Die Idee der Wiedergeburt und der Erlösung im Hinblick auf das Thomasevangelium


Seminararbeit, 2004

21 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


Das Thomasevangelium und das Neue Testament

Die Entdeckung

1945 wurde in Nag Hammadi, einem kleinen Ort in Oberägypten ein erstaunlicher Fund gemacht: dreizehn Bände, die auf über 1200 Seiten 53 Schriften enthalten; alle sind in koptischer Sprache verfasst worden, die jedoch nicht das Original ist.[1] Die Handschriften stammen aus dem frühen 4. Jahrhundert, die Texte selbst sind jedoch älter, (1. – 4. Jh. n.Chr.).

Die einzelnen Schriften stellen unterschiedliche Formen des gnostischen Denkens dar. Gnostizismus – von griechisch „gnosis“, „Erkenntnis“ – war eine religiös-philosophische Bewegung im 2. und 3. Jahrhundert. Obwohl sich die meisten gnostischen Richtungen zum Christentum bekannten, unterschieden sie sich maßgeblich vom Glauben der Frühkirche. Den Gnostikern nach fielen Funken oder Samen des Göttlichen Wesens aus der transzendenten geistigen Sphäre in die materielle böse Welt. Durch die Wiedererweckung des göttlichen Elements mit Hilfe von Erkenntnis könnte der Mensch in seine Heimat, den spirituellen Bereich des Transzendenten, zurückkehren.[2] Ob die Lehren der Gnosis bereits vor Christus existierten, ist schwer zu bestimmen. Allerdings gibt es Texte, die keinerlei Bezug zum christlichen Denken haben und man deshalb annehmen könnte, dass die Gnosis möglicherweise ein vorchristliches Phänomen sei.[3]

Gnostiker ist im Sinne des hl. Paulus jener, der zu einer tieferen Erkenntnis des Glaubens gelangt ist. Zu der Auseinandersetzung des Christentums mit dem Gnostizismus sagt Christoph Schönborn: „Die Gnosis ist eine radikale Umdeutung des Christentums, die sich der christlichen Stoffe zwar bedient, dabei aber deren Sinn von Grund auf ändert… Wie es scheint, hatten die Gnostiker Sammlungen von Schriftzeugnissen zusammengestellt, die zum Beweis dafür herhalten sollten, dass die Schrift die Wiedergeburt lehrt.“[4]

Nach der Lehre der christlich geprägten Gnostiker konnte man den Gott des Alten Testament mit dem Gott des Neuen Testament nicht gleichsetzen. Die Gnostiker gingen davon aus, dass Christus als göttlicher Geist im Körper des Jesus lebte. Dadurch entwickelte sich eine eigene Interpretation des Wirkens Jesu. Möglicherweise ist auf dieser Basis das Thomasevangelium entstanden: „Einige Logien weisen auf gnostischen Charakter des Thomasevangelium hin (Log 28: Notwendigkeit der Erleuchtung; Log 21, 27, 56, 80, 110, 111: Weltverachtung; Log 49: Erinnerung an den Ursprung; Log 50: gnostischer Katechismus), aber vieles spricht gegen eine gnostische Ausrichtung des gesamten Thomasevangeliums. So fehlt beispielsweise die typische gnostische Mythologie, und viele der Logien sind nicht-gnostisch. Es ist zwar möglich das Thomasevangelium – ähnlich wie das Johannesevangelium – gnostisch zu lesen, zwingend ist dies jedoch nicht.“[5]

Das Thomasevangelium ist eine Spruchsammlung aus 114 Logien, die Jesus zugeschrieben werden. Dies wird nicht selten angezweifelt, obwohl viele der Logien entsprechende Stellen in den synoptischen Evangelien haben. Ebenfalls ist es fraglich, ob das Evangelium tatsächlich von Thomas, dem Apostel Jesu stammt. Nicht auszuschließen ist, dass die Spruchsammlung von einem Schüler Thomas’ niedergeschrieben worden ist.

Der Entstehungsraum weist auf Syrien hin, wenn man die terminologische Nähe zum Johannesevangelium betrachtet, (den Tod nicht schmecken: Log 1. Johannes 8,52; es werden Tage kommen, wo ihr mich suchen und nicht finden werdet: Log 38. Johannes 7,34; ich bin das Licht, das über allen ist: Log 77. Joh. 8,12).[6]

Der Katholischen Glaubensinformation nach ist das Thomasevangelium zum größten Teil keine „Erstquelle“, sondern steht in Abhängigkeit zu bereits früher entstandenen Evangelien.[7] Dazu zählen die drei synoptischen und das Johannesevangelium. Viele Exegeten halten jedoch das Thomasevangelium für authentisch und glaubwürdig, gerade aufgrund der oft radikalen Charakter einiger Logien.

Ein apokryphes Evangelium

Der Kanonisierungsprozess hatte zur Folge, dass einige christliche Schriften in den biblischen Kanon aufgenommen wurden, andere wiederum nicht. Zu den abgelehnten Schriften zählt auch das Thomasevangelium; es wird den apokryphen Evangelien zugeordnet, die zum Teil als gnostisch zu verstehen sind.

Ab ungefähr 150 n.Chr. stellte sich die Frage, welche Schriften den christlichen Gemeinden verbindlich sind und als Teile der „Heiligen Schrift“ bezeichnet werden könnten. Die Vielfalt der Texte war groß und die Auswertungen dauerten gut 200 Jahre. Auf dem Konzil von Nicäa 325 n.Chr. kam es zu einem vorläufigen Abschluss der Analysen. Die dogmatische institutionelle Richtung innerhalb des Christentums hatte sich behauptet und schloss die Gnostiker und die gnostischen Schriften aus. Schriften, wie das Evangelium nach Thomas entsprachen nicht der heilsgeschichtlichen Perspektive. Beim genauen Betrachten der 27 Schriften, die in das NT ihren Eingang fanden, kann man nicht sagen, dass diese keine gnostische Merkmale aufweisen.[8]

Immer öfter wird die Frage gestellt, ob die nichtkanonischen Texte authentische Jesusüberlieferungen enthalten. Dabei wird vor allem dem Thomasevangelium ein zum Teil hoher historische Wert zugebilligt. Aber auch das hängt davon ab, inwiefern die Spruchsammlung von den synoptischen Evangelien abhängig ist. „Grundsätzlich ist keineswegs auszuschließen, dass auch nichtkanonische Evangelien authentische Jesusüberlieferungen enthalten könnten; doch unterliegen insbesondere gnostischem Denken nahestehende Logien dem Verdacht, sich einer späteren Uminterpretation älterer Überlieferung zu verdanken.“[9]

Einige Exegeten, wie Crossan sind davon überzeugt, dass das Thomasevangelium mehr über Jesus aussagt als das NT.[10] Ich möchte hier jedoch nicht weiter auf die Fragen eingehen, in wie weit das Thomasevangelium „echt“ oder „unecht“ erscheinen mag, noch darauf, ob die Kirche dieses in ihrem Kanon aufnehmen sollte oder nicht. Bis heute gibt es keine eindeutigen und endgültigen Beweise um die eine oder andere These definitiv zu untermauern.

Reinkarnation im Neuen Testament?

Wäre es möglich auf Spuren der Reinkarnation im Neuen Testament zu stoßen?

Einen Wink in diese Richtung gibt uns eine Stelle im Johannesevangelium. Jesus und seine Jünger treffen einen Blinden. Die Jünger fragen Jesus: „Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde?“ Jesus antwortete: „Weder dieser hat gesündigt noch seine Eltern; sondern die Werke Gottes sollen offenbar werden an ihm.“ (Johannes 9,1 – 9,3). Hier sehen wir, dass Jesus zwar jeglichen Zusammenhang, das auf Wiedergeburt oder Karma schließen könnte zurückweist, jedoch lässt sich anhand der Frage der Jünger erkennen, dass das Wissen um Wiedergeburt und Karma nicht unbekannt war.[11] Das Wissen um die Wiedergeburt bestätigen noch andere Textstellen, wo Johannes der Täufer als wiederverkörperter Elia oder Jesus als die Reinkarnation Johannes des Täufers angesehen werden, (Markus 6,16 und Lukas 9,19). Konrad Dietzfelbinger suggeriert in seinem Buch „Die Bibel“, dass falls Jesus nicht eindeutig die Lehre der Wiedergeburt formuliert hatte, „so kann das den Grund gehabt haben, dass er betont den spirituellen Weg, der aus dem Rad von Geburt und Tod herausführte, darstellen wollte.“[12]

Über die Auferstehung drückt sich auch Paulus unklar aus, indem er sich von der Frage distanziert, ob man dem Irdischen letztlich im Körper oder ohne ihn entrückt, (Paulus 2 Kor. 12).

So sind einige mögliche undeutliche Andeutungen im NT zu finden, die jedoch weder von Jesus Christus noch von seinen Jüngern tiefer verfolgt werden. Ob Jesus die Lehre vom Karma und von der Wiedergeburt bekannt war, lässt sich vielleicht genauer anhand des Thomasevangeliums sagen.

Wiedergeburt im Thomasevangelium

Karma

Wenn man von der Wiedergeburt spricht, dann drängt sich der Gedanke an Karma auf. Der aus dem Hinduismus und Buddhismus stammende Begriff bedeutet im Sanskrit >Tat<. Die Lehre vom Karma drückt ein universelles Gesetz aus, nach dem unser Leben die Folge unserer früherer Handlungen darstellt.[13] Demzufolge wird ein hartes, durch Leid geprägtes früheres Leben, später durch ein glückliches Leben ausgeglichen. Wiederum die nächste Inkarnation könnte abermals von Entbehrungen und Kummer gezeichnet sein. Es ist ein Kreislauf aus dem es jedoch einen Ausweg gibt: in Form geistiger Erkenntnis und verantwortungsbewusster Handlung können wir uns diesem immer wiederkehrend Prozess entziehen. Wird der Mensch das ihm gegebene Leben zu seiner weiteren geistigen Entfaltung nutzen, Mitleid, Barmherzigkeit und Nächstenliebe zeigen, so steigt die Wahrscheinlichkeit aus dem Kreis von Tod und Wiedergeburt erlöst zu werden. Uneigennütziges Handeln ist eine der Grundvoraussetzungen für die eigene Erlösung. Zu diesem Thema schreibt Thomas Mooren, dass man seine Wünsche und Begehren aus dem Herzen entfernen sollte, denn sonst besteht der Zweck des Handelns allein darin, sich die Ergebnisse der Taten anzueignen.[14] Jedoch nicht das Haben ist für die Entwicklung des Karma relevant, sondern das Sein.

[...]


[1] vgl. Conzelmann, Lindemann, „Arbeitsbuch zum Neuen Testament“, UTB, Tübingen: Mohr Siebeck, 2000,

S. 215

[2] vgl. www.heiligenlexikon.de

[3] vgl. Conzelmann, Lindemann, „Arbeitsbuch zum Neuen Testament“, UTB, Tübingen: Mohr Siebeck, 2000,

S. 213 - 214

[4] Marxer, „Wiedergeburt: Hoffnung oder Illusion?“, Paulusverlag, Freiburg, Schweiz, 1995, S. 24 - 25

[5] Zellweger, „Das Thomasevangelium“, http://wwwuser.gwdg.de/~rzellwe

[6] vgl. Zellweger, „Das Thomasevangelium“, http://wwwuser.gwdg.de/~rzellwe

[7] vgl. Katholische Glaubensinformation, kgi, http//:www-user.uni-bremen.de/~wie/texteapo/thomas-kgi.html

[8] vgl. Dietzfelbinger, „Die Bibel“, Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen/München, 2001, S. 102 - 103

[9] Conzelmann, Lindemann, „Arbeitsbuch zum Neuen Testament“, UTB, Tübingen: Mohr Siebeck, 2000, S. 444

[10] Thiede, „Der Jesus-Papyrus“, Luchterhand Literaturverlag, München, 1996, S. 238ff.

[11] vgl. Marxer, „Wiedergeburt: Hoffnung oder Illusion?“, Paulusverlag, Freiburg, Schweiz, 1995, S. 23 – 24 und

Dietzfelbinger, „Die Bibel“, Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen/München, 2001, S. 99 - 100

[12] Dietzfelbinger, „Die Bibel“, Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen/München, 2001, S. 99

[13] vgl. „Brockhaus die Enzyklopädie“, F.A. Brockhaus, Leipzig, Mannheim, 1996, S. 510

[14] Mooren, „Die vertauschten Schädel: Tod und Sterben in Naturreligionen, Hinduismus und Christentum“,

Patmos Verlag, Düsseldorf, 1995, S. 87

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Die Idee der Wiedergeburt und der Erlösung im Hinblick auf das Thomasevangelium
Hochschule
Universität Potsdam
Note
2+
Autor
Jahr
2004
Seiten
21
Katalognummer
V65230
ISBN (eBook)
9783638578493
ISBN (Buch)
9783656794004
Dateigröße
549 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Idee, Wiedergeburt, Erlösung, Hinblick, Thomasevangelium
Arbeit zitieren
Paul Lindner (Autor:in), 2004, Die Idee der Wiedergeburt und der Erlösung im Hinblick auf das Thomasevangelium, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65230

Kommentare

  • Gast am 21.4.2014

    In Klaus Bergers "Das Neue Testament und frühchristliche Schriften" steht im Logion 29 des Thomasevangeliums (wörtlich übersetzt) folgendes:
    "Wenn der Leib (des Messias) wegen des Geistes entstanden ist, ist es ein Wunder. Wenn aber der Geist wegen des Leibes entstanden ist, dann ist es ein wunderbares Wunder"
    Nach meiner Überzeugung spricht hier Jesus über das was wir Menschwerdung Gottes nennen.
    Wenn der Leib wegen des Geistes (der Wirkung des heiligen Geistes) entstanden ist, ist es ein Wunder. Wenn aber dieser Geist nur wegen dieses Leibes entstanden ist (wenn aber vom heiligen Geist der Maria nur wegen dieses Leibes etwas von Gott genommen und in Marias Leib dorthin gelegt worden ist, wo dieser Leib dann "hin-eingeboren" worden ist, dann ist es ein "wunderbares Wunder"
    Dieses wunderbare Wunder können wir nur nachvollziehen, wenn wir unterscheiden zwischen dem göttlichen Geist (dem Gottessohn) der Maria und dem Ableger dieses göttlichen Geistes der Maria, dem Menschensohn (Gottes) von dem Jesus gerne, wie von sich selbst, gesprochen hat.
    Berthold Flößer

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