Wahrnehmung fremder Kulturen: I. "Türkenbilder" in Europa


Hausarbeit, 2003

15 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Angst vor den Türken
2.1. „Die Türken vor Brüssel“
2.2. Türkenfurcht

3. Die Sicht der katholischen Kirche

4. Luthers Türkenbild

5. Türkenkriegspropaganda

6. Wandel des Türkenbildes

7. Zusammenfassung

8. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Zwei geschändete Frauen liegen tot am Boden. Ihre neugeborenen Kinder sind zwei offensichtlich türkischen Soldaten in die Hände gefallen. Eines der Kinder wird von einem Soldaten auf einen Holzzaun aufgespießt, ein anderes hat dieses Schicksal schon erfahren und hängt leblos am Zaun. Der dritte Säugling wird von dem Soldaten im Bildvordergrund kopfüber am Bein gehalten. Mit seinem Krummsäbel holt er aus, um das Kind in der Mitte auseinander zu schlagen.

Dieses Bild von vermeintlich unmenschlich grausamen türkischen Soldaten liefert uns der Holzschnitt von Hans Weigel aus dem Jahr 1530. Es ist eine Verarbeitung der Geschichte in Bildern, weitere Holzschnitte und volkstümliche Malereien stellen kriegerische Auseinandersetzungen der Frühen Neuzeit dar (z.B. die Schlacht von Lepanto von Paolo Veronese 1572). Die Quellenlage zum Thema „Türkenbilder“ in Europa ist breit gefächert. Zahlreiche uns heute überlieferte Sagen, Lieder und Balladen befassen sich mit der Türkenthematik der damaligen Zeit. Hinzu kommen eine Vielzahl von Reise- und Gesandtschaftsberichten, sowie Berichten von Kriegsgefangenen. Flugblätter und Flugschriften waren das wichtigste Medium zur Verbreitung eines bestimmten Türkenbildes. Und dieses war in der Regel ein fest gefügtes Feindbild, welches beim „Aufeinanderprall zweier völlig divergierender Kulturen, kontroverser Religionen und unterschiedlicher strukturierter Gesellschaftsordnungen“ entstand.[1] Wie sah dieses Bild aus, welches eine ungeheuere Furcht vor den Türken auslöste? Inwiefern diese Türkenfurcht zu Propagandazwecken benutzt wurde soll hier auch untersucht werden.

In meiner Arbeit konzentriere ich mich im Wesentlichen auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation (im folgenden nur „Reich“). Ausgenommen von Ungarn war es am meisten von dem Osmanischen Reich direkt bedroht. Luther und seine Lehre soll als Vertreter dieser Zeit näher untersucht werden. Denn er ist eine „Fundgrube für Wahrnehmung und Einschätzung der Türken seiner Zeit“.[2] Die Hausarbeit wird auf seine heilsgeschichtliche Deutung der Türkenproblematik eingehen.

Zum Ende des 17. Jahrhunderts erfährt das Türkenbild in Europa einen bemerkenswerte Wandlung. Es reicht über Triumphgefühl und Spott bis hin zur Türkenbewunderung im 18. Jahrhundert. Ich möchte die Ursachen für diesen Mentalitätswandel näher beleuchten. Zudem stellt sich die Frage, welcher Art die Bewunderung war. Und gab es sie vielleicht auch schon früher?

Das Türkenbild im Europa der Frühen Neuzeit schwankte zwischen „Turkophilie und Turkophobie“.[3] (Philie = Liebe/ Freundschaft; Phobie = krankhafte Angst)

2. Die Angst vor den Türken

2.1. „Die Türken vor Brüssel“

Der Schreckensausruf „Die Türken vor Wien“ verbreitete sich im 16.Jahrhundert wie ein Lauffeuer in Europa. Und selbst in unserer Gegenwart ist er noch vielen Menschen geläufig. Die Zeitung „Die Welt“ änderte ihn ab und titelte in ihrer Ausgabe vom 02.09.2003 auf der ersten Seite unter der Rubrik „Der Kommentar“: „Die Türken vor Brüssel“. Damit spielte sie auf das Vorhaben des amtierenden Ministerpräsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdogan, sein Land in absehbarer Zeit Mitglied der Europäischen Union werden zu lassen, an. In Deutschland löste dies eine heftige Debatte aus. Während der amtierende Bundeskanzler Gerhard Schröder der Türkei seine Unterstützung zusicherte, kritisierte der CSU-Landesgruppenchef Michael Glos in der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vom 04.09.2003, die Türkei gehöre nicht „zum deutschen und europäischen Kulturraum“.[4] Diese ablehnende Haltung der Türkei gegenüber fiel in der Frühen Neuzeit um ein etliches höher aus?

2.2. Türkenfurcht

Die Eroberung Konstantinopels durch die Türken 1453 wirkte wie ein Schock auf Europa und setzte eine „jahrhundertelange Kette kriegerischer Auseinandersetzungen“[5] zwischen dem Okzident und dem Orient in Gang. Damit wurde aber auch die Türkenfrage durch Schriften erstmals einer breiteren Öffentlichkeit ins Bewußtsein gebracht. Eines der ältesten vollständig erhaltenen und datierbaren Druckerzeugnisse ist ein Türkenkalender aus dem Jahr 1454 mit dem Titel: „Eyn manung der christenheit widder die durken“. Es gab zwar schon vorher Kämpfe, doch die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen hatte eine traumatische Wirkung, es war eine Art Kulturschock. Denn mit Konstantinopel war eines der alten Zentren der christlichen Welt den Türken, und somit einer fremden Kultur in die Hände gefallen. Das riesige Osmanische Reich im Osten nahm nun an Bedrohung immens zu. Nicht nur militärisch, sondern auch kulturell. Konstantinopel galt als Mutter der Literatur und Kultur, die Türken sollen ungefähr 60.000 Bücher in der Hagia Sophia vernichtet haben. Aenaes Silvius Piccolomini (der spätere Papst Pius II.) sprach in seiner „Clades Constantinopolitana“-Rede vom „zweiten Tod Homers und Platons“.[6] Seine Reden und Texte zur Türkenfrage wurden überall abgeschrieben und gedruckt, und auf diese Weise im Reich verbreitet. Auch befasste sich von nun an jeder Reichstag mit der Frage, wie man der Türkengefahr begegnen sollte. Denn das Osmanische Reich dehnte sich geographisch rasant aus. Wie sollte das Reich der unmittelbaren Bedrohung begegnen? Kreuzzugspläne wurden aufgestellt, doch nie realisiert.

Das neue Medium des Drucks hingegen war nicht so passiv. Sogenannte „Neue Zeitungen“ überfluteten regelrecht das Reich mit Kampfschilderungen, Predigten und Prophezeiungen. Ihre Titel lauteten „AIN gründtlicher VND warhafter Bericht“ oder „Die Belegerung der Statt Wien“.[7] Ihre Hauptdruckstädte waren Nürnberg, Augsburg, Prag und Wien.

Im ersten zeittypischen Feindbild wurde der Türke als Lüstling und Frauenschänder gezeigt, auf dessen Seite der Teufel steht. Gleichzeitig wurden ihm „widernatürliche“ Geschlechtspraktiken und Homosexualität angedichtet. Auch die Kirche reagierte auf die drohende Türkengefahr. Unter Papst Calixt III. wurde 1456 erstmals das sogenannte Türkenläuten eingeführt. Zur Mittagszeit sollten alle Kirchen innerhalb von einer Stunde dreimal läuten. Und währenddessen sollte dreimal das „Vaterunser“ und das „Ave Maria“ gebeten werden.[8]

[...]


[1] Winfried Schulze, Reich und Türkengefahr im späten 16. Jahrhundert. Studien zu den politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer äußeren Bedrohung, München 1978, S.27.

[2] Martin Brecht, Luther und die Türken, In: Bodo Guthmüller und Wilhelm Kuhlmann (Hg.), Europa und die Türken in der Renaissance, Tübingen 2000, S.9.

[3] Cornelia Kleinlogel, Exotik-Erotik. Zur Geschichte des Türkenbildes in der deutschen Literatur der frühen Neuzeit (1453-1800), In: Bochumer Schriften zur deutschen Literatur, Band 8, Frankfurt a.M. 1989, S.19.

[5] Michael Schilling, Aspekte des Türkenbildes in Literatur und Publizistik der frühen Neuzeit, In: Stefan Krimm/ Dieter Zerlin (Hg.): Die Begegnungen mit dem islamischen Kulturraum in Geschichte und Gegenwart, München 1992, S.44.

[6] Bodo Guthmüller, „Se tu non piangi, di che pianger suoli?“ Der Lamento die Constantinopoli in ottava rima, In: Guthmüller und Kuhlmann, Europa und die Türken, S.326.

[7] Carl Göllner, TVRCICA, Die europäischen Türkendrucke des XVI. Jahrhunderts, I. Band, Berlin 1961, S.179 u. S.199.

[8] nach: Senol Özyurt, Türkenlieder und Türkenbild, Band 4, München 1972, S.32.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Wahrnehmung fremder Kulturen: I. "Türkenbilder" in Europa
Hochschule
Universität Osnabrück
Veranstaltung
"Reich und Türkengefahr": Kulturkontakte zwischen islamischer und christlicher Welt in der Frühen Neuzeit
Note
1,5
Autor
Jahr
2003
Seiten
15
Katalognummer
V64951
ISBN (eBook)
9783638576338
ISBN (Buch)
9783640412099
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wahrnehmung, Kulturen, Türkenbilder, Europa, Reich, Türkengefahr, Kulturkontakte, Welt, Frühen, Neuzeit
Arbeit zitieren
Edgar Deibert (Autor:in), 2003, Wahrnehmung fremder Kulturen: I. "Türkenbilder" in Europa, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/64951

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Wahrnehmung fremder Kulturen: I. "Türkenbilder" in Europa



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden