Dichterpolemik im Siglo de Oro: Untersuchungen zur Kontroverse zwischen Góngora und Quevedo


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


1. Einleitung

La historia tiene, a veces, luminosas encrucijadas, donde chispean palabras y gestos inmortales. Los poetas dejan en ellas un rastro de versos y adioses, y, en ocasiones, hasta un rumor de latidos destrozados.[1]

Dass zwischen Luis de Góngora y Argote (1561-1627) und Francisco Gómez de Quevedo y Santibáñez Villegas (1580-1645) eine Fehde bestand, ist allgemein bekannt und wird wohl von jedem Kritiker, der sich der beiden spanischen Dichter des Siglo de Oro annimmt, erwähnt. Von einer kritischen Analyse der einzelnen Gedichte, in denen sich der eine gegen den anderen wendet, wird jedoch zumeist abgesehen[2]. Laut Frank Savelsberg liegt dies womöglich zum Teil daran, „da[ss] diese sich in hohem Maße skatologischer Motive und fäkalsprachlicher Ausdrücke bedienen“[3]. In der vorliegenden Arbeit soll die Kontroverse zwischen Quevedo und Góngora näher beleuchtet werden. Im ersten Kapitel wird zunächst auf die beiden literarischen Tendenzen eingegangen, denen die beiden Dichter zugeordnet werden können: Konzeptismus und Kulteranismus. In diesem Zusammenhang soll der Tatsache auf den Grund gegangen werden, warum Góngora das gesamte 17. Jahrhundert hindurch die Gemüter bewegte, und zwar besonders in dem in der Literaturgeschichte wohl einmaligen Disput um sein Dichtungsideal, eine Schlacht, die mit allen Mitteln geführt wurde, mit gelehrten Gutachten und Kommentaren, aber auch mit Satiren und Parodien, Verunglimpfungen und Beschimpfungen. Es wird sich zeigen, inwiefern sich die Kulteraner von den Konzeptisten unterschieden und welche Kunstmittel der gongorinischen Dichtung verantwortlich für die scharfe Kritik an ihrem Schöpfer waren. Dieses erste Kapitel liefert den Verständnishintergrund für das sich anschließende, in welchem dann die Fehde zwischen Quevedo und Góngora auf der Basis der näheren Betrachtung einzelner Schmähgedichte untersucht werden soll.

2. Konzeptismus und Kulteranismus – Dichterpolemik im Siglo de Oro

Von vielen Literaturkritikern wird die Feindschaft zwischen Quevedo und Góngora als die Auseinandersetzung der beiden größten Repräsentanten zweier entgegengesetzter literarischer Tendenzen begriffen, dem Konzeptismus und dem Kulteranismus[4]. In der späteren Literaturgeschichte ist die strikte Trennung zwischen diesen beiden Tendenzen jedoch größtenteils revidiert worden. So bezeichnet Ramón Menéndez Pidal Konzeptismus und Kulteranismus als „estilos al fin y al cabo hermanos“ aufgrund der Verwandtschaft ihrer von ihm „barock“ genannten Kunstformen[5]. Auch Félix Monge verweist auf die “Kontaktbereiche” zwischen den beiden Tendenzen: “Culteranismo y conceptismo son la culminación de largas tradiciones en las que se han intensificado los recursos llevándolos a límites extremo, entre ambas tendencias hay amplias zonas de contacto”[6]. Ernst Robert Curtius stützt sich bei seiner Untersuchung der beiden Stile auf die Bedeutungen der Wörter, von denen die Stilbezeichnungen abgeleitet wurden: cultus und conceptus. Da der gepflegte Ausdruck (cultus) Vorbedingung für die Durchschlagskraft sinnreicher Einfälle (conceptus) sei, ließen sich Kulteranismus und Konzeptismus auch nicht scheiden[7]. Curtius unternimmt den Versuch, die Genese der manieristischen Stile historisch zu deuten und stellt dabei fest, dass die Schlüsselbegriffe in den Programmen der beiden Stile – iudicium, ingenium, acumen, conceptus und cultus – aus ein und derselben lateinischen Rhetorik bzw. Poetik stammen. Daher schließt er, dass der oft behauptete Unterschied zwischen Konzeptismus und Kulteranismus bei rechter (d.h. historischer) Betrachtung dahin schwinde[8]. Andrée Collard schreibt in diesem Zusammenhang:

[…] el siglo XVII no distinguía, con cultismo y concepto, otra cosa que recursos de estilo presentes en la obra de cualquier escritor. Fuera de su acepción estilística, culto equivalía a ‘erudito’, entendido como cualidad personal, mientras concepto seguía conservando a menudo su significado de ‘idea’ o ‘pensamiento’. En el sentido de ‘metáfora aguda’, tan conceptista era Góngora como Quevedo.[9]

Collard ist nicht die einzige, die zwischen Quevedos und Góngoras poetischem Stil Parallelen zieht. Auch andere Kritiker, die die Opposition zwischen Konzeptismus und Kulteranismus ablehnen, verweisen auf die Existenz kulteraner Elemente bei Quevedo und, vice versa, konzeptistischer Elemente in den Werken Góngoras. Bei Hans-Jörg Neuschäfer heißt es beispielsweise: „Denn auch diese Gegner, vor allem Lope de Vega […] und Francisco de Quevedo […], können sich dem Einflu[ss] des Gongorismus nicht völlig entziehen, ja sie dichten vielfach im gleichen Stil“[10]. So erscheint es María Pilar Celma Valero dann auch nicht mehr angemessen, von der Auseinandersetzung zwischen einem Kulteranisten, Góngora, und einem Konzeptisten, Quevedo, zu sprechen[11].

Für die exakte komparative Charakterisierung der Stile Góngoras und Quevedos sowie die Einordnung der beiden Tendenzen Kulteranismus und Konzeptismus in den literaturgeschichtlichen Gesamtzusammenhang ist die Beachtung der offensichtlich existierenden Parallelen zweifelsohne wichtig. Um aber die literarische Fehde der beiden verstehen zu können, muss man sich vor Augen halten, dass sowohl der Cordobese als auch der Madrileño ihr Dichten als unversöhnlichen Gegensatz zu dem des anderen empfanden. Horst Baader kritisiert in diesem Zusammenhang die von Curtius vorgenommene, rein historische Deutung. Er bemängelt, dass Curtius „[…] in Wahrheit aber metahistorisch die Besonderheit des Manieristenstreits in der bestimmten Zeit und im konkreten Land mi[ss]achtet“[12]. Auch wenn Kulteranismus und Konzeptismus als zwei Spielarten desselben Manierismus begriffen werden können und Góngoras angegriffene Dichtweise letzten Endes im Stil seines Widersachers, dem Konzeptismus, wurzelt, bedeutet dies keineswegs, dass es keine gravierenden Unterschiede zwischen den beiden Stilen gegeben hätte. Allein die Tatsache, dass Góngora und später auch seine Nacheiferer nicht nur zu Lebzeiten, sondern auch noch lange Zeit danach für den kulteranen Stil verdammt wurden, macht deutlich, dass sich dieser von dem der Konzeptisten unterschieden haben muss. In der Tat hob sich im Laufe Góngoras literarischen Schaffens seine Dichtweise immer deutlicher von der seiner Zeitgenossen ab, wodurch sie dann auch die spezifische Bezeichnung gongorismo erhielt.

Welche Kunstmittel sind es überhaupt, die das Wesen der gongorinischen Dichtung konstituieren und die letztlich dafür zu haften hatten, dass dieser Stil seither Bewunderung auslöste oder zum Stein des Anstoßes wurde? Góngoras nicht minder berühmter Widersacher Lope de Vega, der – im Gegensatz zu Quevedo – selbst in den Augenblicken unerbittlicher Fehde im Interesse der Reinerhaltung der Sprache wenigstens nach außen hin eine Achtung bewahrte, resümierte den Stilwillen des Cordobesen mit folgenden Worten: “[…] quiso (a lo que siempre he creido con buena y sana intención, y no con arrogancia, como muchos que no le son afectos han pensado) enriquecer el arte y aun la lengua con tales oxornaciones y figuras cuales nunca fueron imaginadas, ni hasta su tiempo vistas [...][13]. Der gelehrte Francisco Cascales formulierte sein Unverständnis gegenüber Góngora in Bezug auf die Großgedichte Fábula de Polifemo y Galatea (1612) und Soledades (1613/14), die laut Hans-Jörg Neuschäfer die kulterane Bilderakrobatik auf die Spitze treiben[14], folgendermaßen:

¿Quién puede presumir de un ingenio tan divino […] que había de salir ahora con ambagiosos hipérbatos, y con estilo tan fuera de todo estilo, y con una lengua tan llena de confusión, que parecen todas las de Babel juntas [...]? ¿Qué otra cosa nos dan el Polifemo y Soledades y otras poemas semejantes, sino palabras trastornadas con catacreses y metáforas licenciosas [...]?[15]

Obwohl Cascales der Gegenstand der Dichtung keine Schwierigkeit bereite, finde man keine Klarheit, wie in der lateinischen Poesie, sondern nur „el trastorno de las palabras, y el modo de hablar peregrino, y jamás usado ni visto en nuestra lengua, ni en otra vulgar“[16]. Martín Vazquéz Siruela nannte als Ursachen der Unklarheit ausdrücklich “la demasiada cultura de la oración, la osadia y frecuencia de las metáforas, las voces esquisitas, las antíthesis, los hypérbatos, con las otras figuras i amenidades”[17]. Anhand der Kritik dieser zeitgenössischen Autoritäten lassen sich gleichzeitig die Charakteristika der gongorinischen Dichtung auf formaler Ebene bestimmen[18]. Im Wesentlichen sind dies das ungewöhnliche Vokabular[19], die ungewöhnliche Wortstellung sowie der ungewöhnliche Metapherngebrauch[20].

In der gewollten Dunkelheit (obscuridad) sah Menéndez Pidal „lo ciertamente nuevo“ Góngoras[21]. Cascales, der als Gebildeter das Vokabular des Polifemo und der Soledades noch hinnahm, brandmarkte vor allem die „metáforas tan continuas, que se decubren unas a otras, y aun a veces están unas sobre otras“, ausdrücklich als Hauptursachen der Konfusion und der Dunkelheit: „Las perpetuas metáforas son también la principal causa de esta confusión y obscuridad”[22]. Laut Georges Güntert jedoch sei das Hyperbaton, welches er als Hauptmerkmal des kulteranen Stils identifiziert, Stein des Anstoßes gewesen. Er beruft sich dabei auf Juan de Jáuregui, einer der hartnäckigsten Antigongoriner, der einen maßvollen Gebrauch des Hyperbaton empfahl und vor Missbräuchen rügte[23].

[...]


[1] Castelltort, Ramón.: “Lope, Quevedo, Góngora, en una encrucijada“. In: Analecta Calasanctiana. Madrid, Año 3, Nr. 6, 1961. 265-306. S. 267.

[2] Die Auseinandersetzung zwischen Góngora und Lope de Vega ist indes ausführlich dokumentiert worden, so z.B. in: Orozco Díaz, Emilio. Lope y Góngora frente a frente. Madrid: Gredos, 1973.

[3] Savelsberg, Frank: „’Este cíclope, no sicilïano’. Die groteske Gestalt 'Góngora' in der satirischen Dichtung Quevedos“. In: Matices. Zeitschrift zu Lateinamerika, Spanien und Portugal. Köln, Nr. 16 (Winter 1997/98); als Textdatei: http://www.matices.de/16/16kqueve.htm. S.1.

[4] Sp. „conceptismo“ und „culteranismo“; letzterer wird auch als Kultismus (sp. „cultismo“) bezeichnet.

[5] Vgl. Menéndez Pidal, Ramón. Castilla, la tradición, el idioma. Colección Austral, 501. Buenos Aires: Espasa Calbe, 1945. S. 232.

[6] Monge, Félix: "Conceptismo y culteranismo a la luz de Gracián". In: Homenaje. Estudios de Filología e Historia Literaria Lusohispanas e Iberoamericanas publicados para celebrar el tercer lustro del Instituto de Estudios Hispánicos, Portugueses e Iberoamericanos de la Universidad Estatal de Utrecht. La Haya: Van Goor Zonen, 1966. 355-381. Entnommen aus: Celma Valero, S. 34.

[7] Curtius, Ernst Robert. Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter. Bern: Francke Verlag, 1954. S. 298.

[8] Curtius, Ernst Robert. Gesammelte Aufsätze zur Romanischen Philologie. Bern: Francke Verlag, 1960. S. 14.

[9] Collard, Andrée. Nueva poesía. Conceptismo, culteranismo en la crítica española. Madrid: Editorial Castalia, 1967. S 113.

[10] Neuschäfer, Hans-Jörg (Hrsg.). Spanische Literaturgeschichte. Stuttgart; Weimar: Metzler, 1997. S. 120. Für Verweise zu weiteren Autoren, die Parallelen zwischen Góngora und Quevedo beschreiben, s. Celma Valero, María Pilar: “Invectivas conceptistas: Góngora y Quevedo”. In: Studia Philologica salmanticensia. Salamanca, Nr. 6 (1982). 33-36. S. 34.

[11] Vgl. Celma Valero, S. 33.

[12] Baader, Horst: „Zum Problem des Manierismus in der spanischen Literatur des Goldenen Zeitalters“. In: Studia Iberica. Festschrift für Hans Flasche. Bern; München (1973). 47-62. S. 48.

[13] Vega Carpio, Lope Félix de: “Respuesta a un papel que escribió un señor de estos reinos en razón de la nueva poesía”. In: Sáinz de Robles, Federico Carlos (Hrsg.). Obras Selectas. Madrid: Aguilar, Vol. II, 1947. S. 138.

[14] Vgl. Neuschäfer, S. 118.

[15] Cascales, Francisco: “Epistola al licenciado Luis Tribaldo de Toledo, sobre la obscuridad del ‚Polifemo’ y ‚Soledades’ de Don Luis de Góngora”. In: García Soriano, J. (Hrsg.). Cartas Filológicas. I, Madrid, 1930. S. 176f; 181.

[16] Ebd., S. 188.

[17] Vázquez Siruela, Martín: „Discurso sobre el estilo de don Luis de Góngora”. In: Artigas, Miguel. Don Luis de Góngora y Argote. Biografía y estudio crítico. Madrid: Real Academia Española, 1925. S. 388.

[18] Für eine ausführliche Analyse der poetischen Sprache Góngoras vgl. Alonso, Dámaso. La lengua poética de Góngora. Madrid: Centro de Estudios Históricos, 1935. Eine aktuelle ergänzende Untersuchung liefert Ponce Cárdenas, Jesús. Góngora y la poesía culta del siglo XVII. Madrid: Ed. del Laberinto, 2001. (7. Kapitel: Sobre la lengua poética de Góngora.).

[19] Bernardo Alemany y Selfa hat das Vokabular Góngoras alphabetisch zusammengetragen. Anhand dieses voluminösen Wörterbuches (1026 Seiten) zeigt sich deutlich das Ausmaß des semantischen Inventars des Dichters. (vgl. Alemany y Selfa, Bernardo. Vocabulario de las obras de Don Luis de Góngora y Argote. Madrid: Real Academia Española, 1930.)

[20] Für eine deutschsprachige Analyse des gongorinischen Metapherngebrauchs vgl. Müller, Bodo. Góngoras Metaphorik. Versuch einer Typologie. Wiesbaden: Franz Steiner Verlag GmbH, 1963.

[21] Vgl. Menéndez Pidal, 234.

[22] Cascales, 194f.

[23] Vgl. Güntert, Georges: „Siglo de Oro: Lyrik – zweiter Teil: Das 17. Jahrhundert (1600-1640)“. In: Strosetzki, Christoph (Hrsg.). Geschichte der spanischen Literatur. Tübingen: Niemeyer, 1991. 145-160. S. 147.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Dichterpolemik im Siglo de Oro: Untersuchungen zur Kontroverse zwischen Góngora und Quevedo
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Romanische Philologie )
Veranstaltung
Manierismus und Konzeptismus
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
23
Katalognummer
V64721
ISBN (eBook)
9783638574655
ISBN (Buch)
9783640319442
Dateigröße
564 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Da von einer kritischen Analyse der einzelnen Schmähgedichte, mit denen sich die beiden Dichter aufeinander beziehen, zumeist abgesehen wird, soll in der Arbeit die Kontroverse zwischen Góngora und Quevedo näher beleuchtet werden. Zudem werden die beiden manieristischen Tendenzen Konzeptismus und Kulteranismus untersucht und voneinander abgrenzt und die Besonderheiten des Gongorismus expliziert. Anschließend wird die Dichterfehde detalliert untersucht und ausgewertet.
Schlagworte
Dichterpolemik, Siglo, Untersuchungen, Kontroverse, Góngora, Quevedo, Manierismus, Konzeptismus
Arbeit zitieren
Jasmina Murad (Autor:in), 2006, Dichterpolemik im Siglo de Oro: Untersuchungen zur Kontroverse zwischen Góngora und Quevedo, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64721

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