Erzählberichte der Studienteilnehmer und andererseits der PCI (Phenomenology of Consciousness Inventory) (Pekala, 1991a, 1991b).

Zur Konsistenz der Erlebnisberichte. Die Annahmen von Goodman (1986) werden nicht bestätigt. Die Erzählberichte zu den Rituellen Körperhaltungen lassen keine thematischen Schwerpunkte erkennen. Sogar bei Vorgabe der verbalen Suggestionen zeigen sich keine signifikanten Übereinstimmungen.

Ergebnisse der Vergleichshaltungen. Aufgrund der Ergebnisse des PCI (Pekala, 1991a, 1991b) kommen Woodside et al. (1997) zu dem Schluss, dass die Gruppe der Körperhaltungen ohne rituellen Hintergrund höhere (Trance-)Effekte aufweist. Insofern induzieren auch einfache Sitzhaltungen veränderte Bewusstseinszustände. Die Annahme von Goodman (1986), dass Rituelle Körperhaltungen sich in diesem Punkt grundlegend von Körperhaltungen ohne rituellen Hintergrund abgrenzen, bestätigt sich nicht.

Multimethodaler Vergleich: Erzählbericht versus Fragebogen. Den Ergebnissen des PCI (Pekala, 1991a, 1991b) in Bezug auf die Vergleichshaltungen widersprechend, verweisen die Erzählberichte auf ausgeprägt visuelle Sinneswahrnehmungen bei den Teilnehmern Ritueller Körperhaltungen. So gelangen Woodside et al. (1997) zu dem Schluss, dass einer geringen Quantität visuellen Erlebens, gemessen anhand des PCI, eine erhöhte Qualität dieses Erlebens, offensichtlich in den Erzählberichten, gegenübersteht. Auch betonen die Autoren, dass viele der Teilnehmer Schwierigkeiten hatten, auf die Tranceerfahrungen bezogene Gedanken, Bilder und Erinnerungen inhaltlich zu erfassen und zu kommunizieren.

Grenzen der Studie. Im Gegensatz zu Gesell (2004) und Schirmbrand (1991) diskutieren Woodside et al. (1997) nicht die Frage der Adäquatheit und Anwendbarkeit der eingesetzten Messmethoden zur Abbildung von veränderten Bewusstseinszuständen, wenn diese durch Rituelle Körperhaltungen induziert werden.

7.4. Diplomarbeiten

Im Folgenden werden drei Diplomarbeiten vorgestellt. Jeder dieser Untersuchungen über Tranceerfahrungen Ritueller Körperhaltungen liegen psychologische Fragestellungen zugrunde. Zuerst sei mit der Studie von Baldemair (1999) eine qualitative Interviewstudie vorgestellt. Die Forschung von Schirmbrand (1991) orientiert sich an quantitativen Paper-and-Pencil-Tests. Gesell (2004) integriert sowohl qualitativ ausgewertete Erzählberichte als auch quantitativ erhobene Daten.

7.4.1. Baldemair (1999)

Baldemair (1999) untersucht in ihrer Studie Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen veränderten Bewusstseinszuständen, wie sie durch Techno-Musik versus Ritueller Körperhaltungen induziert werden. Sie interviewt 12 Personen einerseits zu der Frage, ob jedes dieser beiden Settings für sich genommen Trancezustände ermöglicht, andererseits interessierte sie die Phänomenologie der erlebten veränderten Bewusstseinszustände. Ihre Interviewpartner bezieht die Autorin aus unterschiedlichen Umgebungen der Techno-Szene und bezüglich der Rituellen Körperhaltungen vor allem aus den Teilnehmern eines Maskentanz-Seminars unter der Leitung von Felicitas Goodman. Den Interviews liegen keine festgesetzten, von allen Teilnehmern gleicher Maßen erlebten Rituellen Körperhaltungen zugrunde.

[...]

Ende der Leseprobe aus 361 Seiten

Details

Titel
Trance: Determinanten, Inhalte und Konsequenzen - Eine empirische Studie am Beispiel Ritueller Körperhaltungen
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Medizinisch-Psychologisches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
361
Katalognummer
V62275
ISBN (eBook)
9783638555463
ISBN (Buch)
9783656772606
Dateigröße
2656 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Empirische u. interdiszipliäre Studie unter Berücksichtigung sowohl psychologischer als auch ethnologischer Ansätze. Theorieteil: 1. Phänomenologie von Bewusstseinszuständen, 2. Trance: Begriffsdefinition über Abgrenzungen, 3. Determinanten von Trance, 4. Ritual, Set u. Setting, 5. Umgang mit Trance-Erfahrungen, 6. Schamanismus u. Trance: Rituelle Körperhaltungen, 7. Forschungsstand: Erstmalig umfassende Darstellung empirischer Studien zum Thema Ritueller Körperhaltungen
Schlagworte
Trance, Determinanten, Inhalte, Konsequenzen, Eine, Studie, Beispiel, Ritueller, Körperhaltungen
Arbeit zitieren
Christina Hunger (Autor:in), 2005, Trance: Determinanten, Inhalte und Konsequenzen - Eine empirische Studie am Beispiel Ritueller Körperhaltungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62275

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