In dieser kurzen Arbeit wird untersucht, inwiefern die Zeichenkonzeptionen von den zwei französischen Autoren Roland Barthes und Jean Baudrillard, jeweils in der Monographie „Reich der Zeichen“ (Barthes, 1970) und im Aufsatz „Kool Killer“ (Baudrillard, 1978) sich semiotisch interpretieren lassen ; außerdem inwiefern diese Zeichenkonzeptionen den Rahmen von semiotischen Untersuchungen sprengen könnten.
Die Autorin ist in Paris geboren und lebt seit 1988 in Berlin. Diese Arbeit wurde ursprünglich für das Hauptseminar „Stadtbeschriftung. Semiotische Interieurs“ von Prof. Dr. Dieter Hirschfeld im Wintersemester 2005/2006 verfasst (Freien Universität Berlin).
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
A. Rahmen der Analyse, untersuchte Gegenstände.
a. Ursprüngliche Rahmen der Analyse: Signifikant und Signifikat in Semiologie und Semiotik
a.1. Ferdinand de Saussure
a.2. Charles Peirce
a.3. Signifikant und Signifikat bei Saussure und Peirce
a.4. Mindestanforderungen an einem Zeichen
b. Untersuchte Gegenstände
b.1. Jean Baudrillard: „Kool Killer“
b.2. Roland Barthes: „Reich der Zeichen“
b.3. „Leere Zeichen“ und „reine Zeichen“
B. Gegenüberstellung in Hinsicht auf die Mindestanforderungen an einem Zeichen
a. Gegenüberstellung in Hinsicht auf die erste Mindestanforderung an einem
Zeichen
a.1. Reine Zeichen
a.2. Leere Zeichen
a.3. Ästhetische Zeichen
b. Gegenüberstellung in Hinsicht auf die zweite Mindestanforderung an einem Zeichen
b.1. Strukturalismus und „reale Welt“
b.2. Barthes und den Satori -Ereignis
b.3. Baudrillard und „Das perfekte Verbrechen“
C. Wirklichkeit und philosophische Traditionen
a. Rationalismus
a.1. Rationalistische Synthese
a.2. Empirismus und Skeptizismus
b. Einordnung des Poststrukturalismus
b.1. Skepsis und Relativismus
b.2. Abschied vom rationalen Denken
c. Präsokratisches Denken
c.1. „Der Traumfahrt des Parmenides“
c.2. Der Traumfahrt von Barthes und Baudrillard
Schlusswort
Bibliographie
In der folgenden Arbeit werden wir untersuchen, inwiefern die Zeichenkonzeptionen von Roland Barthes und Jean Baudrillard, wie sie in der Monographie „Reich der Zeichen“1 und im Aufsatz „Kool Killer“2 vorgestellt werden, sich semiotisch interpretieren lassen ; außerdem inwiefern diese Zeichenkonzeptionen den Rahmen von semiotischen Untersuchungen sprengen könnten. Deshalb werden wir versuchen, die „leeren Zeichen“ von Roland Barthes und die „reinen Zeichen“ von Jean Baudrillard in einem breiterem philosophischen Rahmen zu verstehen, auch hinsichtlich der mystischen Philosophie Parmenides.
A. Rahmen der Analyse, untersuchte Gegenstände
a. Ursprüngliche Rahmen der Analyse: Signifikant und Signifikat in Semiologie und Semiotik
a.1. Ferdinand de Saussure
Ferdinand de Saussure3 hat die Semiologie zuerst als wissenschaftliche Disziplin definiert, welche das Leben der Zeichen im Rahmen des sozialen Lebens untersucht (von dem griechischen Semîos, Zeichen). Er unterschied die Sprache wie folgt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Saussure zeigte den zweifachen Aspekt (Signifikat/Signifikant) des Zeichens. Die Parole war aber nicht Gegenstand seiner Untersuchung, weil sie als Rede des Individuums nicht Teil der sprachlichen Kommunikation innerhalb eines sozialen Systems sei. Saussure hat die notwendige einheitliche Struktur von sprachlichen Zeichen in Concept und Lautbild (Conceptus/Vox) gezeigt, das Thema der Beziehung von sprachlichen Zeichen und Wirklichkeit (Res) bzw. Realität jedoch nicht genauer untersucht. In dieser Hinsicht könnte man bei Saussure von einem gewissen „Begriff-Realismus“ sprechen, da er das Thema der Referenten nicht in seiner Zeichentheorie berücksichtigt hat. Insofern würde er auf das einfachste Modell einer isomorphischen Beziehung Res à [Conceptus/Vox] zurückgreifen4.
a.2. Charles Peirce
Charles Peirce war der eigentliche Begründer der Semiotik, ein Diskurs über semiosische, also nicht nur sprachliche, Phänomene. Zeichen, die als Repräsentamen fungieren, d.h. als Etwas, das für etwas Anderes steht5, könnten semiotisch interpretiert werden. Umberto Eco beschriebt den Peirschen´ Begriff eines semiosischen Vorgangs wie folgt6:
„(i) ein bestimmter Gegenstand oder Sachverhalt der Welt (in Pierscher Terminologie das Dynamische Objekt) (ii) durch ein Repräsentamen dargestellt wird und (iii) das Signifikat dieses Repräsentamens (in Peirce´ Sprache das Unmittelbare Objekt) in einen Interpretanten, das heißt in ein anderes Repräsentamen übersetzt werden kann.“
Das dynamisches Objekt könne hier auch ein ideales oder imaginäres Objekt oder ein Sachverhalt in einer möglichen Welt sein, es ist insofern nicht à priori mit dem Res gleichzustellen. Der Übersetzungsprozess würde jedoch das ursprüngliche dynamische Objekt zunehmend eingrenzen und definieren, bis zur vollkommenen gesellschaftlich akzeptierten Interpretation. Aus dieser Betrachtung erlange das dynamische Objekt eine gewisse intersubjektive Realität.7
Es ließe sich also wie folgt darstellen:
Intersubjektive Realität
Dynamisches Zeichen= Repräsentamen Interpretant (Interpretierendes
Objekt Bewusstsein) à weitere
Repräsentamen
a Signifikant a + Signifikat a Signifikant a´ + Signifikat a´
a.3. Signifikant und Signifikat bei Saussure und Peirce
Es wäre hier anzumerken, dass die Signifikate von Peirce und von Saussure nicht übereinstimmen, da es sich bei Peirce nicht um einen Begriff/Concept eines Sprechers sondern bereits um das Vorhandensein eines Signifikats innerhalb eines Repräsentamens handelt. So gesehen trägt bereits das erste Piersche´ Signifikat a von a die Potentialität aller weiteren Interpretanten und kann deshalb in viele weitere Repräsentamen übersetzt werden. Umberto Eco merkt hier zu Recht, dass das Subjekt bzw. der Interpret bei dieser Konzeption eines semiosischen Phänomens keine Rolle spielt. Demnach wäre ein Zeichen semiotisch zu verstehen, wenn eine Übersetzung mit einem anderen Zeichen statt fände.
a.4. Mindestanforderungen an einem Zeichen
Die erste Mindestanforderung an einem Zeichen ist die gleichzeitige Existenz von Signifikat und Signifikant, da der Form Ausdruck der Inhalt ist und Inhalt sich in Formen ausdrückt. Die zweite Mindestanforderung dieser Zeicheneinheit ist immer einen Bezug zu einem Gegenstand oder Sachverhalt der Welt. Ein semiotisches oder semiologisches Zeichen muss also aus der Triade Signifikat (Vorstellung/Bezeichnetes), Signifikant (Lautbild, Bezeichnendes) und Referent (Ding, dynamisches Objekt) bestehen.
Dass Jean Baudrillard und Roland Barthes Zeichen vorstellen, die abseits dieser Definition stehen, werden folgend erläutern.
b. Untersuchte Gegenstände
b.1. Jean Baudrillard : „Kool Killer“
In dem Aufsatz von 1978 „Kool Killer“8 – eine Schrift, die im essayistischen Stil verfasst wurde –, richtet Jean Baudrillard seine Aufmerksamkeit auf die Stadt von New York (USA) und entwickelt das Konzept von Zeichen, die mit leeren Signifikanten seien. Zeichen die in diesem Aufsatz von uns auch als „reine Zeichen“ bezeichnet werden.
Die Stadt, die nicht mehr wie bei Simmel Anfang des 20. Jahrhunderts als industrielle Konzentration gedeutet werden kann, wird von Jean Baudrillard als „vorrangig(er) Ort der Exekution des Zeichens als eines Urteils über Leben und Tod.“9 Die „moderne“ Stadt würde, durch ihre logistische Planung aller Lebensaspekte (vom Wohnen, Arbeit, Verkehr, Spiel, Kultur und Freizeit) innerhalb eines homogenen Raums, auch die Logik der Diskriminierung und des Rassismus folgen.
In einem „Zeitalter mit variabler Geometrie“10, da alle Individuen und die Modelle selbst austauschbar wären, würden sich zwei Codes der Produktion gegenüber stehen: Codes die als Ausdruck des Monopols und der ökonomischen Macht zu deuten wären und eine neue „Semiokratie, (die) diese neue Form des Wertgesetztes attackiert“11 - die der Graffitiproduktion.
Graffiti wären als „reine Zeichen“ zu verstehen, weil sie absichtlich eine verschusselte Botschaft haben. Graffiti wären provokative „leere Signifikanten“, deren Botschaft gleich Null sei12, sie würden den „erfüllten Zeichen“ der Stadt gegenüber stehen.
Im allgemein wären solche „reinen Zeichen“ entweder als Kunst oder als nonkonformistischer Schrei vereinnahmt. Baudrillard deutet sie aber als „subversive Litanei der Anonymität“13. Durch ihre Austauschbarkeit und Anonymität erlangten die Graffiti die Kraft eines symbolischen Rituals.
Insofern kämen solche Zeichen, die in New York von den „abgegrenzten“ Stadtbewohnern aus den Ghettos produziert werden, in jenem Reich der Zeichen, welches die moderne Stadt darstellt, einer territorialen Eroberung gleich.
b.2. Roland Barthes : „Reich der Zeichen“
In seiner Monographie von 1970 „L´empire des signes“14 berichtet Roland Barthes von den Eindrücken, die er bei seinem Aufenthalt in Tokio (Japan) hatte. In einer fremden asiatischen Kultur eingetaucht, die tiefst buddhistische Wurzeln aufweist, berichtet er über „leere Zeichen“. Ein „leeres Zeichen“ würde sich dem Satori Zen-Ereignis nähern, Erlebnis eines Transitiven ohne Subjekt noch Attribut.15
Tokio solle uns vermitteln, dass die Rationalität nur eine von vielen möglichen Systemen sei.16 Ganz im Gegensatz zur Semiotische- und Deutungstradition des Westens, wäre der Buddhismus die Lehre der Entleerung des Signifikats (signifié), wobei eine Verlagerung zugunsten des Signifikanten (signifiant) statt fände, was zu einer leeren Gestalt, ein „leeres Zeichen“ führen würde, da „le Zen tout entier mène la guerre contre la prévarication du sens“ (Die gesamte Zen Philosophie Krieg gegen die Unverlässigkeit der Bedeutung fuhrt)17.
Durch vielfältige Beispiele, wie das der Vorbereitung einer japanischen Mahlzeit, eines Produktes dessen finaler Bedeutung sich während der verschiedenen Stadien seiner Herstellung erschöpft; bzw. das von den Haïkus (eine traditionelle Form der japanischen Dichtung), wo die Sprache angehalten und „entleert“ sein solle, versucht Roland Barthes eine neue Semiose zu skizzieren, in der nicht eine Botschaft zu deuten, sondern die Spuren des Vorgangs einer Zeichenherstellung zu verfolgen seien.
[...]
1 Barthes 1970
2 Baudrillard 1978
3 Vgl. Saussure 1969
4 Vgl. Trabant 1989: 46
5 Alle Zeichen wären aber nicht semiotische Zeichen
6 Eco 1992: 284
7 Vgl. Eco 1992: 435-441 und Trabant 1989: 34-39
8 a.a.O.
9 Baudrillard 1978: 19
10 Ebenda : 22
11 Ebenda: 23
12 Ebenda: 37
13 Ebenda: 38
14 Barthes 1970
15 Vgl. Ebenda: 13
16 Vgl. Ebenda: 47
17 Ebenda: 95
- Arbeit zitieren
- Nadia Zeltzer (Autor:in), 2006, Leere Zeichen, wirkliche Welt? Eine Untersuchung der leeren Zeichen von Roland Barthes und der "reinen" Zeichen von Jean Baudrillard, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62779
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.