Überhangmandate - Ein umstrittenes Element im Bundeswahlgesetz


Seminararbeit, 2002

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Das Wahlsystem der BRD
2. Überhangmandate
2.1 Zustandekommen von Überhangmandaten
2.2 Überhangmandate und Wahlrechtsgleichheit
3. Überhangmandate in der Kritik
3.1 Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichtes
3.2 Kritik gegen die Verfassungsmäßigkeit der Überhangmandate
3.3 Argumente für die Verfassungskonformität

III. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Anhang

I. Einleitung

Überhangmandate entstehen seit 1949 bei fast jeder Bundestagswahl. Sie tauchten in den ersten vier Wahlen von 1949 bis 1961 und in den letzten sechs von 1980 bis 1998 auf. Nachdem es bei den Bundestagswahlen 1994 erstmals 16 Überhangmandate gab, sechs waren bisher das höchste gewesen, gerieten sie in heftige Kritik, da das Wahlergebnis sehr knapp war und nur durch die große Zahl von Überhangmandaten entschieden werden konnte. Obwohl das Entstehen von Überhangmandaten im Bundeswahlgesetz festgeschrieben ist und sie somit verfassungskonform sind, fordern Kritiker ihre Abschaffung bzw. einen Ausgleich für die Parteien, die keine oder nur wenige Überhangmandate erreichen konnten. Das Bundesverfassungsgericht musste sich deshalb fortwährend mit Klagen gegen die Verfassungswidrigkeit von Überhangmandaten beschäftigen. In zwei Rechtssprechungen von 1994 und 1997 bestätigte es die Verfassungskonformität von Überhangmandaten und lehnte eine Änderung des Bundeswahlgesetzes ab. Damit war die Kritik an den Überhangmandaten aber nicht beendet. Die Diskussion flammte nach den Bundestagswahlen 1998 erneut auf, als wieder eine große Zahl, nämlich 13 Überhangmandate, auftauchten.

In dieser Arbeit werden sowohl die Argumente der Überhangmandatskritiker, als auch der Befürworter dargelegt und erläutert, mit welchen Argumenten das Bundesverfassungsgericht die Überhangmandate verteidigt.

Im ersten Teil wird kurz das besondere Wahlsystem der Bundesrepublik Deutschland dargestellt, da diese personalisierte Verhältniswahl in der Diskussion von großer Bedeutung ist.

Der zweite Teil erläutert das Zustandekommen von Überhangmandaten und inwieweit dieses im Bundeswahlgesetz festgeschriebene Element mit der Wahlrechtsgleichheit vereinbar ist.

Der letzte Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Kritik an den Überhangmandaten. Hier werden einmal die Rechtsprechungen des Bundesverfassungsgerichtes aufgezeigt, dann die Argumente der Kritiker dargelegt, die diese Urteile ablehnen und schließlich, wie die Befürworter der Überhangmandate ihre Verfassungskonformität erklären.

II. Hauptteil

1. Das Wahlsystem der BRD

Im Bundeswahlgesetz ist festgeschrieben, dass der Deutsche Bundestag aus 656 Abgeordneten besteht. Diese werden je zur Hälfte in den Wahlkreisen und über die Landeslisten der Parteien gewählt. Das Wahlsystem in der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet man als personalisiertes Verhältniswahlsystem. Es ist eine Mischung aus Mehrheits- und Verhältniswahl, bei der jeder Wähler zwei Stimmen hat. Mit der Erststimme wird nach der Mehrheitswahl der Wahlkreisabgeordnete gewählt. Es gewinnt der Kandidat, der die einfache oder relative Mehrheit hinter sich bringen kann. Da es in der Bundesrepublik 328 Wahlkreise gibt, ziehen auf diese Weise 328 Abgeordnete direkt in den Bundestag ein. Deshalb nennt man dieses Mandat auch Direktmandat.

Mit der Zweitstimme wählt man die Landesliste der Parteien nach der Verhältniswahl. Mit Hilfe des Hare-Niemeyer-Verfahrens1 wird festgestellt, wie viele Sitze bzw. Mandate den einzelnen Parteien im Deutschen Bundestag zustehen. Auf diese Weise werden die restlichen 328 Sitze vergeben.2

Nach Abzug der Direktmandate, werden die restlichen Mandate bzw. Sitze mit den Kandidaten der Landesliste aufgefüllt. Die Aufteilung dieser Mandate auf die einzelnen Bundesländer, d.h. wie viele Abgeordnete aus den einzelnen Bundesländern in den Bundestag einziehen, wird wiederum durch das Hare-Niemeyer-Verfahren errechnet.3

2. Überhangmandate

2.1 Zustandekommen von Überhangmandaten

Hat eine Partei in einem Land mehr Wahlkreismandate mittels der Erststimmen erzielen können, als ihr nach dem Verhältnis der in diesem Land für alle Parteien abgegebenen Zweitstimmen zustehen, so erhält diese Partei sogenannte Überhangmandate. Dies kann weder bei einem reinen Mehrheitswahl-, noch bei einem reinen Verhältniswahlsystem passieren. Bedingung hierfür ist eine Kombination aus beiden Systemen, wie es in der Bundesrepublik mit dem personalisierten Verhältniswahlsystem der Fall ist.4

Die Größe des Wahlkreises, das Wählerverhalten und Zufälle bei der Reststimmenverwertung sind drei Faktoren, die für das Entstehen von Überhangmandaten verantwortlich sein können, wobei zu berücksichtigen ist, dass das Zusammenwirken dieser drei eher dazu führt, als ein Faktor alleine.

Laut Bundeswahlgesetz sollen alle Wahlkreise gleich groß sein, d.h. ungefähr die gleiche Zahl an Bewohnern haben. Eine Abweichung der Bevölkerungszahl um höchstens 33 % ist hierbei zulässig. Gibt es in einem Wahlkreis unterdurchschnittlich wenig Wahlberechtigte, kann eine Partei mit relativ wenigen Stimmen ein Direktmandat erreichen. Summieren sich diese wählerarmen Wahlkreise in einem Bundesland, verschiebt sich das Verhältnis zwischen Direkt- und Listenmandaten zugunsten der Direktmandate. Die Wahrscheinlichkeit mehr Direktmandate zu erlangen, als einem nach Zweitstimmen zustehen wächst.5

Der zweite mögliche Faktor ist das Wählerverhalten. Eine unterdurchschnittliche Wahlbeteiligung in einem oder mehreren Ländern begünstigt die Entstehung von Überhangmandaten, im Gegensatz zu einer bundesweit gleich hohen Wahlbeteiligung.6

Das Stimmensplitting ermöglicht dem Wähler mit seiner Zweitstimme nicht die Partei zu wählen, der der Kandidat angehört, der mit der Erststimme gewählt wurde. Dieses (bewusste) Stimmensplitting kann dazu führen, dass eine Partei durch die Erststimme mehr Direktmandate erreicht, als ihr nach Zweitstimmen zustehen.7

„Kandidieren in den Wahlkreisen mehr als zwei Bewerber um das Direktmandat, so kann bereits eine Mehrheit von deutlich unter 50 % zur Erlangung eines Parlamentssitzes ausreichen. [...] So kann [die Partei] auf diesem Wege erheblich mehr Sitze erlangen, als ihr nach dem Verhältnis der auf sie entfallenen Stimmen zusteht.“8

Bei der Reststimmenverwertung können Überhangmandate entstehen, wenn der Quotient beim Zweistimmenverhältnis weniger Listenmandaten entspricht, als Direktmandate erlangt wurden.9

Entstandene Überhangmandate bleiben den Parteien erhalten. Die Gesamtzahl der Abgeordneten im Deutschen Bundestag erhöht sich somit um die Anzahl der Überhangmandate. Dies ist im Bundeswahlgesetz in § 6 Absatz 5 geregelt.10

Überhangmandate und Wahlrechtsgleichheit

Die Wahlrechtsgrundsätze sind in den Artikeln 38 Absatz 1 und 28 Absatz 1 des Grundgesetzes festgeschrieben. Artikel 38 Absatz 1 legt fest, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt werden. In Artikel 28 Absatz 1 steht, dass das Volk eine Vertretung haben muss, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist.

Auch das Bundeswahlgesetz, das am 7. Mai 1956 erlassen wurde und bis heute gilt, besagt in § 1 Absatz 1, dass die Abgeordneten in allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen gewählt werden. Auch hier sind also die Wahlrechtsgrundsätze festgeschrieben.

[...]


1 Beim Hare-Niemeyer-Verfahren, oder System der mathematischen Proportion, werden die zu vergebenden Abgeordnetensitze mit der Zahl der Zweitstimmen der einzelnen Parteien multipliziert und durch die Gesamtzahl der Zweitstimmen aller an der Verteilung teilnehmenden Partein (d.h. die Parteien, die mindestens 3 Direktmandate erreichen oder über die 5%-Sperrklausel kommen) dividiert. Rechenbeispiel anhand der Sitzverteilung der letzten Bundestagswahl 1998 siehe in Anhang 1.

2 Seit der Änderung des Bundeswahlgesetzes 2001 hinsichtlich der Abgeordnetenzahl und Anzahl der Wahlkreise, werden ab der Bundestagswahl im September 2002 nur noch 598 Abgeordnete gewählt. Die Anzahl der Wahlkreise wurde dementsprechend auf 299 verringert.

3 Rechenbeispiel anhand der Aufteilung auf die einzelnen Bundesländer bei der Bundestagswahl 1998 siehe in Anhang 2.

4 Vgl.: Mager, Ute/Uepmann, Robert: Überhangmandate und Gleichheit der Wahl. In: Deutsches Verwaltungsblatt. 110. Jahrgang 1995. Seite 273.

5 Vgl.: Ebenda, Seite 273 – 274.

6 Vgl.: Papier, Hans-Jürgen: Überhangmandate und Verfassungsrecht. In: Juristenzeitung. 51. Jahrgang 1996. Seite 267.

7 Vgl.: Mager/Uerpmann: Überhangmandate und Gleichheit der Wahl. Seite 274.

8 Ebenda, Seite 274.

9 Vgl.: Jesse, Eckhard: Grundmandatsklausel und Überhangmandate. Zwei wahlrechtliche Eigentümlichkeiten in der Kritik. In: Kaase, Max/Klingelmann, Hans-Dieter (Hrsg.): Wahlen und Wähler. Analysen aus Anlaß der Bundestagswahl 1994. Opladen 1998. Seite 26.

10 § 6 Absatz 5 besagt: „In den Wahlkreisen errungene Sitze verbleiben einer Partei auch dann, wenn sie die nach den Absätzen 2 und 3 ermittelte Zahl übersteigen. In einem solchen Falle erhöht sich die Gesamtzahl der Sitze (§ 1 Abs. 1) um die Unterschiedszahl; eine erneute Berechnung nach den Absätzen 2 und 3 findet nicht statt.“
Siehe: Schreiber, Wolfgang: Handbuch des Wahlrechts zum Deutschen Bundestag. Kommentar zum Bundeswahlgesetz unter Einbeziehung der Bundeswahlordnung, der Bundeswahlgeräteverordnung und sonstiger wahlrechtlicher Nebenvorschriften. 5. völlig überarbeitete Auflage. München u.a. 1994. Seite 181.

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Überhangmandate - Ein umstrittenes Element im Bundeswahlgesetz
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Note
1,7
Autor
Jahr
2002
Seiten
15
Katalognummer
V65484
ISBN (eBook)
9783638580410
ISBN (Buch)
9783656335290
Dateigröße
520 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Element, Bundeswahlgesetz
Arbeit zitieren
Matthias Wies (Autor:in), 2002, Überhangmandate - Ein umstrittenes Element im Bundeswahlgesetz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65484

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