Leseprobe
Eine Stadt! Sie ist die Beschlagnahme der Natur durch den Menschen.
(Le Corbusier, 1929)
Stadt: was für ein knappes Wort für eine Vielfalt von Wirklichkeiten. (Häußermann/Siebel 1987).
Es gibt für mich keinen anderen Raum, wo alle Schichten der Gesellschaft aufeinander treffen. Städte sind Ausdruck eines neuen Maßstabs urbaner funktionaler Verflechtungen. Als Schnittstellen zwischen lokalen und globalen Netzwerken haben sie eine besondere Stellung für die gesellschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung eines Landes. Ihre Wahrnehmung jedoch bereitet Schwierigkeiten und sprengt gewohnte Vorstellungen: Städte umfassen weit mehr als eine Großstadt mit ihrem Umland. Ihre Gebietsabgrenzung ist schwierig, ihre Teilräume sind äußerst vielgestaltig. Die funktionalen Verflechtungen entziehen sich der unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung, unterschiedliche Raumdimensionen und Maßstäbe greifen gleichzeitig ineinander. Raumentwicklung findet unter dem wachsenden Einfluss der Wissensökonomie im Verborgenen statt.
Städte lassen durch ein gemeinschaftliches Leben die Bildung von räumlich-sozialen Gemeinschaften zu, ebenso die von religiösen und ethischen Gruppen, nach Heitmeyer lassen sich hier Verhaltensweisen verfestigen resp. fortentwickeln (Heitmeyer 1998).
Ich möchte die Frage aufgreifen, in welcher Form Gesellschaften mit ihren Städten kommunizieren, speziell aus dem Blickwinkel eines Architekten. Hier habe ich brauchbare Ansätze in den Theorien von Niklas Luhmann und Karl E. Weick gefunden, die in den nachfolgenden Ausführungen integriert werden.
Als erklärungsbedürftig erachte ich den Begriff Organisation. Nach Karl E. Weick bestehen Organisationen aus Plänen, Rezepten, Regeln, Anordnungen u. Programmen zum Hervorbringen, Interpretieren und Dirigieren von Verhaltensweisen, die von mehren Personen in Angriff genommen werden (Weick 1985).
Luhmanns Definition: „Organisationen sind autonome, in sich geschlossene, von der Umwelt klar abgrenzte Einheiten. Diese Systeme ziehen ihre Grenzen von der Umwelt selbst.“ Soziale Systeme werden bei Luhmann nicht im direkten Austausch mit der Umwelt als offen bezeichnet. Ein System kann seine spezifische Wahrnehmungsweise der Umwelt nicht ändern, ohne seine spezifische Identität zu verlieren. (Luhmann 1984)
Das Ziel des Architekten ist die höchstmögliche organisatorische und räumliche Individualität des Einzelnen zu verknüpfen mit einer ebenso spezifischen wie kommunikativen Auslegung des Gebäudeentwurfs, ohne dabei die strukturelle Ordnung der Stadt in Frage zu stellen. Wie Luhmann zieht ein Architekt auch die Grenzen mit dem Entwurf, resp. der Umsetzung, selbst. Was nicht ausschließt, dass gerade architektonische Symbole des Andersseins und der Exklusivität dem gesellschaftlichen Austausch verpflichtet sind. Stadt verlangt Kreativität, in den Gebäuden wie im Stadtraum.
Luhmanns Systemtheorie besagt, dass nicht der Mensch selbst und auch nicht das Bewusstsein kommunizieren, sondern allein die Kommunikation – und dadurch wird Gesellschaft erzeugt, die polykontexturale Gesellschaft. (von Goldammer 2000)
Alle seiner Handlungen werden aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, um zu Begreifen. Weick zieht die Ex-Post Betrachtung an dieser Stelle vor, worauf später noch näher darauf eingegangen wird. Luhmanns Systemtheorie basiert auf der Evolution von Kommunikation und parallel auf der Evolution der Gesellschaft. Häufig wird von sozialen Systemen gesprochen, die durch einen autopoietischen Kommunikationszusammenhang entstehen, das kann hier die Wirkung von innen (z.B. der im Gebäude lebenden) nach aussen (öffentlicher Raum) sein. ( Kittel 1993)
Die innere Kommunikation ist durch binäre Codes, die über die Zugehörigkeit zum Funktionssystem entscheidet, geregelt. Das heisst, wer mit den Ressourcen Material, die Funktion Knappheitsminderung durch die Schaffung von Lebensräumen durchführt, agiert innerhalb des Systems Wirtschaft. Daneben lassen sich noch zahlreiche andere Funktionssysteme unterscheiden, beispielsweise: Politik, Kunst und Liebe. Soziale Systeme bestehen demnach nicht aus Menschen, auch nicht aus Handlungen, sondern rein aus der Kommunikation.“ (Luhmann 1986)
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