Urbane Lebensformen sind literarisches Thema, seit Großstädte als Lebensraum an Bedeutung gewinne: die Großstadt ist Mittelpunkt, Ausgangspunkt oder Endpunkt von Handlung. Sie ist Antagonist des Individuums oder zumindest Ursache verschiedener kollektiver und individueller Einflüsse auf die jeweiligen Protagonisten. In den „modernen Romanen der ausgehenden Weimarer Republik fällt diese durchgehend ausgeprägte
Auseinandersetzung der zeitgenössischen Literatur mit dem
Phänomen Großstadt auf, sowohl in lyrischen und dramatischen, wie eben auch in erzählenden Texten. Die literarische Großstadt, die in der Weimarer Republik synonym für Berlin steht, ist eine Projektionsfläche,
ein „champ des significations, welches nicht deckungsgleich ist – auch nicht sein kann oder will – mit dem realen Berlin und dessen Zeichen gelesen werden können.
Der Mensch im Berlin um 1930 befindet sich in einem Schwebezustand zwischen Ordnung und Auflösung. Die Republik erscheint ihm als Übergang zwischen Krieg und einer neuen, erwarteten Katastrophe, was auch entsprechend in den Romanen reflektiert wird Neben den zersplitterten politischen Kräften, die das Straßenbild Berlins präge, befinden sich weitere Teilbereiche der Gesellschaft in Auflösung. Die Weltwirtschaftskrise
und die damit einhergehende Inflation führt zu Arbeitslosigkeit, Abhängigkeit und Kriminalität. Auch Traditionen und Werte haben sich im urbanen Lebensraum verändert. Geordnete Strukturen stellen sich allenfalls dar im allseits gepriesenen Rationalismus, der das Arbeitsleben, die Bürokratie und die Unterhaltungsindustrie entscheidend prägt. In Berlin prallen diese Extreme von Massenunterhaltung gegenüber Massenarmut, von Massenarbeit gegenüber
Massenarbeitslosigkeit, von Kriegsinvalidentum gegenüber Jugend- und Schönheitskult und von preußischer Bürokratie gegenüber politischem Chaos am deutlichsten aufeinander. Und diese Allgegenwärtigkeit von Ordnung und Auflösung spiegelt sich sowohl in den Romaninhalten, wie auch in der stilistischen Umsetzung des Sujets Großstadt. Ich betrachte daher im folgenden exemplarisch zwei Romane, die in noch zu erläuternder Weise zum einen als wegweisend, zum anderen als stellvertretend für die Großstadt-Literatur der späten 1920er und der frühen 1930er Jahre gesehen werden können. Berlin Alexanderplatz von Alfred Döblin und Fabian von Erich Kästner.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einführung zum Thema und zur Vorgehensweise
- 1. Großstadtreflexion vor Berlin Alexanderplatz
- 1.1. Die Großstadt zwischen Naturalismus und Expressionismus
- 1.2. Die Großstadt in der sozialpsychologischen Analyse
- 1.2.1. Simmel: Die Steigerung des Nervenlebens
- 1.2.2. Kracauer: Die geistige Obdachlosigkeit
- 1.3. Anti-urbanistische Strömungen
- 2. Die Weimarer Republik: Gesellschaft und Literatur
- 3. Aspekte von Großstadtliteratur
- II. Der Mensch zwischen Ordnung und Auflösung
- 1. Döblins Franz Biberkopf: Hoffen auf Anständigkeit
- 1.1. Der Titel ist Programm: Großstadt versus Individuum
- 1.2. Dynamische Umwelt
- 1.3. Zwischen bürgerlicher Ordnung und innerer Unruhe
- 1.4. Zersetzung durch Gewalt und Kriminalität
- 1.5. Lose Verbindungen und Beziehungen
- 2. Döblins Großstadtepos: Auflösung der Romanstruktur
- 2.1. Döblins erzähltheoretischer Hintergrund
- 2.2. Die Umsetzung in Berlin Alexanderplatz
- 2.2.1. Die montierte Erzählung
- 2.2.2. Montiertes Erzählen
- 2.4. Entgrenzte Form: Roman oder Epos?
- 3. Kästners Fabian: Warten auf Vernunft
- 3.1. Der Titel als Referenz: gelebter Fabianismus?
- 3.2. Orientierungslosigkeit
- 3.3. Von der Großstadt in die Kleinstadt: Existenzen in Auflösung
- 3.4. Sexuelle Unverbindlichkeit
- 3.5. Rationalisierte Entfremdung: Die Angestellten
- 4. Kästners Berlingeschichte: Reduzierte Komplexität
- 4.1. Journalistische Großstadtreflexion
- 4.2. Sprache der Satire
- 4.3. Romanhafte Handlung
- 4.4. Innerlichkeit versus Sachlichkeit
- III. Ein Spektrum urbaner Lebensformen am Ende der Weimarer Republik
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Magisterarbeit analysiert die Darstellung urbaner Lebensformen im Roman der ausgehenden Weimarer Republik, am Beispiel von Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" und Erich Kästners "Fabian". Der Fokus liegt auf der Auseinandersetzung des Individuums mit der Großstadt und den Herausforderungen, die diese mit sich bringt.
- Der Mensch zwischen Ordnung und Auflösung: Die Analyse untersucht die vielfältigen Formen der Ordnung und Auflösung im Großstadtleben der Weimarer Republik, die in den Romanen von Döblin und Kästner deutlich werden.
- Großstadt als Spiegelbild der gesellschaftlichen Veränderungen: Die Arbeit befasst sich mit der Frage, inwiefern die Großstadt die sozialen, politischen und kulturellen Umbrüche der Weimarer Republik spiegelt.
- Literatur und Realität: Die Arbeit untersucht den Zusammenhang zwischen der literarischen Darstellung der Großstadt und der tatsächlichen Realität Berlins in der Weimarer Republik.
- Die Rolle des Einzelnen in der Großstadt: Die Analyse beleuchtet die unterschiedlichen Reaktionen der Protagonisten auf die Herausforderungen des Großstadtlebens.
- Form und Inhalt: Die Arbeit beschäftigt sich mit den stilistischen Besonderheiten und narrativen Strukturen der beiden Romane, die die Thematik der Großstadt widerspiegeln.
Zusammenfassung der Kapitel
- I. Einführung zum Thema und zur Vorgehensweise: Die Einleitung stellt den Forschungsgegenstand "Urbane Lebensformen im Roman der ausgehenden Weimarer Republik" vor und erläutert die Relevanz des Themas. Die Arbeit konzentriert sich auf die exemplarische Analyse von Döblins "Berlin Alexanderplatz" und Kästners "Fabian".
- II. Der Mensch zwischen Ordnung und Auflösung: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Darstellung des Individuums in der Großstadt, mit seinen Hoffnungen und Ängsten, seinen Beziehungen und Abhängigkeiten. Es analysiert die verschiedenen Formen der Ordnung und Auflösung, denen die Protagonisten in den Romanen begegnen.
- III. Ein Spektrum urbaner Lebensformen am Ende der Weimarer Republik: Dieses Kapitel bietet eine umfassende Analyse der verschiedenen Lebensformen, die in den beiden Romanen dargestellt werden. Es untersucht die Herausforderungen, die sich aus der Großstadt ergeben, und zeigt die unterschiedlichen Strategien der Protagonisten auf, mit diesen umzugehen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Schlüsselbegriffen Großstadtliteratur, Weimarer Republik, Urbanität, Lebensformen, Ordnung und Auflösung, Individuum und Gesellschaft, "Berlin Alexanderplatz", Alfred Döblin, "Fabian", Erich Kästner.
- Arbeit zitieren
- Magistra Artium Katharina Kirsch (Autor:in), 2006, Urbane Lebensformen im Roman der ausgehenden Weimarer Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/62939