Die Epoche des literarischen Expressionismus ist von einer thematischen Vielfalt, von verschiedensten Motiven und stilistischen Ausdrucksmöglichkeiten gezeichnet. Sie übernimmt ästhetisch-philosophische Denkansätze in einer Weise, dass sich die Forschung beinahe grenzenlos darüber ergehen kann, die Masse der Einzelaspekte theologisch, philosophisch und sozialtheoretisch zu analysieren. Aber auch signifikante "Einheitsprinzipien, wie z.B. das des neuen Menschen, der sozialen Revolte oder der Ich-Dissoziation" sind Gegenstand der wissenschaftlichen Reflexion des literarischen Expressionismus.
Oft ist die Affinität des Expressionismus zu Friedrich Nietzsche untersucht worden, der mit seiner monumentalen, experimentellen Lebenstheorie der Selbst-Überwindung und Vitalität als einer der bedeutendsten gedanklichen Paten der Zeit nach 1900 zu sehen ist.
Doch muss man vorsichtig sein, nicht darauf zu verfallen das Werk Nietzsches mit der expressionistischen Reflexion bezüglich Nietzsche zu verwechseln, wenn man die Einflüsse des Philosophen auf die Epoche untersucht. Man muss hier unterscheiden zwischen der Wahrnehmung der Philosophen und der Dichter; während "sich Philosophen um die richtige Deutung seiner [d.i. Nietzsche] Werke bemühten, stellten ihn Dichter in den großen poetischen Weltdiskurs", es "nahm sich jeder von Nietzsche, was er brauchen konnte" . So wurden Schlagwörter wie der Übermensch, die nicht vorhandene, objektive Wahrheit und die subjektive Selbst-Überwindung schnell auf den Rücken der Literatur gespannt und zum Zugwerk der Dichtung.
Daher kann die Analyse nicht von Nietzsches Theorem selbst auf den Expressionismus schließen, sondern sollte die verwandte Deutung und Terminologie aufgrund der Rezeption der Hauptgedanken Nietzsches unter dem Begriff des Nietzscheanismus sehen.
Wenn sich die Arbeit zur Aufgabe setzt, eine Stringenz zwischen der Figurenkonzeption in Alfred Döblins "Die drei Sprünge des Wang-lun" und "Berlin Alexanderplatz" und des Nietzscheanismus zu suchen und darzulegen, muss die allgemeine, expressionistische "Nietzscheverwendung" als zeitgenössisches Syntagma von Charakter, Topologie, Handlungs- und Erfahrungshorizont im Vordergrund stehen. Dass Döblin nicht mit allen Teilen Nietzsches Gedankengerüsts konform ging und sogar teilweise vehemente Kritik an diesem übte, täte daher der Untersuchung keinen Abbruch, da sie nicht die theoretisch-ästhetische Ebene der Nietzsche - Döblin Relation betrachtet.
Das Ziel dieser Arbeit ist eine Darlegung, ob und inwieweit die Figuren, vornehmlich die Protagonisten Wang-lun und Franz Bieberkopf, der oben genannten Werke terminologisch und gedanklich mit der nietzscheanistisch-expressionistischen Ästhetik übereinstimmen und an welchen Punkten sie auseinanderdriften. Dabei wird die gesamtexpressionistische Wahrnehmung Nietzsches als Kriterium gelten, ob Döblins Werk in einer Reihe mit der "experimentellen Reflexionsprosa" und der depersonalen Poetik zu sehen ist, oder nicht, und wenn, wie die Figurendisposition und - konzeption darin zu sehen ist.
Dafür muss eine Bedeutungs- und Begriffsdefinition hinsichtlich des "Nietzscheanismus" und der "Figur" vorgenommen werden um das Untersuchungsfeld genau abzugrenzen
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Nietzsche und der Nietzscheanismus
- Rezeption Nietzsches
- Der Nietzscheanismus
- Döblin und Nietzsche
- Nietzscheanismus und Expressionismus
- Die Figur
- Figuren und Handlungsentwicklung in „Die drei Sprünge des Wang-lun“
- Die Figur Wang-lun
- Darstellung des Wang-lun
- Führungsfunktion des Wang-lun
- Kommunikative Prozesse
- Figuren und Handlungsentwicklung in „Berlin Alexanderplatz“
- Die Figur Franz Bieberkopf
- Bieberkopf und Umwelt
- Wahrnehmung Franz Bieberkopfs
- Untergang und,Neugeburt' Bieberkopfs
- Die Figuren und Nietzscheanismus
- Schluss
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht, ob und inwieweit die Figuren in Alfred Döblins „Die drei Sprünge des Wang-lun“ und „Berlin Alexanderplatz“ terminologisch und gedanklich mit der nietzscheanistisch-expressionistischen Ästhetik übereinstimmen. Die Arbeit betrachtet die gesamtexpressionistische Wahrnehmung Nietzsches als Kriterium, um Döblins Werk in Bezug auf die „experimentelle Reflexionsprosa“ und die depersonale Poetik einzuschätzen.
- Rezeption Nietzsches im Expressionismus
- Nietzscheanismus als Konzept
- Analyse der Figuren Wang-lun und Franz Bieberkopf
- Verbindungen zwischen Figuren und Nietzscheanismus
- Expressionistische Ästhetik in Döblins Werken
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Thematik der Arbeit vor und skizziert den Forschungsstand zur Rezeption Nietzsches im Expressionismus. Kapitel 2 beleuchtet die Rezeption Nietzsches in der Literatur, insbesondere im Kontext des Expressionismus. Es werden die zentralen Aspekte des Nietzscheanismus und seine Verbindung zum Expressionismus analysiert. Kapitel 3 untersucht die Figuren und Handlungsentwicklungen in „Die drei Sprünge des Wang-lun“ und „Berlin Alexanderplatz“, insbesondere die Figuren Wang-lun und Franz Bieberkopf.
Schlüsselwörter
Nietzscheanismus, Expressionismus, Alfred Döblin, Figurenkonzeption, Wang-lun, Franz Bieberkopf, Die drei Sprünge des Wang-lun, Berlin Alexanderplatz, depersonale Poetik, experimentelle Reflexionsprosa.
- Quote paper
- Christopher Klein (Author), 2001, Nietzscheanistische Figurenkonzeption bei Alfred Döblins Protagonisten Franz Bieberkopf und Wang-lun, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6302