Die Bedingungen der Unfreiheit bei Sigmund Freud und die Möglichkeiten der Befreiung bei Herbert Marcuse

"Das Unbehagen in der Kultur" und "Triebstruktur und Gesellschaft"


Hausarbeit, 2006

21 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

1. Sigmund Freud : Das Unbehagen in der Kultur
1.1 Voraussetzungen der Betrachtung der Kultur durch Sigmund Freud
1.2 Eros und Thanatos
1.3 Kultur durch Triebsublimierung
1.4 Das Schuldgefühl
1.5 Das Unbehagen in der Kultur

2. Herbert Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft
2.1 Voraussetzungen der Lektüre von Herbert Marcuse
2.2 Von der Herrschaft des Realitätsprinzip zum Jenseits des Realitätsprinzips
2.3 Sublimierung, Phantasie und Vernunft
2.4 Eros und Thanatos
2.5 Möglichkeit und Erinnerung

3. Psychologie der notwendigen Unterdrückung und Philosophie der zusätzlichen politischen Unterdrückung
3.1 Die ‚Rettung’ der Freudschen Psychologie für die politische Philosophie
3.2 Die Möglichkeiten echter Freiheit bei Freud und Marcuse

4. Schluss
4.1 Zusammenfassung
4.2 Fazit

5. Literaturverzeichnis

Vorwort

Die notwendigen Bedingungen der Unfreiheit entwickelt Sigmund Freud durch den Rückgriff auf die Perspektive des Individuums und seine psychoanalytische Sicht auf die Kultur. Es sind die Bedingungen des Subjekts zur Schaffung von Kultur die bei ihm im Mittelpunkt stehen. Freud selbst bezeichnet sein Unterfangen im Unbehagen in der Kultur als ein

„...Versuch zur Übertragung der Psychoanalyse auf die Kulturgemeinschaft...“[1]

Der Beweggrund für die Abhandlung war der fortschreitende Marxismus, mit der Glücksverheißung durch die Veränderung der äußeren Umstände in denen die Menschen leben. Dem Versprechen der Institutionalisierung von Glück erteilt Freud eine Absage, da dies der menschlichen Prädisposition widerspricht. Nach Freud ist gerade für die Menschen keine lineare Entwicklung zum Glück oder glücklicher werden möglich. Dies, weil sie aufgrund ihrer inneren Triebstruktur, die sie unabhängig von den jeweils existierenden Verhältnissen bestimmen, und denen sie nicht entkommen können, diese Möglichkeit zum Glück und zur Freiheit nicht besitzen. Freuds Untersuchung leistet die Aufdeckung der Teile des Unbewussten im Seelenleben, die Voraussetzung für die Schaffung von Kultur sind.

Herbert Marcuses argumentiert in seiner Schrift Triebstruktur und Gesellschaft mit Freud und geht in seiner Interpretation über Freud hinaus. Damit unternimmt er den Versuch die Möglichkeiten der Befreiung in der Kultur für die Menschen aufzuzeigen. Herbert Schnädelbach meint, Marcuse habe

„...nichts geringeres versucht, als eine soziologische und politische Entschlüsselung der psychoanalytischen Grundbegriffe.“[2]

Die entscheidende Fragestellung für Marcuse war, warum die Geschichte von Herrschaft und Unterdrückung dominiert wird. Mit den Begriffen der ‚zusätzlichen Unterdrückung’ und des ‚Leistungsprinzips’, versucht er die psychoanalytischen Begriffe Freuds um die historische Dimension zu erweitern. Marcuse versucht zu zeigen, dass eine ‚nichtrepressive Triebentwicklung’ innerhalb der menschlichen Kultur möglich ist.

1. Sigmund Freud : Das Unbehagen in der Kultur

1.1 Voraussetzungen der Betrachtung der Kultur durch Sigmund Freud

Für die psychoanalytische Perspektive der Betrachtung der Kultur ist der psychische Apparat der Menschen, wie Freud ihn konstruiert, konstitutiv. Er zerlegt den seelischen Apparat in drei Teile. Ein Teil bildet das ÜBER-ICH Dieser Teil ist die moralische Instanz; hier existieren die Vorstellungen von Gut und Böse und hier ist das Gewissen. Einen zweiten Teil bildet das ES. Dieser Teil unterliegt dem Lustprinzip; hier existieren die mächtigen Triebe des Eros und Thanatos (Todestrieb). Der dritte Teil ist der Außenwelt zugewendet: Es ist das ICH; hier herrscht das Realitätsprinzip. Auf das ICH, mit seinem kontrollierenden kritischen Verstand, treffen die Forderungen des ÜBER-ICHS in Form von Geboten und Verboten und die Forderung nach Triebbefriedigung des ES.

In seinem Aufsatz Das Unbehagen in der Kultur geht es Freud um das Verhältnis von subjektiv-menschlicher und objektiv-kultureller Struktur. Für ihn ist der Antagonismus zwischen den Triebforderungen und den von der Kultur auferlegten Einschränkungen unversöhnlich. Ausgehend von den Annahmen, dass

„...ursprünglich das Ich alles enthält, und es erst später eine Außenwelt von sich abscheidet [...] und, dass im Seelenleben nichts was einmal gebildet wurde untergehen kann...“[3]

entwickelt Freud zwei für seine Schrift grundlegende Gedanken. Der erste Gedanke ist der des Strebens nach Glück, denn ursprünglich herrscht in den Menschen das ES bzw. das Lustprinzip. Erst später, wenn das ICH ausgebildet ist, existiert das Realitätsprinzip. Damit wird den Menschen bewusst welchen Einschränkungen das Streben nach Lust und Glück unterliegt. Freud nennt drei: Erstens den Verfall des eigenen Körpers, zweitens die zerstörerischen Kräfte der Außenwelt und drittens die Beziehungen zu anderen Menschen. So streben die Menschen weniger nach Lust als vielmehr nach Unlustvermeidung. Jedoch:

„Auf keinem dieser Wege können wir alles, was wir begehren, erreichen.“[4]

Der zweite Gedanke bezieht sich auf den Ursprung des Unterdrückenden in der Ontogenese und der Phylogenese. In der Ontogenese jedes Einzelnen beeinflussen die Triebwünsche aus frühester Kindheit Denken, Wollen und Fühlen im Unbewussten. In der Phylogenese ist es die kollektive Wiederkehr des Verdrängten. Der Urvatermord ist die Ursache für das Schuldgefühl der Menschheit. Für Freud ist

„...die Natur der Triebe historisch erworben.“[5]

Es sind kulturgeschichtlich gewordene Muster. Es ist der Gedanke des Fortlebens der archaischen Erbschaft, die sich als ‚quasi archaische Spur’ in den Menschen wiederfindet. Freud geht von der Vererbung der erworbenen Eigenschaften aus. Diese Überlieferung unbewusster kollektiver Motive haben sich in Traditionen manifestiert. So beschreibt Freud

„Die Kulturentwicklung [...] als eigenartigen Prozess, der über die Menschheit abläuft, an dem uns manches vertraut anmutet.“[6]

1.2 Eros und Thanatos

Für Freud existieren im ES die zwei selbständigen Triebanlagen Eros und Thanatos. Der Kern des Wesens des Eros ist

„...die Absicht, aus mehreren eines zu machen.“[7]

Es ist der

„...Trieb, die lebende Substanz zu erhalten und zu immer größeren Einheiten zusammenzufassen...“[8]

Während Thanatos der ihm gegensätzliche Trieb ist, der danach strebt

„...diese Einheiten aufzulösen...“[9]

Eros ist der Lebenstrieb. Als Trieb ist er eine Quelle der Lust, er formt und erhält immer größere Ganzheiten. Bezeichnet wird mit dem Eros die gesamte Vielfalt des sinnlich-körperlichen Erlebens. Gemeint sind alle vom Körper ausgehenden Gefühle und Tätigkeiten zu den Mitmenschen und zur Welt, die Struktur der leiblichen Aktion und Reaktion insgesamt. Thanatos ist der Todestrieb. Freud hat ihn in seiner Schrift Jenseits des Lustprinzips in die subjektive Struktur selbst eingebaut. Vorher war er als Trieb im Unbewussten nicht repräsentiert. Auf der individuellen Ebene des Verhaltens geht es hinsichtlich des Todestriebs vor allem um die Aggression in ihren vielfältigen Ausformungen.

„Infolgedessen ist ihm [dem Menschen M.S.] der Nächste nicht nur möglicher Helfer und Sexualobjekt, sondern auch eine Versuchung seine Aggression an ihm zu befriedigen...“[10]

Auf der gesellschaftlichen Ebene ist das verhängnisvolle Zusammenspiel von Aggression und Schuldgefühl diejenige Kraft, die der kulturellen Tendenz zur Bildung größerer Einheiten den hartnäckigsten Widerstand entgegensetzt. So ist

„Infolge dieser primären Feindseligkeit der Menschen gegeneinander [...] die Kulturgesellschaft beständig vom Zerfall bedroht.“[11]

Eros und Todestrieb werden als kulturschaffende Prinzipien konzipiert; sie treten als eigenständige Kräfte auf, die über den Fortgang der Kulturentwicklung entscheiden. Die Kulturentwicklung ist der

„...Kampf zwischen Eros und Tod, Lebenstrieb und Destruktionstrieb [...] Dieser Kampf ist der wesentliche Inhalt des Lebens überhaupt...“[12]

Kultur erscheint hier nicht mehr als bloß äußeres Resultat der Triebrepression. Lebens- und Todestrieb werden selbst zur Kulturproduzenten; aus dem unversöhnlichen Gegeneinander wird ein – widerspruchsvoll bleibendes – Ineinander.[13]

1.3 Kultur durch Triebsublimierung

Voraussetzung für menschliche Kultur ist für Freud die Triebsublimierung. Er schreibt

„Es ist unmöglich zu übersehen, in welchem Ausmaß die Kultur auf Triebverzicht aufgebaut ist, wie sehr sie gerade die Nichtbefriedigung (Unterdrückung, Verdrängung,[...]) von mächtigen Trieben zur Voraussetzung hat.“[14]

Kultur ist auf Triebverzicht aufgebaut und in der Kultur werden die Sexual- und Aggressionstriebe unterdrückt. Für Freud stellt der Eros und damit der Sexualtrieb

„...der Kulturarbeit außerordentlich große Kraftmengen zur Verfügung, und dies zwar in Folge der bei ihm besonders ausgeprägten Eigentümlichkeit, sein Ziel verschieben zu können, ohne wesentlich an Intensität abzunehmen. Man nennt diese Fähigkeit, das ursprünglich sexuelle Ziel gegen ein anderes, nicht mehr sexuelles, aber psychisch mit ihm verwandtes, zu vertauschen, die Fähigkeit zur Sublimierung.“[15]

Somit sind die Menschen, die Lebewesen, die ihre Triebenergie zu geistiger Tätigkeit sublimieren können. Innerhalb jedes Menschen gibt es jedoch einen nicht zu überwindenden Antagonismus. Es ist der zwischen den Bedürfnissen und Forderungen des Eros und denen des Thanatos. Diese Teile stehen in einer Spannung zueinander. Um Kultur zu begründen, um in großen Einheiten zusammen leben zu können, müssen die Menschen ihre Aggressionstriebe unterdrücken. Die Spannung

„...zwischen individuellen Bedürfnissen und Anforderungen der Gemeinschaft ist unaufhebbar.“[16]

[...]


[1] Freud, Sigmund: Das Unbehagen in der Kultur. Studienausgabe. Band IX. Fragen der Gesellschaft. Ursprünge der Religion. Frankfurt am Main, 1974. Seite 266

[2] Schnädelbach, Herbert: Betrachtungen eines Unzeitgemäßen. Zum Gedenken an Herbert Marcuse. In: Zeitschrift für philosophische Forschung 34, 1980. Seite 623

[3] Freud, Sigmund: Das Unbehagen in der Kultur. Seite 200f

[4] Freud, Sigmund: Das Unbehagen in der Kultur. Seite 215

[5] Flego, Gvozden: Erotisierte Einzelne – Erotisierte Gesellschaft? In: Gvozden Flego, Wolfdietrich Schmied-Kowarzik (Hrsg.): Herbert Marcuse – Eros und Emanzipation. Marcuse Symposion 1988 in Dubrovnik. Giessen, 1989. Seite 133

[6] Freud, Sigmund: Das Unbehagen in der Kultur. Seite 226

[7] ebd. Seite 237

[8] ebd. Seite 246

[9] ebd. Seite 246

[10] ebd. Seite 240

[11] ebd. Seite 241

[12] Freud, Sigmund: Das Unbehagen in der Kultur. Seite 249

[13] Görlich, Bernard: Die Wette mit Freud. Drei Studien zu Herbert Marcuse. Frankfurt am Main, 1991.Seite 57f

[14] Freud, Sigmund: Das Unbehagen in der Kultur. Seite 227

[15] Freud, Sigmund: Die kulturelle Sexualmoral und die moderne Nervosität. Studienausgabe. Band IX. Fragen der Gesellschaft. Ursprünge der Religion. Frankfurt am Main, 1974. Seite 20

[16] Görlich, Bernard: Die Wette mit Freud. Seite 65

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Bedingungen der Unfreiheit bei Sigmund Freud und die Möglichkeiten der Befreiung bei Herbert Marcuse
Untertitel
"Das Unbehagen in der Kultur" und "Triebstruktur und Gesellschaft"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften)
Veranstaltung
Debatten zur Kulturtheorie
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
21
Katalognummer
V65036
ISBN (eBook)
9783638576970
ISBN (Buch)
9783656801924
Dateigröße
556 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Sigmund, Freud, Unbehagen, Kultur, Herbert, Marcuse, Triebstruktur, Gesellschaft, Bedingungen, Unfreiheit, Freud, Möglichkeiten, Befreiung, Marcuse, Debatten, Kulturtheorie
Arbeit zitieren
Monika Skolud (Autor:in), 2006, Die Bedingungen der Unfreiheit bei Sigmund Freud und die Möglichkeiten der Befreiung bei Herbert Marcuse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65036

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