I. Ein Gutachten zu den Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts stößt vorab auf grundlegende methodische Probleme:
1) Fraglich ist zunächst, anhand welcher Quellen eine sachgerechte Beurteilung erfolgen soll. Bereits in den Gutachten von Glockentin/ Pikl und Link[1] wird ausgeführt, daß ein Hauptproblem in der Zusammenstellung glaubwürdigen Quellmaterials zu sehen ist. Es liegt dabei in der Natur der Sache, daß die Masse des überhaupt greifbaren Materials durch Parteiinteressen geprägt ist. Auf seiten der Zeugen Jehovas stellte sich das Problem ein, daß aufschlußreiche oganisationscharakterisierende Schriften und Anweisungen gleichsam als Verschlußsachen für den Dienstgebrauch behandelt werden, und deshalb dem Verfasser nicht zugänglich waren. Daraus resultiert eine Asymmetrie der Quellenverwertung, die sich bei den Zeugen Jehovas nur auf das bereitwillig zur Verfügung gestellte Material stützen konnte.
2) Die Frage nach dem theologischen Selbstverständnis der Zeugen Jehovas kann hingegen rasch beantwortet werden. "Andere" als die sog. altkorporierten Religionsgemeinschaften im Sinne des Art. 140 GG iVm Art. 137 V 2 WRV müssen sich dem Nachweis der Religions-, resp. Weltanschauungsgemeinschaft unterziehen. Bestimmend für Religionsgemeinschaften ist dabei, daß der Personenzusammenschluß "das Weltganze universell zu begreifen und die Stellung des Menschen in der Welt aus dieser umfassenden Weltsicht zu erkennen und zu bewerten suchen sowie diese Übereinstimmung umfassend bezeugen und danach handeln wollen (soll)"[2]. Liegt "nach aktueller Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und algemeinem (...) Verständnis"[3] offen zutage, daß ein den Menschen als Individuum umfassendes transzendentes Bekenntnis die Stellung des Menschen im Weltgefüge bestimmt , so kann ohne weiteres vom Religionscharakter einer Gesellschaft ausgegangen werden . Zeugnisse der religösen Konkurrenz und von Aussteigern können dagegen nur in untergeordnetem Maß in die wertende Gesamtschau einfließen.
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[1] Während Pikl/Glockentin den Wert von Aussagen der religiösen Konkurrenz und von Aussteigern kritisch hinterfragen (S. 3f. des Gutachtens), stellt Link auf eine Diskrepanz zwischen Eigendarstellungen der Zeugen Jehovas in Schriften für den internen Gebrauch und solchen für die Öffentlichkeit ab (ZevKR Bd. 43, S. 3f.).
[2] Kirchhof in: HdbStKR I, S. 651 (680)
[3] BVerfGE 83, 341 (353)
Inhaltsverzeichnis
- A. Methodik
- I. Methodische Probleme
- 1) Quellen
- 2) Selbstverständnis
- a) Schwerpunkt der Quellenkritik
- b) Schwerpunkt der Arbeit
- c) Grundsatz
- 3) Vorgehensweise
- II. Rechtslage in Berlin
- B. Zeugen Jehovas - geschichtlicher Überblick
- I. Gestalt
- II. Lehre
- C. Gutachten
- I. Anspruch der ZJ
- 1) Geschriebene Kriterien
- a) Antrag
- b) Verfassung
- c) Mitgliederzahl
- d) Gewähr der Dauer
- 2) Erfüllung
- II. Ungeschriebene Kriterien
- 1) Anerkennungswürdigkeit
- 2) Rechtstreue
- III. Präzisierung
- 1) Enger Begriff
- a) Gewissensvorbehalt
- b) Problemfelder
- aa) Geistig-geistliche Einflußnahme
- 7aaa) Isolation
- bbb) Sanktionen
- ccc) Überwachungssystem
- bb) Arten der Einflußnahme
- aaa) Elterliches Sorgerecht
- bbb) Kindeswohl
- ccc) Ghettoisierung
- cc) Persönlichkeitsrecht des Kindes
- c) Keine Rechtstreue
- 2) Beschränktes Loyalitätsmaß
- a) Bewertung von Rechtsverstößen
- b) Gewissensvorbehalt
- aa) Transfusionsfrage
- bb) Arbeits- und Sozialrecht
- cc) Datenschutz
- c) Rechtstreue gegeben
- 3) Undemokratische Grundüberzeugung
- a) Beleihung mit hoheitlichen Befugnissen
- b) Mangelndes Verantwortungsbewußtsein
- c) Kein Anspruch auf Körperschaftsrechte
- Rechtliche Rahmenbedingungen für die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts
- Die Lehre und Praxis der Zeugen Jehovas
- Die Frage der Rechtstreue und Loyalität
- Das Verhältnis zwischen Gewissensfreiheit und staatlicher Ordnung
- Die Bedeutung des Kindeswohls im Kontext der Religionsfreiheit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Seminarhausarbeit von Boris Maskow aus dem Sommersemester 2002 befasst sich mit der Frage, ob die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden können. Die Arbeit analysiert die rechtlichen und methodischen Aspekte dieser Thematik und untersucht, ob die Kriterien für die Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts erfüllt werden.
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die methodischen Probleme der Arbeit, insbesondere die Auswahl und Interpretation von Quellen sowie das Selbstverständnis des Autors. Das zweite Kapitel behandelt die Rechtslage in Berlin und die historischen Hintergründe der Zeugen Jehovas. Im dritten Kapitel wird die Frage des Anspruchs der Zeugen Jehovas auf Körperschaftsrechte analysiert, wobei sowohl die schriftlichen Kriterien als auch die ungeschriebenen Kriterien wie Anerkennungswürdigkeit und Rechtstreue betrachtet werden. Im vierten Kapitel werden die Problemfelder im Zusammenhang mit der Rechtstreue der Zeugen Jehovas genauer untersucht. Dabei wird der Gewissensvorbehalt der Zeugen Jehovas im Kontext verschiedener Rechtsbereiche (z. B. Transfusionsfrage, Arbeits- und Sozialrecht, Datenschutz) sowie die Frage der demokratischen Grundüberzeugung der Zeugen Jehovas analysiert.
Schlüsselwörter
Zeugen Jehovas, Körperschaft des öffentlichen Rechts, Rechtstreue, Gewissensfreiheit, Religionsfreiheit, Kindeswohl, Elterliches Sorgerecht, Staatliche Ordnung, Demokratische Grundüberzeugung, Isolation, Sanktionen, Überwachungssystem, Transfusionsfrage, Arbeits- und Sozialrecht, Datenschutz
- Arbeit zitieren
- Boris Maskow (Autor:in), 2002, Die Zeugen Jehovas als Körperschaft des öffentlichen Rechts?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6554