„Verbrecher, Trinker, Unsittliche und Zivileheherren.“ Dies sind die Schlagworte einer Diskussion im Kaiserreich, die die Massenzuwanderung ländlicher Unterschichten ins Ruhrgebiet an Gewalt, Sittlichkeitsverbrechen und Alkoholismus koppelt.
Unter den Bedingungen einer entstehenden Einwanderungsgesellschaft mit all ihren Transformationen und Verwerfungen reagiert das deutsche Bürgertum seit Ende des 19. Jahrhunderts mit Konzepten, die dem bundesdeutschen Angstmotiv „Ausländerkriminalität“ ähneln.
Es ist nicht so, dass Geschichte sich wiederholt. Die strukturellen Bedingungen und gesellschaftlich-sozialen Formationen in der Bundesrepublik sind mit denen des Kaiserreichs nicht zu vergleichen. Trotzdem führt der gekappte Traditionszusammenhang zu verblüffenden Doppelungen. Da die eigene Geschichte als `Einwanderungsland wider Willen´ aus dem kollektiven und dem politischen Gedächtnis getilgt scheint, beginnt die Diskussion um Zuwanderung, „Gastarbeit“, Integration und „Ausländerkriminalität“ an einem nur imaginierten Punkt Null.
Eine dieser Doppelungen ist die analytische Unschärfe des Begriffes `Ausländer´ und der Kategorie `Fremdheit´.
Im Gegensatz zur Bundesrepublik vollzieht sich im Kaiserreich jedoch dieser Prozess, mit dem `Fremde´ zu `Tätern´ werden, ohne ideologiekritische Einwände und ohne `politisch korrekte´ Sprachregelungen.
Umso aufschlussreicher sind die gesellschaftlichen und diskursiven Transformationen, in denen sich aus einer zuvor unbeachteten Gruppe fremdsprachiger Arbeiter ein Feindbild konturiert, das zum Objekt von Zuschreibungen wird, die zuvor anders kodiert waren.
Kriminalität bildet das Strukturmuster der neuzeitlichen Gesellschaften ab, „mit all den Ahndungsritualen, Sanktionseinrichtungen, aber auch den Gerechtigkeits- und Justizvorstellungen der Bevölkerung sowie den eigentümlichen sozialkulturellen Empfindlichkeiten.“
Eben diese Vorstellungen und Empfindlichkeiten sind der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Ziel ist es, die diskursiven Prozesse im Feld `Kriminalität´ zu beschreiben, mit denen die bürgerliche Gesellschaft auf das Phänomen der Massenmigration ins Ruhrgebiet reagiert.
Wie wird aus proletarischer Kriminalität polnische Kriminalität? Wie entsteht aus den `Sicherheitspaniken´ der 1870er Jahre angesichts der durch deutsche Arbeiter verübten Gewalttaten die `Kroatengefahr´ des frühen 20. Jahrhunderts? Welche Entwicklungen sind für die Ethnisierung von Tätern verantwortlich?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Fragestellung
1.2. Aufbau der Arbeit
1.3. Quellenlage
1.4. Forschungsstand
2. Migrationsbewegungen – Das Ruhrgebiet als Zuwanderungsgesellschaft
2.1. Ost-West-Binnenmigration
2.2. Transnationale Wanderung
3. Staatsfeinde als Zuwanderer: die `Ruhrpolen´
3.1. Polnische Marginalisierung – Die „Falle Nationalstaat“
3.2. Institutionelle Kriminalisierung – „Polenüberwachung“
4. Kriminalitätsdiskurs
4.1. Kriminologischer Diskurs – Das Sprechen über Kriminalität
4.2. Zeitungsdiskurs – der massenmediale Transport
5. „Preußens Wilder Westen“ - Proletarisierung und Bürgerangst
5.1. Konzepte vorindustrieller Kriminalitätsangst: der „Gauner“
5.2. Proletarischer Habitus und bürgerliche Gewaltrezeption
5.3. Wohnverhältnisse der Unterschichten – „Unsittlichkeit“ als Folge
5.4. Freizeitverhalten, Arbeiterkultur und Alkohol
5.5. Proletarische Delinquenz – statistische Befunde
5.5.1. Körperverletzungen
5.5.2. „Grober Unfug“
6. „Jene slawischen Elemente“ – Ostzuwanderung und perzipierte Kriminalität
6.1. Nationalisierung des Diskurses
6.2. Biologisierung des Kriminalitätsdiskurses
6.2.1. „Degeneration“ und „Minderwertigkeit“
6.2.2. „Degeneration“ und „Rasse“
6.3. Gewaltkriminalität, Alkohol und Zuwanderung
6.3.1. Stereotypisierungen: „trinkende Polen“ und Gewalt
6.3.2. „Rohe Messerhelden“ – Wahrnehmung `ausländischer´ Gewaltkriminalität
6.4. Lebensverhältnisse und Stigmatisierung – „Unsittlichkeit“ fremdsprachiger Zuwanderer
6.4.1. Defizitäre Urbanisierung und „Polnische Wirtschaft“
6.4.2. Wohnverhältnisse der Fremden – „Unsittlichkeit“ als Ursache
6.5. Delinquenz der Zuwanderer – statistische Befunde
6.6. Gewalt gegen Fremde – die Kehrseite der „Ausländerkriminalität“
7. Ausblick und Schluss
8. Literatur
8.1. Literatur vor 1945
8.2. Literatur nach 1945
1. Einleitung
1.1. Fragestellung
„Verbrecher, Trinker, Unsittliche und Zivileheherren.“[1] Dies sind die Schlagworte einer Diskussion im Kaiserreich, die die Massenzuwanderung ländlicher Unterschichten ins Ruhrgebiet an Gewalt, Sittlichkeits-verbrechen und Alkoholismus koppelt.
Unter den Bedingungen einer entstehenden Einwanderungsgesellschaft mit all ihren Transformationen und Verwerfungen reagiert das deutsche Bürgertum seit Ende des 19. Jahrhunderts mit Konzepten, die dem bundesdeutschen Angstmotiv „Ausländerkriminalität“ ähneln.
Das junge Ruhrgebiet der Hochindustrialisierungsperiode ist einerseits abhängig von massiver – auch ethnisch fremder – Zuwanderung:
„Ohne die `Entfesselung´ der zuvor gebundenen oder gelenkten Migrationspotentiale wäre die Industrialisierung nicht möglich gewesen.“[2]
Andererseits sind die sozialen Implikationen dieser Wanderungsprozesse gesellschaftlich nicht abgefedert.
„Man hat Arbeitskräfte gerufen, und es kamen Menschen.“[3] Der berühmte Satz Max Frischs bezieht sich auf die Migrationswellen seit den 1960er Jahren, beschreibt jedoch für das 19. Jahrhundert in einer Art „Déjà-vu-Erlebnis“[4] recht genau die Diskrepanz zwischen ökonomischer und sozialer Integration von Zuwanderern.
Ulrich Herbert hat angesichts der bundesdeutschen Zuwanderung von der „Fiktion der Voraussetzungslosigkeit“[5] gesprochen. In der Tat deuten die exemplarischen Aussagen aus der aktuellen Diskussion um Zuwanderung und Integration auf die geringe Halbwertzeit politischer Erfahrungen hin.
Im Migrationsreport 2004 weist Leo Lucassen darauf hin, dass
dieser Mangel an historischem Bewusstsein in der jeweils spezifischen Konstruktion der nationalen Geschichte begründet ist, die zum Teil Denktraditionen entwickelt hat, in die Einwanderungen schlicht nicht passen.[6]
Diese Ausblendungen passen zur Rezeption von Migration als Ausnahme.
Die Annahme scheint verbreitet, dass die Welt nur dann in Ordnung ist, wenn Menschen dort bleiben, wo sie gerade leben. Eine solche Vorstellung ist unsinnig und unhistorisch. Menschen hatten immer das Bestreben, ihre individuelle und kollektive Lebenssituation zu verbessern; Möglichkeiten dazu boten Wanderungen und die Suche nach neuen Siedlungsgebieten.[7]
Es ist nicht so, dass Geschichte sich wiederholt. Die strukturellen Bedingungen und gesellschaftlich-sozialen Formationen in der Bundesrepublik sind mit denen des Kaiserreichs nicht zu vergleichen. Trotzdem führt der gekappte Traditionszusammenhang zu verblüffenden Doppelungen. Da die eigene Geschichte als `Einwanderungsland wider Willen´ aus dem kollektiven und dem politischen Gedächtnis getilgt scheint, beginnt die Diskussion um Zuwanderung, „Gastarbeit“, Integration und „Ausländerkriminalität“ an einem nur imaginierten Punkt Null. Tatsächlich finden sich entscheidende Konflikt- und Argumentationslinien der bundesrepublikanischen Diskussion bereits in den Jahrzehnten um 1900.[8]
Eine dieser Doppelungen ist die analytische Unschärfe des Begriffes `Ausländer´ und der Kategorie `Fremdheit´.
In der Bundesrepublik Deutschland verschleiert der in der Öffentlichkeit pauschal – und falsch – benutzte Begriff „Ausländer“ die tatsächlich komplexe Zuwanderungssituation. Unter das Stigma „Ausländer“ fallen alle Transitgänger, Touristen, Kurzzeit-Arbeitsmigranten. Hinzu kommen alle Angehörigen fremder Nationen, die dauerhaft in Deutschland leben. In der öffentlichen Wahrnehmung wird diese Gruppe ergänzt durch die Nachkommen der „Gastarbeiter“ in zweiter, dritter und vierter Generation, wenn scheinbar eindeutige Merkmale ihrer `Fremdheit´ wie Name und Aussehen bestehen. Die Zuschreibung `Ausländer´ erfolgt dabei unabhängig von Staatsbürgerschaft und Integrationsstand. Ein vollständig assimilierter Nachkomme türkischer Einwanderer mit lebenslanger deutscher Staatsbürgerschaft wird als `Türke´ wahrgenommen und bestenfalls als `Deutschtürke´ bezeichnet.
Hinzu kommt die große Gruppe der als Spätaussiedler bezeichneten Zuwanderer deutscher Herkunft, die ausnahmslos die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, aufgrund ihres noch geringen Integrationsstandes und oft mangelnder Sprachkenntnisse jedoch als `Russen´ und so als `Ausländer´ wahrgenommen werden.
Im Kaiserreich finden sich ähnlich komplexe Migrationszusammenhänge. Alle Einwohner der preußischen Teilungsgebiete des ehemaligen polnischen Staates erhielten mit der Reichsgründung die deutsche Staatsbürgerschaft. Damit waren die polnisch-, masurisch- und litauisch-sprachigen Bevölkerungsteile der Ostprovinzen ihrem Rechtsstatus nach Deutsche. Sie genossen Wahlrecht, Freizügigkeit und unterlagen keiner gesonderten Erfassung. Ihre Stigmatisierung als „Staatsfeinde“ erfolgte außerhalb staatsbürgerschaftlicher Kontroversen. Polnischsprachige Arbeitsmigranten aus dem russischen Teilungsgebiet oder aus Galizien unterlagen einerseits der gleichen Stigmatisierung jedoch andererseits einer drastisch schärferen Behandlung aufgrund ihres Status als `Ausländer´, nämlich als `Russen´ oder `Österreicher´.
Ähnlich erging es der wachsenden Zahl an Arbeitsmigranten aus anderen europäischen Staaten, die jedoch nach dem empfundenen Grad kultureller Fremdheit, bzw. nach der Struktur existierender Nationalstereotype durchaus verschiedenen Umgang erfuhren. Besonders Osteuropäer und Italiener wurden mit Argwohn betrachtet, während etwa West- und Nordeuropäer, besonders etwa die große Zahl der Niederländer kaum als Problem empfunden wurde.[9]
Genau wie in der Bundesrepublik ist im Kaiserreich der Migrationszusammenhang kein Kriterium für die staatliche Erfassung eines in Deutschland lebenden Menschen. Ohne deutsche Staatsangehörigkeit ist er `Ausländer´, mit Staatsangehörigkeit `Deutscher´, wie homogen `anders´ sich die jeweilige Gruppe auch darstellt.
Diese kategorische Sicht kontrastiert stark mit der ebenfalls schematischen öffentlichen Wahrnehmung. Hier wird der Eindruck von Fremdheit oder Vertrautheit mit einer `gefühlten´ Staatsbürgerschaft gekoppelt: auch als Deutscher bleibt im Kaiserreich der Pole Pole, in der Bundesrepublik der Türke Türke.
Wird dieses komplexe und stark emotional besetzte Konzept mit dem Feld `Kriminalität´ gekoppelt, bewegt man sich in ein „politisches und ideologisches Minenfeld“[10]. Selbst im historischen Zugriff und mit einer zeitlichen Distanz von rund 100 Jahren scheint das Thema „Ausländerkriminalität“ – so der heute so gängige wie unpassende Terminus – ebenso problembeladen wie im aktuellen Diskurs.
Nach wie vor wird in Deutschland der mit Migration und Kriminalität angesprochene Sachverhalt unter dem Konzept der sog. Ausländerkriminalität behandelt. Das Konzept ist freilich weder klar noch theoretisch überhaupt dazu geeignet, die Zusammenhänge zwischen Migration und Kriminalität angemessen zu verarbeiten. Aus ausländischer Perspektive wird dies seit längerer Zeit notiert und ferner angemerkt, dass sich die Ausländerkriminalität zu einem conceptual hold all entwickelt hat, mit dem im Wesentlichen die Bedrohung innerer Sicherheit als externe Bedrohung konstruiert und kommuniziert wird.[11]
Im Gegensatz zur Bundesrepublik wurde diese Problematik im Kaiserreich nicht analytisch betrachtet. Der Prozess, mit dem `Fremde´ zu `Tätern´ werden, vollzieht sich ohne ideologiekritische Einwände und ohne `politisch korrekte´ Sprachregelungen.
Umso aufschlussreicher sind die gesellschaftlichen und diskursiven Transformationen, in denen sich aus einer zuvor unbeachteten Gruppe fremdsprachiger Arbeiter ein Feindbild konturiert, das zum Objekt von Zuschreibungen wird, die zuvor anders kodiert waren.
Kriminalität bildet das Strukturmuster der neuzeitlichen Gesellschaften ab, „mit all den Ahndungsritualen, Sanktionseinrichtungen, aber auch den Gerechtigkeits- und Justizvorstellungen der Bevölkerung sowie den eigentümlichen sozialkulturellen Empfindlichkeiten.“[12]
Eben diese Vorstellungen und Empfindlichkeiten sind der Gegenstand der vorliegenden Untersuchung.
Ziel ist es, die diskursiven Prozesse im Feld `Kriminalität´ zu beschreiben, mit denen die bürgerliche Gesellschaft auf das Phänomen der Massenmigration ins Ruhrgebiet reagiert.
Wie wird aus proletarischer Kriminalität polnische Kriminalität? Wie entsteht aus den `Sicherheitspaniken´ der 1870er Jahre angesichts der durch deutsche Arbeiter verübten Gewalttaten die `Kroatengefahr´ des frühen 20. Jahrhunderts? Welche Entwicklungen sind für die Ethnisierung von Tätern verantwortlich?
1.2. Aufbau der Arbeit
Nach einer Beschreibung der Besonderheiten der verschiedenen Migrationssysteme, die zu dem rasanten Wachstum des Ruhrgebiets und zu seiner besonderen ethnisch-kulturellen Struktur führten, erfolgt eine gesonderte Analyse der Stellung der polnischen Minderheit im Deutschen Reich. Die so genannten `Ruhrpolen´ stellten die mit Abstand größte als fremd wahrgenommene Zuwanderergruppe ins Ruhrgebiet. Als Angehörige des Deutschen Reich waren sie formal allen anderen deutschen Staatsbürgern gleichgestellt. Als `nationale Bedrohung´ und als `Reichsfeinde´ waren sie jedoch Opfer besonderer Marginalisierungs-bestrebungen seitens Politik und Verwaltung, die massiv auf ihre Integration in den westdeutschen Zuwanderungsgebieten zurückwirkte. Die staatliche Repressionspolitik fungierte ferner als Verstärker für Ressentiments gegenüber fremdsprachigen und besonders osteuropäischen Zuwanderern.
Die beiden Hauptteile der Untersuchung analysieren das Sprechen über die Kriminalität der ins Ruhrgebiet zuwandernden unterbürgerlichen Schichten. Über einen diskursanalytischen Zugang werden Verschiebungen innerhalb des kriminologischen Diskurses beschrieben, in dem Theoretiker und Praktiker aus Wissenschaft, Verwaltung, Politik und Polizei die Wahrnehmung der Zuwandererkriminalität prägen. Kapitel 5. analysiert die Phase zwischen 1871 und der Jahrhundertwende, in der der kriminologische Fokus auf proletarischer Kriminalität ohne ethnisch-kulturelle oder sprachliche Kodierung lag. Die Analyse der gesellschaftlichen Wahrnehmung wird mit den statistischen Befunden über Unterschichtenkriminalität kontrastiert.
Kapitel 6. beschreibt die Transformationen innerhalb des kriminologischen Diskurses, die ungefähr mit der Jahrhundertwende zusammenfallen. Ein Schub nationaler Abgrenzungsroutinen und die Integration aktueller Wissenschaftsentwicklungen führen zu dem, was Nationalisierung und `Biologisierung´ des Diskurses über Arbeiterkriminalität genannt werden kann. Erst mit dem Jahr 1899 als Wendepunkt entsteht in der öffentlichen Wahrnehmung die Entsprechung dessen, was in der Bundesrepublik unter dem Terminus `Ausländerkriminalität´ verhandelt wird.
Die Kapitel 6.3. und 6.4. untersuchen die Umkodierungen proletarischer Gewalt, `Unsittlichkeit´ und proletarischen Alkoholkonsums in spezifisch polnische bzw. ausländische Deliktgruppen. Analog zum ersten Hauptteil werden diese Wahrnehmungsbefunde mit den verfügbaren statistischen Fakten kontrastiert. Kapitel 6.6. sucht Hinweise auf die Viktimisierung von Zuwanderern.
1.3. Quellenlage
Die heterogene und interdisziplinäre Struktur des kriminologischen Diskurses verlangt eine breite Quellenbasis, die zeitgenössische Veröffentlichungen aus dem erweiterten Umfeld der Kriminalitätsdiskussion einbeziehen muss. Neben Texten zur Verbrechensbekämpfung und -auswertung schließt das vor allem Monografien und Aufsätze zur Zuwanderung, zum Arbeiterwohnungswesen, zum Alkoholismus, zur Arbeitsmarktpolitik und zur Polizei- und Stadtverwaltung ein.
Einen weiteren wichtigen Teil stellen Arbeiten aus dem medizinischen Feld, die seit Ende des 19. Jahrhunderts die anthropologischen und ethnischen Begründungsmuster für den Umgang mit Kriminalität prägen.
Ferner werden unveröffentlichte Verwaltungsquellen des Staatsarchivs Münster berücksichtigt, in denen sich die Verflechtung gesellschaftlichen Wissens und staatlicher Interessen beobachten lassen.[13] Auch wo Texte behördenintern bleiben, schreibt und rezipiert die Verwaltung den kriminologischen Diskurs mit.
Um die massenmediale und damit gesellschaftliche Übersetzung des von Spezialisten dominierten Diskurses einbeziehen zu können, wurden unsystematische Stichproben regionaler Tageszeitungen gemacht. Aus der national-liberalen Rheinisch-Westfälischen Zeitung wurden Monats-Samples aus dem gesamten Berichtszeitraum ausgewählt. Aufgrund des anders gewählten Schwerpunkts der Arbeit wurde auf eine aufwendige statistische Bearbeitung des Materials verzichtet. Stattdessen werden Beispiele zitiert, um die Verlängerung der nationalistischen Positionen des Diskurses in den massenmedialen Bereich zu illustrieren.
Ähnlich wurde mit den regionalen Dortmunder Tageszeitungen ohne dezidiert politische Orientierung verfahren. Aus der Dortmunder Zeitung und dem Dortmunder Tageblatt wird zitiert, wenn die gesellschaftliche Verbreitung der innerhalb des Diskurses relevanten Positionen zu beschreiben ist.
An dieser Stelle kann kurz auf das Desiderat einer gezielten Auswertung der deutschen Tageszeitungen des Kaiserreichs hingewiesen werden. Besonders im Bereich der Kriminalitätsrezeption und der Wahrnehmung gesellschaftlicher Transformationen während der Hochindustrialisierungsphase bieten die Ruhrgebietszeitungen einen weitgehend unerschlossenen Materialbestand.
Eine Sonderform stellen schließlich die kultursoziologisch-ethnologischen Texte Wilhelm Brepohls und Eberhard Frankes dar.[14] Mit dem Anspruch wissenschaftlicher Erforschung der Ostzuwanderung ins Ruhrgebiet stehen sie nicht nur aufgrund der zum Teil großen zeitlichen Nähe zwischen den Primär- und Sekundärtexten. Zum einen transportieren sie eine Vielzahl persönlicher Anschauungen und Augenzeugenberichte, die in der alltagsgeschichtlichen Überlieferung einzigartig sind. Zum anderen konservieren sie als eine Art Flaschenpost offen zeitgenössische Deutungsmuster, Vorurteile, Stereotype und Rassismen, die sonst in der Nachkriegsgeschichtswissenschaft und -publizistik nur noch versteckt als Subtext erscheinen.
1.4. Forschungsstand
Die vorliegende Arbeit berührt verschiedene Forschungsgebiete. Schwerpunkte liegen in einer kulturhistorisch argumentierenden Geschichte der Kriminalität und in der diskursanalytischen Analyse der zeitgenössischen Kriminologie.
Zu ihrem Hauptanliegen, der Kriminalität ethnisch oder sprachlich fremder Zuwanderer ins deutsche Reich, gibt es bislang keine Veröffentlichung.
Zur statistischen Beteiligung von Zuwanderern am deutschen Kriminalitätsaufkommen finden sich Abschnitte allein in den hochaggregierten Studien von Johnson und Thome und in Jessens Studie zur Polizeientwicklung.[15] Andere Arbeiten gehen über den Stand der zeitgenössischen Auswertung der Reichskriminalstatistik nicht hinaus.
Aufschlussreich für hingegen sind die kriminalitäts- und polizeigeschichtlichen Arbeiten auch dort, wo sie das Thema Zuwanderung nicht berühren.[16]
Kriminalität von Zuwanderern als diskursive Praxis findet auch in den Arbeiten zur Kriminologie des Kaiserreiches bislang keine Beachtung.
Andererseits verlassen in den letzten Jahren eine Reihe von Arbeiten die „Werkstatt einer Geschichte der Kriminologie“ (Fritz Sack), die das methodische Vorgehen in den beiden Hauptteilen dieser Untersuchung prägen. Besonders die Habilitationsschrift Peter Beckers mit den ergänzenden Aufsätzen, Strassers „Verbrechermenschen“ und Silviana Galassis „Geschichte einer gebrochenen Verwissenschaftlichung“ der Kriminologie suchen mit verschiedenen Schwerpunktsetzungen einen diskursanalytischen Zugang zur Geschichte der Verbrechensbekämpfung und -bewertung.[17]
Zurückgegriffen wurde ferner auf Texte zur gegenwärtigen Kriminalitätsdiskussion. Die Problematisierungen der Messbarkeit von Kriminalität, von Verzerrungsfaktoren und Fehlschlüssen im Bereich Zuwandererkriminalität werden auf den historischen Kontext angewendet.[18]
Weil der Geschichte der Kriminalität „eine historische Lagebestimmung der politisch-rechtlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse vorausgeht“[19], sind die politik- und sozialhistorisch angelegten Arbeiten zur Zuwanderung ins Ruhrgebiet von besonderer Bedeutung.
Die `Ruhrpolen´ können seit den an Murzynowska und Kleßmann anschließenden Arbeiten als gut erforscht gelten.[20] Ulrich Herberts Geschichte der Ausländerpolitik liefert umfassendes Material zum politischen Umgang mit der transnationalen Zuwanderung.[21]
Eine Ablösung der Sozialgeschichte als Geschichte der Arbeiterbewegung durch kulturalistisch und alltagsgeschichtlich orientierte Zugänge hat eine Fülle von zuvor unbeachtetem Material zu Tage gefördert, das die Beschreibung täglicher Konflikte in der Einwanderungsgesellschaft möglich macht, die sich unterhalb der Ebene üblicher Aktenerfassung befinden.[22]
Die vorliegende Arbeit sieht sich diesem Zugang verpflichtet und definiert `Arbeiterkultur´ als `Arbeiteralltagskultur´ und nicht als `Arbeiterbewegungskultur´. Für das Ruhrgebiet markiert Brüggemeiers „Leben vor Ort“ die Schwerpunktverlagerung innerhalb der Sozialgeschichte, an der etwa auch Jürgen Reulecke, Lutz Niethammer und Alf Lüdtke mitwirkten.[23]
Zur Darstellung der Migrationsbewegungen wurde auf die umfangreichen Forschungen Klaus J. Bades und seines Osnabrücker IMIS-Instituts[24] zurückgegriffen.
Zur Nationalitätenproblematik ergänzt die Habilitationsschrift Dieter Gosewinkels zur Staatsangehörigkeit die bisherigen Positionen Brubakers, Andersons und Heckmanns.[25]
Die existierenden Publikationen zur Pressegeschichte und -auswertung erwiesen sich als wenig hilfreich und verweisen – wie beschrieben – auf ein Forschungsdesiderat.[26]
2. Migrationsbewegungen – Das Ruhrgebiet als Zuwanderungsgesellschaft
2.1. Ost-West-Binnenmigration
Bevölkerungsexplosion, Großstadtbildung und Binnenwanderung sind die Prozesse, die innerhalb weniger Jahrzehnte nach der Reichsgründung für einen tief greifenden Strukturwandel sorgten.
Zwischen 1871 und 1910 wächst die Reichsbevölkerung von 41,1 auf 64,9 Millionen. Die Geburtsjahrgänge um 1905 zählen zu den zahlenstärksten der deutschen Geschichte.[27]
Die Bevölkerung der Stadtgemeinden nimmt im gleichen Zeitraum um 160% zu und erhöht sich von 14,8 auf 39,97 Mio.[28] 1871 hatten erst acht Städte in Deutschland mehr als 100.000 Einwohner, 1910 waren es 48.[29]
Der Industrialisierungsschub bewirkte eine gewaltige Verschiebung der Beschäftigtenanteile zwischen Industrie und Landwirtschaft, der jedoch zu Beginn noch durch „Berufswechsel ohne Ortswechsel“ oder im näheren bis mittleren Einzugsbereich städtisch-industrieller Arbeitsmärkte gedeckt werden konnte (Pendelwanderung).[30]
Bei Fernwandern aus den süddeutschen Ländern handelte es sich in erster Linie um gelernte Handwerker, die weniger das Industrie- als das Städtewachstum in das entstehende Ruhrgebiet zog.
Von den zwischen 1865 und 1871 Zugewanderten entstammten noch 78% aus den beiden preußischen Westprovinzen, 8% aus Hessen, 4% aus Holland und 2,5% aus der Provinz Sachsen, aber erst 1,5 % aus den Ostprovinzen. In Bochum waren im Jahre 1871 33% der Einwohner in Bochum selbst, 39,4% in Westfalen und 12,4% im Rheinland geboren.[31]
Die gesamte Zuwanderung in das entstehende Ruhrgebiet belief sich 1871 auf ca. 100.000.
Die erste Erfassung von fremdsprachiger Zuwanderung aus den östlichen Provinzen des Reiches in das entstehende Ruhrgebiet findet im Jahr 1861 statt. Die Preußische Statistik erfasst für die Provinzen Rheinland und Westfalen vier „polnische“ Familien, insgesamt 16 Personen.[32]
Den ersten bedeutenden Zustrom aus den östlichen Provinzen des Reiches bildeten 1870 Bergleute aus dem schlesischen Waldenburg. In einer Art „Streikbrecherimport“[33] wurden 1.000 Bergarbeiter angeworben und – mit ihren nachfolgenden Familien – im Dortmunder Raum angesiedelt.[34] Die Zuwanderung war von starker Signalwirkung für die Unternehmer, sich nunmehr um Deckung des Arbeitskräftebedarfs in den preußischen Ostgebieten zu bemühen.[35]
Dieser Prozess hatte jedoch mit der für die spätere Ost-West-Wanderung charakteristischen intersektoralen Bewegung erst wenig gemein. Bei den Zuwanderern handelte es sich um ausgebildete Bergleute mit schlesisch-deutscher Identität.
Der deutsch-französische Krieg von 1870/71 gab der Ost-West-Wanderung einen wichtigen Impuls. Rekruten aus dem Nordosten kamen auf dem Weg zur Front durch die westdeutschen Industriegebiete, bzw. gerieten in Kontakt zur westdeutschen Industrie- und Bergarbeiterschaft. Diese „intersektorale Kommunikation zwischen uniformierten Arbeitskräften“[36] bildete einen wichtigen außerökonomischen Faktor bei der Mobilisierung der nordostdeutschen Landarbeiter. Bereits in den 1880er Jahren kehrte kaum noch einer der landlosen Rekruten nach Ableistung seines Wehrdienstes in den ländlichen Nahbereich seines Herkunftsgebietes zurück.[37]
Die interne Ost-West-Wanderung erreichte in größerem Maße zunächst das Industriezentrum Berlin, in den 1870er Jahren das mitteldeutsche Industriegebiet und zu Beginn der 1880er Jahre das Rheinland und Westfalen. Die massive Arbeiteranwerbung der Ruhrindustrien auf dem landwirtschaftlichen Arbeitsmarkt der deutschen Nordostgebiete in Verbindung mit den verbilligten Massentransporten auf dem Schienenweg ließen in den 1890er Jahren die Ost-West-Migration ins Ruhrgebiet zur dominierenden Wanderungsbewegung werden.[38]
Stand am Anfang des Migrationssytems ein Fachkräfteimport gelernter Bergleute, war die Massenwanderung ins Ruhrgebiet seit den 1890er Jahren „gleichbedeutend mit einer massenweisen Umsetzung unterbäuerlicher Schichten vom Land- ins Industrieproletariat“[39].
Diese Binnenwanderungen über große Distanzen als Teil des hektischen Urbanisierungsprozesses der Hochindustrialisierungsperiode waren damit wichtigster Faktor der „größten Massenbewegung der deutschen Geschichte“[40].
In mehrerlei Hinsicht bildet dieser Prozess eine scharfe Zäsur. Wirtschaftsgeschichtlich beschreibt er den Strukturwandel „vom Agrarstaat mit starker Industrie zum Industriestaat mit starker agrarischer Basis“[41]. In Bezug auf das Wanderungsgeschehen bedeutet er die Ablösung des Auswanderungsprozesses nach Übersee durch Binnen-Fernwanderung.[42] Damit verbunden ist der historische Übergang vom Arbeitsausfuhr- zum Arbeitsimportland[43] und so letztlich der strukturelle Umbruch zum Einwanderungsland.[44]
Im Jahre 1900 hatten bereits knapp 50% aller in Deutschland außerhalb ihrer Geburtsprovinzen gezählten Personen Wanderungsstrecken über 250 km zurückgelegt.[45]
1907 waren 47% der im Deutschen Reich lebenden Bevölkerung Binnenwanderer, in den Großstädten sogar 54%. 30,9% der Binnenwanderer im Deutschen Reich und 41,7% in den Städten stellten „Fernwanderer“ dar.[46]
1907 wurden von 6,7 Millionen in den Provinzen Ost-, Westpreußen und Posen Geborenen 1,6 Millionen in anderen Teilen des Reiches erfasst, davon allein ein Viertel in Rheinland-Westfalen.[47]
Der Anteil der Ostzuwanderer an den Belegschaften im Bergbau wuchs auf 38% im Jahre 1908. 1913 arbeiteten 139.178 aus den östlichen Provinzen zugewanderte Bergleute in den Ruhrzechen.[48]
Zu den zuerst deutschstämmigen und deutschsprachigen Schlesiern kamen immer größere polnischsprachige Gruppen aus dem deutschen Teilungsgebiet, dazu Masuren, und aus Westpreußen und Posen ein- oder zweisprachige Zuwanderer ohne eindeutige nationale Selbstzuordnung.[49]
Gemeinsam war allen Gruppen die Herkunft aus den besitzlosen ländlichen Unterschichten der Ostprovinzen. Das machte sie zu mittellosen ungelernten Arbeitskräften, die einerseits den Verlockungen der saisonunabhängigen und vergleichsweise hoch bezahlten Arbeit im Industrierevier nicht widerstehen konnten und andererseits ihre engen lokalen und regionalen Bindungen nicht so schnell aufgeben wollten.
Mehr noch verband sie die Fremdwahrnehmung der „eingesessenen“ Bevölkerung, die im Ruhrgebiet selbst zu großen Teilen aus (Nah-) Wanderern bestand: Den fremden Landarbeitern gegenüber – ob sie mit Akzent oder mit Dialekt sprachen – war die westdeutsche Stadtbevölkerung nicht um Differenzierung bemüht. Selbst in der Statistik des Allgemeinen Knappschaftsvereins in Bochum waren alle Ostzuwanderer Polen.[50]
Die offiziellen Statistiken der Provinzen, des Landes und des Reiches zeigen sich zwar differenzierter, kommen aber zu solch „grotesk unterschiedlichen Ergebnissen“, dass die Zahlen „mit einem hohen Unsicherheitsfaktor belastet“ sind.[51]
Tatsächlich lag der Anteil polnischsprachiger Auswanderer aus den deutschen Ostprovinzen bei ungefähr 20%. Insgesamt zogen zwischen 300.000 und 350.000 katholische und polnischsprachige Personen ins Ruhrgebiet, dazu 150.000 Masuren.[52] Die politisch, religiös und sprachlich abweichenden, in der Regel evangelischen und „kaisertreuen“ Masuren als eigenständige Gruppe oder als Teil der polnischen Bevölkerung zu zählen, war und ist eine politische Entscheidung.[53] Wenn vor dem Ersten Weltkrieg eine getrennte Zählung erfolgte, dann in der Regel als politische Maßnahme im Rahmen der `Abwehrpolitik´, um die Differenzen zwischen beiden Volksgruppen zu verstärken.[54] Unterblieb die getrennte Zählung lag der Grund jedoch in der Regel im Desinteresse der untersuchenden Instanz gegenüber der Zusammensetzung der Zuwanderergruppen. Aus Schlesiern, Ostpreußen und Posenern deutscher, masurisch-polnischer oder polnischer Sprache wurden `Polen´.[55] Aus nationalem Interesse verfahren polnische Zählungen genauso.[56]
Fremdheit, Integrationsdruck und Diskriminierung führten gemeinsam mit dem Festhalten an lokalen und landsmannschaftlichen Bindungen zur Schaffung von Strukturen, die in einen echten Einwanderungsprozess einmündeten und große Ähnlichkeiten mit der überseeischen Einwanderung hatten. Brepohl und Franke haben die hochfunktionalen informellen Koloniebildungen besonders der Ostpreußen beschrieben, sowie die dauerhafte interregionale Kommunikation zwischen Zechen und Industriestandorten im Ruhrgebiet und ostpreußischen Stadtregionen.[57]
Geschlossene Siedlungsverbände wie „Klein-Allenstein“ oder „Neu-Masuren“ blieben teilweise bis in die 1920er Jahre stabil und schufen eine Infrastruktur für Neuankömmlinge. Sie sorgten dafür, dass die Ost-West-Fernwanderung trotz der engen Kontakte zur Heimatregion in hohem Maße endgültig wurde, wenn auch oft „in mehreren Stufen“[58].
Unabhängig von ihren national-kulturellen Selbstzuschreibungen besitzt die Ost-West-Fernwanderung der Landbevölkerung aus den östlichen Provinzen des Reiches alle Kennzeichen eines echten Einwanderungsprozesses - und das Ruhrgebiet die eines „interne[n] Einwanderungsland[es]“[59]. Das galt sowohl für die Wanderungsweise (`Kettenwanderung´), für die Siedlungsweise (`Kolonien´), für die Konzentration auf bestimmten Teilarbeitsmärkten (`Polenzechen´) und für die Probleme von Akkulturation und Assimilation im Zielgebiet überhaupt.[60]
Die Zuwanderer mussten das neue Leben im Westen als „Bruch in materieller Kultur, soziokulturellem Normengefüge und schichtenspezifischen Kollektivmentalitäten, in Berufsfeldern und Lebensformen zwischen Ausgangs- und Zielgebieten“[61] wahrnehmen.
2.2. Transnationale Migration
Bis in die 1880er Jahre war das Deutsche Reich ein Auswanderungsland. Die durch strukturelle Defizite behinderte ostelbische Landwirtschaft war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht in der Lage gewesen, ein ausreichendes Arbeitsangebot bereitzustellen. Ergebnis waren „Landflucht“ und massive Wanderungsverluste, die sich bis in die 1890er Jahre vor allem als transatlantische Auswanderung darstellten. Allein zwischen 1880 und 1893 wanderten 1,8 Millionen Deutsche aus, über 90% davon in die USA.[62] 1885 wurde jedoch die Zuwanderungsbilanz des Deutschen Reiches erstmals positiv.[63]
Der Industrialisierungsprozess in Deutschland hatte in den 1880er Jahren ein neues Migrationssystem geschaffen, das die rasch wachsenden Industrien im Westen mit Arbeitskräften aus den unterbäuerlichen Schichten des preußischen Ostens versorgte. Dieser Umschichtungsprozess lief lange parallel zu den steigenden Wachstumsraten der Reichsbevölkerung, die allein zwischen 1873 und 1895 um 25% auf 52 Millionen wuchs.[64]
In der Hochkonjunkturperiode war jedoch einerseits der wachsende industrielle Arbeitsbedarf trotz des massenhaften Zustroms aus der Landwirtschaft nicht mehr auf dem inländischen Arbeitsmarkt zu decken. Zentralbereiche der industriellen Produktion, Straßen- und Kanalbau meldeten steigenden Erweiterungsbedarf und konjunkturbedingt schwankenden Zusatzbedarf.[65]
Andererseits sorgten die Wanderungsverluste im Osten durch die Intensivierung der Bodenkultur und den dadurch zunehmenden Saisonbedarf für „Leutenot“ in den Ostprovinzen.[66]
Seit den 1890er Jahren nahm die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte nach Preußen gewaltige Dimensionen an – mit dem Höchststand von 1,2 Millionen im Jahre 1914[67] – und rückte „als Massenbewegung, der von der internen Ost-West-Wanderung zunächst auf dem landwirtschaftlichen Arbeitsmarkt entfachten Sogwirkung folgend, über die preußischen Ostgrenzen nach Westen vor.“[68]
Seit der zweiten Hälfte der 1890er Jahre begannen verschiedene Industriezweige in steigendem Maße Arbeitskräfte aus dem benachbarten Ausland zu beschäftigen. Bei ihnen handelte es sich vorrangig um Polen aus dem russischen, zum geringeren Teil aus dem österreichisch-ungarischen Teilungsgebiet. Damit kollidierten in Preußen die ökonomischen Interessen der ostdeutschen Großgrundbesitzer (und später der westdeutschen Fabrik- und Zecheneigner) mit der Linie staatlicher `Abwehrpolitik´. Dem ökonomischen Interesse an der Deckung des Arbeitsmarktbedarfs durch `billige und willige´ ausländische Kräfte stand das politische Interesse an einer Eindämmung der vorwiegend polnischen Zuwanderung in die preußischen Ostprovinzen und ins Ruhrgebiet diametral entgegen.[69]
Diese beiden Hauptlinien sollten bis zum Krieg die Situation der osteuropäischen Arbeitsmigranten prägen: der rein ökonomisch orientierte Pragmatismus der Unternehmer, der Ausländer in „Ersatz-, Erweiterungs- und Pufferfunktionen“[70] einzusetzen gedachte auf der einen Seite, und die „nervöse Skepsis der preußischen Staatsräson“[71] auf der anderen Seite.
Auf der einen Seite bestand ein stabiler antipolnischer `Rahmen preußischer Abwehrpolitik´, „innerhalb dessen sich seit Anfang der 1890er Jahre ein dichtes Netz von Sonderverordnungen über den politisch unerwünschten, aber ökonomisch unverzichtbaren Arbeitskräfteimport aus dem östlichen Ausland entfaltete“[72]. Ziel war
die Fernhaltung stamm- und gesinnungsverwandter ausländischer Elemente von der einheimischen polnischen Bevölkerung in den Grenzprovinzen und sodann die Abwehr der Massenansiedlung ausländisch-polnischer Arbeiter auch innerhalb des übrigen Staatsgebietes.[73]
Auf der anderen Seite lieferten sich die Unternehmer besonders des Ruhrgebiets einen „zähe[n] und bis 1914 dauernden Kleinkrieg“[74] mit der preußischen Regierung um das Problem der Beschäftigung von `Auslandspolen´.
Obschon die Beschäftigung von auslandspolnischen Arbeitern in der Industrie für die preußischen Westprovinzen explizit ausgeschlossen worden war, blieben die Beschäftigtenzahlen auf einem erstaunlichen Niveau.
Im Ruhrbergbau stieg der Anteil der Ausländer, meist Arbeiter aus Österreich-Ungarn und darunter vorwiegend Polen, von 2,72% im Jahre 1893 auf 9% 1908. Gemeinsam mit den 130.000 Ostzuwanderern aus dem Reichsgebiet stellten die 32.000 Ausländer mehr als die Hälfte der Gesamtbelegschaft.[75]
Trotz des Unterlaufens des Beschäftigungsverbots für Auslandspolen gelang es nicht, den zusätzlichen Arbeitsbedarf über den `Import´ polnischsprachiger russischer und österreichischer Staatsangehöriger zu decken. Von den 269.815 in der Industrie beschäftigten Ausländern im Jahre 1907 waren nur 2,2% Auslandspolen. Die größten Gruppen stellten Italiener mit 92.846 Industriearbeitern (34,4%), sowie Holländer, Tschechen und Österreicher.[76]
Sie bildeten als „Reservearmee“[77] eine gezielt angeworbene „Arbeiterschicht zweiten Grades“[78], die anders als die Arbeitsmigranten aus den östlichen Reichsprovinzen keine eigene unkontrollierte Dynamik entwickelte, sondern gelenkt und reglementiert als `Konjunkturpuffer´ oder für besonders „anstrengende, oft schmutzige, widerliche Arbeiten“[79] herangezogen wurden.
Es entstanden „in verschiedenen Wirtschaftsbereichen doppelte Teilarbeitsmärkte mit stark internationalisierten unteren Ebenen“.[80] Von Seiten der Industrie gefordert und von der preußischen Regierung umgesetzt, bedeutete dies eine nationale bzw. `rassische´ Segmentierung des Arbeitsmarktes, deren (vorgeblicher) Effekt sein sollte, deutsche Arbeiter ihrer „Kulturstufe“ angemessen von unwürdigen Arbeiten fernzuhalten und gleichzeitig den Arbeitgebern ein „flexibles konjunkturelles Ausgleichsinstrument“[81] in die Hand zu geben.
Einzig bei der Reglementierung des Zuzugs von Polen aus dem russischen und österreichischen Teilungsgebiet folgte die Regierung – mit einer Ausnahme – nicht den Forderungen der Industrie. Beim Bau von Talsperren, Chausseen und Kanälen, der oft nahezu ausschließlich von ausländischen Arbeitern durchgeführt wurde, war die Beschäftigung von Auslandspolen gestattet.[82]
Mit dem 1908 geschaffenen System des Legitimierungszwangs der ausländischen Arbeitnehmer wurde die Ausländerbeschäftigung staatlicherseits kontrolliert und reguliert und somit die „Tradition der institutionalisierten Diskriminierung“[83] der ausländischen Arbeiter begründet.
3. Staatsfeinde als Zuwanderer: die `Ruhrpolen´
3.1. Polnische Marginalisierung - Die „Falle Nationalstaat“
Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts dominiert in Preußen die Staatstradition des supranationalen Absolutismus. Für die Einwohner der preußischen Besitzungen bedeutet dies ein direktes Untertanenverhältnis zum König, ohne Bezug auf Nationalität und Abstammung.[84]
Im „Zuruf an die Einwohner des Großherzogthums Posen“ vom 15.5.1815 markiert Friedrich Wilhelm III. - trotz aller aufkeimenden nationalistischen Tendenzen und Gegenbewegungen - die Position der preußischen Monarchie für die folgenden Jahrzehnte:
Ihr werdet meiner Monarchie einverleibt, ohne eure Nationalität verleugnen zu dürfen. [...] Eure Sprache soll neben der deutschen in allen öffentlichen Verhandlungen gebraucht werden.[85]
Mit der Herstellung des deutschen Nationalstaates 1871 verschwindet dieser liberale, tolerante Traditionsstrang staatlicher Nationalitätenpolitik.
In den zwei Jahrzehnten nach der Reichsgründung weicht das Nebeneinander zweier nationaler Kulturen einer durch kulturelle, später sozialdarwinistisch überhöhte Überlegenheitsanspruche begründeten Verdrängung der polnischen Kultur.[86]
Mitte der 1880er Jahre sind Konzepte der Koexistenz und Akkulturation[87] so weit einer nationalistischen und antipolnischen Verdrängungspolitik gewichen, dass Bismarck im Landtag den weiterhin rechtsgültigen Zuruf von 1815 mit aller Heftigkeit verwerfen kann: „Ich gebe meinestheils keinen Pfifferling auf irgendeine Berufung auf die damaligen Proklamationen“[88].
Die Basis dieser Veränderung liegt im Konzept des Nationalstaats und in seiner deutschen Variante. Nationalstaat lässt sich definieren als „Staat mit rechtlich definiertem Territorium und rechtlich fixierten Einwohnern (Staatsbürger), die sich der Wir-Gruppe Nation zugehörig fühlen und/oder dazugerechnet werden.“[89]
Diese Wir-Gruppe Nation ist gekennzeichnet durch einen „Gemeinschaftsglauben“ (Max Weber), der auf Abstammung, Sprache, Kultur, Geschichte, Sitten gegründet sein kann und sie als Ethnie definiert sowie durch den Bezug auf einen Staatsapparat.
Ethnie und Nation sind die Vorstellung von Gemeinsamkeiten aufgrund bestimmter Merkmale gemein, die durch Selbstdefinition eingrenzen und durch Fremddefinition ausgrenzen können.[90]
Für die Bestimmung der Zugehörigkeit zur Nation existieren ethnische und politische Begründungsmodelle.[91] Die Staatsnation setzt, ohne Beachtung von Sprache und Abstammung, eine Identität von Staat und Nation, die an das Territorium gebunden ist, während im Konzept der Kulturnation die Nation vor dem Staat als klar definierte Wir-Gruppe besteht, um ihn zur „Herstellung der Volkssouveränität“ zu fordern, zu bilden oder durchzusetzen.[92]
Die Vorstellung der Kulturnation beinhaltet somit eine ethnische Begründung des Nationalstaats, die auf der politischen Ideologie des ethnischen Nationalismus (verstanden als politische und soziale Bewegung) beruht.[93] Nation wird hier definiert als Volk mit eigenem Staat bei sich deckenden ethnischen und staatlichen Grenzen. Diese Homogenitätsforderung macht „die im Sinne der Nationalkultur heterogenen Gruppen, die im Staatsgebiet leben, zu ethnischen Minderheiten.“[94]
Der ethnische Nationalismus akzentuiert also kulturelle Verschiedenheit als nicht erwünschte Unterschiedlichkeit und Unangepasstheit, die es zu assimilieren oder, in seinen „schärferen“ Varianten, gewaltsam zu vertreiben gelte. Ethnizität, ein universelles Phänomen menschlicher Vergesellschaftung, nimmt im Nationalismus eine neue, herausragende Bedeutung als Prinzip politischer und sozialer Organisation.[95]
Ethnische Minderheiten erzeugen „[e]in fundamentales Spannungsverhältnis zwischen der Homogenität der staatsrechtlichen Angehörigkeitsbeziehung und der Inhomogenität der darin eingelagerten nationalen Loyalitäts- und Zugehörigkeitsverhältnisse“[96].
Die größte solche Minderheit im Deutschen Reich stellten die polnischsprachigen Bewohner der Ostprovinzen dar, deren Anteil im Jahre 1900 mit drei Millionen bei etwa fünf Prozent der Reichsbevölkerung und zehn Prozent der Einwohner Preußens lag.[97]
Die Aufrechterhaltung der Fiktion des homogenen, ethnisch uniformen Nationalstaats erzwang die Marginalisierung dieser fremdsprachigen Bevölkerungsteile.
Das Ergebnis der Marginalisierung ist die Legitimation des deutschen Nationalismus unter Einschluss polnischsprachiger Untertanen und gleichzeitig die Illegitimierung der Bemühungen um einen polnischen Nationalstaat. An diese Marginalisierung von Polen, diese Ausbürgerung aus der Welt zivilisierter Nationen, diese Leugnungen polnischer Kulturleistungen wird später angeknüpft.
Dieses ist der Hintergrund, auf dem sich eine aggressive Germanisierungspolitik gegenüber Polen reichsdeutscher Staatsangehörigkeit entfalten kann und betrieben wird.[98]
Unmittelbar nach der Reichsgründung beginnt eine Reihe von Maßnahmen, die ein „doppelbödiges Recht“[99] installierten, „das entlang ethnisch-kultureller Kriterien Staatsbürger national geschiedener Klassen schuf.“[100]
Das Schulaufsichtsgesetz vom März 1872 entzog dem Klerus den Zugriff auf die Schulen und unterstellte sie dem Staat. Für polnisch dominierte Gebiete bedeutete dies die Neueinstellung oft protestantischer und meist deutsch-national denkender Beamter. Im gleichen Jahr begann die provinzweise Durchsetzung des Deutschen als Unterrichtssprache. Die Maigesetze 1873 machten deutsche Herkunft und ein Bekenntnis zum „Deutschtum“ zur Einstellungsbedingung für kirchliche Ämter. 1876 erreichte die Germanisierungswelle Verwaltung und Geschäftsverkehr: die Verwendung des Polnischen als Geschäftssprache wurde untersagt.
In den Jahren 1885/86 eskalierte die antipolnische Politik. Eine leichte demographische Verschiebung in den Ostprovinzen zu Gunsten der Polen wurde „in einer medienwirksamen Hetzkampagne zur slawischen Bedrohung stilisiert“[101].
In einer gleichzeitig antipolnischen und antisemitischen Kampagne wurden bis 1887 35.000 galizische und russische Polen aus Deutschland ausgewiesen, von denen fast ein Drittel jüdischen Glaubens war.[102]
Das parallel verabschiedete Reichsansiedlungsgesetz stellte den Auftakt zu einer immer offener gegen die polnische Bevölkerung - und den Gleichheitsgrundsatz der Verfassung - gerichtete Siedlungs- und Eigentumsgesetzgebung dar, die trotz stetig wachsender Härte und immensen finanziellen Einsatzes die Ziele des „Kampfes um den Boden“ (Bülow) letztlich nicht erreichte.[103]
Was erreicht wurde, war, dass sich auf der einen Seite ein breiter Widerstand der polnischsprachigen Bevölkerung formierte, der eine fortschreitende Nationalisierung und Radikalisierung bewirkte und so die viel beschworene Polenbewegung als Reaktion erst schuf.[104]
Die Geschichte der Ruhrpolen ist schließlich auch ein Beispiel dafür, dass der einwandererfeindliche Chauvinismus der Mehrheitsgesellschaft unter den Einwanderern genau den Chauvinismus schüren kann, den er doch unterdrücken will.[105]
Auf der anderen Seite gelang es, die von Regierungsseite erst aufgebaute und „maßlos überschätzte Opposition“[106] der Polen zu einem generellen Feindbild zu transformieren, dass von der Bevölkerung `angenommen´ wurde, so dass „polenfeindliche Haltungen zunehmend und weitgehend salonfähig wurden“[107].
3.2. Institutionelle Kriminalisierung – „Polenüberwachung“
Die gesamten 1870er Jahre hindurch finden sich weder in der Presse noch in den Verwaltungsquellen ernstzunehmende Hinweise darauf, dass die Zuwanderung ins Ruhrgebiet unter nationalen Gesichtspunkten beurteilt wurde. Der kriminologische Diskurs diskutiert Konzepte zum Einfluss von Urbanität auf Verbrechen und zur `Vermassung´ von Kriminalität, die `Unterschichten in Bewegung´ geraten in den Blick. Nichts deutet auf eine (ethnische oder nationale) Binnendifferenzierung des entstehenden Stadtproletariats hin.
Die bürgerliche Schockerfahrung angesichts der Massenmigration machte sich am `unbürgerlichen´ Habitus der Zuwanderer fest, an einer „Kultur der Armut“[108], auf die mit Angst und Ablehnung und in der Folge mit Repression reagiert wurde. Eine dezidierte Trennung zwischen Zuwanderern aus z.B. Hessen oder Sachsen und jenen aus den Provinzen mit deutsch-polnisch-masurischer Bevölkerung fand nicht statt.
Erst im Jahre 1883 wird die preußische Verwaltung darauf aufmerksam, dass sich inzwischen eine stetig wachsende Gruppe von Polen im Ruhrgebiet angesiedelt hat.[109] Im Innenministerium sieht man die Gefahr eines `Exports´ des Nationalitätenkonflikts aus den Ostprovinzen in den Westen des Reiches und fordert einen Bericht des Oberpräsidenten an.[110] Der erteilt an die untergeordneten Stellen „Rechercheaufträge“, die zeigen, dass man in den Behörden weitgehend uninformiert über Stärke und Verbreitung der Polen in Westfalen ist.[111] Mit diesem Schriftverkehr beginnt die Wahrnehmung einer zugewanderten Arbeiterschaft unter nationalen Vorzeichen.[112] Es beginnt die systematische Auswertung der Presse im Hinblick auf polnische Organisationen und Veranstaltungen, die von nun an „polizeilicherseits gehörig überwacht“[113] werden.
In den folgenden Jahren entsteht ein eigener Verwaltungsapparat, beginnend mit der Anlage eigener Akten in den lokalen Verwaltungen und gipfelnd in der Einrichtung einer „Zentralstelle für die Überwachung der Polenbewegung“ in Bochum 1909.
Einerseits stellte die Polenüberwachung „kein spezielles Instrument zur Diskriminierung einer nationalen Minderheit dar, sondern war zunächst ein Mittel zur Überwachung und Bekämpfung von Staatsfeinden.“[114]
Rassismus war kein Basismotiv staatlichen Handelns, er entstand aus den vorgegebenen ethnischen Selektionsmethoden. Die Angst vor dem Polentum war nicht rassistisch in der Begründung sondern in der Ausführung und in den Folgen ihrer Kommunikation. Wenn der Feind ethnisch zu lokalisieren ist, finden sich in der Praxis rassistische Methoden. Hier wird Sprache, Habitus und Aussehen zum Kriterium für Verfolgung.
Damit war andererseits die Polenüberwachung Triebfeder einer Ethnisierungskampagne, die ein Freund-Feind-Schema bereitstellte, dass nationale Identitäten zuerst konstruierte, um sie dann zu bekämpfen.
Strukturell unterschied sich sie sich wenig von den Maßnahmen gegen die Sozialdemokratie. Wie diese wurde die Polenbewegung als politische Kampforganisation betrachtet. Und ebenso wie vielfach schon das Kriterium Klasse ausreichte, um der Sozialdemokratie zugeschlagen zu werden, waren es hier die diffusen Kriterien „Nationalität“, „Herkunft“, „Sprache“, „Religion“, die den Zuwanderer zum Polen und damit zum Staatsfeind machen konnten.
Aus der Sicht der Verwaltung handelte es sich bei den `Feinden´, denen die Überwachung galt, um Polen, die für eine Wiederherstellung eines selbständigen polnischen Nationalstaates kämpften und damit die Integrität des Deutschen Reiches attackierten. Unter den Tagelöhnern der ersten Auswanderungswelle aus den gemischten Siedlungsgebieten vor allem in Schlesien wird deren Zahl verschwindend gering gewesen sein.
Die Indikatoren, die die preußische Verwaltung jedoch festlegte, um nationalpolnische Bestrebungen zu erkennen, liefen auf die massive Diskriminierung aller polnischsprachigen, katholischen Zuwanderer hinaus.
Statt sich mit Gesinnungsprüfungen aufzuhalten, war man der Auffassung, dass die Zeichen eines aktiven Widerstandes gegen die „Germanisierung“ – und damit des Eintretens für die `nationalpolnische Sache´ – die polnische Sprache und das Abhalten polnischer Versammlungen seien. 1896 formulierte Oberpräsident Studt[115] die Grundsätze für das Verhalten gegenüber der Polenbewegung so:
Scharfe Überwachung der Agitation und Vereinstätigkeit, Fernhaltung nationalpolnischer Geistlicher, Beschränkung des Gebrauches der polnischen Sprache in öffentlichen Versammlungen, ausschließlich deutsche Schulbildung, das werden die Mittel sein, mit denen das Polentum im Westen der Monarchie dem Einfluss der deutschfeindlichen Agitation entzogen und der Germanisierung zugeführt wird.[116]
In der Folge wurde ein fein gegliederter Repressionsapparat entworfen, der eine flächendeckende Überwachung polnischer Publikations- und Selbstorganisationstätigkeit erreichte.[117] Es wurden Übersetzungen polnischer Zeitungen angefertigt und den Polizeibehörden zur Verfügung gestellt, das gesamte Vereinsleben wurde teils offen, teils geheim durch die Ortspolizeien überwacht.[118] Trotz gegenteiliger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts gab es im Ruhrgebiet „zahllose Fälle“[119], in denen die Polizei entsprechend den Richtlinien der Regierungspräsidenten, polnische Versammlungen wegen Gebrauchs der polnischen Sprache und unter verschiedensten anderen Vorwänden auflöste. Erst das Reichsvereinsgesetz legitimierte 1908 diese allgemeine Praxis. §12 schrieb die deutsche Sprache in allen öffentlichen Versammlungen vor.
Statt des Kampfes um die „Germanisierung des Bodens“, der in den Ostprovinzen mit aller Härte geführt wurde, war es im Ruhrgebiet die spiegelbildliche Angst vor der „Polonisierung des Westens“, die zum Ausbau der Apparate und in rechtliche Grauzonen führte.
Die Anwendung von Sondergesetzen und informellen Asymmetrien in der Strafverfolgung der `Polenbewegung´ lieferte einen Grundstein sowohl für die rigide Verfolgung unpolitischer polnischer Alltags- und Gewaltdelikte als auch für die Herausbildung des Stereotyps vom `kriminellen Polen´.
Nicht nur, dass der politische und polizeiliche Druck die Integration der Zuwanderer entscheidend behinderte, mit der `Polenüberwachung´ war ein Konstrukt geschaffen worden, das Fremdheit und vor allem Fremdsprachigkeit kriminalisierte und als Legitimation für bürgerliche und nichtbürgerliche Xenophobien diente.
4. Kriminalitätsdiskurs
4.1. Kriminologischer Diskurs – Das Sprechen über Kriminalität
`Kriminalität´ im Kaiserreich vor dem Ersten Weltkrieg begegnet dem Forscher heute auf zwei unterschiedliche Weisen. Zuerst als Zahlenmaterial: als Verurteilten-, Prozess-, Kriminalitätsstatistik.
Auf der anderen Seite trifft man in Verwaltungs- und Pressequellen, in Zeitschriften- und Buchpublikationen auf eine kaum überschaubare Textmenge, in der über Kriminalität gesprochen wird.
Die vorliegende Arbeit dreht die Beweislage dieser Figuration um. Als zentral erscheinen nicht die statistischen Fakten, auf die eine publizistische, wissenschaftliche oder institutionelle Öffentlichkeit reagiert.
Kriminalität wird nicht als gegeben betrachtet, sondern als vermitteltes „Resultat eines komplexen Zusammenspiels aus realem Verhalten, Normsetzung, Wahrnehmung der Normverletzung, polizeilicher Ermittlung und gerichtlicher Sanktionierung.“[120]
Kriminalität bezeichnet diejenigen Tatbestände, die „das jeweilige Kontrollsystem – bestehend aus Verbrechensopfer und Anzeigenerstatter bis hin zu Polizei und Strafrechtspflege – besonders missbilligt und bestraft sehen will“[121]. Sie stellt „keine Wirklichkeit sui generis [dar], sondern ein gesellschaftliches Konstrukt“, und ist als solches „historisch variabel“.[122]
[...]
[1] Westfälische Volkszeitung, 14.12.1895, in: Brandt, Die Polen und die Kirche, Nr. 73,
108-110, hier: 109.
[2] Cohn-Bendit, Schmid, Heimat Babylon, 117.
[3] Die ungebrochene Beliebtheit des Satzes von Max Frisch aus dem Vorwort zu
Alexander Seilers „Siamo Italiani. Die Italiener“ von 1965 in Texten zur Migration weist
darauf hin, dass er noch heute Erkenntnisgewinn zu produzieren in der Lage scheint.
[4] Lucassen, Assimilation, 46.
[5] Herbert, Ausländerpolitik, 9.
[6] Lucassen, Assimilation, 46.
[7] Opitz, Weltbevölkerung, 86.
[8] „Fände eine solche Wahrnehmung von ethnisch und kulturell `Anderen´ Platz im
deutschen kollektiven Erinnern, ergäben sich daraus auch Perspektiven für den
Umgang mit Minderheiten und Zuwanderern in der heutigen Gesellschaft.“ Krampen,
Minderheiten, 92.
[9] Wie heute ging es in erster Linie um visible minorities. Vgl. Kaiser, Kriminologie, 653.
[10] Steffen, Strukturen der Kriminalität, 232.
[11] Albrecht, Migration und Kriminalität, 196.
[12] Kaiser, Kriminologie, 384.
[13] Ausgewertet wurde ferner das – spärliche – Material im Stadtarchiv Dortmund.
Unveröffentlichte Quellen aus anderen Archiven mit besonderer Relevanz wurden mit
Nennung der Fundstelle in der Sekundärliteratur zitiert.
[14] Brepohl, Eindeutschung der Polen; Brepohl, Industrievolk; Brepohl, Ruhrvolk; Franke,
Polnische Volksgruppe; Franke, Ruhrgebiet und Ostpreußen.
[15] Johnson, Urbanization; Thome, Kriminalität; Jessen, Polizei.
[16] Jessen, Polizei; Lüdtke, `Sicherheit´ und `Wohlfahrt´; Funk, Polizei und Rechtsstaat;
Reinke, Großstadtpolizei; Roth, Kriminalitätsbekämpfung.
Zur Methode vor allem die Arbeiten von Blasius.
[17] Becker, Verderbnis; Galassi, Kriminologie; Strasser, Verbrechermenschen; Wetzell,
Inventing the Criminal; Gould, Der falsch vermessene Mensch u.a.
Besonders wichtig für die Auseinandersetzung mit Foucault sind Richard Evans´
Arbeiten.
[18] Vor allem die Ansätze der kritischen Kriminologie wurden berücksichtigt.
Für den diskurstheoretischen Zusammenhang vgl. Althoff, Leppelt, Kriminalität.
[19] „Denn die Geschichte der Kriminalität muss an die Geschichtlichkeit von Gesellschaft,
Ökonomie, Politik und Recht anknüpfen; nur dann kann dem Genauigkeitspostulat
historischen Arbeitens Rechnung getragen werden.“ Kaiser, Kriminologie, 383.
Vgl. Albrecht, Geschichte und Kriminologie, 36ff.
[20] Murzynowska, Die polnischen Erwerbswanderer; Kleßmann, Polnische Bergarbeiter;
Kulczycki, Foreign Worker; Oenning, Polnischen Farben; Stefanski, Prozess der
Emanzipation; Murphy, Gastarbeiter; Peters-Schildgen, Schmelztiegel Ruhrgebiet u.a.
[21] Herbert, Ausländerpolitik; Ders., Ausländerbeschäftigung.
[22] Aus dem `klassisch´ sozialgeschichtlichen Sektor fanden vor allem die Arbeiten
Tenfeldes und Ritters Berücksichtigung.
[23] Brüggemeier, Leben vor Ort; Reulecke, Weber, Fabrik, Familie, Feierabend; Kift,
Kirmes, Kneipe, Kino.
[24] Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien.
Seit 2004 existiert ein umfangreicher Sammelband mit den Texten Klaus Bades: K.J.B.,
Sozialhistorische Migrationsforschung.
[25] Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen; Anderson, Die Erfindung der Nation;
Heckmann, Ethnische Minderheiten; Hauff, Falle Nationalstaat; Hobsbawm, Nationen
und Nationalismus.
[26] Ansätze finden sich in dem von Jörg Schönert moderierten interdisziplinären
Forschungsbereich und den von ihm herausgegebenen Sammelbänden. Schönert,
Erzählte Kriminalität; Schönert, Literatur und Kriminalität.
[27] Reulecke, Urbanisierung, 68.
[28] Wehler, Gesellschaftsgeschichte, 512.
[29] Reulecke, Urbanisierung, 68.
[30] Bade, Preußengänger, 221; vgl. Langewiesche, Wanderungsbewegungen, 15f.
[31] Tenfelde, Sozialgeschichte, 238.
[32] Bredt, Polenfrage, 11; vgl. Tenfelde, Sozialgeschichte, 238.
[33] Bade, Land oder Arbeit, 373.
[34] Tenfelde, Sozialgeschichte, 239.
[35] Ebd., 239f.; vgl. Bredt, Polenfrage, 43; vgl. Franke, Ruhrgebiet und Ostpreußen, 38.
[36] Bade, Land oder Arbeit, 373; vgl. Bredt, Polenfrage, 43.
[37] Brepohl, Ruhrvolk; 96, Franke, Ruhrgebiet und Ostpreußen, 33; Franke, Polnische
Volksgruppe, 322f.; Kleßmann, Polnische Bergarbeiter, 37.
[38] Bade, Massenauswanderung, 328.
[39] Ebd., 330.
[40] Köllmann, Bevölkerungsgeschichte, 20.
[41] Bade, Transnationale Migration, 185.
[42] Bade, Massenauswanderung, 303ff.
[43] Bade, Arbeitseinfuhrland, 433ff.
[44] Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, 185.
[45] Langewiesche, Wanderungsbewegungen, 15, Anm.31; vgl. Gosewinkel, Einbürgern
und Ausschließen, 181.
[46] Köllmann, Bevölkerungsgeschichte, 117.
[47] Bade, Land oder Arbeit, 234.
[48] Tabellen bei Kleßmann, Polnische Bergarbeiter, 265f.
[49] Zur ethnischen Selbstdefinition: Żarnowska, Polnische Arbeitsimmigranten, 188; Puls,
Rochaden, 167ff.; Krampen, Minderheiten, 83f.
[50] Kleßmann, Polnische Bergarbeiter, 20.
[51] Ebd., 22; dort auch Zusammenstellung der Daten, 260ff.
[52] Ebd., 22.
[53] „Am Beispiel der Masuren zeigt sich daher die begrenzte Deutungskraft der
Unterscheidung objektiv-kultureller und subjektiv-politischer Nationenkonzeptionen. Ein
Staat wie das Deutsche Reich nutzte innerhalb seines eigenen Gebietes sowohl eines
subjektiv-politischen als auch einen objektiv-kulturellen Nationsbegriff, je nachdem, ob
es sich um eine Bevölkerungsgruppe handelte, die erfolgreich assimiliert (Masuren)
oder fremder Assimilation ausgesetzt war (Elsaß-Lothringen)“. Gosewinkel, Einbürgern
und Ausschließen, 188, Anm. 40.
[54] Stefanski, Emanzipation, 93.
[55] Vgl. Kleßmann, Polnische Bergarbeiter, 20.
[56] Vgl. Murzynowska, Polnische Erwerbsauswanderer, 32ff.
[57] Franke, Ruhrgebiet und Ostpreußen, 73ff.; Brepohl, Aufbau des Ruhrvolks, 102ff.
[58] Ritter, Tenfelde, Arbeiter im Kaiserreich, 193.
Auch hier zeigen sich deutliche Parallelen zur bundesrepublikanischen
Einwanderungsgeschichte.
[59] Bade, Massenauswanderung, 335.
[60] Ebd., 331.
[61] Bade, Preußengänger, 222.
[62] Bade, Land oder Arbeit, 162.
[63] Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, 218.
[64] Der Bevölkerungsanstieg von der Reichsgründung bis zum Weltkrieg auf 67,8 Mio.
betrug 65%. Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, 178.
[65] Bade, Preußengänger, 223.
[66] Herbert, Ausländerpolitik, 15.
[67] Bade, Oltmer, Zwischen Aus- und Einwanderungsland, 516.
[68] Bade, Preußengänger, 223.
[69] Bade, Oltmer, Zwischen Aus- und Einwanderungsland, 516.
[70] Bade, Preußengänger, 227.
[71] Bade, Oltmer, Zwischen Aus- und Einwanderungsland, 517.
[72] Bade, Preußengänger, 241.
[73] Vorschriften über die Beschäftigung ausländisch-polnischer Arbeiter, ZStA Potsdam,
AA, 30004, 16f., zitiert nach Bade, Preußengänger, 242f.
[74] Herbert, Ausländerpolitik, 45.
[75] Ebd., 57.
[76] Der typische ausländische Industriearbeiter des Jahres 1907 war also etwa der auf
dem Bau beschäftigte Italiener, der österreichische (oder galizisch-polnische)
Bergarbeiter oder auch der Ziegeleiarbeiter aus Italien, Österreich oder Russland.
Herbert, Ausländerpolitik, 54.
[77] Karl Marx, Das Kapital I, MEW, Bd.23, Berlin (Ost) 1973, 661.
[78] Wilhelm Strieda, Beitrag auf dem Sechsten Arbeitsnachweis-Kongress Breslau, 1910,
168, zitiert nach Herbert, Ausländerpolitik, 55.
[79] Strieda, ebd. Etwa wie „die Neger in den nordamerikanischen Oststaaten, die
Chinesen in Kalifornien und Australien, die Kulis im Britisch-Westindien, die Japaner in
Hawaii.“ Ebd.
[80] Bade, Preußengänger, 233.
[81] Herbert, Ausländerpolitik, 49.
[82] Ebd., 49.
[83] Herbert, Ausländerbeschäftigung, 39.
[84] Hauff, Falle Nationalstaat.
[85] Gesetz-Sammlung, 1815, Nr. 278, 47.
[86] Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen, 213.
[87] „Akkulturation meint durch Kulturkontakte hervorgerufene Veränderungen von Werten,
Normen und Einstellungen bei Personen, den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten
und Qualifikationen (Sprache, arbeitsbezogene Qualifikationen, gesellschaftlich-
kulturelles Wissen u.a.) sowie Veränderungen von Verhaltensweisen und
`Lebensstilen´ (z.B. in Bezug auf Arbeit, Wohnen, Konsum, Freizeitverhalten,
Kommunikationsformen, Heiratsmuster). [...] Akkulturation heißt also wechselseitige,
aber nicht gleichgewichtige Beeinflussung und Veränderung, bedeutet Annäherung der
Minderheit an die Mehrheit, die aber auch bestimmte Elemente der Minderheitenkultur
aufnimmt.“ Heckmann, Ethnische Minderheiten, 168f.
[88] Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Preußischen Hauses der
Abgeordneten, 1886, Bd. 1, 164.
[89] Hansen, Materialien zu „Nation“, 5.
[90] Knabe, Sprachliche Minderheiten, 39; vgl. Hauff, Falle Nationalstaat, 26f.
[91] Bei diesen Typologien handelt es sich nicht in erster Linie um Ergebnisse empirisch-
historischer Arbeiten, sondern um Legitimationsmuster staatlicher Herrschaft.
Vgl. Heckmann, Politik, 13.
[92] Vgl. Knabe, Sprachliche Minderheiten, 42.
[93] Heckmann, Ethnische Minderheiten, 37.
Nach Gellner ist Nationalismus „vor allem ein politisches Prinzip, das besagt, politische
und nationale Einheiten sollten deckungsgleich sein“. Gellner, Nationalismus und
Moderne, 8.
[94] Heckmann, Politik, 14.
[95] Heckmann, Ethnische Minderheiten, 45.
[96] Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen. 186
[97] Zu Verzerrungen der Sprachstatistiken vgl. Wehler, Polen im Ruhrgebiet, 439-44.
[98] Hansen, Produktion von Marginalität, 203
[99] Wehler, Polenpolitik, 216.
[100] Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen. 216.
[101] Koch, DruckBilder, 59.
[102] Zu den Ausweisungen immer noch maßgeblich: Neubach, Die Ausweisungen.
Die Verbindung antipolnischer und antisemitischer Feindbilder findet sich etwa in
Treitschkes berühmtem Text über die „Schar strebsamer hosenverkaufender
Jünglinge“. Bei Treitschke erscheint der `Ostjude´ als Opfer der `Verpolung´. Der
Umgang mit `polnischer Unkultur´ lässt ihn als den Juden Westeuropas unterlegen
erscheinen. Treitschke, Unsere Aussichten, 7. Vgl. Hansen, Produktion von
Marginalität, 203.
[103] Die staatlichen Ausgaben für die Siedlungspolitik mit dem Gesetz von 1886 und den
Novellen von 1898, 1902, 1908 und 1913 betrugen 955 Mio. Mark. Vgl. Balzer,
Polenpolitik, 144. Eine eingehende Untersuchung der Ansiedlungspolitik findet sich
bei Balzer, Polenpolitik, 58-151.
[104] Dabei wirkt auch die Ethnisierung auf die dominante Gruppe zurück. Aus dem
Einheimischen wird ein „Deutscher“ – ausgestattet mit territorialen Rechten und
schließlich nationalstaatlichem Habitus. […] Auf beiden Seiten entbrennt schließlich
der Kampf um eine eigene ethnische, ethnisch-nationale und endlich rein nationale
Identität. Fiktionen werden beschworen; Homogenisierungsanstrengungen werden
unternommen; Lebenszusammenhänge werden umgeschrieben oder neu gefasst. Am
Ende mögen diese ethnischen Definitionen zumindest für die diskriminierte Gruppe
sogar überlebensnotwendig geworden sein.“ Bukow, Feindbild, 66.
[105] Cohn-Bendit, Schmid, Heimat Babylon, 225.
[106] Wehler, Polenpolitik, 202.
[107] Koch, DruckBilder, 51.
[108] Grüttner, Kultur der Armut, 12ff.
Der Begriff stammt von Oscar Lewis. Kritisch zu diesem Konzept:
Dieter Goetze, "Culture of Poverty" - Eine Spurensuche, in: Stephan Leibfried,
Wolfgang Voges (Hgg.), Armut im modernen Wohlfahrtsstaat, Opladen 1992, 88-103.
[109] Stefanski, Emanzipation, 81; vgl. Murphy, Gastarbeiter, 141.
[110] STAM OP, 2748, Bd.1, Bl. 28.
[111] „Zunächst waren die Angaben (auf Anfragen) recht dilettantisch.“ Stefanski,
Emanzipation, 90.
[112] „Dem Herrn Minister des Innern ist es von Interesse zu erfahren, wie viele polnische
Arbeiter zur Zeit in den Industriebezirken der hiesigen Provinz beschäftigt sind und
wie viele davon die Reichszugehörigkeit besitzen. Als polnische Arbeiter sind dabei
diejenigen zu betrachten, die ausschließlich oder vorzugsweise polnisch sprechen.
[...] Zugleich ist mir anzuzeigen, ob dort Beobachtungen gemacht worden sind, die
darauf schließen lassen, dass ausländisch-polnische Arbeiter mit inländisch-
polnischen, von der deutschen Umgebung abgeschlossenen Arbeitergruppen oder
Vereinen in Verbindung getreten sind.“ STAM Amt Osterfeld, Nr. 479, Rundschreiben
des OP Münster vom 6.10.1897. Zitiert nach Stefanski, Emanzipation, 90.
[113] Ebd. Bl. 32.
[114] Stefanski, Emanzipation, 84.
[115] Zur Person Studts siehe Kleßmann, Polnische Bergarbeiter, 83f.
[116] STAD RDP 867 Bl.228-37, in: Brandt, Polen und die Kirche, Quelle 78, 119-28, hier:
128.
[117] Ausführlich zur Vereinsüberwachung: Peters-Schildgen, Schmelztiegel Ruhrgebiet,
122ff., bes. 137ff.
[118] Stefanski, Emanzipation, 100.
[119] Kleßmann, Polnische Bergarbeiter, 90, mit Quellen.
[120] Jessen, Gewaltkriminalität, 254.
[121] Kaiser, Kriminologie, 400.
[122] Schwerhoff, Aktenkundig, 10.
- Arbeit zitieren
- Bastian Pütter (Autor:in), 2006, Kriminalität und Kriminalitätsdiskurs. Die Ost-West-Migration im westfälischen Ruhrgebiet vor 1914, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64657
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