Meine Arbeit „Die ´Kriminalgeschichten´ Pu Songlings - Ein Vergleich“ ist ein Versuch, die chinesischen Kriminalerzählungen von Pu Songling europäischen Kriminalromanen gegenüberzustellen. Ich werde auf die Entstehung von Kriminalgeschichten eingehen, den Inhalt einiger Erzählungen darstellen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeiten, um am Ende einen Vergleich der Erzählungen dieses Genres anzustellen. Als erstes stellt sich mir jedoch die Frage, inwiefern man diese Erzählungen als Krimis im europäischen Sinne bezeichnen kann. Aus diesem Grunde habe ich in der Überschrift Kriminalgeschichten in Anführungszeichen gesetzt, haben wir doch unter diesem Begriff Vertreter europäischer Autoren und deren Werke vor Augen, die für uns ganz charakteristische und spezifische Merkmale besitzen. Diese Frage zu klären ist an dieser Stelle nicht möglich, aber vielleicht gelingt es einer Antwort im Laufe der Arbeit ein Stück näher zu kommen. Hierfür richte ich den Fokus auf den Begriff der Erzählungen Pu Songlings. Man kann Liaozhai mit den Begriffen fremd, seltsam oder verwunderlich übersetzen, die eigentliche Bedeutung kann man jedoch sehr unterschiedlich interpretieren. Zum einen könnte damit alles gemeint sein, was nicht normal ist, zum anderen ließe sich damit auch all jenes beschreiben, über das man sich wundert. Aber, was ist nicht normal und über was wundert man sich? Auch wenn eine Mehrheit beim Lesen der Erzählungen das gleiche Empfinden besitzt, hängt dieses vom jeweiligen Wissensstand der Leserschaft ab, das wiederum einen Erfahrungsschatz mit sich führt und somit Normales von Anormalem unterscheidet. Ließt man zum Beispiel häufig Geister- und Gruselgeschichten, gewöhnt man sich an derartige Inhalte und das Verwunderliche verliert an Wert. Ebenso versteht man philosophische oder medizinische Texte umso besser, je häufiger man sich mit solchen Texten befasst, da man mit der Zeit Zusammenhänge besser versteht und somit ein gewisser Teil als normal erscheint, der vorher noch als anormal erschien, nur weil man ihn nicht verstanden hat. Außer Frage steht, dass Pu Songlings Erzählungen den meisten Menschen, der Bevölkerung in China eingeschlossen, seltsam erscheinen, was bereits beim Titel beginnt. Zu einem besseren Verständnis könnte man aber auch gelangen, wenn man nicht nur den reinen Text betrachtet, sondern auch zwischen den Zeilen liest und versucht ihn als Allegorie zu verstehen und zu interpretieren.
Gliederung
1. Wundersame Geschichten
2. Europäische und Pu Songlings Kriminalgeschichten
2.1 Von den Anfängen bis zu Pu Songling´s Kriminalgeschichten
2.2 Pu Songlings Kriminalgeschichten
2.2.1 „Die Rache der Toten“ („Meinü ")
2.2.2 „Der Fächer“ („Shiyan ")
2.2.3 „Das ungerechte Urteil“ („Yuanyu ")
2.2.4 „Die Steine“ („Taiyuan yu ") und „Steuern“ (" Xinzheng song ")
2.2.5 „Die treulose Witwe“ („Jin Shengse ")
2.2.6 „Der geraubte Schuh“ („Yanzhi ")
2.2.7 „Ein weiser Richter“ („Zheyu“)
2.2.8 „Der Provinzgouverneur Yü“ (" Yu zhongcheng ")
2.3 Chinesische und europäische Kriminalerzählungen
2.3.1 Unterschiede zwischen Pu Songlings und europäischen Kriminalerzählungen
2.3.2 Gemeinsamkeiten zwischen Pu Songlings und europäischen Kriminaler-zählungen
3. Pu Songlings ´Krimis´ im Spiegel europäischer Detektivgeschichten Die ´Kriminalgeschichten´ Pu Songlings – Ein Vergleich
1. Wundersame Geschichten
Meine Arbeit „Die ´Kriminalgeschichten´ Pu Songlings – Ein Vergleich“ ist ein Versuch, die chinesischen Kriminalerzählungen von Pu Songling europäischen Kriminalromanen gegenüberzustellen. Ich werde auf die Entstehung von Kriminalgeschichten eingehen, den Inhalt einiger Erzählungen darstellen und Unterschiede und Gemeinsamkeiten herausarbeiten, um am Ende einen Vergleich der Erzählungen dieses Genres anzustellen.
Als erstes stellt sich mir jedoch die Frage, inwiefern man diese Erzählungen als Krimis im europäischen Sinne bezeichnen kann. Aus diesem Grunde habe ich in der Überschrift Kriminalgeschichten in Anführungszeichen gesetzt, haben wir doch unter diesem Begriff Vertreter europäischer Autoren und deren Werke vor Augen, die für uns ganz charakteristische und spezifische Merkmale besitzen. Diese Frage zu klären ist an dieser Stelle nicht möglich, aber vielleicht gelingt es einer Antwort im Laufe der Arbeit ein Stück näher zu kommen. Hierfür richte ich den Fokus auf den Begriff der Erzählungen Pu Songlings. Man kann Liaozhai mit den Begriffen fremd, seltsam oder verwunderlich übersetzen, die eigentliche Bedeutung kann man jedoch sehr unterschiedlich interpretieren. Zum einen könnte damit alles gemeint sein, was nicht normal ist, zum anderen ließe sich damit auch all jenes beschreiben, über das man sich wundert. Aber, was ist nicht normal und über was wundert man sich? Auch wenn eine Mehrheit beim Lesen der Erzählungen das gleiche Empfinden besitzt, hängt dieses vom jeweiligen Wissensstand der Leserschaft ab, das wiederum einen Erfahrungsschatz mit sich führt und somit Normales von Anormalem unterscheidet. Ließt man zum Beispiel häufig Geister- und Gruselgeschichten, gewöhnt man sich an derartige Inhalte und das Verwunderliche verliert an Wert. Ebenso versteht man philosophische oder medizinische Texte umso besser, je häufiger man sich mit solchen Texten befasst, da man mit der Zeit Zusammenhänge besser versteht und somit ein gewisser Teil als normal erscheint, der vorher noch als anormal erschien, nur weil man ihn nicht verstanden hat. Außer Frage steht, dass Pu Songlings Erzählungen den meisten Menschen, der Bevölkerung in China eingeschlossen, seltsam erscheinen, was bereits beim Titel beginnt. Zu einem besseren Verständnis könnte man aber auch gelangen, wenn man nicht nur den reinen Text betrachtet, sondern auch zwischen den Zeilen liest und versucht ihn als Allegorie zu verstehen und zu interpretieren. Das Seltsame in den Geschichten könnte zum Beispiel ein Spiegelbild der Gefühle des Autors selbst sein, konnte er seine politischen und sozialen Ambitionen zu Lebzeiten nicht verwirklichen, so wäre es ein Erklärungsversuch, wie ein so talentierter Schriftsteller seine Energie in ein so seltsames Genre investierte.[1]
Wenn das Verstehen von Texten nun Gewohnheitssache ist, müssten chinesische Texte uns Europäern doppelt seltsam erscheinen, denn auch die Kultur bestimmt zu einem Teil, was einem normal erscheint und was nicht. Was ich damit sagen möchte, werde ich anhand folgender Beispiele zu erklären versuchen: In China ist die „Little daughter in Law“ – Heirat Brauch, d.h. ein Mädchen zieht mit circa zehn Jahren in die Familie ihres zukünftigen Bräutigams und wird später vermählt. Ebenso gab es den umgekehrten Fall, bei dem der Junge zu der Familie seiner zukünftigen Braut zog.[2] Mag diese Sitte Europäern ungewohnt erscheinen, ist dies für Chinesen völlig normal. In unserem Kulturkreis etwas bekannter ist das Wählen der Ehepartner durch die Eltern. Auch in Europan war und ist es in seltenen Fällen Brauch, dass derartige Entscheidungen von den Eltern getroffen werden. In China ist diese Tradition noch fester verwurzelt, da auch Entscheidungen über Geburt, Konsum, Produktion (Arbeit) und sogar über den Tod von den Familienältesten zum Wohle der ganzen Familie gefällt wurden.[3] So gilt es in China auch heute noch als modern, sich seinen Ehepartner selbst auszusuchen. In diesem Fall erscheint oder erschien es der chinesischen Leserschaft im Gegensatz zu Europäischen Lesern ungewohnt, wenn in Erzählungen Mann und Frau auf eigene Initiative zueinander finden.
Ein anderes Beispiel gründet in der Religion. Die Idee der Wiedergeburt ist ein Element des in China weit verbreiteten Buddhismus und ist somit vielen Chinesen vertraut. Dieses Thema wird in den Erzählungen häufig verwendet und gewann in Europa erst im 20. Jahrhundert an Popularität. Vielen Christen vermittelt deshalb das Element der Wiedergeburt einen seltsamen Eindruck beim Lesen solcher Geschichten.
Vor diesem Hintergrund scheint es schwierig die zwei Genres von Kriminalerzählungen der beiden Kontinente zu vergleichen. Jedoch finden sich auch in den europäischen Kriminalromanen Ereignisse, die uns Europäern seltsam und verwunderlich erscheinen. Sie bilden einen Bestandteil, der die Spannung aufbaut und das Interesse des Lesers wecken soll. Neben vielen Gemeinsamkeiten, die beide Gattungen verbinden, gibt es neben dem oben beschriebenen Unterschied im Verstehen von Texten noch weitere. Um einer Antwort der Übertragbarkeit des Begriffs der Kriminalgeschichten näher zu kommen, werde ich später auf eben diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten genauer eingehen.
2. Pu Songlings Kriminalgeschichten
Zuerst möchte ich jedoch zum besseren Verständnis der darauf folgenden Erzählungen einen historischen Überblick über die Entwicklung der Kurznovellen der chinesischen Literatur bis hin zu Pu Songlings Kriminalgeschichten geben.
2.1 Von den Anfängen bis zu Pu Songling´s Kriminalgeschichten
Die Entstehung von Geistergeschichten oder Geschichten von übernatürlichen Ereignissen aus der Zeit der sechs Dynastien (221-589) wandelte sich zu selbstverfassten Sammlungen von Geistergeschichten aus der Feder eines Autors, deren Krönung Pu Songling´s Liaozhai Zhiyi sind. Ein Beispiel für den zeitlichen Zusammenhang ist, dass Pu Songling das Thema der Novelle „die Welt im Kissen“ und andere Tangerzählungen aufgriff hat und in einer schriftsprachlichen Novelle aufarbeitete.[4] Im Folgenden gebe ich einen kurzen Überblick über die Entwicklung der chinesischen, schriftsprachlichen Novelle bis hin zu den Kriminalerzählungen Pu Songlings.
Man nimmt an, dass Kurznovellen und Erzählungen während der Han-Zeit entstanden sind. Die Bezeichnung solcher Werke war Duanbian Xiaoshuo , damit gemeint war kurze Rede, kurzes Gespräch oder kurze Darstellung. Heute fasst man sie im Begriff der Han-Novellen zusammen. Die teilweise gruseligen, wundersamen und spaßigen Geschichten waren im Volk gern gelesen, in ihnen sei der Einfluss indischer Volkslegenden zu erkennen.[5]
In der Tang-Dynastie (618 – 906) erfährt die Novelle einen neuen Aufschwung. Themen waren unter anderem Geistergeschichten, Liebesaffären und Lebensbeschreibungen von Rittern und Helden, darüber hinaus geben sie einen Einblick in die sozialen Verhältnisse der damaligen Zeit.[6] Dabei wird häufig eine Traumwelt geschaffen, in der die Menschen Kontakt zu Geistern oder Geistererscheinungen aufnehmen. Diese Grenzüberschreitungen werden jedoch stets zurückgenommen, das heißt die Handlung spielt wieder in der Realität, woraus man einen Vorrang der Wirklichkeit vor der Traumwelt ableiten kann.[7]
War die Novelle in der Tang-Zeit noch für eine kleinere Leserschaft bestimmt, fand sie als Unterhaltungsliteratur in der Song-Zeit (960-1279) bei einer etwas breiteren, Öffentlichkeit Anklang.[8] Seit der Song- und Yuan-Zeit (1279-1368) fasste man Texte des Genres Kriminalgeschichten unter dem Begriff gong an zusammen, was man mit „öffentliche Angelegenheit“, „Archiv“, „Amtstisch“ oder „Gerichtsentscheid“ übersetzen kann. Da bei diesen frühen Vertretern der Kriminalromane das Thema auf die eigentliche Falllösung beschränkt blieb, gibt es Forderungen, denenzufolge man eher von Rechtsfallliteratur sprechen sollte. Der moderne Kriminal- oder Detektivroman wird ohnehin Zhentan Xiaoshuo genannt.[9] Überliefert wurden die Geschichten vermutlich mündlich von spezialisierten Geschichtenerzählern, zu deren Repertoire unter anderem Kriminalerzählungen gehörten. Eine andere Form der Überlieferung, wie zum Beispiel durch Handbücher für Geschichtenerzähler, ist nicht belegbar.[10]
Auch in der Ming-Dynastie (1368-1644) lag die Alphabetisierungsrate gerade mal bei 5-10 %. Die Zahl der Leserschaft im Allgemeinen war aber auch dadurch begrenzt, dass es kaum Verlage und Druckereien in privaten Händen gab, um die Nachfrage zu decken. Die geringen Kapazitäten der Hofdruckereien und eine Zensur durch den Chinesischen Kaiserhof schränkten die Verbreitung der chinesischen Romanliteratur soweit ein, dass sie praktisch nicht vorhanden war.[11] In den Novellen aus der Ming-Zeit wird häufig Kritik am Ämtermissbrauch geübt und sie enthalten moralische Anmerkungen. Themen waren hier Liebesgeschichten, die vor allem bei der gebildeten Oberschicht beliebt waren, Geschichten über den gerechten Richter sowie Dämonenerzählungen. Bekannt wurden die Gerichtsromane ( gong an ) des Richters Bao Zheng aus der Provinz Yuan, kurz Bao gong an , und die Sammlung der hundert Kriminalfälle ( Bajia gong an , 1594).[12], [13]
Der Niedergang der Ming-Dynastie und dem gleichzeitigen Scheitern sowohl des öffentlichen als auch des privaten Konfuzianismus folgte in der frühen Qing Dynastie (1644-1912) ein wirtschaftlicher und kultureller Aufschwung. Die Ausweitung des Druckwesens führte zu einer größeren Verbreitung von literarischen Erzeugnissen. Der Ausstrahlungseffekt der Stadtkulturen wirkte sich auch auf die ländlichen Regionen aus.[14] Kriminalromane waren von Literatur aus anderen Bereichen geprägt. So kann man spätestens seit Mitte der Qing-Zeit einen Zusammenhang zwischen den Ritter- und Abenteuerromanen und der Kriminalliteratur feststellen: In „die grüne Päonie“ tritt die die Gestalt des Beamten Di Qing an die Seite der für Gerechtigkeit kämpfenden Helden, wobei sie häufig im Konflikt mit dem bestehenden Gesetz stehen. In späteren Kriminalromanen tritt an die Stelle der allein tätigen Richtergestalt meist ein Kollektiv, zum Beispiel in den Erzählungen der drei Richter und fünf Edlen ( Sanxia Wuyi ).[15]
[...]
[1] Zeitlin Judith, Historian of the Strange: Pu Songling and the Chinese Classical Tale , Stanford University Press, 1993, S. 25 ff.
[2] Lee, James and Wang, Feng , One quarter of humanity: Malthusian mythologie and Chinese realities. 1700-2000 , Harvard University Press, Cambridge / Massachusetts,1999, S. 76
[3] Lee, James and Wang, Feng, S. 125
[4] Schmidt-Glintzer Helwig, Geschichte der chinesischen Literatur. Die 3000jährige Entwicklung der poetischen, erzählenden und philosophisch-religiösen Literatur Chinas von den Anfängen bis zur Gegenwart , Bern, 1990,S.221
[5] Feifel Eugen, Geschichte der Chinesischen Literatur , Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1959, S. 159
[6] Feifel Eugen, S. 204
[7] Schmidt-Glintzer Helwig, S. 272
[8] Feifel Eugen, S. 242 und 248
[9] Zimmer Thomas, Der chinesische Roman der ausgehenden Kaiserzeit , Saur, München, S. 254
[10] Schmidt-Glintzer Helwig, S. 412
[11] Zimmer Thomas, S. 34 f.
[12] Feifel Eugen, S. 302
[13] Schmidt-Glintzer Helwig, S. 412 – 421
[14] Schmidt-Glintzer Helwig, S. 453
[15] Zimmer Thomas, S. 254
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