Heideggers Freiheitsbegriff


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

36 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

A Einleitung

B Freiheit in „Sein und Zeit“
I. Vorgeschichte
II. »Ort der Freiheit«
III. Ontologische Struktur der Freiheit
IV. »Eigentliche« Freiheit

C Abwendung von Gegenstandsphilosophie
I. Was ist »Gegenständlichkeit«?
1. »Gegenstand«, »Seiendes«, »Objekt«, »Vorhandenheit«
2. »Gegenstand«/»Seiendes« und »Sein«
II. Sichtbarwerden in Abgrenzung zur Tradition
III. Sichtbarwerden an qualifizierter Erschlossenheit
IV. Wendungen der Entgegenständlichung

D Freiheit und Gegenständlichkeit nach der »Kehre«

E Kritik

Literaturverzeichnis

A Einleitung

Das Thema dieser Arbeit ist Freiheit. Was allerdings Freiheit sei, lässt sich bei Heidegger nicht aus sich heraus, nicht gesondert beantworten. Sondern es folgt geradewegs aus dem Thema, das spätestens seit der Habilitationsschrift (GA 1, 403) im Mittelpunkt seines Denken steht: der Auseinandersetzung mit Gegenständlichkeits-Philosophie.

So präsent dieses Thema ist, die Gegenständlichkeit, so schwer bekommt man es zu fassen. Schwierigkeiten bereitet schon das Wort selbst. Eigentlich ist „Gegenstand“ für das, was in Frage steht, eine schlechte Wortwahl: Der Gegenstand – lat. ob-jectum, gr. anti-keimenon – hat immer ein Gegenüber, dem er entgegensteht; dieses Gegenüber unter-steht ihm als Subjekt (gr. hypo-keimenon). Solch eine Gegenüberstellung sei nun aber, so Heidegger, erst eine Folge der Vergegenständlichung. Wie nennt man die Gegenständlichkeit also selbst? Zudem: Nicht nur mit dem „gegen“ legt man sich auf, ja, eine ganze Philosophie fest, sondern auch der „Stand“ hat eine sehr spezifische und vom „iacere“ oder „keimenon“, also vom „Werfen“ grundverschiedene Bedeutung. Nicht umsonst hat Heidegger das „Werfen“ als philosophischen Begriff in verschiedenen Wendungen rehabilitiert.

Solche Bedeutungsunterschiede jedenfalls veranlassen Heidegger, „Gegenstand“ wo möglich zu meiden und lieber eigene Begriffe zu verwenden. Im Umkreis von „Gegenstand“ wären das zum Beispiel „Seiendes“, „Vorhandenheit“ oder „Ding“. Auch ihre Bedeutung ist jedoch zu spezifisch und wandelt sich zu oft, um das mit „Gegenständlichkeit“ Gemeinte genau zu erfassen.

Hier wird daher von „Gegenständlichkeit“ (ähnlich GP, 398, BHum, 327) oder – durch den vom Verb her gefassten Prädikatsbegriff (wobei dieser anders als etwa „Berufung“ mit dem „rufen“ kein eigenes Verb hat, sondern, bezeichnenderweise, bloß eines, das seinerseits mithilfe des Substantivs gebildet werden muss) – es wird hier von „Vergegenständlichung“ die Rede sein. Das Abstraktum seines pars pro toto steht, mangels besserer Möglichkeiten, für das eigentlich gesuchte Ganze. Vorsicht bleibt dabei geboten: „Gegenständlichkeit“ ist in der Neuzeit in spezifischen, engeren Bedeutungen gebraucht worden; eigentlich müssten daher Locke, Kant, Hegel u.a. besprochen werden. Und wie erwähnt, gibt die Gegenständlichkeit im weiteren Sinn erst Grund für jenen Dualismus von Subjekt und Objekt, dessen eine Hälfte eben der „Gegenstand“ im engeren Sinne ist. Heidegger hat auf diesen Zusammenhang eindringlich hingewiesen. In seinen Auseinandersetzungen mit der griechischen Philosophie geht er noch darüber hinaus. Wie er zeigt, betrifft die Vergegenständlichung fast alle großen Themen der Griechen, und das heißt: fast alle Themen der (abendländischen) Philosophie. Ob Geist oder Natur, Idealismus oder Materialismus, Möglichkeit oder Notwendigkeit; ob Subjekt und Objekt, Form und Inhalt, Substanz und Akzidenz, ob Transzendenz, Kunst, Technik oder sogar Gott und die Götter – nach Heideggers Abwendung von der Gegenständlichkeit müssen all diese „Begriffe“ neu interpretiert werden. Und was damit in Frage steht. ist zugleich immer auch die Freiheit.

Freiheit und Gegenständlichkeit – wie hängen sie zusammen? Nun: Die Vergegenständlichung des Seins führt zu seiner Aufspaltung in verschiedene „Seinsregionen“ (SZ, 97), wobei Aufspaltung bedeutet, diese „Regionen“ werden nicht in ihrer Gleichursprünglichkeit und Wechselseitigkeit und vorgängigen Verbundenheit erkannt, sondern als Isoliertheiten gesehen, Heidegger nennt diese u.a. „Vorhandenheiten“, die erst nachträglich zueinander finden. Beispiele für solche im Heideggerschen Sinne nachträglichen Inbezugsetzungen sind etwa die „Teilhabe“ des Seienden an den Ideen – jedenfalls so, wie dies in der Neuzeit überwiegend verstanden wurde –, die Setzung von „Objekten“ durch das „Subjekt“ oder die kausale Beeinflussung des Willens; auch im Verhältnis von göttlicher Vorsehung göttlicher Gnade oder vom Ordo zur menschlichen Freiheit (liberum arbitrium) zeigt sich dieser Bezug.

Daneben liegt die zweite Möglichkeit, Freiheit von Gegenständlichkeit her zu denken, im Absehen von je einem der Momente der genannten Dualitäten. Diese Momente werden dann ausschließlich oder überwiegend von ihren inneren, „insistenten“ (WW, 196) Möglichkeiten her gesehen, während das übrige Sein sich zum bloßen Gegenüber, zum quasi luftleeren Raum zusammenzieht. Beispiele dafür sind: die Verlagerung des Wesens der Freiheit in die konkrete „Wahl“ des logos, die „Autonomie der Vernunft eines personalen Subjekts“ (Husserl) oder auch Einstellungen wie etwa die kynische der radikalen Bedürfnislosigkeit, der „Freiheit“ von äußerem und innerem Zwang. Zu sehen, wie diese und die genannte dualistische Konfiguration in der Philosophiegeschichte entstanden ist – in aller Kürze – und welche entscheidenden Änderungen Heidegger an ihr vorgenommen hat, ist Aufgabe von Teil B.

Die ontologische Struktur von Freiheit, so wird sich dabei herausstellen, folgt der ontologischen Struktur des Seins insgesamt: Dieses Sein soll nun in „Sein und Zeit“ nicht mehr vergegenständlicht und gespalten, sondern in seiner Einheit und Gleichursprünglichkeit gesehen werden. Schlüsselbegriff dabei ist „Dasein“. Dieser Nachfolgebegriff von „Subjekt“ soll die Brücke schlagen zur Welt und zum Sein, indem er beide in seine „Existenz“ einschließt. Denn in der Existenz ist Dasein immer schon „in-der-Welt“, kann also nicht nachträglich-eingleisig zu Objekten der „Außenwelt“ erst finden. Um Dasein und Sein gruppieren sich nun eine Reihe von Begriffen, deren Bedeutungen vielschichtig und unübersichtlich sind, die jedoch bei genauerem Hinsehen denselben Grundzug aufweisen: eine Doppelstruktur. Existenz und Faktizität, Entwurf und Geworfenheit, Dasein und Sein, Erschlossenheit und Sorge – hier und überhaupt stellt sich die Frage, ob sich dahinter die alte Subjekt-Objekt-Dualität versteckt und folglich das alte Vorhandenheitsdenken.

Diese Frage ist nichts anderes als die Frage nach Freiheit. Sie ist zugleich die Frage, mit der Heideggers gesamtes Denken steht und fällt. Die „klassischen“ Freiheitsbegriffe, in denen sich noch heute der common sense bewegt – Wahl, Freiheit von Zwang, Von-selbst-Anfangen eines Zustandes – scheinen in ihrer Reinform nämlich alle ein Seiendes vorauszusetzen, das eben wählen, sich befreien oder etwas von selbst anfangen kann. Mit dieser Freiheit „mischt sich das Seiende ins Sein ein“, anders gesagt: es begründet Sein. Darin, das die Natur, Gott und vor allem der Mensch diese „Umschaltfunktion“ im Sein innehaben, liegt ihre Freiheit. Aber: Wir hatten schon angedeutet, dass in „Sein und Zeit“ Dasein im Zentrum einer Doppelstruktur steht; und: in der „Kehre“, so wie sie überwiegend gesehen wird (z.B. Th, 272, Figal, 98ff.), soll Dasein seine Begründungsfunktion verlieren. Im Umkehrschluss heißt das: In „Sein und Zeit“ hat es diese Begründungsfunktion gehabt! Ob dies so ist, aber vor allem inwiefern, werden wir in Teil B untersuchen und später in Teil D wieder aufgreifen.

Anders formuliert: Es steht in Frage, ob das, woran Dasein seine Begründungsfunktion verliert, das, was Heidegger nach der Kehre als „Nichts“ („Was ist Metaphysik?“), „Grund“, „Freiheit“, Transzendenz“ („Vom Wesen des Grundes“) oder „Verborgenheit“ („Vom Wesen der Wahrheit“) zu beschreiben versucht, ob sich diese „Dimension“ durch den Rückzug von Dasein so einheitlich-einfach verfasst findet, dass in ihr kein Platz mehr bleibt für Freiheit (und folglich Wahrheit, Menschsein…). Oder lässt sich die Freiheit zwar nicht durch ein ausgelagertes Seiendes bewahren, dafür aber durch eine „Tiefendimension“. Wir werden Tugendhat, der dies vorschlägt, in Teil E diskutieren.

Bevor wir dazu kommen können, müssen wir die Frage in ihrer Tragweite richtig bestimmen: Dualismen und Subjektphilosophie sind ja, wie gesehen, Folgen der Vergegenständlichung. Demnach kann man den „klassischen“ Freiheitsbegriff in diesem Problemkreis nur diskutieren, wenn man nach seiner Grundkonfiguration fragt: der Vergegenständlichung. Diese Frage, gestellt in Teil C, kann dabei nicht per definitionem beantwortet werden. Denn was Gegenständlichkeit ist, steht und fällt mit ihrem Gegenüber: jenem „Spielraum“, den auch Heidegger zeitlebens nur hat umkreisen können. Es könnte sein, dass das, was sich hinter den verschiedenen Wendungen und Formulierungen verbirgt, seinem Wesen nach grundsätzlich kein finis zulässt. Daher wird sich Teil C darauf beschränken, diese Wendungen – etwa Nichts, Unbestimmtheit, Bewegtheit, Dimensionalität, Gleichursprünglichkeit – zu beschreiben.

Schließlich wenden wir uns in Teil E wieder dem Freiheitsbegriff im engeren Sinn zu. Nach der Diskussion von Gegenständlichkeit verstehen wir Heideggers Änderungen an diesem Begriff besser. Die Gegenständlichkeit beschäftigt sein ganzes Denken, demnach steckt sie auch in den anderen wichtigen Begriffe – etwa in „Wahrheit“. Was nämlich an Heideggers Wahrheitsbegriff am wesentlichsten ist: dass der „Ort der Wahrheit“ im Sein liegt, nicht im logos oder Subjekt, gilt, weil es notwendig aus der Vergegenständlichung folgt, auch für den Freiheitsbegriff: Freiheit konnte im Paradigma der Vergegenständlichung nur entweder im Dazwischen zweier Seienden liegen oder im engeren Umkreis eines Seienden. Gott und Mensch, Kausalität und Bewusstsein u.a. standen von vornherein fest – und die Freiheit musste sich ihren jeweiligen Ordnungen fügen. Hauptfolge davon war, dass Freiheit sich im getrennt-nachträglicher Opposition zu Zwang, Notwendigkeit, Zugehörigkeit positionieren musste, weil sie allgemein in ihrer Wechselseitigkeit und Vielschichtigkeit verkannt wurde. Diese Einengung von Freiheit auf eines ihrer Momente, dem das andere nachträglich hinzugefügt sein musste, ist keineswegs notwendig, sondern historisch entstanden; und genau an die Zeit, in der das geschah: an das griechische Denken, knüpft Heidegger in seinem Denken an. Freiheit hat bei ihm ihren „Ort“ im Sein. Kritisieren kann man Heideggers Freiheitsbegriff demnach nur, wenn man das ganze Sein dieser Freiheit, ihre „Logik“, ihre griechisch-fundamentalontologischen Grundlagen mit bedenkt.

B Freiheit in „Sein und Zeit“

I. Vorgeschichte

Unsere Darstellung der Geschichte des Freiheitsbegriffe ist nicht nur verkürzt, sondern darüber hinaus auch auf eine Hinsicht begrenzt: die ursprüngliche Zusammengehörigkeit jener Momente von Freiheit, die später voneinander getrennt wurden. Auch wie sie zusammengehörten und wie sie getrennt wurden, ist hier nur soweit von Belang, wie es Auswirkungen hat auf den Freiheitsbegriff in „Sein und Zeit“. (Die folgende Darstellung orientiert sich an Ritter!)

„Freiheit“ war ursprünglich kein philosophisches Wort. Das griechische „eleutheria“ bezeichnet nach seinem Wurzelsinn, leudh-ero-s, den zum Volk gehörigen Mann, der durch seine Zugehörigkeit ein Freier ist auf seiner Vaterlandserde – im Gegensatz zum Kriegsgefangenen. In der nachhomerischen Polis besteht Freiheit nicht in Anarchie, sondern in im nomos („nemein“ = zuteilen, bebauen), in dem bia (Gewalt) und dike (Recht) zur Harmonie gebracht werden. Auch die Wurzel des deutschen Wortes „frei“ deutet in den Bedeutungen „geneigt sein zu“ (vgl. „jemanden freien“), „nahe bei…sein“, „erfreut sein“, „genießen“ sowie „eigen“ (von „propius“) auf Zugehörigkeit, Eingebundenheit, Verbundenheit hin. „Frei“ hat sich erst später, ab dem 9. Jahrhundert, aus der Gerichtssprache heraus zum heutigen Wortsinn hin entwickelt. Halten wir fest: Dort, wo unsere heutige Begrifflichkeit erstmals spontan festgelegt wurde, deutete Freiheit nicht auf Entfernung zu anderem Seienden hin, nicht auf Unabhängigkeit von diesem, sondern die Freiheit ergab sich von vornherein aus Zugehörigkeit, Nähe, Bindung. (vgl. WW2, 59)

Allerdings gab es viele weitere Freiheitsmotive und -begriffe; hier sollte lediglich angedeutet werden, dass die „klassische“ Konstellation keineswegs für sich in Anspruch nehmen kann, dem ursprünglichen Verständnis am nächsten zu kommen. Für Heidegger war der Rückgang auf die ursprünglichen begrifflichen Festlegung und ihre Hintergründe wesentlich (vgl. Figal, 53); wer sie unter Berufung auf den heutigen common sense oder den Eigen-Sinn der Sprache kritisiert, kann dies nicht unbegründet tun (wie etwa Tugendhat, 331, 398).

Zurück zur Geschichte: Philosophisch wird Wahrheit erstmals bei den Sophisten, und zwar in dem Moment, als man die physis dem nomos entgegensetzt. Die Natur (physis) allein sei es, durch welche etwas als frei bestimmt wird, dagegen seien die Gesetze eine Fessel. Allerdings gehe der Wille von allein auf die Natur. Warum ausgerechnet die Natur, die in der Neuzeit als „innere Triebe, Instinkte.“ bzw. als „äußere Kausalität“ der Freiheit gerade entgegenstand, diese hier beherbergen soll, können wir an dieser Stelle nicht beantworten. So jedenfalls wie Heidegger Aristoteles auslegt, ist das „ physein “ eine „ausgängliche Verfügung über die Bewegtheit des von ihm selbst her und auf sich zu Bewegten“ (WPh, 261), ein von sich her Aufgehen (TK, 11) im Gegensatz zum „aktiven“ Entbergen im legein (oder ähnlich im nemein); das physein ist also nichts Gegenständliches. Ob oder inwiefern die Sophisten die Natur gegenständlich dachten, ist wiederum eine Frage für sich. Was für uns zählt, ist, dass sich in ihrer Aneinanderrückung von Natur und Freiheit die Möglichkeit andeutet – womöglich nur im Rückblick –, Freiheit von einer „Seinsregionen“ her zu denken.

Sokrates und die Kynikern führten diese Möglichkeit weiter – nun indes war die besagt Seinsregion der Mensch. Bei Sokrates erkennt man, dass er noch schwankt: einerseits trägt seine Freiheit in Wahl, in Selbstbeherrschung mit dem Ziel der Autarkie, in methodischer Forschung schon allzu menschliche Züge; andererseits ist das höchste Wissen aber ein Nichtwissen; und wiederum umgekehrt sollen die Götter, die der Mensch um Rat ersucht, lediglich „Nein“ sagen können, also doch wieder der Mensch in seiner Pflicht stehen. Die Kyniker haben dann vor allem das Motiv der sokratischen Bedürfnislosigkeit weiterentwickelt.

Noch mal: Inwieweit sich vor allem im Griechentum schon gegenständliches Denken findet, ist schwer zu beantworten. Und der diese Frage am eindringlichsten gestellt hat, war Heidegger selbst. Sein Denken steht hier aber gerade in Frage. Die Vergegenständlichung, um die es uns geht, muss daher in ihrer historischen Verankerung als Hypothese verstanden werden. Die beiden wichtigsten historischen Konstellationen finden sich schon bei Platon und Aristoteles: Während Platon nämlich die Freiheit in der inneren Notwendigkeit sieht, das eigene Sein als höchste Möglichkeit (dynamis) zu verwirklichen, dem daimon zu folgen: dem, was die Götter einem gesetzt haben, macht Aristoteles das Wesen der Freiheit dort fest, wo Platon es ausdrücklich nicht sieht: in der konkreten Wahl, im konkreten wählenden Tun des Menschen, durch das er sich von allem anderen Seienden unterscheidet, weil bei ihm nicht alles Streben nur auf eines geht.

Nehmen wir Heidegger an dieser Stelle vorweg: Wenn wir die Freiheit ursprünglich als Phänomen betrachten (phainestai = sich zeigen), sehen wir sie keineswegs in der Wahl zwischen diesem oder jenem Seiendem; denn das Sein im Ganzen stellt dieser Wahl vorab allerlei Bedingungen, die Wahl beruht auf einer Grundlage von Übereinstimmungen und sie setzt eine „Richtung“ voraus, die wiederum in einem Spielraum, im Ganzen steht. Will ich z.B. nach rechts oder links gehen, dann ist dies „phänomenal ursprünglich“ (SZ, 28ff., 217) keine isolierte, beliebige Entscheidung, sondern gehört in einen ganzen Tages-, Regional- und Lebenszusammenhang. Hier zeigt sich: Die „Wahl“ folgt der Logik des Menschen, also einer Seinsregion statt des ganzen Seins; sie sieht ab von ihrem Umfeld, ihren Möglichkeitsbedingungen: Ihre Sicht auf die „Freiheit“ des Menschen ist die, in der ein zunächst einzeln „Vorhandenes“ nachträglich in Beziehungen zu anderen Vorhandenheiten gesetzt oder mit Werten, Eigenschaften beklebt wird: die Sicht der Vergegenständlichung. Platons Formulierung der „inneren Notwendigkeit“ kommt dem phänomenal Ursprünglichen näher.

Der Freiheitsbegriff des Alten Testaments ist recht eng. Eigentlich kennt es nur die Freiheit Jahwes als des Befreiers aus Knechtschaft und Gefangenschaft. Das Neue Testament nimmt diesen Begriff auf; dort vollendet sich die göttliche Befreiungstat in der Befreiung durch Jesus. In der ersten philosophisch belangvollen Begegnung zwischen Griechentum und Bibel, bei Philon von Alexandrien, werden Gott und Freiheit weiterhin zusammen gedacht. Gott, ganz platonisch, ist als höchstes, sich selbst erfüllendes, sich selbst genügendes Seiendes als einziger frei. Die menschliche Freiheit ist folglich ein Geschenk Gottes. Diese Struktur nun wird im vor-neuzeitlichen Denken nicht mehr grundlegend geändert: Freiheit liegt bei einem Seiendem (Gott) und wird von dort auf verschiedene Weisen einem anderen Seienden (Mensch) ermöglicht. So sehr sich Begriffe wie „ ordo “, „Gnade“, „Vorsehung“ oder „liberum arbitrium“, „Teilhabe“, „göttlicher Hauch“ also unterscheiden – darin, dass sie der „Logik“ der Gegenüberstellung zweier Seiendheiten entspringen, kommen sie überein.

In der Scholastik geschieht schließlich, was wir in der Einleitung erwähnt hatten: die Dualität zweier Seiendheiten verengt sich überwiegend auf eine von ihnen. Zwar bleibt Gott, formell, Inhaber der höchsten Freiheit, jedoch rückt, weil die Beziehung zu seiner Freiheit eben die einfach-eingleisige eines Seienden zu einem anderen ist, der Komplexität des ganzen Seins überhoben, es rückt die göttliche Freiheit als „für den Moment erledigt“ ins Abseits und das Augenmerk richtet sich nun auf die innere Verfassung des liberum arbitrium. Was infolge aufkommt, sind „interne“ Struktur-Oppositionen wie die zwischen Intellektualismus und Voluntarismus (etwa bei Thomas von Aquin, Duns Scotus).

In der Neuzeit wird das liberum mehr und mehr säkularisiert. Nun präsentiert es sich etwa als intellektuelle Klarheit oder als Freiheit vom Zwang durch ein neues seiendes Gegenüber, die Natur – „objektive“ Kausalität oder „subjektive“ Instinktivität – oder daneben auch als politische Freiheit vom Zwang in der Gesellschaft. Allerdings sind dies nur vier von vielen neuzeitlichen Freiheitsbegriffen; alle können hier nicht dargestellt werden. Entscheiden ist vielmehr: Inwieweit folgen sie der „Logik“ der Vorhandenheit? Betrachten wir diesbezüglich den Freiheitsbegriff Kants. Er unterscheidet: die theoretische Freiheit, wiederum unterteilt in (1) „psychologische Freiheit“ und (2) „transzendentale“ Freiheit, von der praktischer Freiheit, die sich untergliedert in (3) „negative“ Freiheit und (4) „positive“ Freiheit sowie (5) die „rechtliche“ Freiheit. Verkettung der inneren Zustände der Seele, (1), Vermögen, einen Zustand von selbst anzufangen, (2), Freiheit der Willkür von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit, (3), das Vermögen der reinen Vernunft, für sich praktisch zu sein, (4) und Gehorsam lediglich gegenüber Gesetzen, zu denen man seine Beistimmung hat geben können, (5) – dies nun sind jeweils Regionalfreiheiten, Freiheiten von oder gegen bestimmte „Seinsregionen“, die deshalb, weil ihnen kein einheitlicher Freiheitsbegriff zugrunde liegt, nicht lediglich als verschiedene Akzentuierungen, Beleuchtungen verstanden werden können, vielmehr als Seiendheiten der Logik der Vergegenständlichung folgen.

Die ursprüngliche Zusammengehörigkeit der verschiedenen Momente von Freiheit stellt sich im Laufe des philosophischen Denkens also nicht wieder ein. Dabei lag sie, haben wir gezeigt, dem spontanen Freiheitsverständnis eher näher als dem philosophisch entwickelten. Wahl, Von-Selbst-Anfangen und Abwesenheit von Zwang, die drei vielleicht wichtigsten Motive, folgen alle der „Logik“ der Vergegenständlichung. Sie sind Ordnungen von oder zwischen bestimmten Seinsregionen. Das gilt auch für alle ihre Varianten. Bei Husserl, Heideggers Lehrer, zeigt sich am deutlichsten: „Freiheit ist ein Ausdruck für das Vermögen…kritischer Stellungnahme zu dem, was sich, zunächst reflexionslos, als wahr, als wertvoll, als praktisch seinsollend bewusstseinsmäßig gibt…“. (Husserliana XXVII, 63) Hier stuft Husserl die Freiheit endgültig zum Anhängsel gegenständlicher Intentionalität herab.

[...]

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Heideggers Freiheitsbegriff
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Philosophie)
Veranstaltung
HS 'Sein und Zeit'
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
36
Katalognummer
V62523
ISBN (eBook)
9783638557467
ISBN (Buch)
9783656771807
Dateigröße
604 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Heideggers, Freiheitsbegriff, Zeit“
Arbeit zitieren
Student Johannes Klose (Autor:in), 2006, Heideggers Freiheitsbegriff, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62523

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