Erziehungsratgeber im Zeitalter der Aufklärung und der Postmoderne - ein konkreter Vergleich anhand zweier ausgewählter Beispiele


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Der Zusammenhang von Unmündigkeit und Erziehungsberatung in Aufklärung und Postmoderne

2. Erziehungsratgeber im Zeitalter der Aufklärung und der Postmoderne – ein konkreter Vergleich anhand zweier ausgewählter Beispiele
2.1 Aufklärung: Friedrich Wilhelm Wedag „Handbuch über die frühere sittliche Erziehung, zunächst zum Gebrauch für Mütter in Briefen abgefaßt“
2.1.1 Der Autor und Theologe Friedrich Wilhelm Wedag
2.1.2 „Das pädagogische Jahrhundert“ – Das Zeitalter der Aufklärung
2.1.3 Buchbeschreibung: Friedrich Wilhelm Wedag „Handbuch über die frühere sittliche Erziehung, zunächst zum Gebrauch für Mütter in Briefen abgefaßt“
2.2 Postmoderne: Thomas Lickona „Wie man gute Kinder erzieht! Die moralische Entwicklung des Kindes von der Geburt bis zum Jugendalter und was Sie dazu beitragen können.“
2.2.1 Der Autor und Entwicklungspsychologe Thomas Lickona
2.2.2 „Die neue Moral“ – Das Zeitalter der Postmoderne
2.2.3 Buchbeschreibung: Thomas Lickona „Wie man gute Kinder erzieht! Die moralische Entwicklung des Kindes von der Geburt bis zum Jugendalter und was Sie dazu beitragen können“
2.3 Die Erziehungsratgeber im Vergleich
2.3.1 Die Rolle des Autors innerhalb des Ratgebers
2.3.2 Moralität als höchstes Erziehungsziel
2.3.3 Die Betonung von Tugenden
2.3.4 Stellungnahme zu zeitbezogenen Themen
2.3.5 Über den Umgang mit Babys
2.3.6 Auffällig große Unterschiede und Gemeinsamkeiten

3. Mündigkeit – eine lebenslange Aufgabe

1. Der Zusammenhang von Unmündigkeit und Erziehungsberatung in Aufklärung und Postmoderne

Wie die Epochen Aufklärung und Postmoderne trotz ihrer großen Zeitspanne zusammenhängen, zeigt sich vor allem, wenn man Immanuel Kants Werk „Was ist Aufklärung?“ zur Hand nimmt. Insbesondere der Anfang seiner Schrift ist auch heute noch von großer Aktualität: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen[1]“. Für Kant ist Unmündigkeit die Quelle der damaligen gesellschaftlichen Probleme, was sich auch in pädagogischer Hinsicht zeigte. Auch heute in der Postmoderne ist Mündigkeit als höchstes Ziel der Erziehung unumstritten[2] und häufig gefährdet. Weiter führt Kant aus: „Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben[3]“. Was damals in der Aufklärung Faulheit und Feigheit waren, könnten heute Rat- und Orientierungslosigkeit sein. Inwiefern heute Unmündigkeit selbstverschuldet oder ein zwangsläufiges Produkt des postmodernen Wertepluralismus’ ist, mag dahingestellt sein, doch feststeht, dass Unmündigkeit nicht zu einer gelingenden Erziehung beiträgt. Damals wie heute gab und gibt es ein wachsendes Bedürfnis nach Beratung: So berichtete das Statistische Bundesamt, dass 2004 305000 Menschen unter 27 Jahren eine erzieherische Beratung abschlossen. Im Vergleich zum Vorjahr waren dies ein Prozent, zum Jahr 1994 sogar 41 Prozent mehr.[4] Eine andere Möglichkeit, um auf Erziehungsfragen eine Antwort zu finden, bietet das Konsultieren von Erziehungsliteratur. Gegenstand der folgenden Arbeit ist die Darstellung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten von zwei exemplarisch ausgewählten Erziehungsratgebern aus der Aufklärung und der Postmoderne.

2. Erziehungsratgeber im Zeitalter der Aufklärung und der Postmoderne – ein konkreter Vergleich anhand zweier ausgewählter Beispiele

Bevor die Erziehungsratgeber vorgestellt und miteinander verglichen werden, sollen zunächst einige Hintergrundsinformationen über die beiden Schriftsteller gegeben werden, und eine Zustandscharakteristik über Aufklärung und Postmoderne, insbesondere welche Rolle Familie, Kinder und Erziehung in ihr spielten bzw. spielen.

2.1 Aufklärung: Friedrich Wilhelm Wedag „Handbuch über die frühere sittliche Erziehung, zunächst zum Gebrauch für Mütter in Briefen abgefaßt“

2.1.1 Der Autor und Theologe Friedrich Wilhelm Wedag

Friedrich Wilhelm Wedags beruflicher Werdegang gilt als Musterbeispiel für die zu dem damaligen Zeitpunkt einzigartigen Möglichkeiten, die das Zeitalter der Aufklärung mit sich brachte. Im Alter von 30 Jahren konnte er, dank seiner finanziell gesicherten Position, zahlreichen beruflichen Tätigkeiten nachgehen, obwohl er in eher bescheidenden Verhältnissen zur Welt kam. Wedag wurde am sechsten September 1758 in Neuenrade/Westfalen geboren.[5] Seine Familie lebte schon seit Jahren von dem Geschäft der Tuchmacherei, war jedoch nicht sehr vermögend. Auch Wedag wurde in dieser Tätigkeit unterwiesen und musste seinen Vater auf Handelsreisen zu Jahrmärkten und Messen begleiten, obwohl er keinerlei Freude daran hatte. Dank des Engagements des ortsansässigen Pfarrers, der Wedag in Latein unterrichtete und von seinem Talent überzeugt war, besuchte er 1777 die Schule des Hallischen Waisenhauses, auf der damals insbesondere ärmere Schüler eine höhere Bildung erlangen konnten. 1779 begann er sein Theologiestudium an den Universitäten in Halle und in Duisburg. Nach Studiumsende fand er jedoch keine angemessene Anstellung und so war er 1786 zunächst Hauslehrer auf Gut Berentrop. Dort lernte er seine Frau Johanna Wilhelmina Polmann kennen, mit der er 1786 den Bund der Ehe schloss. In diesem Jahr bekam er auch eine Stelle als reformierter Pfarrer in Dortmund. Da die Gemeinde dort eher klein und arm war, musste Wedag zusätzlich auswärtig andere Pfarrer vertreten, was jedoch den Vorteil hatte, dass er in Leipzig bekannt wurde und 1788 eine Anstellung dort fand. Von diesem Zeitpunkt an verbesserte sich Wedags finanzielle Situation, so dass er sich neben seiner eigentlichen Tätigkeit als Prediger in Leipzig nicht nur als Autor von pädagogischen Schriften und Predigen betätigen konnte, sondern auch als Kanzelredner und Seelsorger. Außer das „Handbuch über die frühere sittliche Erziehung, zunächst zum Gebrauch für Mütter in Briefen abgefaßt“ von 1795 sind noch folgende Werke unter anderem entstanden: „Predigten, hauptsächlich zur Berichtigung irriger Vorstellungen und zur Bestreitung falscher Grundsätze“ von 1793, „Die Religion, als die beständige Gefährtin auf dem Pfade des Lebens, in Predigten“ von 1794 und „Kurzgefaßtes Lehrbuch der Moral, oder Anleitung für die Jugend zum eigenen Nachdenken über die menschlichen Verhältnisse, Angelegenheiten, Rechte und Pflichten auf Erden“ von 1799.[6]

2.1.2 „Das pädagogische Jahrhundert“ – Das Zeitalter der Aufklärung

Geschichtlich bilden das 17. und das 18. Jahrhundert das Zeitalter der Aufklärung[7][8], wobei letzteres wirtschaftlich, politisch und insbesondere pädagogisch bedeutungs-voller war und damit auch den in der Überschrift verliehenen Titel tragen darf. Die Gründe hierfür sind vielschichtig und können hier auch nur teilweise wiedergegeben werden. Beispielsweise trugen die naturwissenschaftlichen Entdeckungen, die es bereits im 17. Jahrhundert gab, dazu bei und der Rationalismus, der in dieser Epoche sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens durchdrang. Daraus resultierte ein neues Denken, das sich im religiösen Bereich als Deismus niederschlug und auf staatlicher Ebene dazu führte, dass die Rechte des Staates eingegrenzt wurden und die Idee einer allgemeinen Menschenwürde sich durchsetzte. Ein neues Lebens-gefühl setzte sich in der Bevölkerung durch. Das Leben wurde nicht mehr als Jammertal angesehen, dessen Qualen man auf sich nehmen muss, um im Jenseits Glückseligkeit zu erfahren. Ein erfülltes Leben im Diesseits war nun von Bedeutung und der Glaube, dass der Mensch vernunftgesteuert sein Leben führen soll und dadurch zur Glückseligkeit findet.[9] Der Mensch wurde in den Mittelpunkt gestellt, Erziehung war ein bedeutsames Schlagwort: Aberglaube sollte überwunden[10] und der Mensch zu Mündigkeit und selbstständigen Denken geführt werden.[11] Im Bereich der Pädagogik taten sich die Philanthropen hervor, für die Tugend ein zentraler Begriff war und davon ausgehend versuchten, Erziehung und Schule zu reformieren.[12]

Als großer Gewinner der Aufklärung gilt das Bürgertum, das im 18. Jahrhundert zunehmend bedeutungsvoller wurde und die Vorherrschaft von Hof und Adel ablöste. Ehrgeizig verfolgte es wirtschaftliche und kulturelle Interessen und trug wesentlich zu den Veränderungen in den Bereichen Familie, Kinder und Erziehung bei.[13] Ein Symptom für den Einstellungswandel gegenüber Kindern war das Aufkommen von spezieller Literatur für Kinder und insbesondere über Kinder, die ab Mitte des 18. Jahrhunderts viele Leser erreichte und ihren Teil dazu beitrug, dass sich z.B. die Pflege von Säuglingen und Kindern verbesserte. Mangelnde Pflege und falsche Ernährung waren damals zwei Hauptgründe für die hohe Kindersterblichkeit (etwa die Hälfte der Kinder ereilte der Tod vor dem zehnten Lebensjahr). Die Ansicht, dass Kindheit ein eigener wichtiger Lebensabschnitt ist, und Kinder somit einen eigenen Lebensraum benötigen, zeigte sich auch in der Einrichtung von Kinderzimmern. Kindern wurde ein eigener Schonraum zugestanden, der – bedingt durch die räumliche Trennung von den Eltern – absolut frei von Sexualität sein sollte. Sexualität als Tabu führte dazu, dass Ende des 18. Jahrhunderts zahlreiche Antimasturbationsschriften veröffentlicht wurden.

Allerdings ist anzumerken, dass dieser neue Lebensstil nur von einer Minderheit in die Tat umgesetzt werden konnte, da eine gewisse finanzielle Sicherheit Voraussetzung dafür war. Da jedoch die große Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebte, konnten diese es sich nicht leisten, Kinder nicht mehr als Arbeitskräfte einzusetzen.[14]

2.1.3 Buchbeschreibung: Friedrich Wilhelm Wedag „Handbuch über die frühere sittliche Erziehung, zunächst zum Gebrauch für Mütter in Briefen abgefaßt“

Die Notwendigkeit eines Erziehungsratgebers in der damaligen Zeit resultierte aus den epochenspezifischen Problemen. Die hohe Kindersterblichkeit war damals eines der Hauptprobleme und war auch darauf zurückzuführen, dass mangelnde Kenntnisse über einen kindgerechten Umgang fehlten. Nicht nur an richtiger Pflege und Ernährung fehlte es den Kindern, sondern auch – was Wedag besonders in seiner Einleitung betont – das Wissen über Erziehung. Oberste Priorität hat für ihn die sittliche Erziehung, allerdings erledigen Eltern schon in der Kindheit diese wichtige Aufgabe nicht richtig. Zwar waren damals schon Rousseaus Schriften bekannt, den Wedag auch „als Vater der Erzieher[15]“ würdigt, jedoch hält er Rousseaus Methoden für nicht realisierbar. Daher sieht Wedag die Notwendigkeit eines Ratgebers, da es in der Aufklärung keine anderen brauchbaren Erziehungskonzepte in seinen Augen gab. Wie bereits der Titel des Buches aussagt, ist dies ein Ratgeber primär für Mütter. Wedag räumt der Erziehung eine große Rolle ein und appelliert an das mütterliche Pflichtgefühl, sich Mühe bei dieser Aufgabe zu geben. Jedoch sollen auch die Väter ihren Verpflichtungen nachkommen und sich nach getaner Arbeit ganz der Familie widmen.

[...]


[1] Buchenau, Artur / Cassirer, Ernst (Hg.): Immanuel Kant. Schriften von 1783-1788. Hildesheim 1973 (= Immanuel Kants Werke. Bd. IV). S.167.

[2] Weber, Erich: Pädagogik- eine Einführung. Bd. 1 / Teil 3: Pädagogische Grundvorgänge und Zielvorstellungen – Erziehung und Gesellschaft / Politik. 8. völlig neubearb. Auflage. Donauwörth 1999. S.495.

[3] Buchenau, Artur / Cassirer, Ernst (Hg.): Immanuel Kant. S.167.

[4] http://www.destatis.de/presse/deutsch/pm2005/p3960082.htm

[5] Bauks, Friedrich Wilhelm: Die evangelischen Pfarrer in Westfalen von der Reformationszeit bis 1945. Bielefeld 1980 (= Beiträge zur Westfälischen Kirchengeschichte. Bd. 4). S.538.

[6] Doering, Heinrich: Die deutschen Kanzelredner des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts. Nach ihrem Leben und Wiken. Neustadt a.d. Orla 1830. S.564-565. und http://www.bautz.de/bbkl/w/wedag.shtml

[7] Reble, Albert: Geschichte der Pädagogik. 19., durchges. Auflage. Stuttgart 1999. S.141.

[8] Böhm, Winfried: Geschichte der Pädagogik. Von Platon bis zur Gegenwart. München 2004. S. 56.

[9] Reble, Albert: Geschichte der Pädagogik. S.135-141.

[10] Böhm, Winfried: Geschichte der Pädagogik. S.57.

[11] Vierhaus, Rudolf: Deutschland im 18. Jahrhundert: soziales Gefüge, politische Verfassung, geistige Bewegung. In: Herrmann, Ulrich (Hg.): „Das pädagogische Jahrhundert“. Volksaufklärung und Erziehung zur Armut im 18. Jahrhundert in Deutschland (= Geschichte des Erziehungs- und Bildungswesens in Deutschland. Bd.1). Weinheim und Basel 1981. S.25-26.

[12] Böhm, Winfried: Geschichte der Pädagogik. S.65-66.

[13] Reble, Albert: Geschichte der Pädagogik. S.137-138.

[14] Peikert, Ingrid: Zur Geschichte der Kindheit im 18. und 19. Jahrhundert. Einige Entwicklungstendenzen. In: Reif, Heinz (Hg.): Die Familie in der Geschichte. Göttingen 1982. S.116-132.

[15] Wedag, Friedrich Wilhelm: Handbuch über die frühere sittliche Erziehung, zunächst zum Gebrauch für Mütter in Briefen abgefaßt. Leipzig 1795. S. VII.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Erziehungsratgeber im Zeitalter der Aufklärung und der Postmoderne - ein konkreter Vergleich anhand zweier ausgewählter Beispiele
Hochschule
Universität Augsburg
Veranstaltung
Hauptseminar: Pädagogik in Theorie und Praxis im Zeitalter der Aufklärung
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V62724
ISBN (eBook)
9783638559188
ISBN (Buch)
9783638680585
Dateigröße
558 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Erziehungsratgeber, Zeitalter, Aufklärung, Postmoderne, Vergleich, Beispiele, Hauptseminar, Pädagogik, Theorie, Praxis, Zeitalter, Aufklärung
Arbeit zitieren
Tanja Fackelmann (Autor:in), 2006, Erziehungsratgeber im Zeitalter der Aufklärung und der Postmoderne - ein konkreter Vergleich anhand zweier ausgewählter Beispiele, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62724

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