Nonverbale Kommunikation in der Integrationsklasse


Diplomarbeit, 2005

99 Seiten, Note: Sehr gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

Theoretische Einführungen

1 Definition von Behinderung
1.1 Definition von Schwerstbehinderung

2 Definition der Integration
2.1 Gesetze zur Integration
2.2 Thesen zu Integration von Georg Feuser
2.3 Von der Integration zur Inclusion – eine Schule für alle

3 Kinder mit schweren Behinderungen in der Schule
3.1 Schulische Situation von schwerstbehinderten Kindern in Graz

4 Wesensmerkmale der Kommunikation
4.1 Die Notwendigkeit zu kommunizieren

5 Unterstützte Kommunikation (UK)
5.1 Prinzipien Unterstützter Kommunikation
5.2 Kommunikationshilfen
5.3 Beispiele nonverbaler Kommunikationstechniken
5.3.1 Körpereigene Kommunikationsformen
5.3.2 Externe Kommunikationshilfen
5.3.3 Graphische Zeichen
5.3.4 Elektronische Kommunikationshilfe
5.4 Kommunikationssystem in Jonas Klasse
5.4.1 Jona erzählt von zuhause
5.4.2 Jona kommuniziert mit der Studentin

6 Zukunftsperspektiven für Jona
6.1 Selbstbestimmtes Leben Werte, die durch Selbstbestimmung unterstützt werden Selbstbestimmung schreit nach einer Systemänderung
6.2 Persönliche Assistenz Empirischer Teil

7 Die Methode
7.1 Einzelfallanalyse
7.2 Fünf Punkte meiner Einzelfallanalyse
7.3 Methoden der Einzelfallanalyse
7.3.1 Interviews
7.3.1.1 Interviewleitfaden
7.3.1.2 Auswertung der Interviews
7.3.2 Fragebogen der Mitschüler/innen
7.3.2.1 Auswertung der Fragebögen
7.3.3 Persönliche Lebenskurve
7.3.4 Auswertung der ärztlichen Gutachten
7.3.5 Therapien

8 Fallzusammenfassung und Fallstrukturierung

9 Schlusswort

Literaturverzeichnis

Internetliteratur

Abbildungsverzeichnis

ANHANG

Vorwort

Das bin ICH - Jona stellt sich vor

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hallo!

Mein Name ist Jona[1]. Ich wurde im April 1995 in Graz geboren. Ich wollte schon drei Monate früher aus dem Bauch meiner Mama. Das war aber leider nicht so gut für mich, weil ich dann eine Zeit lang ziemliche Probleme hatte. Meine Atmung funktionierte nicht richtig. Ich musste lange im Brutkasten liegen. Und das Schlimmste von allem, ich konnte nicht bei meinen Eltern sein. Das war auch für Mama und Papa sehr schlimm! Als ich dann zu Hause war, hörten die Sorgen für meine Familie leider nicht auf. Ich bekam epileptische Anfälle, das sind so Krämpfe am ganzen Körper, und meine Entwicklung verlief nicht so, wie das bei den meisten Kindern der Fall ist. Deshalb nennen mich die anderen „behindert“. Meine Eltern finden das aber gar nicht, die finden mich ganz „normal“ und ich sehe das auch so. Also, es ist so: Ich kann viele Dinge nicht, die andere Kinder können, zum Beispiel gehen, sprechen, sitzen. Ich habe einen Rollstuhl, in dem ich mich fortbewege und den finde ich ziemlich cool. Ich kann Sachen, die andere dafür nicht so gut können. Zum Beispiel habe ich sehr, sehr feine Ohren, und ich kann verschiedene Waschmaschinen und Geschirrspüler am Geräusch unterscheiden. Und so kann eben der eine das und der andere etwas anderes besonders gut. Deshalb mag ich es nicht, wenn die Leute mich anstarren und sich denken: „Der arme Kerl!“ Ich bin nämlich nicht arm, sondern ziemlich zufrieden mit meinem Leben. Ich bin eben so wie ich bin, und das ist gut so. Inzwischen bin ich schon zehn Jahre alt. Ich gehe in die vierte Klasse Volksschule, in eine Integrationsklasse. Dort gefällt es mir sehr gut, meine Klassenkolleg/innen sind alle sehr lieb und auch meine Lehrerinnen und meine Betreuerin. Ich gehe sehr gerne in die Schule. Am Nachmittag bin ich in einem Schulheim, wo ich meine Therapien habe, mein Mittagessen bekomme und viel Spaß mit den Betreuer/innen und anderen Kindern habe. Am Wochenende bin ich manchmal bei meinem Opa, den ich sehr gerne habe, oder mein Papa geht mit mir raus in den Hof mit den anderen Kindern Fußball spielen. Da bin ich der Tormann, und gar kein schlechter…Oft mache ich einen Ausflug mit Mama, Papa, meinem kleinen Bruder Josef und mit Freunden von meinen Eltern. Also, ich habe ein ziemlich normales Leben, und das ist gut so!!!!

Mein Steckbrief

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einleitung

Ich habe dieses Thema gewählt, weil ich mich schon immer sehr für die Thematik „Schwerstbehinderte Kinder in der schulischen Integration“ interessiert habe, vor allem weil ich mitbekommen habe, dass sich viele Lehrer/innen vor dieser Thematik „fürchten“ und scheuen. Besonders interessierte mich zusätzlich der Aspekt der nonverbalen Kommunikation. Da ich Jona schon seit vier Jahren persönlich kenne und auch in seiner Klasse ein Semester unterrichten durfte, schien es für mich perfekt, diese drei Aspekte der Schwerstbehinderung, Integration und der nonverbalen Kommunikation in einer Arbeit zu vereinigen. Die Problemstellung dieser Arbeit ist es, anhand dieses Einzelfalles, die Bedeutsamkeit einer funktionierenden Integration zu veranschaulichen. Hierfür wird der Fall von Jona, einem schwerstbehinderten, nonverbalen Kindes, beschrieben, das trotz seiner Behinderung gut im Klassenverband integriert ist. Dazu wählte ich die Methode der Einzelfallanalyse. In dieser Methode finden sich mehrere Aspekte, einen einzelnen Fall genauesten zu durchleuchten. Die Komplexität des ganzen Falles, die Zusammenhänge der Funktions- und Lebensbereiche in der Ganzheit der Person und der historischen, lebensgeschichtliche Hintergrund sollen hier betont werden. Fallanalysen stellen eine entscheidende Hilfe dar bei der Suche nach relevanten Einflussfaktoren und bei der Interpretation von Zusammenhängen (siehe Mayring, 2002, S.42). Das Material für Fallanalysen kann sehr vielfältig sein. In dieser Arbeit wurden folgende Methoden bzw. Materialien verwendet: Interviews mit Mutter und Sonderschullehrerin, Fragebögen an die Mitschüler/innen, von Ärzten erhobene Krankengeschichten (Anamnesen), persönliche Lebenskurve und die Erfolgs- bzw. Misserfolgsquote diverser Therapien.

Diese Arbeit soll angehenden Lehrer/innen Mut machen, Herausforderungen in ihrem Beruf anzunehmen und zu versuchen aus jeder neuen Situation das Bestmögliche zu machen. Jedes behinderte Kind ist in seinem Wesen individuell und dies gilt es herauszufinden, was das jeweilige Kind für sich benötigt.

Im ersten Kapitel werden zunächst die Begriffe Behinderung und Schwerstbehinderung definiert.

Das zweite Kapitel definiert den Begriff „Integration“, führt die Gesetze zur Integration und den integrativen Unterricht nach den Thesen von Georg Feuser näher aus. Weiteres spricht das zweite Kapitel ein wichtiges Thema an, von dem in letzter Zeit auch immer mehr in der Öffentlichkeit die Rede war, nämlich der Begriff Inclusion (von der Integration zur Inclusion) und „Pädagogik der Vielfalt“. Das bedeutet, dass sich alle Schulen und Schulsysteme strukturell so verändern und für alle Kinder offen stehen, um als inklusive Schule alle Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung zu integrieren und ihnen gemeinsames Lernen zu ermöglichen.

Das dritte Kapitel spricht speziell die schulische Integration von schwerstbehinderten Kindern an. Hier hat sich die Autorin vor allem mit Jutta Schöler auseinandergesetzt. Jutta Schöler schreibt hier in einem ihrer Bücher (siehe Schöler, 1987, S. 231-240):

„Einige Kinder haben so große Defizite, dass sie nicht in der Lage sind, die Lernziele aller anderen Schüler und Schülerinnen auch nur annähernd zu erreichen. Dennoch gibt es keine Begründung dafür, ein Kind als nicht lernfähig zu bezeichnen. Man würde diesem Menschen das Menschsein absprechen.“

Danach folgen Einblicke in die schulische Situation von schwerstbehinderten Kinder in Graz. Diese Informationen wurden in einem Gespräch mit einer Mitarbeiterin des steirischen Landesschulrates eruiert. In diesem Punkt findet der/die Leser/in auch Ausschnitte des Interviews mit der Mitarbeiterin des Landesschulrates über die schulische Situation von schwerstbehinderten Kindern in Graz zusammengefasst.

Das vierte Kapitel befasst sich mit allgemeinen Aspekten und der Notwendigkeit der Kommunikation.

Im fünften Kapitel werden die Prinzipien der „Unterstützten Kommunikation“ detailliert beschrieben. Es werden Beispiele der Kommunikationshilfen und -techniken angeführt. Weiteres wird das Kommunikationssystem in Jonas Klasse genau beschrieben und mit Beispielen dargelegt.

Das sechste Kapitel bietet eine Beschreibung des Verfahrens der „Persönlichen Zukunftsplanung“. Dies könnte den Eltern als Entscheidungshilfe für die weitere Zukunft Jonas dienen. Weiters werden die Begriffe „Selbstbestimmtes Leben“ und „Persönliche Assistenz“ genauer beschrieben und erläutert.

Im siebten Kapitel wird die empirische Untersuchung (Einzelfallanalyse) genau beschrieben, die Methoden vorgestellt und die Interviews und deren Auswertung diskutiert. Zusätzlich wird die persönliche Lebenskurve analysiert, ärztliche Gutachten vorgestellt und interpretiert und die Therapien beschrieben und auf ihre Erfolge bzw. Misserfolge überprüft.

Zum Schluss erfolgt im achten Kapitel eine Gesamtdarstellung des Falles. Dieses stellt auch eine Zusammenfassung der wichtigsten Erkenntnisse dar.

Im Kapitel 9 folgen abschließende Schlussworte.

Theoretische Einführungen

1 Definition von Behinderung

Wenn wir uns fragen: „Was ist Behinderung ? Wer ist behindert?“, scheint die Frage klar zu beantworten zu sein. Wir sind der Meinung, dass jemand der im Rollstuhl sitzt, behindert ist. Ist aber auch jemand, der so kurzsichtig ist, dass er selbst die großen Buchstaben des Lesebuches dicht vor die Nase halten muss, um sie entziffern zu können, und der mit einer Brille fast wieder „normal“ sehen kann, wird der auch als behindert, als sehbehindert deklariert?

Aus dieser kurzen Erläuterung wird klar, dass es keinen einheitlich, allgemein anerkannten Begriff für Behinderung gibt und dass die verschiedenen Behinderungsbegriffe unterschiedliche Folgen für die betroffenen Personen hinsichtlich ihrer sozialen und gesellschaftlichen Integration (im weitesten Sinne) haben.

Es ist klar, dass ein Zusammenhang zwischen Behinderung und gesellschaftlichem Umfeld besteht. Bach (1985, zit. n. Sander, 1998, S. 77) stellt dazu fest: „Behinderung ist ihrem Wesen nach keine Eigenschaft, sondern eine Relation zwischen individualen und außerindividualen Gegebenheiten.“

Bach, Bleidick und andere namhafte Vertreter der bundesdeutschen Sonderpädagogik wirkten im Ausschuss „Sonderpädagogik“ des Deutschen Bildungsrates bei der Erarbeitung der viel zitierten Empfehlung „Zur sonderpädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher“ zusammen, die im Oktober 1973 verabschiedet und seither mehrfach wiederaufgelegt wurde (Sander, 1998, S. 78):

„Als behindert im erziehungswissenschaftlichen Sinne gelten alle Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die in ihrem Lernen, im sozialen Verhalten, in der sprachlichen Kommunikation oder in den psychomotorischen Fähigkeiten so weit beeinträchtigt sind, dass ihre Teilhabe am Leben der Gesellschaft wesentlich erschwert ist. (…)“

(Deutscher Bildungsrat, 1979, S. 32, zit. n. Sander, 1998, S. 78)

Die Formulierung lässt durchscheinen, dass Behinderung auf Grund von Schädigungen oder von Beeinträchtigungen wichtiger menschlicher Funktionen entsteht. Die Behinderung eines Menschen ist nicht identisch mit seiner – medizinisch oft genau fassbaren – Schädigung, und sie ist auch nicht linear abhängig von der Schädigung; vielmehr wird sie von anderen, außerindividualen Bedingungen wesentlich bestimmt (Sander, 1998, S. 78).

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat nach langen Vorarbeiten 1980 eine „International Classification of Impairments, Disabilities and Handicaps“ vorgelegt, die die außerindividualen Bedingungen systematisch berücksichtigt. Zudem wird darin der Zusammenhang zwischen Schädigung und Behinderung thematisiert (Sander, 1998, S. 78).

Zur Beschreibung von Behinderung (letzte Fassung 1980) werden drei Dimensionen der Betrachtung unterschieden (Bleidick 1998, S.11).

- Impairment : Schädigung von Organen oder Funktionen des Menschen;
- Disability: Beeinträchtigung des Menschen, der auf Grund seiner Schädigung in der Regel eingeschränkte Fähigkeiten im Vergleich zu nicht geschädigten Menschen gleichen Alters besitzt;
- Handicap: Benachteiligung des Menschen im körperlichen und psychosozialen Feld, in familiärer, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht auf Grund seiner Schädigung und Beeinträchtigung.

1.1 Definition von Schwerstbehinderung

Ist es notwendig, den Begriff „schwerstbehindert“ genau zu definieren?

Im Alltagsgebrauch kennen wir verschiedene Bezeichnungen für schwere Behinderung: schwerst-geistig behindert, schwerstbehindert, schwerstmehrfachbehindert, extrem behindert oder schwerst cerebral bewegungsgestört.

Die Diskussion von Schweregraden des Behindertseins scheint ein Problem grundlegender Art zu sein, denn wie im vorherigen Kapitel festgestellt wurde, gibt es keine allgemein gültig anerkannte Definition der Behinderung.

Es ist auch nicht erwünscht, dass für alle Zeiten allgemeingültig festgelegt werde, wer als behindert zu gelten hat und wer nicht. Die Tatbestände Behindertsein und Behinderung sind sozial vermittelt: Soziale Normen, Konventionen und Standards bestimmen darüber, wer behindert ist. Der Begriff der Behinderung selbst unterliegt einem handlungsgeleiteten Erkenntnisinteresse. Darum sind Aussagen darüber, wer gestört, behindert, beeinträchtigt, geschädigt ist usw., relativ von gesellschaftlichen Einstellungen und diagnostischen Zuschreibungen abhängig (Bleidick 1998, S. 18-19).

Schwerste Behinderung lässt sich mit Hilfe des Konzeptes der Lebensformen folgendermaßen definieren: Gemeint sind Menschen, die diesbezüglich auf umfassende Unterstützung angewiesen sind, weil sie hier kaum Autonomie entwickelt haben. Dies umfasst die Befriedigung körperlicher Bedürfnisse (wie Pflege usw.), die Bewegung, die Betätigung wegen interessanter Effekte, Fertigkeiten, Gestaltung ihres Lebensumfeldes und des Austausches von Mitteilungen. Mit dem Modell der Lebensformen gelingt es auch, die Problematik einer Begrenzung dieser Menschen auf eine eng und nur medizinisch verstandene Pflege nachzuweisen: Sie würden damit nur auf ihre organismischen Bedürfnisse reduziert, es würde nicht respektiert, dass sie auch Bildung benötigen, um sich (durch interessante Bewegungen und Betätigungen) zu unterhalten, etwas bewirken, in einer individuell gestalteten Welt zu leben und Mitteilungen austauschen zu können[2].

Wenn hier also von Kindern mit Schwerstbehinderung gesprochen wird, so sollen damit generell die Kinder gemeint sein, deren Entwicklungsprozesse extrem erschwert sind und vielfältigere pflegerische, pädagogische und existenzsichernde Hilfe brauchen.

Fröhlich (Fröhlich, 1981, S.23) beschreibt schwerstbehinderte Kinder wie folgt (1975):

„Die betroffenen Kinder sind in der Regel nicht in der Lage, einfachste motorische Muster eigenständig zu erwerben, mit denen sie eine gewisse Eigenständigkeit erwerben könnten. Sie sind nicht in der Lage: zu gehen, zu krabbeln, bei einigen ist ein Robben in Ansätzen möglich. Sie sind nicht in der Lage, ohne Stütze zu sitzen, viele können den Kopf nicht ohne fremde Hilfe heben und in aufrechter Stellung halten. Sie können keine gezielten Greifbewegungen mit den Händen vornehmen, es persistieren primitive Massenbewegungen. Häufig ist die Muskulatur des Mund-Rachen-Raumes mit betroffen, sodaß die Funktionen des Kauens und Schluckens stark beeinträchtigt sind. An eine Selbstversorgung in den Bereichen Körperpflege, Toilette, Essen, Ankleiden etc. ist demzufolge nicht zu denken. Die Kommunikationsfähigkeit der Kinder ist durch in fast allen Fällen vorliegende Anarthrie (Unfähigkeit zu artikulieren) ebenso reduziert wie durch Beeinträchtigung der Augenmuskulatur, Mimik und Handmotorik.“

Die Schwerstbehinderung ist in der Regel eine Mehrfachbehinderung, die aus einer Verbindung von zwei oder mehreren Behinderungen (z.B. geistige Behinderung und Körperbehinderung, Blindheit oder Gehörlosigkeit) besteht, wobei der Ausprägungsgrad der einzelnen Behinderungen immer gravierend ist. Zur Schwerstbehinderung gehört immer eine geistige Behinderung (Fornefeld, 2002, S. 70).

Fornefeld bezeichnet jene behinderte Menschen als schwerstbehindert, „die sowohl in ihren motorischen als auch in ihren geistig-seelischen Fähigkeiten aufs schwerste beeinträchtigt sind, die bei allen alltäglichen Verrichtungen der Hilfe anderer bedürfen, die unter Umständen gefüttert, angezogen, gepflegt, gelagert werden müssen und die darum ihr Leben lang in besonderer Abhängigkeit von Eltern, Lehrern, Betreuern bleiben.“ (ebda. S.70)

Schwerstbehindert werden solche Menschen genannt, „die häufig nicht erwartungsgemäß auf Kontakt- und Lernangebote reagieren, die sich nicht durch aktive Sprache, sondern eher durch Laute oder mittels somatischer Erscheinungen ihres Leibes (durch Speichelfluss, Tränenflüssigkeit oder Körpergeruch) ausdrücken vermögen. Sie sind zur Verwirklichung ihrer Wünsche und Bedürfnisse in besonderer Weise auf das Verstandenwerden seitens der Bezugspersonen angewiesen“ (Fornefeld, 2002, S. 71).

2 Definition der Integration

Unter dem Begriff der „Integration“ werden gegenwärtig Fragen des gemeinsamen Lebens und Lernens behinderter und nichtbehinderter Menschen über alle Bereiche hinweg diskutiert, die die Lebensspanne eines Menschen enthalten. Integration verfolgt das Ziel der möglichst unbehinderten Teilnahme behinderter Menschen am öffentlichen Leben.

In der Pädagogik wurde die Bezeichnung Integration zunächst ausschließlich im persönlichkeits- und entwicklungspsychologischen Sinne gebraucht. Erst von den sechziger Jahren weg dringt sie, vor einem didaktischen Sinnhorizont, auch in Curriculumsdiskussionen ein. Der Begriff findet ferner Verwendung im Zusammenhang mit kritischen Auseinandersetzungen um das Selektionswesen in vertikal gegliederten Schulsystemen (vgl. Kobi, 1998, 57).

Der Begriff der sozialen Integration ist gekennzeichnet „(…) durch die dialogische Struktur der Beziehungen, in der sich sowohl der Behinderte als auch der Nichtbehinderte in wechselseitigen Interaktionen auf einen gemeinsamen Lernprozess einlassen. (…) Integration in einem sozialen Kontext bezeichnet also einen permanenten, aktiven, kreativen und dialogischen Lernprozess zu sich selbst, zur Gruppe, zur Umwelt und zur Gesellschaft, mit dem Ziel gemeinsam sich verändernder Erneuerungen“ (Schuchardt 1980, zit. n. Feyerer, 1998, S. 17).

Die Integration ist in diesem Sinne als ein dynamischer Prozess zu sehen, der eigentlich nie beendet werden kann, sondern jeden Tag aufs Neue durch die konkrete Interaktion zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen erarbeitet werden muss. Der Weg ist gleichzeitig das Ziel.

Im Wörterbuch der Pädagogik von Wilfried Böhm findet man unter „Integration“ folgende Erläuterung:

„Integration (lat.: Wiedereinbeziehung, Eingliederung in ein Ganzes) ist ein in verschiedenen Zusammenhängen gebrauchter Begriff, der heute zunehmende Bedeutung gewinnt. In der gegenwärtigen sonderpädagogischen Diskussion wird der Gedanke der Integration im Sinne einer gemeinsamen Erziehung und Bildung von behinderten und nichtbehinderten Menschen vermehrt in den Blick genommen. […] Die möglichst weitgehende Eingliederung von behinderten Menschen in die soziale Einheit soll die Trennung von Regel- und Sondererziehung aufheben und eine Aussonderung vermeiden. Auf dieser Basis werden pädagogische Grundfragen wie der Ausgleich von Individuum und Gruppe, das Verhältnis von Gleichheit und Ungleichheit, der Widerspruch von Selbstwertgefühl und gesellschaftlich definierter Tüchtigkeit in Bezug auf Behinderungen neu gestellt und gemäß dem Leitsatz der italienischen Integrationsbewegung „ tutti uguali – tutti diversi“ (alle sind gleich – alle sind verschieden) erörtert. […]“ (in Böhm, 2000, S. 263)

In der Geschichte der Pädagogik kann man dann von Integration sprechen, wenn behinderte Kinder öffentliche und solidarische Beachtung als Schüler/innen gefunden haben. Integration beansprucht demnach drei Bestimmungsstü>Begrenzt ist eine Integration, wenn nicht alle Kinder einer Gruppe integriert sind; umfassend, wenn für alle behinderten Kinder einer Gruppe Schulplätze im öffentlichen Schulwesen geschaffen werden. Schließlich ist noch zu unterscheiden, ob in das Schulwesen, in Schulen und in den Unterricht integriert wird. Die Integration in das Schulwesen gilt als Vorbedingung für die Integration in den Unterricht (vgl. Möckel, 1998, S. 30/31).

Der Begriff „Integrationspädagogik“ steht für eine neue Sichtweise zur Erziehung und Unterrichtung Behinderter sowie für einen veränderten Auftrag in Vorschule und Schule.

„Integrationspädagogik“ ist ein Substitutionsbegriff; in ihm ist die Aufhebung der Sonderpädagogik begriffslogisch enthalten. Als Ziel verfolgt Integrationspädagogik die Überwindung aussondernder Einrichtungen sowie deren pädagogischer Konsequenzen zugunsten gemeinsamen Lernens und Lebens. Damit verbinden sich weitreichende strukturelle Veränderungen im Schul- und Bildungswesen (vgl. Eberwein, 1998, S. 45).

In neuerer Zeit verlagerte sich das Gewicht mehr auf den innerschulischen, das heißt den lern- und lehrpsychologischen Bereich. Bemühungen um ein „integratived curriculum“ (im Gegensatz zu Fächerung) und ein „integrated learning system“ (verstanden als Verbundsystem verschiedenartiger Lehr-/Lernformen in Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel), und eine „comprehensive school“ erfuhren in der Nachkriegszeit via USA und Skandinavien, zum Teil auch über das sozialistische Schulwesen auch im deutschsprachigen Kulturraum eine Wiederbelebung (Eberwein, 1998, S. 57).

2.1 Gesetze zur Integration

Die Menschenrechtskonvention (MRK) zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Artikel 2 (1950/1958) beschloss: Das Recht auf Bildung darf niemandem verwehrt werden.

„Der Genuss, der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten, ist ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sonstigen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder ein sonstiger Status zu gewährleisten.“ [3]

Der Staat hat bei Ausübung, der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben, auf das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.

Leider ist es in Österreich noch immer so, dass so genannten „schulunfähigen“ Kindern (§ 15 Schulpflichtsgesetz) das Recht auf Bildung verweigert wird. Da die MRK keinerlei Ausnahmen zulässt, ist § 15 Schulpflichtgesetz verfassungs- und konventionswidrig. Sollten (schwer)behinderte Kinder auf dieser Grundlage gegen den Willen der Eltern am Schulbesuch gehindert werden, könnte der Verfassungsgerichtshof und gegebenenfalls danach auch der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (Straßburg) angerufen werden.

Mit 14. August 1997 wurde mit Bundesverfassungsgesetz BGBl. I Nr. 87/1997 Art. 7 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes wie folgt ergänzt:

„Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des alltäglichen Lebens zu gewährleisten.“

Schon seit 1993 gehört die soziale Integration behinderter Kinder zu den Aufgaben der österreichischen Schule. Die ehemals nur für die Volksschule verankerte Verpflichtung wurde nun auch auf die Hauptschule und AHS ausgedehnt. Diese gesetzlichen Regelungen sind für Lehrer/innen und Direktor/innen bindend. Sie legen deren Dienstpflichten fest.

Integration ist nicht von ihrem Belieben oder ihrer persönlichen pädagogischen Überzeugung abhängig: Sie ist zu verwirklichen!

2.2 Thesen zur Integration von Georg Feuser

Feuser entwickelte folgende Thesen zur gemeinsamen Erziehung, Bildung und Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher in Kindergarten und Schule (Integration)(Feuser, 1996, bidok):

1.) Integration umschreibt die Idee vom Erhalt bzw. der Wiederherstellung gemeinsamer Lebens- und Lernfelder für behinderte und nichtbehinderte Menschen, um der Erweiterung der Entwicklungsmöglichkeiten aller willen.

2.) Integrativer pädagogischer Arbeit geht es (in Anlehnung an E. Séguin, 1812-1880) um

- die „Wiederherstellung der Einheit des Menschen in der Menschheit“ und
- die „Wiederherstellung der Einheit unserer zusammenhangslos gewordenen Mittel und Werkzeuge der Erziehung“. Sie ist Reformpädagogik.

Ihre Ziele lassen sich als Bemühen um „Humanisierung“ und Demokratisierung“ des gesamten Erziehungs-, Bildungs- und Unterrichtswesens zusammenfassen.

3.) Integration erfordert, dass (Regel -) Kindergärten und (Regel -) Schulen für alle so gestaltet werden, dass jedes Kind jede/r Schüler/in ohne sozialen Ausschluss und ohne persönliche Etikettierung als „defekt“, „abweichend“ oder „behindert“

seinen/ihren individuellen Voraussetzungen gemäß umfassend gefördert und

unterrichtet wird. Sie realisiert (…), dass allen von „Behinderung“ und/oder

„psychischer Krankheit“ betroffenen Kindern und Jugendlichen

- die volle Teilhabe an den gesellschaftlichen Gütern und am sozialen Verkehr garantiert bleibt,
- sie an den Orten/in den Stadtteilen, in denen sie leben, zusammen mit ihren nichtbehinderten Alterskameraden, Nachbarn und Freunden, Kindergarten und Schulen besuchen können und
- dort alle speziellen Hilfen (…) gewährt bekommen, derer sie für ihre weitere Persönlichkeitsentwicklung bedürfen (Prinzip der Dezentralisierung).

4.) „Behinderung“ verstehen wir als Ausdruck jener gesellschaftlichen, ökonomischen und sozialen Prozesse, die auf einen Menschen hin zur Wirkung kommen, der durch psycho-soziale und/oder biologisch-organische Beeinträchtigungen gesellschaftlichen Minimalvorstellungen und Erwartungen hinsichtlich seiner individuellen Entwicklung, Leistungsfähigkeit und Verwertbarkeit in Produktions- und Konsumtionsprozessen nicht entspricht. Behinderung definiert demnach einen sozialen Prozess und ist in diesem selbst wiederum eine wesentlich Variable. Unter pädagogischen Aspekten kann „Be-Hinderung“ als Ausdruck dessen verstanden werden, was ein Mensch mangels angemessener Möglichkeiten und Hilfen und durch vorurteilsbelastete Vorenthaltung an Inhalten und sozialen Bezügen nicht lernen durfte und als Ausdruck unserer Art und Weise, ihn wahrzunehmen, mit ihm umzugehen.

5.) Integration bedeutet (…) dass

- alle Kinder und Schüler/innen (ohne Ausschluss der behinderten Kinder und Jugendlicher wegen Art und Schweregrad einer vorliegenden Behinderung)
- in Kooperation miteinander
- auf ihrem jeweiligen Entwicklungsniveau (= ihre momentanen Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen)
- an und mit einem „gemeinsamen Gegenstand“ (Projekt/Vorhaben/Thema/Inhalt)
- spielen, lernen und arbeiten.

Integration ist kooperative (dialogische, interaktive, kommunikative) Tätigkeit im Kollektiv!!!

6.) Integration begründet eine allgemeine (basale und kindzentrierte) Pädagogik.

Sie ist eine

- basale Pädagogik, als sie die Kinder und Jugendlichen aller Entwicklungsniveaus, aller Grade der Realitätskontrolle, Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungskompetenzen ohne sozialen Ausschluss zu lehren und mit ihnen zu lernen vermag, eine
- kindzentrierte Pädagogik, als sie die Subjekthaftigkeit des Menschen und damit seine Heterogenität einer jeden menschlichen Gruppierung voraussetzt und Lehr- und Lernangebote an den Gesetzmäßigkeiten menschlicher Entwicklung orientiert, d.h. unter Berücksichtigung der „aktuellen Zone der Entwicklung“ eines Kindes/Schülers/Schülerin sich mit diesem handelnd in Beziehung setzt und das Lehren und Lernen auf dessen „nächste Zone der Entwicklung“ orientiert und eine
- allgemeine Pädagogik, als sie unter den vorgenannten Bedingungen keinen Menschen von der Aneignung der für alle Menschen in gleicher Weise bedeutenden gesamten gesellschaftlichen Erfahrungen ausschließt,

was lern- und unterrichtsorganisatorisch bedeutet:

- „Gewähren“ anstatt ‚vorenthalten’
- „Handeln“ anstatt ‚behandeln’ und
- pädagogisches Handeln „spezialisieren“ (=> differenzieren durch

entwicklungslogisch-biographisch orientiertes Individualisieren) anstatt

Kinder/Schüler/innen ‚segregieren’.

Sie kann folglich prinzipiell auf eine Trennung zwischen Regel- und Sonderkindergarten bzw. Sonderschulen und verschiedene Regelschulformen verzichten.

7.) Integration bedarf zu ihrer Realisierung im Feld der Pädagogik einer Didaktik, die

vier Momente im Sinne eines nicht zu unterschreitenden und unveräußerlichen,

didaktischen Fundamentums ausweist, nämlich

- einen durch biographisch-entwicklungslogische und –bezogene „Individualisierung“ zu realisierende „Innere Differenzierung“ (=> sie konstituiert das Humanum einer Pädagogik) und
- (nach Maßgabe des vorgenannten Humanums) die „Kooperative Tätigkeit“ (der Subjekte einer sozialen Gemeinschaft mit dem Ziel der Realisierung der Qualitäten eines Kollektivs) an einem „gemeinsamen Gegenstand“ (=> sie konstituiert das Moment des Demokratischen).

Der „gemeinsame Gegenstand“ist nicht das materiell Fassbare, das letztlich in der Hand der Kinder und Schüler/innen zum Lerngegenstand wird, sondern der zentrale „Prozess“, der hinter den Dingen und beobachtbaren Erscheinungen steht und sie hervorbringt.

8.) Integrative Pädagogik ist auf allgemeiner Ebene insofern

- demokratisch, als alle Kinder/Schüler/innen alles lernen dürfen und insofern
- human, als dies unter Zurverfügungstellung aller erforderlichen, materiellen und personellen Hilfen auf die einem/r jeden Kind/Schüler/in mögliche Art und Weise ohne sozialen Ausschluss erfolgen kann.

Integrative Pädagogik verlangt folglich nicht „individuelle Curricula“ (z. B. gesonderte Lehrpläne für verschiedene behinderte und nichtbehinderte Schüler/innen), sondern „individualisierte“ und das Lernen in Projekten und in Formen projektorientierten, offenen, zieldifferenten Unterrichts (am „gemeinsamen Gegenstand“).

Nur ein solcher Unterricht ermöglicht, dass:

- sich jedes Kind wahrnehmend und handelnd in das Geschehen einbringen kann,
- das Tun des einen, das des anderen beeinflusst und mit bedingt, wodurch jedes/r/e Kind/Schüler/in für jedes/n/e andere/n Bedeutung gewinnen kann und
- sich alle Kinder/Schüler/innen subjektiv als kompetent und wichtig für die Gemeinschaft erfahren können, d.h. eine Identität mit dem anderen aufzubauen, am DU zum ICH werden.

9.) Integrative Erziehungs- und Unterrichtspraxis erfordert organisatorisch

- das Prinzip der Regionalisierung: Den wohnort-/stadtteilbezogenen, im unmittelbaren Lebensumfeld aller Kinder und Jugendlichen möglichen Besuch von Kindergarten und Schule,
- das Prinzip der Dezentralisierung: Die materiellen und personellen Hilfen sind am Ort des Lebens und des Lernens und dort nicht isoliert z. B. in Therapieräumen, sondern eingebettet in das Gruppen-/Klassengeschehen zu gewähren.
- das Prinzip des Kompetenztransfers: Im Zusammenhang mit der unverzichtbaren Team-Arbeit aller pädagogischen, therapeutischen und mitarbeitenden Fachkräfte unterschiedlichster Ausgangsberufe und Berufserfahrungen bzw. dem Team-Teaching von Regel- und Sonderschullehrer/in geht es (…) um den Austausch über und um die wechselseitige Aneignung von Kompetenzen der Kolleginnen und Kollegen- und
- das Prinzip der integrierten Therapie: Therapeutisch einzulösende Bedarfe der Kinder und Schüler/innen sind schon bei der gemeinsamen Planung der Vorhaben so zu berücksichtigen, dass sie direkt im Gruppen- und Unterrichtsgeschehen zum Tragen kommen und von den Kindern und Schülern als Hilfen bei Tätigkeiten erfahren werden können und für sie in der kooperativen Tätigkeiten motivierend sind. Darüber hinaus können so alle Kinder und Schüler präventive Qualitäten gewinnen.

10.) Pädagogik und Therapie erkennen im integrativen pädagogischen

Arbeitszusammenhang die als „pathologisch“ erscheinende Tätigkeitsstruktur

eines Menschen, gegen die immer antherapiert wurde, als entwicklungslogisches

Produkt, als eine unter den gegebenen Bedingungen seiner Biografie optimal

herausgearbeitete Aneignungsstrategie und Handlungskompetenz. Ausgehend

von dieser geht es darum, neue Tätigkeitsstrukturen zu entfalten und eine

Verbesserung der Realitätskontrolle anzustreben, d.h. auf Erweiterung und

Stabilisierung der Autonomie und Identität des Betroffenen, auf dem ihm nächst

erreichbaren Entwicklungsniveau hinzuarbeiten.

„Das „Besondere“ der Pädagogik, derer wir für Integration bedürfen, liegt nicht in der „Besonderung“ der Kinder und Schüler/innen, sondern im „Allgemeinen“ der Grundlagen menschlicher Entwicklung und menschlichen Lernens, im „Allgemeinen“ einer basalen, subjektorienierten Pädagogik.Dieses „Allgemeine“ herauszuarbeiten, ist das Spezielle unserer Arbeit; es in der „Besonderung“ der Kinder und Schüler/innen zu suchen , ist ein Irrweg. (…) Integration ist Ziel und Weg zugleich! (Feuser, 1996, bidok)[4]

2.3 Von der Integration zur Inclusion – eine Schule für alle

„Inclusion“ ist

- eine Haltung, die auf der Überzeugung beruht, dass alle Menschen gleichberechtigt sind und geachtet und geschätzt werden sollen – eine grundlegende Menschenfrage.
- Ein „niemals endender“ Prozess“, bei dem Kinder und Erwachsene mit Behinderung die Chance bekommen, in vollem Umfang an ALLEN Gemeinschaftsaktivitäten teilzunehmen, die auch nicht – behinderten Menschen offen stehen (UNESCO – UN – Komitee für Rechte des Kindes, 6. Oktober 1997, Zentrum für Menschenrechte, Genf; aus GETTING there, 1998, S. O).

Inclusion bedeutet somit, dass sich alle Schulen und Schulsysteme strukturell so verändern und allen Kindern offen stehen, um als inklusive Schule alle Kinder und Jugendlichen mit und ohne Behinderung zu integrieren und ihnen gemeinsames Lernen zu ermöglichen.[5]

Ein gemeinsames Lernen meint, sich an den individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen eines Jeden zu orientieren. Alle Menschen haben ein Recht auf Bildung und auf gleiche Bildungschancen. Es muss also eine Allgemeinbildung ermöglicht werden, die nicht separiert oder in getrennten Einrichtungen vonstatten geht, weil die allgemeine Schule den besonderen Bedürfnissen nicht gerecht werden könnte oder behinderte Kinder in ihrer Lernentwicklung gestört werden könnten (Hausrotter, 2000, S.43).

In vielen Ländern Europas wird das Konzept der Inclusion beziehungsweise der inklusiven Erziehung in der Schule diskutiert. Das aus Nordamerika stammende Konzept entstand als Antwort auf die realen Unvollkommenheiten des Integrationskonzeptes, vor allem des amerikanischen „Main-streaming“ (Boudah/McCorkle 1999, zit. n. Sander 2000, S.13).

Bei Main-streaming und ebenso bei schulischer Integration in den meisten Schulklassen wird für das behinderte Kind eine primäre individuumsbezogene Förderung eingerichtet und möglicherweise sogar an einem individuellen Förderplan entlang durchgeführt; dafür wird eine bestimmte Anzahl von zusätzlichen Sonderschullehrer/innenstunden zur Verfügung gestellt. Oft wird das betreffende Kind dadurch zu sehr aus der Klasse hervorgehoben, und für andere Kinder mit Behinderungen stehen unter Umständen keine Sonderschullehrer/innenstunden zur Verfügung, so dass ihr Integrationswunsch abgelehnt wird. Die Erkenntnis, die sich daraus ergibt, dass „Integration auch immer Segregation mit sich zieht“, war einer der Gründe für die Entwicklung des Inclusionskonzeptes.

Schulklassen waren schon immer heterogen zusammengesetzt, aber nun nimmt die Heterogenität zu (behinderte und nichtbehinderte Kinder, Kinder mit fremder Muttersprache, Kinder aus anderen Kulturkreisen,…).

Inklusive Erziehung antwortet darauf nicht durch immer mehr individualisierte Förderung der vom Mainstream abweichenden Schüler/innen, sondern durch Einbeziehung der individuellen Verschiedenheiten in den Unterricht und das Leben der Schulklasse. Inklusive Erziehung akzeptiert die Heterogenität, macht sie für das Schulleben fruchtbar und will sie nicht ausgleichen oder abschleifen.

[...]


[1] Name von der Autorin geändert

[2] Klauß Th.: „Gedanken zu theoretischen Grundlagen der empirischen Beschäftigung mit Menschen mit schwersten Behinderungen“, http://homepages.compuserve.de/KlaussTheo/theor_ueberl_sb_proj.htm, abgerufen am 23.12.2003

[3] Schilcher B.: Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 4.11.1950, Uni Graz, http://www.kfunigraz.ac.at/zivilrecht/skripten.htm, abgerufen am 8.8. 2003

[4] Feuser G.: Thesen zu: "Gemeinsame Erziehung, Bildung und Unterrichtung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher in Kindergarten und Schule (Integration)", bidok, Institut für Erziehungswissenschaften Innsbruck, 1996, http://www2.uibk.ac.at/bidok/bib/schule/feuser-thesen.html, abgerufen 14.09.2003

[5] Der Begriff „Inclusion“ wird in der Salamanca Erklärung 1994 deutlich geprägt, eine deutsche Übersetzung kann die Bedeutung nicht in einem Begriff widerspiegeln; die englische Version wird beibehalten.

Ende der Leseprobe aus 99 Seiten

Details

Titel
Nonverbale Kommunikation in der Integrationsklasse
Hochschule
Pädagogische Akademie des Bundes Steiermarks
Note
Sehr gut
Autor
Jahr
2005
Seiten
99
Katalognummer
V65531
ISBN (eBook)
9783638580748
ISBN (Buch)
9783656812876
Dateigröße
1800 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Nonverbale, Kommunikation, Integrationsklasse
Arbeit zitieren
Mag. Susanne Biermair (Autor:in), 2005, Nonverbale Kommunikation in der Integrationsklasse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65531

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