Fleming als Petrarkist? Über die Bestimmungsschwierigkeiten eines Systems


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

24 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Der Petrarkismus und sein Konfliktpotential

2. Paul Fleming

3. Analyse
3.1 Außenmotive
3.1.1 Rahmen- und Maskenmotive
3.1.1.1 Pretiosen-Motivik
3.1.1.2 Traumerlebnis und Motiv der Vision
3.1.2 Die Huldigung der Frau
3.2 Grundmotive
3.2.1 Antithetik
3.2.2 Hyperbolik

4. Schlussbetrachtung

5. Literaturverzeichnis

0. Einleitung

Der Terminus Petrarkismus findet literaturtheoretisch – insbesondere in der Untersuchung der europäischen Lyrik des 15.-17. Jh. – immer wieder Anwendung. Doch so klar er auf den ersten Blick auch umrissen scheint, so schwierig gestaltet sich seine differenzierte und prägnante Bestimmung. Die Gefahr ist groß, den Terminus mit Merkmalen zu beschreiben, die keinen konstitutiven Charakter besitzen. So existieren Definitionsversuche eines petrarkistischen Systems, die auf rhetorischen Verfahren wie der Antithetik, Anapher bzw. dem Vergleich aufbauen, obgleich diese Verfahren auch in einer Vielzahl an literarischen Werken zum Vorschein kommen, die gemäß wissenschaftlicher Intersubjektivität nicht als petrarkistisch gelten (Hempfer 1987, S. 259). Um nun die Schwierigkeiten, die sich mit der Bestimmung des Petrarkismus ergeben an einem konkreten Beispiel aufzuzeigen, werde ich mich in dieser Arbeit im Speziellen der Lyrik Paul Flemings widmen, dessen Schaffen dem barocken Petrarkismus in Deutschland zugeordnet wird. Ich gehe also von folgenden zwei Thesen aus:

1. Die begriffliche Bestimmung des Petrarkismus ist mit Problemen behaftet.
2. Die Liebeslyrik Paul Flemings bietet für diese Bestimmungsschwierigkeiten Anschauungsmaterial.

Die Arbeit gliedert sich wesentlich in zwei Teile, wobei der erste einführender Art ist. Hier werde ich mich dem Petrarkismus-Begriff auf allgemeine Weise nähern, indem ich einige Definitionsversuche vorstelle und seine begrifflichen Schwierigkeiten erläutere, sowie eine kurze literarische Einordnung Paul Flemings vornehmen. Im zweiten Teil konzentriere ich mich schließlich auf die Analyse seiner Gedichte hinsichtlich des besagten Konfliktpotentials. Als Gedichtquellen dienten mir dabei in erster Linie die zweiteilige Ausgabe von Pappenberg sowie Pyritz´ petrarkistische Untersuchung von Flemings Lyrik.

1. Der Petrarkismus und sein Konfliktpotenzial

Wie bereits angedeutet bereitet die klare Abgrenzung des Petrarkismus-Begriffes deutliche Schwierigkeiten. In der Literaturwissenschaft wurde unter anderem der Versuch unternommen, den Petrarkismus als Nachahmung Petrarcas zu erfassen. So definiert Wilkins

diesen Terminus im weitesten Sinne als eine literarische, künstlerische oder auch musikalische Aktivität, die unter direktem bzw. indirektem Einfluss von Petrarcas Schaffen sowie der Auseinandersetzung mit seinem Werk steht (Hempfer 1987, S. 255). Eine weitere Definition beschränkt sich auf den Renaissance-Petrarkismus, der als das Verfassen von Lyrik unter dem direkten bzw. indirekten Einfluss Petrarcas zwischen seiner Lebzeit und 1600 verstanden wird (Hempfer 1987, S. 255). Beide Definitionen überzeugen jedoch nur bedingt. Den Renaissance-Petrarkismus auf die lyrische Arbeit zu beschränken ist äußerst fragwürdig, da petrarkistische Versatzstücke auch in vielen weiteren Gattungen wie der Dramatik oder dem Renaissance-Epos vorliegen. Ebenfalls ist die Formulierung des „indirekten Einflusses“ problematisch. Wenn nicht Petrarca, sondern spätere Petrarkisten nachgeahmt werden, so müssten sich auch die dort vorgefundenen Strukturen, die bei Petrarca selbst nicht nachweisbar sind, in den Rahmen der Canzoniere eingliedern lassen. Hierzu ist jedoch die Rekonstruktion eines petrarkistischen Systems vonnöten, um einen indirekten Einfluss Petrarcas festzustellen. Weiterhin bereitet die Formulierung „Einfluss“ insofern Schwierigkeiten, als dass sie auch den Antipetrarkismus mit einbezieht, der ja ebenfalls einen Bezug auf Petrarca erkennen lässt. Entgegen dieser zu eng gefassten Definition des Renaissance-Petrarkismus ist die erstgenannte Definition Wilkins´ zu weitläufig. Indem sie nämlich die produktive Auseinandersetzung mit dem (uneingeschränkten) Werk Petrarcas beinhaltet, setzt sie sich der Schwierigkeit aus, auch seine lateinisch-humanistischen Werke unter den Petrarkismus-Begriff fassen zu müssen (Hempfer 1987, S. 256).

Ebenfalls wurde vielfach der Versuch unternommen, den Petrarkismus als System zu betrachten, wobei diesbezüglich folgende wissenschaftlich intersubjektive Grundgedanken in Erscheinung treten:

„Semantischer Kern des Systems ist ein antinomisch-paradoxales Liebeskonzept, das im Sich-Versagen einer Geliebten von unvergleichlicher Schönheit grundgelegt ist; bei der Verschränkung der konträren Affekte des Liebenden steht im Einklang mit der nachmittelalterlichen Melancholie-Auffassung nicht nur das Liebesleid im Vordergrund, sondern der Liebende muß sein Leid auch bejahen und lustvoll in den Schmerz eintauchen (…)“ (Regn 1993, S. 256)

Eine direkte funktionale Abhängigkeit zu diesem Konzept weisen jene Motive und Stileme auf, die gemeinhin als typisch petrarkistisch gelten, so beispielsweise die Antithese,

Hyperbolik bzw. Edelsteinbildlichkeit. Realisiert wird dieses Konzept schließlich auf intertextuelle Weise, indem sich besagte Texte entweder auf Petrarca selbst (direkt) oder auf seine Nachfolger (indirekt) beziehen. Dem Leser kommt letztlich die Aufgabe zu, diese Verweise zu identifizieren (Regn 1993, S. 256). Auch Pyritz ist dem System-Gedanken nicht abgeneigt. So findet bei ihm die Definition des Petrarkismus als „zweites erotisches System von internationaler Geltung nach dem Minnesang“ Anwendung (Hempfer 1987, S. 258).

Grundsätzlich mit Problemen behaftet ist jedoch die Bestimmung des Systems, da (wie auch bei den Gattungen) keine wirklich konstitutiven Merkmale vorliegen, die ihm zugeordnet werden können. Wie bereits in der Einleitung erwähnt lässt sich ein petrarkistisches System nur schwer anhand von allgemeinen Merkmalen wie den rhetorischen Verfahren (Antithese etc.) bestimmen, die ja bekanntlich in einer breiten Masse an Gattungen bzw. Systemen vorzufinden sind. So ist auch die Sonettform als petrarkistisches Merkmal äußerst fragwürdig. Hempfer hierzu:

„Wenn bei Warning ‚Petrarkismus’ zum Synonym für Liebeslyrik in Sonettform wird, wobei es in letzter Instanz die Sonettform ist, die die Identität des Diskurses garantiert, so sieht sich eine solche Konzeption nicht nur dem Problem gegenüber, daß es Liebeslyrik in Sonettform schon vor Petrarca gibt, die sich nicht in irgendeiner sinnvollen Weise als ‚petrarkistisch’ ausweisen läßt, sondern daß sich vor, neben und nach Petrarca Sonette finden, die keine Liebesdichtung sind (…) d.h. die Sonettform kann keine wie auch immer geartete Identität eines Diskurstyps garantieren. Das Entscheidende jedoch ist, daß sich petrarkistisches Reden über Liebe im engsten d.h. auf Petrarca unmittelbar zurückbeziehbaren Sinn auch außerhalb der Lyrik in Sonettform findet (…) so daß die Sonettform schwerlich die identitätsstiftende Klammer der ansonsten vollkommen Konträres subsumierenden Dialogizität eines von seinem Ursprung bei Petrarca gänzlich gelösten ‚Petrarkismus’ sein kann.“ (Hempfer 1993, S. 188)

Pyritz wiederum hat den Versuch unternommen, zumindest Petrarcas Dichtung durch einige dominante Antinomien zu definieren (Hempfer 1987, S. 258ff):

„Seine Liebe ist nicht mehr Werbung um Hingabe, doch auch nicht bloße anbetende Verehrung; ihr Kennzeichnendes ist ein ewiges Schwanken zwischen beidem, verhüllter Sinnenglut und selig-resigniertem Preis der keuschen Hoheit und herben Reine, die kein Wunsch befleckt.“ (Pyritz 1932, S. 25)

Immerhin besteht bei einigen Wissenschaftlern (wie bereits im Regn-Zitat angedeutet) ein

Konsens, so beispielsweise hinsichtlich des Gedankens, das petrarkistische System ließe sich über die Konzeption der Liebe, die spezifische Bearbeitung der Minnethematik definieren (Hempfer 1987, S. 260).

2. Paul Fleming

Als einer der prägnantesten (wenn nicht der prägnanteste) Vertreter des barocken Petrarkismus gilt Paul Fleming – ein Umstand, an dem Pyritz´ Untersuchung seiner Liebeslyrik keinesfalls schuldlos ist. Der humanistische Dichter Fleming hatte Martin Opitz, den „Reformator“ der deutschen Dichtung des 17. Jahrhunderts, zum Vorbild. Während dieser mit einigen anderen Vertretern erste petrarkistische Motive in die deutsche Literatur übertrug, verarbeitete und variierte Fleming schließlich die vollständige Bandbreite des Petrarkismus in seinem Werk (Fleming 1986, S. 169-174). Es ist jedoch davon auszugehen, dass Fleming keine bedeutsamen Kenntnisse über Petrarcas Dichtung besaß:

„Im Gegensatz zu aller sonstigen Übung (…) nennt er den Canzoniere-Dichter nur ein einziges Mal (Od. IV 33, 8), und hier in einer formelhaften Aufzählung, im Rahmen des aus Opitz übernommenen, bekannten Ressentiments, daß alle Großen des Auslandes der neu erwachten deutschen Dichtung nun sich beugen müssten. Des weiteren ist seinen Sonetten die Reimstellung Petrarcas durchweg fremd. Und schließlich zwingt nicht eine der von Souvageol und Wenderoth erbrachten, leichtlich zu vermehrenden Parallelen zu der Annahme, daß hier direkter Zusammenhang bestehen muß. Ein einziger Fall liegt anders (den beide nicht einmal gesehen haben), die wirklich enge Verwandtschaft von Suav. 42 und Petrarcas Sonett Pace non trovo; und gerade davon gab es Übersetzungen ins Lateinische genug, von denen mindestens die des Borbonius unserm Dichter bekannt sein mußte. In allen andern Fällen beschränkt sich die Gemeinsamkeit auf die Motive, die Fleming bei hundert Petrarkisten finden konnte. Dagegen ist in Ton und Stil ein starker Unterschied: dort über Klage und Preis gedämpftes Licht, ein Gleiten und Schweben in gemessener Harmonie, hier kräftiges Spiel von Licht und Schatten, erregte Dynamik, ein Schnellen von Extrem zu Extrem und grelles Pathos, jedem Gleichmaß feind. Es ist der Unterschied Petrarcas und des Petrarkismus.“ (Pyritz 1932, S. 50f)

Pyritz beschreibt ihn somit als einen Dichter, der der italienischen Sprache kaum mächtig ist, Petrarca in seiner Dichtung nur ein einziges Mal oberflächlich benennt und sich in Ton und Stil stark von ihm unterscheidet. Lediglich die Motive ähneln sich, die Fleming jedoch bei vielen anderen Petrarkisten aufgreifen konnte (Pyritz 1932, S. 50f). Für Pyritz ist Petrarca

somit kein Vorbild Flemings, sondern lediglich der „Ausgang der Entwicklung, an die auch Fleming knüpft“ (Pyritz 1932, S. 52).

3. Analyse

Dem nun folgenden dritten Abschnitt kommt die Aufgabe zu, Flemings Liebeslyrik auf Motive hin zu untersuchen, die in der Literaturwissenschaft durchaus als petrarkistisch gelten. Dabei sollen allerdings jene Probleme, die bereits im ersten Abschnitt Erwähnung fanden, erläutert werden, um die Frage nach dem petrarkistischen Gehalt seiner Lyrik zu durchleuchten.

3.1 Außenmotive

Die Außenmotive der petrarkistischen Lyrik umfassen sozusagen ihre Randerscheinungen, die nicht den Kern der Liebesauffassung und –erfahrung betreffen. Hiermit sind in erster Linie die Anlässe gemeint, die zur dichterischen Aussprache der Liebe führen sowie Objekte, die ihnen zugrunde liegen (Pyritz 1932, S. 52f). Um nun auf besagte Motive näher einzugehen, werde ich mich mit den Rahmen- und Maskenmotiven sowie dem dichterischen Frauenpreis auseinandersetzen.

3.1.1 Rahmen- und Masken-Motive

Den Rahmen- und Maskenmotiven in Flemings Liebeslyrik liegen folgende prägnante Erscheinungsmerkmale zu Grunde:

„Neben direkte Huldigung und Klage, Mahnung und Werbung tritt eine verkappte, auf Umwegen vermittelte, gebunden an dingliche Objekte oder ganz bestimmte Situationen und Phänomene, die im erotischen System eine feste Sinnfunktion behaupten, und aus ihnen sekundär erst mit dialektischer Methode herausentwickelt.“ (Pyritz 1932, S. 63)

Besonders erwähnenswert ist diesbezüglich die so genannte Pretiosen-Motivik, aber auch Motive des Traumes bzw. der Vision sind keinesfalls unbedeutsam. Jene Motive sollen nun in den folgenden zwei Abschnitten einer näheren Analyse unterzogen werden.

3.1.1.1 Pretiosen-Motivik

Die Themengruppe, die als Pretiosen-Motivik bezeichnet wird, kennzeichnet sich durch die Einbindung von Kostbarkeiten in den lyrischen Text. Halsketten, Armbänder oder auch Haarnadeln sind hier der Auslöser für das Verfassen von Lyrik (Pyritz 1932, S. 63f). Die einfachste Form dieser Motivik zeigt sich darin, dass der Dichter dankbar für das Geschenk seiner Liebsten ist. Beispielsweise bringt Fleming in Son. IV 41 zum Ausdruck, dass er nie an ihrer Treue gezweifelt habe, sich aber mit dem edlen Präsent bis zu seinem Tode schmücken wird. Son. IV 85 hingegen beinhaltet Zweifel des Dichters an der Treue seiner Geliebten, die jedoch mit ihrem Geschenk schwinden:

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Fleming als Petrarkist? Über die Bestimmungsschwierigkeiten eines Systems
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald  (Institut für deutsche Philologie)
Veranstaltung
Hauptseminar "Petrarkismus"
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
24
Katalognummer
V63257
ISBN (eBook)
9783638563451
ISBN (Buch)
9783638669191
Dateigröße
587 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Fleming, Petrarkist, Bestimmungsschwierigkeiten, Systems, Hauptseminar, Petrarkismus
Arbeit zitieren
Sebastian Schult (Autor:in), 2006, Fleming als Petrarkist? Über die Bestimmungsschwierigkeiten eines Systems, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63257

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