Die Transnationalität türkischer Migrantenorganisationen


Bachelorarbeit, 2006

43 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Der Forschungsstand zur Transnationalität von Migrantenorganisationen
2.1 Historischer Rückblick
2.2 Der aktuelle Forschungsstand zu türkischen Migrantenorganisationen

3. Herleitung des Begriffes der Transnationalität über die Kategorisierung von Migranten
3.1.1 Rückkehrmigranten
3.1.2 Immigranten
3.1.3 Diaspora-Migranten
3.1.4 Transnationale Migranten

4. Der Forschungsgegenstand : Migrantenorganisationen
4.1 Der Ursprung von Migrantenorganisationen
4.2 Die Organisationsformen
4.2.1 Arbeiter- und Kulturvereine
4.2.3 Förder- und Sportvereine
4.2.4 Politische Vereine und Interessenvertretungen

5. Wie kann die Transnationalität von Migrantenorganisationen erforscht werden?
5.1 Veränderungen der Indikatoren für Transmigranten in Bezug auf Migrantenorganisationen
5.2 Der Fragebogen zur Untersuchung der Transnationalität
5.3 Die Vorgehensweise bei der Befragung türkischer Migrantenorganisationen
5.4 Ergebnisse der Befragung
5.5 Auftretende Schwierigkeiten und Lösungsansätze
5.5.1 Unzureichende Sprachkenntnisse und Karteileichen
5.5.2 Geringe Rücklaufquote der Fragebögen
5.5.3 Verschiedene Organisationsformen und differente Zielsetzungen
5.6 Weitere mögliche Fragestellungen

6. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Anhang

Fragebogen zur Transnationalität

Auswertung der Fragebögen

1. Einleitung

Diese Arbeit setzt sich mit der Fragestellung auseinander, wie die Landschaft der türkischen Migrantenorganisationen in Deutschland aussieht und wie diese Organisationen in ihrer Transnationalität untersucht werden können.

Für die Untersuchung speziell türkischer Migrantenorganisationen wurde sich entschieden, da es sich bei dieser Migrantengruppe um die am häufigsten vertretende Nationalität unter der etwa 6,76 Millionen starken ausländischen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland handelt. Wie das Statistische Bundesamt in einer Pressemitteilung im März 2006 mitteilte, betrug die absolute Zahl der türkischen Bevölkerung zum Jahresende 2005 bundesweit 1764041 Personen[1] ; ihr Prozentsatz in Bezug auf die Gesamtheit der ausländischen Personen in Deutschland lag bei 26 %.[2] Vergleichsweise klein ist dagegen die zweitgrößte Migrantengruppe der italienischen Staatsbürger. Die absolute Zahl der in Deutschland lebenden Italiener lag Ende des Jahres 2005 bei 540810 Personen, dies bedeutet, dass Italiener lediglich 8 % des ausländischen Bevölkerungsanteils bildeten.[3] Es schien für vorliegende Arbeit nahe liegend, sich bei einer Untersuchung von Migrantenorganisationen auf eben die Gruppe zu beziehen, welche einen vergleichsweise großen Anteil an der Bevölkerung in Deutschland hat.

Um die Frage nach der Möglichkeit der Erforschung transnationaler Migrantenorganisationen beantworten zu können wird hier zunächst der Begriff der Transnationalität näher betrachtet und mit seinen Indikatoren vorgestellt, um diese Erkenntnisse auf Migrantenorganisationen anwenden zu können. Wobei hiernach zunächst einmal die verschiedenen Formen von Organisation betrachtet werden.

Nachdem diese Voraussetzungen geklärt sind, wird ausgeführt, wie die Transnationalität von Migrantenorganisationen erforscht werden kann, mit welchen auftretenden Schwierigkeiten dabei zu rechnen ist und wie diese Probleme lösungsorientiert angegangen werden können.

In der bisherigen Forschung interessierten die Wissenschaftler in Bezug auf Migrantenorganisationen hauptsächlich Fragestellungen im Hinblick auf die Integration der Migranten. Untersucht wurde beispielsweise, inwiefern der Zusammenschluss von Migranten die Integration der Mitglieder in der Aufnahmegesellschaft fördert oder ob sie vielmehr zur Ghettobildung und zur Entstehung und Aufrechterhaltung von Subkulturen dienen. Weiterhin wurde untersucht, wie Migranten zu einer Teilnahme an Organisationen bewegt werden können.

Der Schwerpunkt der bis dato vorliegenden Untersuchungen liegt demnach bei den Tätigkeiten und bei den Bezügen der jeweiligen Organisationen zur Aufnahmegesellschaft.

Die Bezüge der Organisationen zur Heimat- bzw. Herkunftsgesellschaft blieben weitgehend außen vor. Allerdings werden gerade diese Bezüge im Rahmen des neuen Begriffes der Transnationalität und der unaufhörlich fortschreitenden Globalisierung zunehmend bedeutend.

Näheres zur bisherigen Relevanz und Literatur der hier bearbeiteten Problematik wird weiter untern im Kapitel ‚2.2 Der aktuelle Forschungsstand zu türkischen Migrantenorganisationen’ erörtert.

2. Der Forschungsstand zur Transnationalität von Migrantenorganisationen

2.1 Historischer Rückblick

Zu Beginn der Migrationsforschung mit der Chicagoer Schule in den USA am Anfang des 20. Jahrhunderts war es sicherlich nicht möglich, das Phänomen der Transnationalität zu untersuchen. Zum einen, da dieser Gedanke in der heutigen Form noch nicht existent gewesen ist. Zum anderen, da die ursprünglichen Ziele der Mitgrationsfroschung hauptsächlich darin lagen, den Integrationsprozess von Migranten zu untersuchen.

Lange Zeit waren Migrantenvereine ebenso wie Subkulturen, hier verstanden im Sinne von Ghettobildung, unerwünscht[4], da sie im Verdacht standen, Integration zu verhindern bzw. den Inkorporationsprozess zu verlangsamen.[5] Dementsprechend wurde in den meisten Theorien zur Assimilation von Migranten die Eingliederung in eine bestehende Subkultur lediglich als Zwischenstufe beachtet und keineswegs als tatsächliches Stadium von Integration gezählt. Der deutsche Soziologe Hartmut Esser drückte diese gängige Auffassung[6] der Migrationssoziologie sehr deutlich aus, als er in seiner Veröffentlichung „Aspekte der Wanderungssoziologie“[7] ausführte:

„[…] dass die Auflösung ethnischer Subkulturen und gewisse Grade der Marginalisierung[8] der Personen die Voraussetzung dafür sind, dass der Wanderer mit zuvor nicht vorhandenen Assimilationsabsichten mehr assimilative Formen der Eingliederung überhaupt anstrebt.“[9]

Dementsprechend wurde in der Forschung auch hauptsächlich das Integrationsfördernde sowie –hemmende Potential von Migrantenorganisationen in sämtlich möglichen Variierungen und Orientierungen herausgearbeitet.[10]

Ein Umdenken bzw. eine Erweiterung des Blickwinkels der Migrationsforscher auf die Bezüge von Migranten zur Aufnahmegesellschaft und gleichzeitig zur Herkunftsgesellschaft, d.h. auf die Transnationalität von Migranten, vollzog sich erst in der Mitte der 1990er Jahre. Cappai legt jedoch in Bezug auf ihre Ausführungen zum transnationalen Ansatz Wert auf die Betonung, dass es sich hierbei nicht um eine radikale Neuerung der bis dahin favorisierten, weitgehend einseitigen Forschungsblickwinkel handelt, sondern vielmehr um eine neue Akzentuierung.[11] Auch Pries weist in seinem Aufsatz zur Fragestellung „Transnationalisierung der sozialen Welt?“[12] darauf hin, dass „Die transnationalism-Forschung […] eher als Forschungsperspektive und weniger als ein einheitliches theoretisch-analytisches Konzept oder Theorieprogramm zu verstehen“[13] sei.

Begleitend zu dieser neuen Perspektive und Interessenlage wurde es schließlich notwendig, die nun im Rahmen der erweiterten Perspektive aufkommenden Effekte, Bindungen und Handlungsmuster der Migranten mit neuen Begriffen bezeichnen zu können, da das alte Begriffsrepertoire zunehmend Missstände aufwies.

„Eine zentrale Annahme ist hier [d.h. im transanationalen Ansatz; Anmerkung der Autorin] nämlich, dass die international zu beobachtende Intensivierung der Kontakte zwischen Migranten und den jeweiligen Herkunftsgesellschaften neue Formen individueller und kollektiver Handlungsmuster hervorbringt, die nicht mehr in der Perspektive vom ‚Staat als Container’ erfasst werden können. Wirtschaftliches, politisches, religiöses und kulturelles Handeln von Migranten […] transzendiert nationale Grenzen und Logiken und bildet eine Realität sui generis, für deren Beschreibung neue Begriffe und Theorien gebraucht werden.“[14]

Was genau nun Transnationalität vor allem nicht lediglich von einzelnen Migranten, sondern im Hinblick auf das in dieser Arbeit behandelte Forschungsfeld von Migrantenorganisationen bedeutet, wird im Kapitel 5 dieser Arbeit näher erläutert. Hier wird zunächst, zum Zwecke des besseren Verständnisses, der aktuelle Forschungsstand zu türkischen Migrantenorganisationen in Deutschland vorgestellt, um danach den Begriff der Transantionalität in Bezug auf ebendiese besser darstellen zu können.

2.2 Der aktuelle Forschungsstand zu türkischen Migrantenorganisationen

Die Literatur speziell zu türkischen Migrantenorganisationen ist bislang noch sehr dürftig. Einen kurzen Überblick über türkische Organisationen und einen einführenden Abriss über ihre geschichtliche Entstehung wurde immerhin im Jahr 2000 in dem Aufsatz „Türkische Selbstorganisationen in Deutschland: neuer Pragmatismus nach der ideologischen Selbstzerfleischung“[15] von Handan Cetinkaya vorgelegt. Bei dieser Vorstellung bleibt es jedoch leider auch. Die Autorin kann zum Ende ihrer Arbeit lediglich feststellen, dass es der türkischen Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland an einer handlungsfähigen Lobby fehlt.[16] Bei Hinzuziehung des Textes „Von der Betreuung zur Eigenverantwortung. Neuere Entwicklungstendenzen bei Migrantenvereinen in Deutschland“[17] von Uwe Hunger können beide Arbeiten zusammen allerdings einen guten einführenden Überblick über die Organisationslandschaft von Migrantenorganisationen in ihrer Entwicklung und Gegenwart in der Bundesrepublik bieten.

Anders angelegt, und über eine reine Einführung in die Thematik hinausgehend, sind die Studien der Stiftung Zentrum für Türkeistudien des Instituts der Universität Duisburg-Essen. Hier werden die Migrantenorganisationen gezielt erforscht. Allerdings liegt auch hier das Interesse der Datenerhebungen nicht auf der Möglichkeit und / oder dem Vorhandensein von Transnationalität, vielmehr wird das Integrationspotential der befragten Migrantenselbstorganisationen betrachtet. So zum Beispiel in der 2004 durch die Stiftung vorgelegten Studie „Integrationspotentiale der Herner Migrantencommunity“.[18] Für die Erforschung von Transnationalität kann diese Arbeit insofern sinnvoll sein, als dass in der Expertise die untersuchten Migrantenorganisationen im Einzelnen jeweils mit Adresse und kurzem Vereinsprofil vorgestellt werden.

Hilfreicher im Bezug auf die potentielle Transnationalität türkischer Migranten in der Bundesrepublik ist dagegen die ebenfalls vom Zentrum für Türkeistudien herausgegebene und im Jahr 2005 veröffentlichte Studie über das „Freiwillige Engagement von Türkinnen und Türken in Deutschland“[19] Hier werden nicht lediglich die Bezüge der Migranten zur Aufnahmegesellschaft untersucht und Migrantenorganisationen vorgestellt. Es wird ebenfalls erforscht, inwieweit die Organisation sich in ihren Zielen, Orientierungen und Tätigkeiten auf die Herkunftsgesellschaft orientiert. In ihren Ergebnissen kommt die Untersuchung des Zentrums für Türkeistudien zu dem Schluss, dass das allgemeine Vorurteil, Migrantenorganisationen seien sehr stark auf das Herkunftsland orientiert, nicht bestätigt werden kann.[20] Inwieweit diese Organisationen dennoch transnationale Aspekte aufweisen, bleibt zu untersuchen.

Weitere wissenschaftliche deutschsprachige Arbeiten, welche speziell für die Erforschung der Transnationalität türkischer Migrantenorganisationen in Deutschland relevant sein könnten, konnten leider nicht gefunden werden, was als weiteres Indiz dafür genommen wird, dass dieser Bereich noch einiges an Forschungsarbeit erfordert.[21]

In der englischsprachigen Literatur wurde im Jahr 2004 zwar noch die Arbeit von Faist und Özveren[22], mit dem Titel „Transnational Sozial Spaces – Agents, Networks and Institutions“ vorgelegt, die sich zum Teil auch mit Türken beschäftigt, leider konnte diese Arbeit hier aus zeitlichen Gründen jedoch nicht mehr vollständig berücksichtigt werden.

3. Herleitung des Begriffes der Transnationalität über die Kategorisierung von Migranten

Die in diesem Kapitel dargestellte Kategorisierung von Migranten wurde unter anderem von Pries vorgenommen und orientiert sich in ihren Klassifizierungen an den Verhältnissen der Migranten jeweils zur Herkunfts- und Ankunftsgesellschaft sowie dem hauptsächlichen Motiv für die Wanderung.[23] Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der zeitliche Rahmen der Migration, beispielsweise die ursprüngliche Planung von vorübergehendem oder dauerhaftem Aufenthalt in der Aufnahmegesellschaft.

Selbstverständlich handelt es sich im Folgenden um Idealtypen, was bedeutet, dass in der Realität durchaus auch Mischformen und gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen Kategorien vorkommen können. Als Beispiel hierfür führen Pries und Goebel auf, „dass Transmigranten auf den sozialen Netzwerken und Erfahrungen von Rückkehrmigranten oder Immigranten aufbauen“[24] könnten und umgekehrt.

Migranten können natürlich erst nach einer gewissen Aufenthaltsdauer im Aufnahmeland den unterschiedlichen Migrationstypen zugeordnet werden.

3.1.1 Rückkehrmigranten

Einen der klassischen Migrantionstypen bildet der Rückkehrmigrant, welcher ebenfalls als Remigrant bezeichnet wird.[25] Zu dieser Kategorie zählen zum Beispiel Arbeits- und Bildungsmigranten.[26] Diese Menschen wandern mit einem ganz bestimmten Ziel in ein Land ein, beispielsweise um eine erwünschte bzw. anvisierte Menge Geld zu erwirtschaften oder einen angestrebten Bildungsabschluss zu erlangen.[27] Ist dieses Ziel erreicht, so kehren die Migranten in ihr Herkunftsland zurück.

Die Rückkehrmigration besteht demnach aus verschiedenen Stufen: an erster Stelle steht die Absicht der Wanderung, dann deren Vollzug, darauf folgt die Zielerreichung im Aufnahmeland, der wiederum die Rückkehr in die Heimat nachfolgt. Nach der Heimkehr muss sich der Migrant gegebenenfalls neu in die Herkunftsgesellschaft integrieren, was vor allem dann eine Herausforderung darstellen kann, wenn der Aufenthalt beispielsweise im Gastarbeiterland lang angedauert hat, der Wanderer sich dort teilweise bereits integriert hat und dementsprechend angelernte Verhaltensweisen des Aufnahmelandes, beispielsweise andersartige Begrüßungs- und Umgangsformen oder Arbeitsmentalitäten, bei seiner Rückkehr nun wieder verlernen muss.[28]

Zu beachten ist hierbei, dass Rückkehrmigration erst dann als erfolgreich vollzogen gilt, wenn sowohl die Zielerreichung im Aufnahmeland als auch die Wiederintegration in das Herkunftsland der wandernden Person erfolgreich waren.[29]

Aufgrund der beständigen Rückkehrabsicht, ist es in der Regel nicht nötig, dass der Migrant sich vollständig in die Aufnahmegesellschaft assimiliert. Es reicht aus, wenn er die grundsätzlichen Verhaltensnormen erlernt und seine Sprachfähigkeit nur soweit ausbaut, dass er ohne größere Schwierigkeiten die notwenigen Behördengänge und den Alltag im Aufnahmeland meistern kann.

3.1.2 Immigranten

Anders vollzieht sich der Integrationsprozess des ursprünglichsten Wanderungstypen: der des Einwanderers bzw. des Immigranten.

Migranten dieser Klassifikation wandern mit einer dauerhaften Bleibeabsicht in ein Land ein. Gründe hierfür sind beispielsweise politische und / oder religiöse Verfolgungen im Herkunftsland, eine erhoffte Verbesserung des allgemeinen Lebensstandards oder familiäre Gründe.[30] Diese Migrantengruppe assimiliert sich in der Regel über Generationen in die Aufnahmegesellschaft und hat eine viel höhere Motivation, die Gesellschaft in ihren Zusammenhängen und Umgangsformen zu verstehen sowie die Sprache zu erlernen.[31] Sofern keine bedeutsamen familiären Bindungen dorthin bestehen, kann es vorkommen, dass im Laufe der Integration etwaige Kontakte zum Herkunftsland zunehmend seltener werden und eventuell letztendlich ganz wegfallen.

Da die hauptsächliche, wenn nicht gar gänzliche Orientierung auf die Aufnahmegesellschaft und möglicherweise vorhandene Subkulturen zielt, während das Herkunftsland immer mehr an Bedeutung verliert, sind Migranten dieser Klassifikation wohl der gegensätzliche Part zu Transnationalen Migranten.

3.1.3 Diaspora-Migranten

Einwenig näher am Typ des Transnationalen Migranten sind dagegen Diaspora-Migranten.

Hierzu zählen beispielsweise jüdische oder armenische Vertriebene. Dieser Typus der Migraten integriert sich auf der einen Seite zwar in die Aufnahmegesellschaft, bleibt in seiner weiteren Orientierung jedoch stark an der „imagined homeland community“[32] haften.[33]

„Von Transmigranten unterscheiden sich Diaspora-Migranten dadurch, dass ihr kollektives Gedächtnis eine Art hierarchisches Zentrum aufweist. Damit ist in der Regel die Heimatgemeinde gemeint, aus der die Diaspora-Migranten vertrieben wurden.“[34]

Andere Literatur setzt zwar Diasporamigranten und Transmigranten gleich[35], dennoch wird in der vorliegenden Arbeit die oben ausgeführte Unterscheidung zwischen beiden Migrantentypen aufrechterhalten. Das unterscheidende Merkmal dieser beiden Kategorien ist, dass Diaspora-Migranten nicht in ihr Heimatland zurückkehren können, während bei Transmigranten durchaus die Option der Rückkehr in das Herkunftsland gegeben sein kann.

3.1.4 Transnationale Migranten

Transnationale Migranten unterscheiden sich von den oben vorgestellten Kategorien von Migranten in erster Linie dadurch, dass sie sich nicht lediglich einseitig in die Aufnahmegesellschaft integrieren, so wie es Immigranten tun. Sie orientieren sich ebenso wenig wie Remigranten nur an einem Ziel, welches sie in der Aufnahmegesellschaft erreichen möchten, um dann in die Herkunftsgesellschaft zurück zu kehren. Und im Gegensatz zu Vertriebenen steht es Transmiganten potentiell offen, in ihr Herkunftsland zurückzukehren, sie orientieren sich also nicht an einer ‚immagined homeland community’.

Vielmehr bleiben Transmigranten ihrem Herkunftsland ebenso verbunden wie der Aufnahmegesellschaft, d.h. sie integrieren sich auf der einen Seite zwar in das Aufnahmeland, halten jedoch gleichzeitig den Kontakt zur Herkunftsgesellschaft aufrecht.[36] Genauer bedeutet dies, dass sich diese Menschen der Aufnahme- und Herkunftsgesellschaft zugleich zuordnen, wodurch sich „neue kulturelle Muster und Formen der Vergemeinschaftung und Vergesellschaftung“[37] herausbilden und soziale Räume, gekennzeichnet durch eine relative Dichte und Beständigkeit, entstehen.

„Diese pluri-lokalen sozialen Räume fallen nicht mit einheitlichen Flächenräumen zusammen, wie das bei >Auswanderern< (Ankunftsland) und rückkehrenden >Gastarbeitern< (Herkunftsland) der Fall ist. Sie sind auch nicht einfach ein flächenräumlich zersplittertes und verteiltes System von Diasporas, die durch den einheitsstiftenden Rückbezug auf ein >gelobtes Land< oder auf eine transnationale Organisation zu den jeweiligen Gastländern zusammengehalten werden. Vielmehr sind diese transnationalen Räume Produkt und Neuschöpfung aus identifikativen und sozialstrukturellen Elementen der Herkunfts- und der Ankunftsregion.“[38]

[...]


[1] Nicht mitgerechnet sind dabei Personen, welche neben ihrer ausländischen auch eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen und Personen, die zwar aus der Türkei stammen, allerdings inzwischen eingebürgert und damit deutsche Staatsbürger geworden sind.

[2] Siehe http://www.destatis.de/presse/deutsch/pm2006/p1340025.htm , Zugriff am 24.8.06

[3] Nicht mitgerechnet sind in diesem Fall ebenfalls alle diejenigen Personen, welche neben ihrer ausländischen auch eine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen und Personen, die zwar aus Italien stammen, allerdings inzwischen eingebürgert und damit deutsche Staatsbürger geworden sind. Die nächstkleinere Migrantengruppe bilden Polen und Griechen, die jeweils mit 5 % in der ausländischen Bevölkerung vertreten sind.

Die Daten wurden übernommen von http://www.destatis.de/presse/deutsch/pm2006/p1340025.htm , Zugriff am 24.8.06

[4] Man denke dabei, ganz unabhängig von der wissenschaftlichen Forschung, allein einmal an die noch immer vorhandene Angst in der Gesellschaft vor Ghettobildung. Was den Menschen fremd ist, irritiert sie; so natürlich auch die in den Ghettos gesprochenen fremden Sprachen, die gelebte fremde Kultur und die unterschiedliche traditionelle Kleidung.

[5] Vgl. hierzu auch Cappai (2005): „Im migratorischen Dreieck“, Lucius & Lucius, Stuttgart, S. 7: „Gastgesellschaften haben bekanntlich, insbesondere dann, wenn sie sich als Einwanderungsgesellschaften verstehen ein ausgeprägtes Interesse an einer schnellen und unproblematischen Integration der Migranten und blicken berechtigterweise skeptisch auf Phänomene, die auf ihre Verzögerung bzw. Verhinderung hindeuten. Vor allem Migrantenorganisationen standen lange Zeit in dem Verdacht, ein integrationshinderndes Phänomen zu sein.“

[6] Auch in dem 7-Phasen-Modell von Roland Taft, einer Weiterentwicklung des von Robert Park 1920 konzipierten race-relations-cycle, ist die „negative Einstellung zur Herkunftsgesellschaft“ eine Bedingung für eine erfolgreiche Integration. Vgl. hierzu Pries, Ludger und Goebel, Dorothea (2003) „Transnationale Migration und die Inkorporation von Migranten“, in: Swiaczny, Haug (Hrsg.) „Materialien zur Bevölkerungswissenschaft: Migration-Integration-Minderheiten“, Heft 107 /2003 Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, Wiesbaden, S. 40

[7] Esser, Hartmut (1980) „Aspekte der Wanderungssoziologie: Assimilation von Wanderern, ethn. Gruppen und Minderheiten“, Hermann Luchterhand Verlag, Darmstadt / Neuwied

[8] Marginalisierung entspricht in seiner Bedeutung dem Begriff der ‚Randständigkeit’. In Bezug auf Esser bedeutet dies, dass der Migrant sich weder in eine bestehende Subkultur, noch in die Aufnahmegesellschaft integrieren kann oder möchte und dass er daher ein ‚Leben am Rande’ führt. Dies geht meist einher mit psychischem Leidensdruck aufgrund mangelnder sozialer Kontakte und schränkt zudem die Möglichkeiten des Ratsuchens (zum Bsp. Informationseinholung über die Gepflogenheiten der Aufnahmegesellschaft) enorm ein. Vgl. hierzu Esser (1980) S. 224

[9] Ebd. S. 224

[10] Vgl. hierzu: Huth, Susanne (2003): „Bürgerschaftliches Engagement von MigrantInnen – MEM-VOL Migrant and Ethnic Minoritiy Volunteering“ www.mem-volunteering.net : „Insgesamt lässt sich an den recherchierten Forschungen sehen, dass das integrative und desintegrative Potential von Selbstorganisationen auf starkes Forschungsinteresse stößt. […] wobei verschiedene Arten von Integration durch Migrantenselbstorganisationen oder freiwilliges Engagement von MigrantInnen untersucht werden – politisch-rechtliche Integration, Bildungs-, Arbeitsmarkt- oder andere soziale Integration, bspw. auf dem Arbeitsmarkt, im Gesundheitsbereich oder im Stadtteil.“, S. 3

[11] Vgl. hierzu Cappai (2205): Wurde in der bisherigen Forschung das Verhältnis von Migranten zur Aufnahmegesellschaft privilegiert, so gerät jetzt auch die Beziehung zwischen Migranten und der Herkunftsgesellschaft zunehmend ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Genauer betrachtet geht es jedoch dabei weniger um eine radikale Wende, als um eine Neuverteilung von Akzenten, denn Herkunftsgesellschaften , sei es als Orte der Generierung von sogenannten ‚Push-Effekten’, sei es als Ort der Entfaltung positiver Impulse durch Rückführung begehrter Devisen und qualifizierten Humankapitals, haben schon lange die Aufmerksamkeit von Migrationsforschern auf sich gezogen.“ S. 29

[12] Pries (o.A.): „Transnationalisierung der sozialen Welt?“, http://www.ruhr-uni-bochum.de/soaps/download/publ-2002_lp_transdsozwelt.pdf

[13] Pries (o.A.): „Transnationalisierung der sozialen Welt?“

[14] Cappai, Gabriele (2005), S. 29

[15] Cetinkaya, Handan (2000) : „Türkische Selbstorganisationen in Deutschland: neuer Pragmatismus nach der ideologischen Selbstzerfleischung“ in: Thränhardt, Dietrich und Hunger, Uwe (Hrsg) (2000) : „Einwanderernetzwerke und ihre Integrationsqualität in Deutschland und Israel“, Lambertus-Verlag, Freiburg, S. 83 bis 109

[16] Cetinkaya (2000), S. 107

[17] Hunger, Uwe (2002) „Von der Betreuung zur Eigenverantwortung. Neuere Entwicklungstendenzen bei Migrantenvereinen in Deutschland“, Münsteraner Diskussionspapiere zum Nonprofit-Sektor, Nr. 22

[18] Halm, Dirk; Sauer, Martina; Aver, Caner (Projektgruppe der Stiftung Zentrum für Türkeistudien) (2004): „Integrationspotentiale der Herner Migrantencommunity – Expertise der Stiftung für Türkeistudien im Auftrag der Stadt Herne“, Essen

[19] Halm, Dirk; Sauer, Martina (2005): „Freiwilliges Engagement von Türkinnen und Türken in Deutschland – Projekt der Stiftung für Türkeistudien im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend“, Essen. http://www.bmfsfj.de/Publikationen/engagementtuerkisch/01-Redaktion/PDF- Anlagen/gesamtdownload,property=pdf,bereich=engagementtuerkisch,rwb=true.pdf

[20] Halm / Sauer (2005), S. 6: „Die Einschätzung, dass sich Engagement Türkeistämmiger in erster Linie mit dem Herkunftsland und der Konservierung türkischer Kultur beschäftigt, ist unzutreffend. Dies gilt auch dann, wenn es sich um Beteiligung oder Engagement im eigenethnischen Kontext handelt. Auch in diesen Organisationen bezieht sich die Tätigkeit überwiegend auf das Leben in Deutschland. Allerdings besteht auf deutscher Seite diese Einschätzung oft noch fort, was zu einem Hemmnis bei der Zusammenarbeit mit Organisationen von Türkinnen und Türken werden kann und den Blick auf gemeinsame Interessenlagen verstellt, wie die Experteninterviews zeigten.“

[21] Vgl. hierzu Cappai (2005), S. 31: „Eigentlich stehen im Mittelpunkt der Debatte über Transnationalismus und Migration nicht jene Formen kollektiver Organisation und kollektiven Handelns, die das Thema der vorliegenden Untersuchung ausmachen [Cappai untersucht in ihrer Arbeit die Organisation sardinischer Migranten; Anmerkung der Autorin]. Bei dieser Debatte geht es in erster Linie nicht um Vereine und Assoziationen, sondern um ‚communities’ und Netzwerke. Gleichwohl müssen wir beim transnationalen Ansatz auch von organisierten Gruppenhandeln ausgehen, denn soziale Rechte und politische Partizipation in zwei Ländern lassen sich nur durch die Koalition und Organisation ansonsten verstreuter Individuen, also durch Bildung von Interessengemeinschaften, erkämpfen.“

[22] Faist, Thomas und Özveren, Eyüp (Hrsg.) (2004) : „Transnational Social Spaces – Agents, Networks and Institutions“, Ashgate Publishing Limited, Gateshead

[23] Vgl. Pries, Ludger (2001): “Internationale Migration“, transcript Verlag, Bielefeld; S. 39

[24] Pries / Goebel (2003), S. 40

[25] Pries (2001), S. 39

[26] Dieser Typus erhielt in Rahmen „der kontinentalen Gastarbeiterforschung bis Ende der 1970er Jahre eine verstärkte Aufmerksamkeit:“ Pries / Goebel (2003) S. 39

[27] Gerade das Ziel des Gelderwerbs kann dabei zum Beispiel an ein saisonales Beschäftigungsverhältnis gebunden sein, so dass zu diesem Typen auch die Gastarbeiter zu zählen sind.

[28] Auf der anderen Seite kann es ebenso vorkommen, dass sich Rückkehrmigranten selbst um eine minimale Anpassung in der Aufnahmegesellschaft nicht bemühen, da es ihnen jederzeit freisteht, in das Heimatland zurückzukehren und da sie somit eventuell gar nicht darauf angewiesen sind, sich unter größerer Anstrengung im Aufnahmeland anzupassen. In diesem Fall wird eine Wiederintegration wahrscheinlich keinerlei Komplikationen beinhalten. Vgl. hierzu auch: Pries / Goebel (2003) S. 39

[29] Vgl. hierzu Pries / Goebel (2003), S. 39

[30] Als familiäre Gründe lassen sich unter anderem Familiennachzug oder Heirat mit einer Person mit Staatsangehörigkeit des Einreiselandes angeben.

[31] Vgl. Pries / Goebel (2003) S. 39:„Dieser Prozess wird dabei als Assimilation bezeichnet; in dem Moment, wo auch die Aufnahmegesellschaft selbst durch die Aufnahme zahlreicher Immigranten einen sozialen Wandel durchläuft, spricht die Migrationsforschung von Integration.“

[32] Pries / Goebel (2003) S. 39

[33] Pries (2001): „Der Diaspora-Migrant richtet sich physisch-räumlich und vielleicht auch wirtschaftlich, aber nur bis zu einem gewissen Grade sozial und mental in der Ankunftsgesellschaft ein. Er behält gleichzeitig und auf Dauer starke sozial-kulturelle Bindungen zu seinem Herkunftsland bzw. zu seiner transnationalen >Mutterorganisation<.“, S. 39

[34] Pries / Goebel (2003) S. 40

[35] Vgl. Faist / Özveren (2004): „Diasporas also belong to the category of transnational communities. Diasporas are groups that experienced the territorial dispersion of their members some time in the past, either due to a traumatic experience, or specialisation in long-distance trade. […] Generally, members of diasporas have a common memory if their lost homeland, or a vision of an imagined one to be created, while at the same time the immigration country often refuses the respective minority full acknowledgement of their cultural distinctiveness.” S. 10

[36] Vgl. Pries, Goebel (2003), S. 39: Unter einer historischen Perspektive stellen Transmigranten keinesfalls einen gänzlich neuen Typus von Migration dar. Vielmehr ist es so, dass erst in der neueren Vergangenheit das Interesse der Forschung für diese Kategorie von Migranten geweckt wurde. Als historische Beispiele für Transmigration geben Preis und Goebel islamische Gelehrtennetzwerke und, unter Einschränkungen, katholische Missionare an. Vgl. ebenfalls Pries (2001) S. 40 : „ Dieser Typus des Transmigranten ist nicht völlig neu, gewinnt aber […] im Zusammenhang und Wechselspiel von Globalisierung und neuen Kommunikations- und Transporttechnologien gerade in der Arbeitsmigration an Bedeutung.“

[37] Pries / Goebel (2003), S. 37

[38] Pries (2001), S. 40 sowie Faist, Thomas und Özveren, Eyüp (Hrsg.) (2004) S. 3f : „Transnational Social Spaces – Agents, Networks and Institutions“, Ashgate Publishing Limited, Gateshead „By transnational spaces we mean relatively stable, lasting and dense sets of ties reaching beyond and across the borders of sovereign states. They consist of combinations of ties and their contents, positions in networks and organisations, and networks of organisations that cut across the borders of at least two nationstates.”

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Die Transnationalität türkischer Migrantenorganisationen
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
43
Katalognummer
V64685
ISBN (eBook)
9783638574372
ISBN (Buch)
9783638742092
Dateigröße
581 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Transnationalität, Migrantenorganisationen, Türkische Migranten, Migrantenselbstorganisation, Verein, Migrantenverein, Migrationsforschung, Migrationssoziologie, Sozioloige, Sozialwissenschaft, Migranten, Migrationshintergrund
Arbeit zitieren
Conny Meyer (Autor:in), 2006, Die Transnationalität türkischer Migrantenorganisationen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64685

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