Migranten in Deutschland. Eine kritische Analyse der Debatte um die Parallelgesellschaft


Hausarbeit, 2006

31 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Was wird mit dem Begriff der Parallelgesellschaft diskutiert?

3. Parallelgesellschaft – Der wissenschaftliche Definitionsansatz von Thomas Meyer

4. Islamophobie in Deutschland

5. Geschichtliche Wirkungskreise im Umgang mit der Einwandererfrage
5.1. Die Anwerbephase (1955-1973)
5.2. Die Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung (1973-1979)
5.3. Die Phase der Integrationskonzepte (1979/80)
5.4. Die Wende in der Ausländerpolitik (1981 bis heute)

6. Parallelgesellschaft und Demokratie

7. Kultureller Pluralismus und die Vorstellung von einer deutschen Leitkultur

8. Schlussfolgerungen

9. Literaturverzeichnis

10. Weiterführende Literatur

Einleitung

„ ,Parallelgesellschaften’ ist ein Begriff, der seit einiger Zeit immer wieder in den Medien auftaucht, meist im Zusammenhang mit verstörenden Ereignissen wie Ehrenmorden oder anderen Gewaltverbrechen, in die Migranten verwickelt sind. Mit diesem Terminus wird allgemein das Scheitern der Integration von Zuwanderern und der multikulturellen Gesellschaft insgesamt assoziiert.“

(Janßen 2006, S. 11)

Dieses Zitat der Politikwissenschaftlerin Andrea Janßen bietet einen kurzen und prägnanten Überblick darüber, wie und in welchen Zusammenhängen die Öffentlichkeit momentan mit dem Begriff der Parallelgesellschaft konfrontiert wird. Letztlich geht es um die Frage nach der Funktionsfähigkeit multikultureller Gesellschaften, verstanden als Gesellschaften, in denen „verschiedene ethnische, kulturelle und religiöse Gruppen in einem gemeinsamen wirtschaftlichen und politischen Rahmen jeweils ihre Eigen-ständigkeit behalten und dabei in geregelten und spannungsarmen (Austausch-) Beziehungen zueinander stehen“ (Esser 1983, S.30). Es ist dies eine elementare Frage, der sich auch die deutsche Gesellschaft dringend und unbedingt in differenzierter, sachlicher Weise stellen muss.

In der politischen Diskussion um die Existenz von Parallelgesellschaften in der Bundesrepublik Deutschland geht es vorrangig um Fragen der Ausländerpolitik in Bezug auf die Chancen und Hürden der Integration. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass es sich keineswegs um ein „neues“ Problemfeld handelt. Die Debatte über den „richtigen“ Umgang mit Einwanderung reicht geschichtlich weit zurück. Der Begriff der Parallelgesellschaft taucht dabei bereits 1983 in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fragen der deutschen Ausländerpolitik auf (vgl. Esser 1983, S. 33). Er erreichte jedoch in Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 und der Ermordung des niederländischen islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh im Jahr 2004 sowohl politisch als auch in der medialen Darstellung eine neue Dimension. Seither stehen in der Diskussion vermehrt Sicherheitsfragen und die Integration speziell von (türkisch-)muslimischen MigrantInnen im Blickpunkt (vgl. Özcan 2005, S. 1). Die hier vorliegenden Ausführungen heben deshalb das Verhältnis zwischen dieser Minderheit und deutscher Mehrheitsgesellschaft besonders hervor. Thema der vorliegenden Ausführungen ist dabei die Analyse, wie in Deutschland die Auseinandersetzung mit den um die Parallelgesellschaftsdebatte kreisenden Problema-tiken erfolgt. Es wird im Folgenden der Versuch unternommen, die in Teilen nebulöse und ideologisch stark aufgeladene Debatte zu versachlichen, indem auf verschiedene Missstände in der Diskussionsführung hingewiesen wird. In Anbetracht des begrenzten Rahmens, kann jedoch hierbei nur eine Auswahl verschiedener Teilaspekte des überaus vielschichtigen und verschwungenen Diskurses bearbeitet werden.

So soll zu Beginn dieses Beitrages der Versuch unternommen werden, die Diskussionsgegenstände der Parallelgesellschaftsdebatte zu erfassen sowie die Frage zu klären, was parallelgesellschaftliche Strukturen selbst definitorisch kennzeichnet. Im wissenschaftlichen Diskurs um die inhaltliche Bestimmung des Begriffs der Parallelge-sellschaft erweist sich dabei, nach den Recherchen für diese Arbeit, der Definitions-ansatz des Politologen Thomas Meyer als der bisher trennschärfste und stichhaltigste. Er wird daher hier die primäre Grundlage der Betrachtungen darstellen.

Im Anschluss an diesen Themenblock soll - in Rückgriff auf die Feststellung, dass die aktuelle bundesdeutsche Parallelgesellschaftsdebatte hauptsächlich das Verhältnis zwischen deutscher Mehrheitsgesellschaft und (türkisch-)muslimischer Minderheit beleuchtet – die Realität Integrationshemmender Einstellungen der Mehrheitsgesell-schaft dieser speziellen Gruppe gegenüber in den Blickpunkt gestellt werden.

Danach werden die geschichtlich bedeutsamen Trends und Entwicklungslinien in der bundesdeutschen Ausländerpolitik nachgezeichnet. Der Komplexität des Themas entsprechend muss hierbei ebenfalls eine stringente Auswahl erfolgen, um den Rahmen er vorliegenden Ausführungen nicht zu sprengen. So wird zum Einen nicht gesondert auf die Zuwanderungsquelle Aussiedler eingegangen – deutschstämmige Mittel- und Osteuropäer also, von denen zwischen 1950 und 1987 rund 1,4 Mio. in die Bundes-republik zurückkehrten (vgl. Özcan, 2005, S. 2). Zum Anderen werden an dieser Stelle nur die westdeutschen Entwicklungen nachgezeichnet. Die dabei vorgenommene Auslese orientiert sich an der Fragestellung, welche historischen Faktoren für das heutige Verhältnis zwischen deutscher Mehrheitsgesellschaft und immigrierter auslän-discher Minderheit bestimmend sind. Für eine tiefergehende Auseinandersetzung mit diesem überaus spannenden Themenfeld soll an dieser Stelle auf das Werk „Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland“ des Historikers Ulrich Herbert verwiesen werden (siehe weiterführende Literatur).

Der mediale Kontext muss in dem vorliegenden Beitrag zu Gunsten einer ausführ-licheren Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung der Ausländerpolitik weitgehend entfallen. Denn die historischen Entwicklungslinien im Umgang mit Fragen der Einwanderung nach Deutschland sind wichtig, um zu verstehen, weshalb die heutzutage leider häufig anzutreffende Vermutung, Schuld an aus mangelnder Integration entstehenden Problemlagen trügen ausschließlich die zugewanderten Minderheiten selbst, ein Irrglaube ist.

Auf der Basis der hier ausgewählten Teilaspekte der Parallelgesellschaftsdebatte werden schließlich die mit der Existenz parallelgesellschaftlicher Strukturen verbundenen Bedrohungsszenarien erörtert, um abschließend zwei gegensätzliche soziologische Integrationsansätze zu präsentieren und zu bewerten. Die zentrale Fragestellung dieses Beitrages lautet dabei: Welche Inhalte und Problemlagen, werden mit der bundes-deutschen Parallelgesellschaftsdebatte umrissen und wie und mit welchen Folgen werden bzw. wurden diese bislang von Wissenschaft und Politik aufgegriffen?

Was wird mit dem Begriff der Parallelgesellschaft diskutiert?

Eine genaue Bestimmung des Diskussionsgegenstandes gestaltet sich bei dem Begriff der Parallelgesellschaft als besonders schwierig. Bislang nämlich – und es ist zu erwarten, dass sich dies in naher Zukunft nicht ändern wird – besteht keine Einigkeit über eine allgemein anerkannte inhaltliche Definition des Begriffs. Auch waren seine Verwendungskontexte in der Vergangenheit verschieden und in der Folge dieser beiden Umstände kommt es in aktuellen Diskussionen zu neuen Komplikationen durch Miss-verständnisse.

Weiter wird inzwischen angezweifelt, dass der Begriff Parallelgesellschaft selbst empirisch sinnvoll und tragfähig ist. Kritiker stellen eine implizite Wertigkeit des Ausdruckes fest, gegen die sie sich wehren (vgl. Belwe 2006, S. 2). Dem Begriff immanent sei zum Einen eine massive und zugleich pauschalisierende Kritik an der Lebensweise von MigrantInnen, ohne die Berücksichtigung der Tatsache, dass Ab-schottung auch Reaktion von Ausgrenzung sein kann. Zum Anderen, so ein weiterer Kritikpunkt, impliziere das Wort Parallelgesellschaft das vorweggenommene Urteil, dass es in der Bundesrepublik ein unvereinbares Nebeneinander im Verhältnis von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft tatsächlich gibt (vgl. Belwe 2006, S. 2). Zu demselben Phänomen wird von den Diskussionspartnern daher häufig ein unterschied-liches Vokabular gebraucht, was die Debatte für die Öffentlichkeit häufig undurch-sichtig macht.

Während das Wort Parallelgesellschaft in der breit geführten politischen Debatte An-fang der 80er Jahre in Zusammenhang mit der Lebenswelt ausländischer Minderheiten insgesamt auftauchte, ist es neuerlich zum Schlagwort der Charakterisierung von Segregationserscheinungen vor allem (türkisch-)muslimischer Minderheiten geworden und beinhaltet zudem - insbesondere hervorgerufen durch die Form der medialen Vermittlung - eine direkte Konnotation mit islamistischem Terrorismus.

Nach den hier verwandten Quellen besteht, trotz Begriffsverwirrungen und unterschied-lichen Auslegungen, zu mindestens in Bezug auf die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema soweit Einigkeit in der Fachwelt, dass der Begriff in den letzten Jahren prägend für die Stimmung in der Diskussion um die Funktionsfähigkeit der multikulturellen Gesellschaft geworden ist. Das Schlagwort der Parallelgesellschaft wurde dabei in erheblichem Maße sowohl politisch instrumentalisiert als auch medial emotionalisiert (vgl. Gaitanides 2002, S. 16). In der öffentlichen Diskussion um die Existenz von so genannten Parallelgesellschaften geht es um „die Vorstellung von ethnisch homogenen Bevölkerungsgruppen (...), die sich räumlich, sozial und kulturell von der Mehrheitsgesellschaft abschotten“ (Belwe 2006, S. 2). Eine spezifischere Diskussion darüber, was parallelgesellschaftliche Strukturen tatsächlich sind, findet in der öffentlichen Debatte aber kaum statt (vgl. Janßen 2006, S. 11). So geistert der Begriff, seit einigen Jahren durch unsere Medien, wie ein Schreckgespenst, das bei den Rezipienten häufig Unbehagen und die Assoziation von direkter Bedrohung hervorruft. Hierbei wirkt die Tatsache, dass Parallelgesellschaften definitorisch nicht genau umrissen sind, zusätzlich verunsichernd, was in jüngster Zeit unter Anderem eine besorgniserregende Tendenz zu breiter Islamophobie nach sich zog. Der Sozialwissen-schaftler Jürgen Leibold charakterisiert die Situation folgendermaßen:

Eine christlich eingefärbte säkulare Mehrheitsgesellschaft steht hier einer (zahlenmäßig türkisch dominierten) muslimischen Minderheit gegenüber. Die lange Zeit existierende Indifferenz der Mehrheitsgesellschaft gegenüber der islamischen Religion ist bekanntlich spätestens seit dem "11. September" von Misstrauen abgelöst worden und erfährt mit jedem Terroranschlag, der als islamistisch motiviert wahrgenommen wird, immer neue Verstärkung. Dies gilt insbesondere nach Beteiligungen von jungen eingebürgerten Muslimen an Terroranschlägen wie in London“ (Leibold 2006, S. 3).

Inhaltlich kreist die Parallelgesellschaftsdebatte um die Suche nach einer verlässlichen Integrationspolitik, die gesellschaftliche Spaltungen und die damit verbundenen Konse-quenzen zu verhindern weiß. Bedeutend ist die Debatte vor allem wegen den mit parallelgesellschaftlichen Strukturen verbundenen Bedrohungsszenarien für die Mehr-heitsgesellschaft, auf die in einem späteren Abschnitt genauer eingegangen wird.

Die besondere Schwierigkeit aber, liegt – wie bereits angedeutet – in der Uneinigkeit darüber, welche Strukturen Parallelgesellschaften ausmachen, bzw. ab welchem Maß der Segregation eine signifikante Gefahr für das friedliche Miteinander innerhalb der Gesellschaft und letztlich das „Funktionieren“ des politischen Systems insgesamt befürchtet werden muss. Aus diesem Grund muss hier zunächst eine Ausgangsdefinition gefunden werden.

Parallelgesellschaft – Der wissenschaftliche Definitionsansatz von Thomas Meyer

In Meyers Begriffsdefinition wird die Messlatte zur Existenz von Parallelgesellschaften vergleichsweise hoch angesetzt. Er entwickelt in seiner Argumentation fünf wesentliche Indikatoren für das Vorhandensein parallelgesellschaftliche Strukturen:

1. „ethno-kulturelle bzw. kulturell-religiöse Homogenität,
2. nahezu vollständige lebensweltliche und zivilgesellschaftliche sowie weitge-hende Möglichkeiten der ökonomischen Segregation,
3. nahezu komplette Verdoppelung der mehrheitsgesellschaftlichen Institutio-nen,
4. formal freiwillige Segregation [und]
5. siedlungsräumliche oder nur sozial-interaktive Segregation, sofern die ande-ren Merkmale alle erfüllt sind“ (Halm 2006, S. 18f.).

Liegen alle fünf Tatbestände in Bezug auf ein bestimmtes soziales Kollektiv vor, so hält Meyer die Deklaration als Parallelgesellschaft für angemessen. Er betont jedoch, dass die Übergänge hierbei in der Realität fließend und die Indikatoren nicht absolut gleichwertig sind. Ob etwa das segregierte Kollektiv in Bezug auf seine Mitglieder sozial und ethno-kulturell bzw. kulturell-religiös homogen ist, spielt in Meyers Konzeption zwar auch eine wichtige aber zunächst nicht die entscheidende Rolle bei der Klassifikation. Entscheidend seien hingegen vor allem jene Indikatoren, die um das Kriterium der nahezu komplette Segregation des betreffenden Kollektivs kreisen (vgl. Meyer 2002, S. 344ff.).

[...]

Ende der Leseprobe aus 31 Seiten

Details

Titel
Migranten in Deutschland. Eine kritische Analyse der Debatte um die Parallelgesellschaft
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
31
Katalognummer
V65063
ISBN (eBook)
9783638577205
ISBN (Buch)
9783638668248
Dateigröße
542 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Migranten, Deutschland, Analyse, Debatte, Parallelgesellschaft
Arbeit zitieren
Marie Mualem Sultan (Autor:in), 2006, Migranten in Deutschland. Eine kritische Analyse der Debatte um die Parallelgesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65063

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