Eros und Tod in Thomas Manns Novelle 'Der Tod in Venedig'


Seminararbeit, 2004

22 Seiten, Note: 2,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0 Zentrale Motive

1 Tod
1.1 Allgemeine Leitmotive mit vager Todessymbolik
1.2 Todesboten - Leitmotive mit expliziter Todessymbolik

2. Eros
2.1 Eros – positiver Einfluss
2.1.1 Tadzio als beflügelnder Eros
2.1.2 Eros als positives Bindeglied von apollinischer und dionysischer Lebensweise
2.2 Eros – negativer Einfluss
2.2.1. Tadzio als vernichtender Eros
2.2.2 Eros als der negative Übergang in eine rein dionysische Lebensweise

3. Unvermeidbarkeit des Todes

4 Literaturverzeichnis

Primärliteratur

Forschungsliteratur

0 Zentrale Motive

Der Tod stellt seit jeher in der Literatur und Kunst ein zentrales Thema dar. Wogegen jedoch in der Antike und im Mittelalter ein einheitliches Todesbild herrschte, ist eine genaue Beschreibung des Todes in der Neuzeit beinahe unmöglich. In der rational funktionierenden Gesellschaft der neuzeitlichen Welt wird der Tod einerseits, realistisch gesehen, als das Ende des Lebens und somit als Bestandteil des Lebens behandelt, andererseits jedoch durch Gedanken an einen schrecklichen Tod aus dem alltäglichen Leben verbannt. Die antike Vorstellung des Todes als Thanatos, der Zwillingsbruder des Schlafes Hypnos mit der Gestalt eines hübschen Jünglings, ist in der aufgeklärten Gesellschaft der Neuzeit gänzlich verschwunden. Dagegen ist das mittelalterliche Todesbild, das durch ein Gerippe oder einen Totenkopf dargestellt wurde, noch weitaus näher an der heutigen Vorstellung des Todes. In Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig tritt der Tod als eine Art Mischform dieser beiden Todesallegorien in einer Reihe von Gestalten auf, die gepaart mit Attributen der antiken Figuren Hermes und Charon den würdevollen Künstler Gustav von Aschenbach auf seiner Reise nach Venedig und in den Verfall seiner Würde und schließlich in seinen Tod begleiten. Neben dem Tod stellt auch Eros, der antike Gott der Liebe, ein zentrales Motiv in der Novelle dar. Sein wichtigster Vertreter ist der hübsche Polenknabe Tadzio, der in Gestalt des Eros Aschenbach aus seiner bisherigen, streng apollinischen Lebenshaltung reißt, ihn „ins Reich der Schönheit einführt und ihn auf diese Weise vernichtet“[1]. Im Folgenden soll auf diese beiden zentralen Motive näher eingegangen und vor dem Hintergrund mythologischer Quellen ihre Funktion in der Novelle erläutert werden.

1 Tod

Der Tod spielt in Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig eine zentrale Rolle, die vor allem durch die in der Novelle charakteristische Leitmotivtechnik zur Geltung kommt. Dieses poetisch-allegorische Verfahren besteht hauptsächlich darin, eine Reihe scheinbar realistischer Details in den Handlungsverlauf einzustreuen, um damit eine zweite, mythologische Ebene zu erzeugen. In dieser zweiten Ebene der Novelle bestehen klare Verbindungen zur griechischen Mythologie, die einerseits durch scheinbar alltägliche, aber immer wiederkehrende Symbole hergestellt werden und andererseits durch annähernd ähnlich dargestellte Todesallegorien in Form von Todesboten.

1.1 Allgemeine Leitmotive mit vager Todessymbolik

Viele dieser bereits erwähnten scheinbar alltäglichen Symbole besitzen bei genauerer Betrachtung eine Verbindung zum Tod. Diese Verbindung wird jedoch auf unterschiedliche Art und Weise hervorgerufen. Manche Symbole besitzen bereits eine eigenständige Todessymbolik, andere aber werden erst durch wiederholte Darstellung zu Symbolen des Todes.

Für den meisterlichen Künstler Gustav von Aschenbach nimmt das Meer aus verschiedenen Gründen einen sehr hohen Stellenwert ein. Wie er an seinem ersten Tag in Venedig feststellt, „liebte [er] das Meer aus tiefen Gründen: aus dem Ruheverlangen des schwer arbeitenden Künstlers, […] aus einem verbotenen, seiner Aufgabe gerade entgegengesetzten und ebendarum verführerischen Hange zum Ungegliederten, Maßlosen, Ewigen, zum Nichts.“[2] Für Aschenbach symbolisiert also das Meer einerseits eine ersehnte Ruhestätte und andererseits jedoch auch das Maßlose, das Ewige und das Nichts. Die große Bedeutung des Meeres für Aschenbach wird gleich zu Beginn der Novelle ersichtlich, als ein Wanderer, dem er auf einem Spaziergang in München begegnet, in ihm Reiselust weckt und Aschenbach daraufhin in einen Traum von „eine[r] Art Urweltwildnis aus Inseln, Morästen und Schlamm führenden Wasserarmen“ (458) abschweift. Er wählt als Reiseziel eine „Insel der Adria“ (469), bemerkt jedoch schnell, dass er „fehlgegangen“ (469) war, da ihm jenes „innige Verhältnis zum Meere, das nur ein sanfter, sandiger Strand gewährt“ (469) verwehrt blieb und er macht sich deshalb auf den Weg nach Venedig. Aschenbach fährt also nach Venedig, denn welche Stadt verbindet man mehr mit dem Meer als die Lagunenstadt. Er reist jedoch nicht mit dem Zug, sondern mit dem Schiff, da seiner Meinung nach „auf dem Bahnhof in Venedig anlangen, einen Palast durch eine Hintertür betreten heiße, und daß man nicht anders, als wie nun er, als zu Schiffe, als über das hohe Meer die unwahrscheinlichste der Städte erreichen sollte“ (474). Sein Hotelzimmer in Venedig hat Meerblick und Aschenbach hält sich in den folgenden Wochen bevorzugt am Strand auf, was letztendlich auch Schauplatz seines Todes wird und den Kreis zwischen der Symbolik des Meeres für Aschenbach als das Ewige und das Nichts und der Symbolik für die Novelle wieder schließt.

Neben dem Leitmotiv des Meeres spielt auch das Wetter eine wichtige Rolle. Die immer wieder auftretenden Wetterbeschreibungen, die vor allem an Szeneneingängen gehäuft auftreten, spiegeln Gustav von Aschenbachs inneren Zustand wider und Lämmert spricht in diesem Zusammenhang von „Wetterparallelismus“.[3] Gleich zu Beginn der Erzählung ist von einem „falsche[n] Hochsommer“ (455) im Mai und einem drohenden Gewitter die Rede, was Aschenbachs Schaffenskrise, in der er sich zu dieser Zeit befindet, aufzeigt. Manfred Dierks sieht hierin „den pathologisch-widernatürlichen Einschlag in der ‚dionysischen Regung’ Aschenbachs, der er sich schließlich nicht gewachsen zeigt.“[4] Diese bedrückende Stimmung korrespondiert mit der „wachsenden Müdigkeit“ (459) Aschenbachs und wird später im Werk fortgeführt. Als Aschenbach in Venedig ankommt und verwirrt von dem geschminkten Alten auf dem Schiff ist, regnet es „neblichte[n] Regen“ (473) und der Himmel ist grau, „trüb und bleiern“ (472). Auch am nächsten Tag, als Aschenbach bereits darüber nachdenkt wieder abzureisen, da diese „Witterung ihm höchst schädlich war“ (492) weht Landwind, der den fauligen Geruch der Lagune mit sich trägt unter „fahl bedecktem Himmel“ (484). Erst als Aschenbachs Abreise durch einen für ihn höchst glücklichen Zufall vereitelt wird und er am nächsten Morgen, dank seiner missglückten Abreise, gutgelaunt und zufrieden erwacht, verschwindet diese „widerliche Schwüle“ (491) und die dicke, übel riechende Luft.

Erst in den folgenden Tagen, in denen Aschenbach immer mehr von Tadzio angezogen wird und ihm zusehends verfällt, lichtet sich das Wetter und sein glückseliger Zustand wird durch die klaren Tage mit Sonnenschein unterstrichen. Doch als Aschenbachs Bewunderung und Anbetung des schönen Jünglings in Besessenheit und Verfolgungszwang umschlägt, verändert sich auch das Wetter wieder. Aschenbach erscheint es am Strand plötzlich „unwirtlich“ (535) und eine Art „Herbstlichkeit, Überlebtheit“ (535) scheint über den einst so prächtigen Farben des Sommers zu liegen, obwohl Herbstlichkeit in dieser Jahreszeit absolut unrealistisch ist.[5]

Ein weiteres Leitmotiv stellt die Farbe schwarz dar. Schwarz wird häufig mit dem Tod assoziiert und in Der Tod in Venedig wird diese Assoziation noch durch teilweise explizites Nennen des Todes verstärkt. So ist die Gondel, mit der Aschenbach zum Lido gefahren wird ein „seltsames Fahrzeug aus balladesken Zeiten […] und so eigentümlich schwarz, wie sonst unter allen Dingen nur Särge es sind“ (475). Auch die Ausstattung der Gondel erinnert stark an einen Sarg mit ihrem „sargschwarz lackierte[n], mattschwarz gepolsterte[n] Armstuhl, de[m] weichste[n], üppigste[n], de[m] erschlaffendste[n] Sitz von der Welt“ (475) und selbst Aschenbachs Gedanken kreisen während der Fahrt um den Tod. So wünschte er, daß die Fahrt lange, daß sie immer dauern möge“ (477), als „[e]in Bann der Trägheit […] von diesem niedrigen, schwarzgepolsterten Armstuhl“ (477) ausgeht. Auch denkt er daran, er könne von dem Gondoliere „hinterrücks mit einem Ruderschlage ins Haus des Aides [ge]schick[t]“ (478) werden. Am Tag seines Todes bemerkt er am Strand auf einem Stativ einen verlassenen Fotoapparat, über den ein schwarzes, im Wind flatterndes Tuch gebreitet ist. Kurz darauf beobachtet er eine Kampfszene zwischen Tadzio und seinem Freund Jaschu, dem „Schwarze[n]“ (536), wobei der stärkere und gröbere Jaschu den schwächeren Schönen besiegt.

Doch neben der Farbe schwarz weckt auch rot, die Farbe des Blutes, Todesassoziationen. Diese Farbe tritt vom Beginn der Novelle bis zu Aschenbachs Tod durch die mit Cholera infizierten Erdbeeren leitmotivisch auf.[6] Zunächst fällt auf, dass die wiederholt auftretenden Figuren, die Todesboten, auf die später noch genauer eingegangen wird, alle fast durchgehend etwas Rotes an sich tragen. So ist bereits der Wanderer am Münchner Friedhof ein „rothaariger Typ“ (456), genau wie der Gondoliere „rötliche[] Brauen“ (476-77) und der Bänkelsänger „rote[s] Haar[]“ (520) besitzt. Die Farbe rot zeigt sich aber nicht nur im Aussehen bestimmter Todesboten, sondern auch in der Kleidung und dem äußeren Erscheinungsbild bestimmter Figuren. So trägt der falsche Jüngling auf dem Dampfer eine „rote[] Krawatte“ (471), Tadzio eine „rotseidene[] Masche auf der Brust“ (485) und Aschenbach nach seiner kosmetischen Verjüngung „ein zartes Karmin“ (531) an den Wangen, eine rote Krawatte und seine Lippen sind „himbeerfarben“ (532). Rot sind auch die „große[n], vollreife[n] Erdbeeren“ (489), die Aschenbach frühstückt, während er Tadzio am Strand beobachtet und auch die überreifen und weichen Erdbeeren, die er kurz vor seinem Tode bei der Verfolgung Tadzios isst sind rot. Der Granatapfelsaft, der „rubinrot im Glase funkelte“ (518) erweckt Gedanken an die griechische Mythologie, in der Persephone in den Hades verbannt wurde, nachdem sie von einem Granatapfel gegessen hatte. Diese Gedanken an den Tod werden in dem Symbol der Sanduhr später weitergeführt. Aschenbach denkt an den „rostrot gefärbte[n] Sand“ (523) der Sanduhr seiner Eltern, wodurch ein Bild der Vergänglichkeit und des Ablaufens der Zeit gezeichnet wird. Das Getränk als ein Symbol für die antike Mythologie und die Sanduhr als ein Symbol für den mittelalterlichen Tod stellen hier die Verschmelzung dieser beiden so unterschiedlichen Todesvorstellungen dar und Aschenbachs „gespannte Regungslosigkeit deutet in Wirklichkeit an, daß er selbst […] aus dem einen Bereich in den anderen übertritt und sich der Versuchung zum Tode ohne Rückhalt anheimgibt“.[7]

[...]


[1] Jens, Walter: Statt einer Literaturgeschichte. 6. erweiterte Aufl. Pfullingen: Verlag Günther Neske 1962. S. 163.

[2] Mann, Thomas: Der Tod in Venedig. In: Gesammelte Werke. Bd. 9. Berlin: Aufbau-Verlag Berlin 1956. S. 455-537. S. 487.

Weitere Zitate aus der Primärliteratur werden mit Seitenangaben in Klammern im Fließtext angegeben.

[3] Zitiert nach Nicklas, Hans W.: Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig. Analyse des Motivzusammenhangs und der Erzählstruktur. In: Marburger Beiträge zur Germanistik. Hrsg. von Josef Kunz und Ludwig Erich Schmitt. Bd. 21. Marburg: N. G. Elwert Verlag 1968. S. 148.

[4] Dierks, Manfred: Studien zu Mythos und Psychologie bei Thomas Mann. An seinem Nachlaß orientierte Untersuchung zum ‚Tod in Venedig’, zum ‚Zauberberg’ und zur ‚Joseph’-Tetralogie. Bern: Francke Verlag 1972. S. 19.

[5] Vgl. Nicklas, H.: Thomas Manns Novelle Der Tod in Venedig. S. 148-150.

[6] Vgl. Jendreiek, Helmut: Thomas Mann. Der demokratische Roman. Düsseldorf: August Bagel Verlag 1977. S. 238.

[7] Uhlig, Ludwig: Der Todesgenius in der deutschen Literatur von Winckelmann bis Thomas Mann. Tübingen: Max Niemeyer Verlag 1975. S. 109.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Eros und Tod in Thomas Manns Novelle 'Der Tod in Venedig'
Hochschule
Universität Regensburg  (Institut für Germanistik)
Veranstaltung
Proseminar: Literatur und Tod
Note
2,3
Jahr
2004
Seiten
22
Katalognummer
V65164
ISBN (eBook)
9783638578004
ISBN (Buch)
9783656777052
Dateigröße
412 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Eros, Thomas, Manns, Novelle, Venedig, Proseminar, Literatur
Arbeit zitieren
Anonym, 2004, Eros und Tod in Thomas Manns Novelle 'Der Tod in Venedig', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65164

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