Abaelard (1079-1142) zählt wohl zu den führenden und umstrittensten Denkern seiner Zeit. Seine außergewöhnliche Lebensgeschichte, die im besonderen durch seine tragische Liebschaft mit Heloise bis heute immer wieder neu entdeckt wird, fällt besonders auf. Daß er dann von Rom aus noch als Ketzer verurteilt wurde, macht ihn fast zum Märtyrer für die Wissenschaft, denen besonders heute die Sympathie eines breiten Mainstream entgegenkommt.
Doch was war Abaelard für eine Persönlichkeit? War er der große, nicht verstandene Lehrer, gegen den der gesamte orthodox-konservative Klerus zu stehen schien? In seinem eigenen Leidensbericht, der “Historia calamitatem”, in dem er Rechenschaft ablegt, sieht er sich vornehmlich als Opfer und somit ist diese nicht als objektive Quelle zu gebrauchen. Auch erinnert sie mich – dieser Vergleich mag weit hergeholt sein – an eine kürzlich in Deutschland erschienene Rechtfertigungsschrift eines bekannten Politikers.
Da “Historia calamitatem” also mit Vorsicht zu genießen ist, stellt sich die Frage, wie man sonst noch an die Persönlichkeit Abaelard herangehen kann.
Ein Weg könnte eine genauere Betrachtung seiner Auseinandersetzung mit seinen ersten drei Lehrern (Roscelin de Compiègne, Wilhelm von Champeaux und Anselm von Laon) sein.
Ging es bei diesen Auseinandersetzungen Abaelard um die wissenschaftliche Sachlichkeit oder waren persönlicher Ehrgeiz und Revierverteidigung andererseits der wahre Grund der Streitigkeiten? Um diesem Sachverhalt tieferen Aufschluß zu geben, werde ich im folgenden Abaelards anfängliche Zeit in Paris genauer betrachten. War er wirklich der Zeit in seiner Geisteshaltung voraus und war sein Eintreten für das Primat der Vernunft die Hauptquelle seines tragischen Schicksals? Ich hoffe mit meinen Ausführungen dieser Frage etwas tiefer auf den Grund gehen zu können.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einleitung
- II. Zeitlicher Hintergrund
- II. 1. Schulen zur Zeit Abaelards
- II. 2. Wanderstudium und die ersten Lehrer
- II. 3. Roscelin de Compiègne
- III. Das erste mal in Paris
- III. 1. Student und junger Lehrer
- III. 2. Wilhelm von Champeaux und der Universalienstreit
- III. 3. Die erste Auseinandersetzung mit seinem Lehrer
- IV. Der Zwischenaufenthalt in Laon
- IV. 1. Die Situation in Laon
- IV. 2. Abaelards Auseinandersetzung mit Anselm von Laon
- IV. 3. Rückkehr nach Paris als Leiter der Domschule
- VI. Beurteilung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit dem Leben und Wirken des Philosophen und Theologen Peter Abaelard. Im Fokus steht die Analyse seiner Auseinandersetzungen mit seinen ersten drei Lehrern: Roscelin de Compiègne, Wilhelm von Champeaux und Anselm von Laon. Die Arbeit zielt darauf ab, Abaelards intellektuellen Werdegang zu beleuchten und zu ergründen, inwiefern seine kritischen Auseinandersetzungen mit etablierten Denktraditionen seinen tragischen Lebensweg beeinflusst haben.
- Peter Abaelard als umstrittener Denker des 12. Jahrhunderts
- Die Bedeutung von Abaelards Auseinandersetzungen mit seinen Lehrern
- Die Rolle der Vernunft in Abaelards Philosophie
- Die Entwicklung des Bildungssystems im 12. Jahrhundert
- Der Einfluss von Abaelard auf die Philosophie und Theologie seiner Zeit
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt Abaelard als einen der bedeutendsten und gleichzeitig umstrittensten Denker seiner Zeit vor. Sie skizziert die Besonderheiten seines Lebens und die Herausforderungen, die sich bei der Interpretation seiner Person stellen. Die Einleitung stellt die "Historia calamitatem" als eine wichtige Quelle dar, die jedoch mit Vorsicht zu geniessen ist.
Das zweite Kapitel bietet einen Einblick in die Bildungseinrichtungen zur Zeit Abaelards. Die Beschreibung der "artes liberales" als Grundlage des Unterrichts in Klöstern und Bischofssitzen bildet den Ausgangspunkt für die Analyse der Entwicklung des Bildungssystems im 12. Jahrhundert. Das Kapitel zeichnet den Wandel von traditionellen, streng disziplinierten Unterrichtsformen hin zu einem neuen Bildungsideal ab, das von einer freien und begeisterten Lernhaltung geprägt ist.
Schlüsselwörter
Peter Abaelard, mittelalterliche Philosophie, Theologie, Universalienstreit, Dialektik, Bildung, Schulwesen, Domschule von Paris, Roscelin de Compiègne, Wilhelm von Champeaux, Anselm von Laon, "Historia calamitatem".
- Quote paper
- Joseph Badde (Author), 1999, Peter Abaelards - Auseinandersetzungen an der Domschule von Paris, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6347