Zwischen den Blöcken - Indiens Politik des Non-Alignments von 1947 bis 1964


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Vorüberlegungen
2.1 Konventionelle Beschreibungsmodelle der Internationalen Beziehungen im Kalten Krieg
2.2 „The tail wagging the dog“: Für eine perizentrische Perspektive

3. Indien im Kalten Krieg
3.1 Non-Alignment als außenpolitische Zielkategorie
3.2 Blockfreiheit auf dem Prüfstand
3.3 Die Supermächte und der Subkontinent

4. Exkurs: Die Bewegung der Blockfreien heute

5. Schluss: Zwischen den Blöcken?

6. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

My essential argument is that while junior members in the international system at times took actions that tried to block, moderate, and end the epic contest, they also took actions that played a key role in expanding, intesifying, and prolonging the struggle between East and West.[1]

Mit dieser These widerspricht der britische Historiker Tony Smith einer konventionellen Auffassung, die den Kalten Krieg primär als eine globale Konfrontation zweier Supermächte beschreibt.[2] Sein „pericentric framework“ begreift das internationale System nach dem zweiten Weltkrieg als ein komplexes Beziehungsgeflecht, das nicht allein von den USA und der Sowjetunion dominiert wurde. Vielmehr sei es lokalen Akteuren gelungen, Washington und Moskau gegeneinander auszuspielen und den weltpolitischen Antagonismus für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Die Regierungen von Staaten wie China, Nordkorea, Deutschland oder Kuba seien in der Lage gewesen, souverän und unabhängig zu handeln, auch wenn sie dabei sowjetische bzw. amerikanische Interessen verletzten. Auf diese Weise hätten sie entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung des Kalten Krieges genommen und ihn mitunter nach ihrem eigenen Willen gestaltet.

Ich möchte versuchen, diese analytische Prämisse am Beispiel Indiens zu überprüfen. Indien gilt nach dem Erlangen seiner Unabhängigkeit am 15. August 1947 als einer der wichtigsten Staaten in der Bewegung der Blockfreien. Unter maßgeblicher Federführung des indischen Ministerpräsidenten Jawaharlal Nehru verfolgte der indische Subkontinent in den Jahren zwischen 1947 bis 1964 den Anspruch, sich weder in den amerikanischen noch in den sowjetischen Machtblock einzureihen.[3] Dabei kam es zu zahlreichen Kooperationen mit vornehmlich asiatischen und afrikanischen Staaten, die ihrerseits gerade erst koloniale Herrschaftsgefüge abgestreift hatten bzw. sich innerhalb eines Emanzipationskampfes mit ihren Kolonialherren befanden: „Sie wollten sich endlich als Subjekte der Weltpolitik bemerkbar machen, nicht länger Objekte sein, über die von anderen Mächten verfügt wurde.“[4] Eine spezielle Form der Bündnispolitik sollte die eigenständigen Interessen der auf diese Weise assoziierten Staaten wahren. Gleichzeitig war diese Bewegung darum bemüht, die Konfrontation zwischen den USA und der Sowjetunion einzudämmen, für nukleare Abrüstung zu werben und Bedingungen für die friedliche Koexistenz aller Staaten zu schaffen.

Bestätigt die indische Politik des Non-Alignments die These des „pericentric framework“? Waren blockfreie Akteure, insbesondere Indien, in der Lage, politische Spielräume zu schaffen und für sich zu nutzen? Konnten sie sich als souveräne Subjekte innerhalb der internationalen Ordnung behaupten? Oder ist der Begriff der Blockfreiheit eine ‚pazifistische Seifenblase’? Konnte Nehru vielleicht nur deshalb eine vermeintlich unabhängige Außenpolitik betreiben, weil die beiden Supermächte ihn gewähren ließen? Hatte die Politik des Non-Alignments also keinerlei Einfluss auf den Verlauf und die Struktur des Kalten Krieges?

Der Eintritt Indiens in die Unabhängigkeit (1947) und der Tod Nehrus als einflussreichster Gestalter der indischen Außenpolitik (1964) bestimmen den zeitlichen Rahmen meiner Analyse. Vorangestellt werden zunächst theoretische Überlegungen: Thesenartig soll gezeigt werden, welche analytischen Prämissen der historiographischen Auseinandersetzung mit dem Kalten Krieg zugrunde liegen. Etablierte und avancierte Modelle sollen dabei kontrastiv gegenüber gestellt werden, um auf diese Weise eine diskursive Basis für die Beschäftigung mit der indischen Außenpolitik zu legen.

Die Forschung – so scheint es – hat die Problematik des Non-Alignments seit den 1980er Jahren, spätestens aber seit dem Ende des Kalten Krieges vernachlässigt. Die für diese Hausarbeit zusammengetragenen Monographien und Aufsätze stammen daher zu einem großen Teil aus den 1960er und 1970er Jahren. Die mangelnde Aktualität der Forschungsliteratur soll durch die Berücksichtigung von zeitgenössischen Quellen, insbesondere von politischen Reden, Briefen und Deklarationen[5] kompensiert werden.

2. Theoretische Vorüberlegungen

2.1 Konventionelle Beschreibungsmodelle der Internationalen Beziehungen im Kalten Krieg

Die traditionelle Historiographie der Internationalen Beziehungen nach dem zweiten Weltkrieg fußt zu einem großen Teil auf der strukturellen Analysekonzeption des Realismus. Diese Schule begreift den Kalten Krieg als eine Systemkonfrontation zwischen den USA und der UdSSR, in deren Folge sich zwei stabile Machtblöcke etabliert hätten. Entscheidend dabei sei der universal-expansive Charakter beider Systeme: ein politisch-wirtschaftlicher Liberalismus auf US-amerikanischer Seite und ein vom Gedanken der Weltrevolution getragener Kommunismus auf sowjetischer Seite. Dieser ideologische Antagonismus sei verantwortlich für eine bipolare Struktur der Internationalen Beziehungen, der alle nationalstaatlichen Akteure unterworfen wären. Politische Gestaltungsspielräume besitzen demnach nur Staaten, die über ein ausreichendes militärisches Bedrohungspotential und wirtschaftliche Druckmittel verfügen. Im Zweifelsfall wird ausschließlich den beiden Supermächten die weltpolitische Relevanz zugesprochen. Werner Link treibt diese orthodox-realistische Sichtweise auf die Spitze, indem er das Machtpotential eines Staates anhand der Stahl- und Energieproduktion, der Bevölkerungszahl, den Militärausgaben und der Anzahl der Nuklearwaffen ermittelt.[6] Es ist kaum überraschend, dass gemäß dieser Indikatoren eine bipolare Struktur der internationalen Ordnung im 20. Jahrhundert konstituiert wird, die einzig und allein auf den Kategorien der Macht, der Sicherheit und des Überlebens nationaler Einheiten basiert.[7]

Auf Grundlage dieser Annahmen haben sich theoretische Strömungen gebildet, deren Kernziel darin bestand, die Frage nach der Verantwortlichkeit für die Entstehung und Dauer des Kalten Krieges zu klären. Während der orthodoxe Traditionalismus der unmittelbaren Nachkriegsjahre die Konfliktursache einseitig in „the communist-ideological desire for expansion“[8] der Sowjetunion sieht, verfechtet der Revisionismus der 1970er Jahre die These, der US-amerikanische Imperialismus trage Schuld an der Eskalation. Der Post-Revisionismus der 1980er Jahre wendet sich zwar tendenziell gegen derartige moralische Verurteilungen und zeichnet ein dynamisches, auf wechselseitiger Beeinflussung beruhendes Bild des Kalten Krieges, im Mittelpunkt der Betrachtung stehen aber nach wie vor die power-politics der beiden Supermächte.

Auch wenn diese kurze historiographische Bestandsaufnahme die Forschungsansätze lediglich verkürzt und pointiert repräsentiert, so spiegelt sie doch eine theoretische Konstante im Umgang mit dem internationalen System nach dem zweiten Weltkrieg wider: Die Marginalisierung der Junior-Partner. Die komplexe und äußerst differenzierte Staatengemeinschaft teilt sich unter diesem bipolaren Paradigma ein in Verbündete des von der USA dominierten westlichen Blocks und Unterstützer des UdSSR-geführten östlichen Blocks. Als willfährige und machtlose Akteure treten sie nur dann auf der internationalen Bühne auf, wenn ihre Lagerzugehörigkeit durch ein nationalstaatliches Machtvakuum oder einen militärischen Eingriff in Frage gestellt wird. Sodann werden diese Staaten Schauplätze von Stellvertreterkriegen.

Die Konzeption des Non-Aligned Movements (NAM) wird aus realistischer Sicht sehr wohl als „antikoloniale Befreiungsbewegung“[9], die eine „Strukturveränderung im internationalen Staatensystem“[10] herbeigeführt habe, gewürdigt. Nach Link markiere diese Entwicklung allerdings keineswegs einen Aufbruch der Ost-West-Bipolarität, sondern sei vielmehr ein Phänomen des Nord-Süd-Konfliktes, der seit den 1970er Jahren den Kalten Krieg überlagert habe.[11]

2.2 „The tail wagging the dog“: Für eine perizentrische Perspektive

Wie bereits dargelegt rückt eine vom Realismus geprägte Historiographie die Machtzentren internationaler Beziehungen in den Mittelpunkt der Analyse. Die wesentlichen Entscheidungen über den Verlauf des Kalten Krieges stammen aus Washington und Moskau. Ideologische Konzeptionen und militärische Strategien entfalten von dort ihre direkte Wirkung auf die Peripherie der Weltpolitik. Unterstellt wird auf diese Weise, dass die politische Elite der beiden Supermächte bewusst und willentlich zur Expansion des Antagonismus beigetragen hat, somit ‚amerikanischer Imperialismus’ und ‚kommunistische Weltrevolution’ explizit eine ständige Ausdehnung ihrer Machtbereiche verfolgt haben. Tony Smith bezweifelt das historische Erklärungspotential dieser zentristischen Perspektive: „,Pull’ from the periphery, not ‚push’ from the core, usually best describes what happend“,[12] so lautet das wiederkehrende Schema in Konfliktsituationen aus seiner Sicht. Mittlere und kleine Staaten hätten einen weitaus größeren Einfluss auf Entscheidungsträger in Moskau und Washington ausgeübt, als aus realistischer Sicht angenommen. Geir Lundestads prominent gewordene These des „Empire by Invitation“[13] zeigt überzeugend auf, dass die USA keineswegs ausschließlich aus eigenem Antrieb heraus die europäische Nachkriegszeit mitgestaltet habe. Vielmehr seien sie von westeuropäischen Regierungen dazu eingeladen worden, ihnen über ihre ökonomische und militärische Schwäche hinwegzuhelfen. Vor allem Großbritannien verstand sich dabei als unermüdlicher Werber für ein US-amerikanisches Engagement in Europa. In ähnlicher Weise reihten sich osteuropäische Staaten wie Polen, Ungarn, Ost-Deutschland und andere auf freiwilliger Basis in den sowjetischen Machtbereich ein.[14]

[...]


[1] Smith, Tony: New Bottles for New Wine: A Pericentric Framework for the Study of the Cold War. In: Diplomatic History 24.4 (2000). S.567-591. Hier: S.568.

[2] Vgl. z.B.: Leffler, Melvyn P: „The Cold War was a complex phenomenon characterized by a rivalry between two powerful states with universalizing ideologies and conflicting systems of political economy.“ (Bringing it together: The Parts and the Whole. In: Odd Arne Westad: Reviewing the Cold War. Approaches, Interpretations, Theory. London 2000. S.56). Siehe auch: Geir Lundestad: „After 1945, world politics was characterized by the conflict of the two new superpowers.“ (East, West, North, South. Major developments in International Politics, 1945-1986. London 1986. S.19)

[3] „India’s efforts to pursue an independent foreign policy was a highlight of post 1947-politics.“ (Chandra, Bipan et al.: India after Independence, 1947-2000. New Delhi 2000. S.149)

[4] Rothermund, Dieter: Delhi, 15. August 1947. Das Ende kolonialer Herrschaft. München 1998. S. 183.

[5] Appodorai, Angadipuram: Selected Documents on India’s Foreign Policy and Relations 1947-1972. 2.Bde. Oxford 1982; Wünsche, Renate (Hrsg.): Dokumente der Nichtpaktgebundenen. Hauptdokumente der 1. bis 6. Gipfelkonferenz der Nichtpaktgebundenen 1961-1979. Berlin 1981.

[6] Vgl. Link, Werner: Der Ost-West-Konflikt. Die Organisation der internationalen Beziehungen im 20. Jahrhundert. 2. überarb. u. erw. Aufl. Stuttgart u.a. 1988. S.121ff.

[7] Vgl. Lehmkuhl, Ursula: Theorien Internationaler Politik. 3. erg. Aufl. München 2001. S.76.

[8] Lundestad, Geir: How (Not) to Study the Origins of the Cold War. In: Odd Arne Westad (Hrsg.): Reviewing the Cold War. Approaches, Interpretations, Theories. London 2000. S.65.

[9] Link: Ost-West-Konflikt. S.153.

[10] Ebd. S.227.

[11] Vgl. ebd. S.153.

[12] Smith: New Bottles for New Wine. S.572.

[13] Vgl. Lundestad, Geir: Empire by Invitation? The United States and Western Europe, 1945-1952. In: Journal of Peace Research 23 (1986). S.263-277.

[14] Vgl. Smith: New Bottles for New Wine. S.573.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Zwischen den Blöcken - Indiens Politik des Non-Alignments von 1947 bis 1964
Hochschule
Universität zu Köln  (Historisches Seminar)
Veranstaltung
Kalter Krieg
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V62353
ISBN (eBook)
9783638556118
ISBN (Buch)
9783656802952
Dateigröße
521 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zwischen, Blöcken, Indiens, Politik, Non-Alignments, Kalter, Krieg
Arbeit zitieren
Michael Bee (Autor:in), 2006, Zwischen den Blöcken - Indiens Politik des Non-Alignments von 1947 bis 1964, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62353

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