Hermann Hesses Steppenwolf, diese »Pathographie des modernen Intellektuellen« 1 , wurde immer auch als ein zeit- und kulturkritischer Roman gelesen, hängt doch der individuelle Konflikt des Protagonisten untrennbar zusammen mit seiner Abscheu vor den Auswüchsen der modernen Massen-und Industriegesellschaft und mit seiner Verzweiflung, den Untergang all dessen erleben zu müssen, was ihm kulturelle Identität und Heimat ist. Diese Zivilisationskritik ist von einer Stilisierung des einsamen und verkannten Künstler-Ichs durchzogen, in der noch die Jugendbewegung der sechziger Jahre Identifikationsmuster für ihren Protest gegen das Establishment gefunden hat. Auf diese zur Lebenshaltung erhobene Selbstisolation wird im Folgenden näher einzugehen sein, zumal sie gemeinsam mit dem Gegenentwurf des Protagonisten zum herrschenden Zeitgeist den Kontext für die im Roman geäußerte Kritik bildet. Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, Hesses Werk bloß als literarische Erhöhung des Außenseitertums oder als Aufruf zum Nonkonformismus zu betrachten, vielmehr ist es der Versöhnungs- und Toleranzgedanke, der sich letztendlich über alle Animositäten hinweg in den Vordergrund drängt. Hesse hat stets betont, dass die Geschichte des Steppenwolfs »zwar eine Krankheit und eine Krisis darstellt, aber nicht eine, die zum Tode führt, nicht einen Untergang, sondern das Gegenteil: eine Heilung«. 2 Nun stellt dies keine prinzipielle Rücknahme oder auch nur Glättung der Wogen dar, die im Verlauf der Handlung geschlagen werden, dennoch lohnt es sich, die teilweise radikale Kritik des Harry Haller nicht als etwas Absolutes zu begreifen, sondern eben auch als eine Art dramaturgische Fallhöhe, zu deren Klimax hin Harry seiner Umwelt immer weiter entfremdet wird, um sich ihr am Ende in einem mühsamen Lernprozess wieder anzunähern. Bevor aber auf der Grundlage dieser Prämissen eine eingehende Beschäftigung mit dem eigentlichen Thema dieser Arbeit, der Zeit- und Kulturkritik im Steppenwolf, stattfinden kann, gilt es noch, den historischen Referenzrahmen auszuleuchten, auf dem diese Kritik gründet. Ohne ein prinzipielles Verständnis der komplizierten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge jener Epoche, die als die Goldenen Zwanziger in die deutsche Erinnerungskultur eingegangen ist, wird Hesses Roman kaum verstanden werden können. Der anschließende Hauptteil ist dann in drei Abschnitte unterteilt: [...]
Inhaltsverzeichnis
- Problembeschreibung und Konzeption
- Der historisch-kulturelle Hintergrund: Die Zeit der »Goldenen Zwanziger«
- »Immer auf der Spur des Großen und Ewigen«: Erläuterungen zur Lebenshaltung des Protagonisten
- »Eine Welt für Politiker, Schieber und Lebemänner«: Aspekte der Zeit- und Kulturkritik im Roman
- Der Besuch beim Professor: Kritik am Bildungsbürgertum
- »Mahnend und angstvoll«: Die Ankündigung des Weltkriegs
- Abschließende Betrachtungen: Die Kritik an der Kritik
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Zeit- und Kulturkritik in Hermann Hesses Roman »Der Steppenwolf«. Sie untersucht, wie der individuelle Konflikt des Protagonisten Harry Haller mit seiner Abscheu vor der modernen Massen- und Industriegesellschaft zusammenhängt und wie er die Dekadenz seiner Zeit kritisch beleuchtet.
- Der individuelle Konflikt des Protagonisten mit der modernen Gesellschaft
- Die Kritik an den Auswüchsen der Massen- und Industriegesellschaft
- Der Kulturpessimismus in Hesses Roman
- Kritik am Bildungsbürgertum und dessen moralischem Verfall
- Der Mahnruf gegen Krieg und Kriegsgeist
Zusammenfassung der Kapitel
1. Problembeschreibung und Konzeption
Der Steppenwolf wird als ein zeit- und kulturkritischer Roman vorgestellt. Der individuelle Konflikt des Protagonisten wird mit seiner Kritik an der modernen Gesellschaft in Verbindung gebracht. Die Kritik am Establishment wird im Kontext der Selbstisolation des Protagonisten betrachtet.
2. Der historisch-kulturelle Hintergrund: Die Zeit der »Goldenen Zwanziger«
Der Erste Weltkrieg wird als Wendepunkt in der Geschichte Europas und Deutschlands beschrieben. Die Folgen für die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation werden dargestellt. Die Entstehung der Weimarer Republik und ihre Anfälligkeit für politische Radikalisierung werden beleuchtet.
3. »Immer auf der Spur des Großen und Ewigen«: Erläuterungen zur Lebenshaltung des Protagonisten
Der Protagonist Harry Haller wird als ein einsames und verkanntes Künstler-Ich dargestellt. Seine Lebenshaltung und sein Konflikt mit der Gesellschaft werden näher beleuchtet.
4. »Eine Welt für Politiker, Schieber und Lebemänner«: Aspekte der Zeit- und Kulturkritik im Roman
Die Aspekte der Hallerschen Kritik an der Dekadenz seiner Zeit werden vorgestellt. Der Kulturpessimismus des Protagonisten und seine Kritik an der modernen Gesellschaft stehen im Fokus.
5. Der Besuch beim Professor: Kritik am Bildungsbürgertum
Die Kritik des Romans an der moralischen und kulturellen Degeneration des Bildungsbürgertums wird behandelt. Der Fokus liegt auf den Auswirkungen der Dekadenz auf die Gesellschaft.
6. »Mahnend und angstvoll«: Die Ankündigung des Weltkriegs
Die im Roman enthaltene Kritik an Krieg und Kriegsgeist wird untersucht. Die Interdependenzen zwischen Krieg und der moralischen Degeneration der Gesellschaft werden beleuchtet.
Schlüsselwörter
Der Steppenwolf, Zeit- und Kulturkritik, moderne Gesellschaft, Massen- und Industriegesellschaft, Kulturpessimismus, Bildungsbürgertum, Krieg und Kriegsgeist, Dekadenz, Selbstisolation, Künstler-Ich.
- Arbeit zitieren
- Eduard Luft (Autor:in), 2006, Zeit- und Kulturkritik in Hermann Hesses »Der Steppenwolf«, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65415