In dieser Arbeit beschäftigen wir uns mit dem Thema: „Geistige Behinderung und Sexualität.“ Auf Grund persönlicher Praxiserfahrungen, hatten wir den Wunsch mehr über diese Fragestellung zu erfahren. Zudem erschien uns das Thema spannend für ein qualitatives Interview und vor allem die Fragestellung wie Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung ihre Sexualität leben. Am 22.12.2004 führten wir unser qualitatives Interview nach einem zuvor erstellten Leitfaden mit Herrn Professor Dr. Joachim Walter, dem Geschäftsführer des Epilepsiezentrums in Kork und ehemaligem Rektor der Evangelischen Fachhochschule Freiburg. Das Interview fand in der EFH statt.
In dieser Einleitung werde ich mich mit den Begriffen qualitative Sozialforschung und Experteninterview beschäftigen. Zuerst werde ich allgemein auf diese Begriffe eingehen, dann speziell auf unsere Arbeit betrachtet. Zum Schluss werde ich darstellen aus welchen Gründen wir uns entschieden Herrn Walter als Experten zu befragen. Anschließend stellen wir den zugrunde liegenden Leitfaden vor, beschreiben den Interviewablauf und die angewandte Form der Transkription. Es folgt die Darstellung der Kategorien und Auswertungsstrategie. Jede von uns übernimmt im Hauptteil die Auswertung von zwei Kategorien, ihrer Auffälligkeiten und ihres Inhalts. Schlussendlich fassen wir unsere wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
Inhaltsverzeichnis
Wie leben Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung ihre Sexualität?
1. Einleitung
2. Vorstellung und Begründung der Methode
2.1. Qualitative Sozialforschung Leitgedanken qualitativer Forschung nach von Kardoff
2.1.2. Begründung für die Entscheidung für das qualitative Interview
2.2. Das Experteninterview
2.2.1. Begründung der Entscheidung für das Experteninterviews
2.3. Wahl des Experten
3. Hauptteil 1 - Vorbereitung und Durchführung
3.1 Die Erstellung des Leitfadens
3.2 Die Atmosphäre des Interviews
3.2 1 Zum Interview:
3.2.2 Gesprächsatmosphäre
3.2.3 Gesprächsverlauf
3.2.4 Interaktion
3.2.5 Störung
3.3 Die Transkription
4. Hauptteil 2 – Auswertung der Kategorien
4.1. Das Interview
4.1.1. Kurzer Überblick
4.1.2.Vorstellung der Kategorien
4.1.3. Vorgehensweise bei der Kategorienbildung
4.2. Aufklärung
4.3. Pubertät
4.4. Selbstbestimmung und die dafür nötigen Rahmenbedingungen
4.4.1. Selbstbestimmung
4.4.2. Rahmenbedingungen
4.5. Verhütung
4.6. Fremdbild– Selbstbild/-deutung
4.6.1 Selbstbild/-deutung
4.6.2 Fremdbild
5. Schlussbilanz
5.1 Erfahrungsbericht
5.2 Zusammenfassung der sprachlichen Auffälligkeiten
5.3 Die wichtigsten inhaltlichen Thesen
5.3.1 Normalisierungsprinzip
5.3.2 Selbstbestimmung
5.3.3 Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession
5.4 Ausblick
6. Literaturliste
Wie leben Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung ihre Sexualität?
1. Einleitung
In dieser Arbeit beschäftigen wir uns mit dem Thema: „Geistige Behinderung und Sexualität.“
Auf Grund persönlicher Praxiserfahrungen, hatten wir den Wunsch mehr über diese Fragestellung zu erfahren. Zudem erschien uns das Thema spannend für ein qualitatives Interview und vor allem die Fragestellung wie Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung ihre Sexualität leben.
Am 22.12.2004 führten wir unser qualitatives Interview nach einem zuvor erstellten Leitfaden mit Herrn Professor Dr. Joachim Walter, dem Geschäftsführer des Epilepsiezentrums in Kork und ehemaligem Rektor der Evangelischen Fachhochschule Freiburg. Das Interview fand in der EFH statt.
In dieser Einleitung werde ich mich mit den Begriffen qualitative Sozialforschung und Experteninterview beschäftigen. Zuerst werde ich allgemein auf diese Begriffe eingehen, dann speziell auf unsere Arbeit betrachtet. Zum Schluss werde ich darstellen aus welchen Gründen wir uns entschieden Herrn Walter als Experten zu befragen.
Anschließend stellen wir den zugrunde liegenden Leitfaden vor, beschreiben den Interviewablauf und die angewandte Form der Transkription. Es folgt die Darstellung der Kategorien und Auswertungsstrategie. Jede von uns übernimmt im Hauptteil die Auswertung von zwei Kategorien, ihrer Auffälligkeiten und ihres Inhalts. Schlussendlich fassen wir unsere wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
2. Vorstellung und Begründung der Methode
2.1. Qualitative Sozialforschung
Um zu begründen warum wir uns für ein qualitatives Interview entschieden haben möchte ich diese Form zunächst abgrenzend zum quantitativen Interview darstellen. Anschließend werde ich die Leitgedanken qualitativer Forschung nach von Kardoff vorstellen um zu verdeutlichen, welche die wichtigsten Punkte qualitativer Forschung sind.
Quantitative Forschung ist ein standardisiertes Verfahren. Um Häufigkeiten zu messen und Zusammenhänge zu erkennen, werden große Stichproben erhoben. Es werden standardisierende Fragen und Antworten verwendet und Hypothesen vorab formuliert.
In der Qualitativen Forschung hingegen werden Offene Verfahren angewandt. Es werden nur kleine Stichproben genommen. Die Fragen werden möglichst offen formuliert und man hält sein eigenes Vorverständnis möglichst zurück um Raum zu geben für die Vielfältigkeit der Antworten. Strukturiert und reduziert wird die Vielfalt der Antworten und Thesen erst bei der Auswertung.
Leitgedanken qualitativer Forschung nach von Kardoff
Der Begriff: „qualitative Forschung“ umfasst unterschiedliche Ansätze, zum Beispiel das Experteninterview oder die Gruppendiskussion.
Im folgenden Abschnitt werde ich auf die gemeinsamen Leitgedanken nach von Kardoff eingehen.
(1) Gegenstand ist soziale Wirklichkeit als interaktiv konstituierte Wirklichkeit,
Gegenstand sind Strukturen des Sinnes, der Erfahrungen verliehen wird
Der Prozess der Herstellung der sozialen Wirklichkeit geschieht durch Kommunikation und Interaktion. Die Aufgabe qualitativer Forschung besteht darin, den von Menschen gegebenen subjektiven Sinn von Dingen und Erfahrungen zu rekonstruieren. Die wichtigste Bedeutung von Sinn in diesem Zusammenhang ist die Beschreibung und Interpretation der „Welt im Kopf“ des Gesprächspartners.
(2) Verstehen als Erkenntnisprinzip
Beim Verstehen geht es darum die soziale Wirklichkeit und den den Erfahrungen verliehenen Sinn zu verstehen und zu interpretieren. Selektive Wahrnehmung und Vorverständnis führen zu unterschiedlichem Verstehen. Durch Interpretation und Verstehen entsteht wieder eine neue wissenschaftliche Textkonstruktion.
(3) Prinzip Offenheit in der Erhebung und in der Interpretation
Da die soziale Wirklichkeit sehr komplex und die Perspektiven der Menschen sehr unterschiedlich sind, führen offene Fragen zu einer Vielfalt von Texten. Die Fragen sollten so offen wie möglich und so strukturiert wie nötig sein. Bei der Interpretation sollte so lange wie möglich Offenheit für den im Text zu findenden Sinn bestehen.
(4) Prinzip der Reflexion, des Fremdverstehens und der Subjektivität der Forschenden
Die Produktionsbedingungen des Interviews werden reflektiert und der Befragte wird als Subjekt gesehen, das Sinn verleiht. Auch die Subjektivität des Forschers fließt in den Erkenntnisprozess mit ein, da er den Text mit seinem eigenen Vorverständnis betrachtet und dieses bei Bedarf erweitert.
(5) Methodische Kontrolle des Fremdverstehens
Die Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit des Weges zu den Erkenntnissen sind Kriterium für Wissenschaftlichkeit. Die methodische Kontrolle durch andere Forscher soll durch offengelegte Regeln und Verfahren der Interpretationen gegeben sein.
(Helfferich, 2004, Skript, S.7ff; Helfferich, 2004, S.19ff)
2.1.2. Begründung für die Entscheidung für das qualitative Interview
Viele Gründe für die Entscheidung zum qualitativen Interview sind in den Leitgedanken von von Kardoff erhalten. Die uns besonders wichtigen Punkte wollen wir noch einmal vorstellen.
Bei unserem Interview entschieden wir uns für die qualitative Sozialforschung, da qualitative Verfahren die zuerst erfasste Vielfalt erst später reduzieren und wir so eine größere Bandbreite an Informationen erhalten können. Der Interviewte soll selber Kategorien und Begriffe entwickeln und nicht eingeschränkt sein in seinen Antworten durch von uns vorgegebene Begriffe und Kategorien.
Ein besonders wichtiger Punkt für unsere Entscheidung war, dass auch Widersprüche, Ambivalenzen und Uneindeutigkeiten erkennbar werden, die in einem quantitativen Verfahren nicht zu erkennen sind.
In unserem Fall soll das „von Einzelnen (also von Herrn Walter) formulierte Expertenwissen Gegenstand der Forschung sein.“ (Helfferich, 2004, Skript, S.12) Wir wollen seine „Welt im Kopf“ zu diesem Thema kennenlernen und rekonstruieren.
Wichtig war uns auch die Interaktion, da wir so bei Bedarf Zwischenfragen stellen konnten um ein genaueres Bild von einem Bereich zu bekommen.
Bei weiteren Experteninterviews zu diesem Thema wäre es spannend die Gemeinsamkeiten, Unterschiede und Differenzierungen der Sichtweisen, Kategorien und Begriffe herauszuarbeiten.
2.2. Das Experteninterview
Nach Meuser und Nagel (S.73) wird als Experte angesprochen
„ wer in irgendeiner Weise Verantwortung trägt für den Entwurf, die Implementierung oder die Kontrolle einer Problemlösung oder wer über einen privilegierten Zugang zu Informationen über Personengruppen oder Entscheidungsprozesse verfügt.“
Experten sind oft nicht auf der obersten Ebene eines Verbandes oder einer Organisation zu finden, sondern dort wo konkret Entscheidungen getroffen werden, Aufgaben übernommen werden und Zuständigkeiten bestehen.
Ein Experteninterview ist eine gute Form wenn der Zugang zum sozialen Feld schwierig oder unmöglich ist, z. B. tabuisierte Themenfelder oder wenn wenig Material zu der Fragestellung vorliegt. Wenn man „Experten als „Kristallisationspunkte“ praktischen Insiderwissens betrachtet und stellvertretend für eine Vielzahl zu befragender Akteure interviewt“ (Bogner, 2005, S.7) kann eine Abkürzung aufwendiger Beobachtungsprozesse stattfinden. „Das professionelle Wissen kann wie aus einem Buch aus der Quelle des Interviews gewonnen werden.“ (Helfferich, 2004, S.8)
Bei Experteninterviews ist oft eine große Motivation des Interviewten gegeben, da er Interesse an dem Thema hat und somit an der Verbreitung seines Wissens und seiner Erkenntnisse. Auch die Bedeutung der Forschung und die Wichtigkeit von Interviews sind ihm bekannt und es besteht eine große Kooperativität und eine hohe Zustimmungsquote. Auf Grund von Terminproblemen wollte Herr Walter uns empfehlen, einen anderen Experten zu wählen, sagte aber, als er das Thema hörte doch zu, denn „Zu diesem Thema gebe ich Ihnen selbstverständlich ein Interview.“ (Telefonat mit Herrn Walter)
Oft bekommt man schnell und leicht ein gutes Interview, da der Experte es gewohnt ist in der Öffentlichkeit aufzutreten und über das Thema zu sprechen und eine große sprachliche Kompetenz besitzt. (Meuser und Nagel, 2002, S.71ff; Bogner und Menz, 2002, S.7ff; Helfferich, 2004, S.8)
2.2.1. Begründung der Entscheidung für das Experteninterviews
Bei unserem Thema ist der Zugang zu diesem sozialen Feld sehr schwierig, da man sich nicht darauf verlassen kann durch die Kommunikation mit Menschen mit geistiger Behinderung und Eltern relativ schnell gute Ergebnisse zu erhalten. Grundlage um gute Informationen zu erhalten ist eine Vertrauensbasis, da Sexualität ein sehr intimer Bereich ist. Die teilnehmende Beobachtung im Bereich der Sexualität ist nicht möglich.
Auch durch die Tabuisierung von Teilbereichen wie Sexualassistenz wäre der Zugang zum sozialen Feld durch Betroffeneninterviews schwierig gewesen.
Die Vorteile eines Experteninterviews wie große Kooperativität, hohe Zustimmungsquote und Erkennen der Bedeutung der Forschung bestärkten uns in der Entscheidung für das Experteninterview.
Da es nur wenig aktuelle Literatur über Geistige Behinderung und Sexualität gibt, ist das Experteninterview die beste Möglichkeit um schnell und leicht die wichtigsten Punkte des Themas herausfinden. Das Interview wäre eine sehr gute Grundlage um weiter an dieser Materie oder an Teilbereichen zu arbeiten.
2.3. Wahl des Experten
Die Entscheidung für Herrn Walter war sehr schnell getroffen, da er im Bereich „Geistige Behinderung und Sexualität“ zu den wichtigsten Experten in Deutschland gehört und für uns relevante Literatur zu unserer Fragestellung veröffentlicht hat. Herr Walters Wissen basiert sowohl auf theoretischem als auch auf praktischem Erfahrungswissen. Er hat durch die enge Zusammenarbeit mit Eltern und Behinderten einen besonderen Zugang zu Klientel und Angehörigen.
Er spricht regelmäßig in der Öffentlichkeit über „Sexualität und geistige Behinderung“ und empfahl uns schon vor dem Interview einige veröffentlichte Interviews mit ihm.
Im Interview erzählt er uns: „Das sind wahrscheinlich 50000 Menschen, die ich da erreicht habe inzwischen, zu Vorträgen und Seminaren“ (Transkription, Zeilen 66-68)
Auf Grund seiner fast 30-jährigen Erfahrung in Forschung und Praxis in diesem Bereich befindet er sich in einer Schlüsselposition und hat Kontakt zu weiteren Experten. Im Falle weiterer Interviews könnte er uns wichtige Gesprächspartner empfehlen und den Zugang zu der Feldforschung erleichtern.
Unsere E-Mail mit der Anfrage, ob er uns ein Interview zu unserem Thema „Geistige Behinderung und Sexualität“ geben würde, beantwortete er direkt positiv.
Dass wir seine Thesen zu dieser Materie bereits aus Seminaren und Literatur kannten, vereinfachte uns den Zugang zu diesem Gebiet.
3. Hauptteil 1 - Vorbereitung und Durchführung
3.1 Die Erstellung des Leitfadens
Wir haben uns für einen Leitfaden entschlossen, der aufgegliedert ist in Leitfrage, Nachfrage und Inhaltlicher Aspekt, da uns dieses Schema für das Interview am übersichtlichsten erschien.
Begonnen haben wir mit einer Einarbeitung in das Thema „Sexualität und geistige Behinderung“ anhand von Literatur und Skripten von Vorträgen aus dem Internet, denn “ die Notwendigkeit für den Interviewer, im Interview zu verdeutlichen, dass auch er mit der Thematik vertraut ist, ist auch in anderen Kontexten Bedingung für einen erfolgreichen Interviewverlauf.“[1] Auch Barbara Frieberthäuser stellt in ihrem Buch auf S.375 fest, dass sich Leitfragen „erst auf der Basis fundierter, theoretischer oder empirischer Kenntnisse“[2] formulieren lassen.
Durch unsere ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Lebenshilfe waren wir mit dem Thema „geistige Behinderung“ vertraut und hatten schnell Zugang gefunden zu diesem Spezialbereich.
Im nächsten Schritt befassten wir uns damit, einen Fragekatalog von 30 Fragen aufzustellen. Diese haben wir nach den Frageregeln von Cornelia Helfferich auf S.94 ihres Buches[3] überprüft und haben die Fragen gestrichen, die man mit „ja“ oder „nein“ beantworten konnte.
Es ist wichtig, die Fragen in einem Experteninterview sorgfältig aufzustellen und nach „Präsuppositionen“[4] zu überprüfen denn „Fragestellungen sind so etwas wie die Tür zum untersuchten Forschungsfeld. Von ihrer Formulierung hängt ab, ob die empirische Vorgehensweise Antworten produziert oder nicht.“[5] Da unser Interesse an dieser Thematik geweckt war, hatten wir viele wichtige Punkte, die uns wichtig erschienen.
Andererseits durfte der Leitfaden auch „nicht zu umfangreich“[6] werden, da relativ offene Fragen dem Interviewten viel Raum zum sprechen lassen sollten.
So einigten wir uns auf 10 Leitfragen und trafen eine Auswahl aus unserem Fragekatalog.
Mit diesen 10 Fragen versuchten wir inhaltlich verschiedene Themen anzusprechen, so dass wir damit ein breit gefächertes Themenfeld abdecken konnten. Außerdem sollten die Fragen in einem Zusammenhang miteinander stehen. Deswegen wählten wir zu Beginn eine Einstiegsfrage („Sie beschäftigen sich schon länger mit dem Thema Sexualität von Menschen mit einer so genannten geistigen Behinderung. Was hat Sie dazu bewegt, sich dieses zum Spezialgebiet zu machen?“), um Herr Walter einen leichten Einstieg ins Thema zu ermöglichen. Danach haben wir den Bereich aktuelle Forschung und das Gesellschaftliche Bild gewählt bevor wir konkret auf die Themen Pubertät, Aufklärung, Verhütung und Sexualität eingegangen sind. Da uns auch „Selbst- und Fremdbestimmung“ interessiert hat, haben wir dann dazu eine Frage gestellt, bevor wir über die Vorstellungen und Wünsche von Herr Walter hin zu weiteren Aspekten zum Schluss gekommen sind.
Die Nachfragen, die wir zu den Leitfragen ausformulierten wollten wir dann einsetzen, wenn das Gespräch nicht von alleine laufen würde. Wir haben pro Frage 3-4 Nachfragen aufgeschrieben. Bei der Ausformulierung haben wir durch unsere Mitstudenten im Seminar neue Impulse bekommen und Suggestivfragen abgeändert.
So hatten wir für das Interview einen formal übersichtlichen Leitfaden, den wir auf 3 Seiten gedruckt hatten.
Unsere Aufgabe war es auch eine zentrale Fragestellung über den Leitfaden zu stellen, aber da dieses Thema so komplex war, hatten wir Schwierigkeiten damit. Wir haben uns für folgende zentrale Fragestellung entschieden: „Wie leben Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung ihre Sexualität?
Vor dem eigentlichen Interview haben wir noch ein Probeinterview gemacht, um uns mit den Fragen vertraut zu machen und um die „Anwendung des Leitfadens“[7] zu erproben.
3.2 Die Atmosphäre des Interviews:
3.2 1 Zum Interview:
Das Interview findet am 22.12.2004 um 13 Uhr in der Fachhochschule statt. Herr Walter hat diesen Ort gewählt, da er zu dieser Zeit sein Seminar beendet hat. Da die Fachhochschule für uns ein neutraler Raum ist, empfanden wir das für die Interviewsituation als beruhigend.
Leider hat es erst mit dem dritten Termin geklappt und so hatten wir vorher Zeit uns noch einmal gründlich mit den Fragen auseinanderzusetzen
Wir haben unseren Interviewtermin erst um 14 Uhr, aber da die Frau nicht kommt, die Herr Walter vor uns interviewen wollte, fangen wir früher an und vereinbaren, kurz zu unterbrechen, wenn sie doch kommt.
Christina und ich hatten vereinbart, dass sie das Interview führt und ich dabei sitze und aufschreibe, was ich beobachte und was mir auffällt.
Wir haben ein Aufnahmegerät mit Mikrofon dabei und haben dies auch vorher auf seine Funktion getestet.
3.2.2 Gesprächsatmosphäre
Herr Walter ist sehr offen und erzählt von ganz alleine. Das ist auch sehr wichtig für den Umgang mit dem Thema „Sexualität und geistige Behinderung“ .So fällt auf, wie er darüber spricht als wäre es das normalste der Welt. Er zeigt keine Hemmungen, ihm ist nichts peinlich. Deswegen bekomme ich den Eindruck, es handelt sich hier um ein Thema, über das man immer so offen sprechen sollte, wie es Herr Walter tut und ich denke auch gerade diesen Eindruck will er bei seinen Zuhörern erwecken.
Herr Walter wirkt in der Interviewsituation routiniert. Da er sich mit empirischer Sozialforschung auskennt, müssen wir ihm nicht viel über unseren Leitfaden erzählen.
Christina und ich sind nervös, da wir nicht damit gerechnet haben, dass wir unser Interview schon so früh machen können. Im Laufe des Interviews löst sich aber die Anspannung bei uns.
3.2.3 Gesprächsverlauf
Nach der Einstiegsfrage (welcher Zugang zu dieser Thematik) ist Herr Walter sofort im Erzählen und auch wir sind mitten im Thema. Er erzählt alles sehr lebendig, spricht verständlich und mit vielen anschaulichen Beispielen. Auch seine eigenen Ansichten kommen immer wieder zum Vorschein.
Christina stellt nicht viele Nachfragen, da wir durch unsere 9 Leitfragen schon eine Stunde füllen können. Auffällig ist, dass Herr Walter ein großes Wissen mitbringt und er uns seine Aussagen empirisch belegen kann.
Zwei Fragen versteht er nicht gleich und fragt noch einmal nach.
In der zweitletzten Frage nach seinen Wünschen für die Zukunft gefragt, antwortet er lachend „gute Frage“.
Frau Cornelia Helfferich empfiehlt in ihren „Anforderungen an den Leitfaden“[8], dass die Fragen „nicht abgelesen werden dürfen“, wozu uns aber die Nervosität der Interviewsituation verleitet hat. Flick spricht von der „Gefahr der Leitfadenbürokratie“[9], aus der Verunsicherung der Interviewsituation heraus.
3.2.4 Interaktion
In der Interaktion ist auffällig, dass Herr Walter viel mit den Händen gestikuliert, wobei man merkt, dass ihm das Thema sehr wichtig ist.
Er sucht Augenkontakt zu Christina und mir und wir nicken oder bejahen seine Aussagen.
3.2.5 Störung
Noch während der ersten Frage werden wir unterbrochen von der Frau, die vor uns ein Interview führen wollte, sie setzt sich in einem Abstand von uns dazu und nimmt auch mit ihrem Aufnahmegerät das Interview mit auf. Herr Walter fängt direkt nach der Störung wieder mit dem Satz an, mit dem er aufgehört hat, wir müssen die Frage nicht noch einmal stellen.
[...]
[1] Flick, Uwe in „Qualitative Forschung“, S.110
[2] Frieberthäuser, Barbara in „Handbuch qualitativer Forschungsmethoden in der Erziehungswissenschaft“, S.375
[3] Helfferich, Cornelia, „Die Qualität qualitativer Daten“, S.94
[4] Helfferich, Cornelia, „Die Qualität qualitativer Daten“, S.91
[5] Flick, Uwe in „Qualitative Forschung“, S.69
[6] Winfried Marotzki in „Hauptbegriffe qualitativer Sozialforschung“, S.114
[7] Flick, Uwe in „Qualitative Forschung“,S.113
[8] Helfferich, Cornelia, „Die Qualität qualitativer Daten“, S.159f
[9] Flick, Uwe in „Qualitative Forschung“,S.113
- Arbeit zitieren
- Amelie Singer (Autor:in), Christina Blumberg (Autor:in), Barbara Kuhn (Autor:in), 2005, Geistige Behinderung und Sexualität, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/63845