American Psycho - Der Film und die Kontingenz der Diskurse


Hausarbeit, 2006

22 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Der Diskurs als Sprechakt

3. „American Psycho“ und die technische Reproduzierbarkeit
3.1. Gesten technischer Reproduzierbarkeit
3.2. Verlust der Aura
3.3. Vom Kultwert zum Ausstellungswert
3.4. Bedeutung des Films

4. Die neue Dimension des Narziss
4.1. Narziss und die Metamorphose
4.2. Exkurs: Lacan und das Spiegelstadium als Bildner der Ich- Funktion
4.3. Versuch einer Positionierung von „moi“ und „je“ im Film „American Psycho“

5. Konklusion

1. Einleitung

Er ist Repräsentant einer Ära, die sich als eine Art soziale, sowie politische Subkultur etabliert hat. Als „Young Urban Professional“, kurz „Yuppie“, füllt die Figur des Patrick Bateman die erste Lücke, den ersten Definitionsraum, in dem Existenz- innerhalb des Szenarios von „American Psycho“- manifestiert wird. Sein diskursiver Werdegang ist ein Sprechen zweier Realitäten.

Die Einführung in die Handlung kreiert ein Bild, ein überspitztes Klischeebild, das explizit die kulturelle Bewegung ausstellt, die sich durch den Film als verlaufende Spur bis ins Perverse ausreizt. Die Annahme des urbanen Zeichensystems erfolgt von selbst. Es ist nicht Bateman selbst, der als agens fungiert. Der reziproke Prägungsprozess etabliert sich als Performativ. Bateman steht den Gepflogenheiten des Bankerlebens in nichts nach, fernerhin steht er ihnen gegenüber. Das Phänomen der Gegenüberstellung findet noch auf anderen Ebenen seine Realisierung, die die Diskurse zur Tiefe begehbar machen (Benjamin, Lacan et al.). Zu Beginn scheint es eine Spur, eine Prägung, einen Einschnitt zu geben, der sich hier als das urbane Gefüge ausstellt, in dem Bateman selbst eine Art Ornament darstellt. Auf der ersten Ebene ist er Repräsentant, eine Markierung, die sagt „Hier bin ich, das bin ich, ich bin diese Welt.“ Man erkennt hier also ein synekdochisches Verhältnis. Eine Synekdoche ist eine Trope auf der Ebene des Teiles vom Ganzen. Ein Teil repräsentiert das ganze den Zeichenprozessen unterliegende kulturelle System.[1] Es soll gezeigt werden, dass der kontingente Charakter der Person Patrick Bateman sich in seiner Funktion als Synekdoche materialisiert.

Der Begriff der Kontingenz im Kontext von „American Psycho“ scheint eine Dimension zu verfassen, deren Ausleuchtung ganz und gar der Kamera überlassen ist. Kontingenz meint einen erahnten, halb “ausgesprochenen“ begrenzten Raum, in dem mehrere Subsysteme möglich sind, diese Möglichkeiten jedoch permanent bestehen bleiben. Der Begriff des Subsystems ist hier angebracht, da die Möglichkeiten durch Leerstellen markiert werden und somit als Diskurse zum Vorschein kommen, welche nach ihren eigenen autonomisierten Regelwerken funktionieren. Die Ausstellung der Diskurse erfolgt explizit, das, was an der Oberfläche bleibt, wird fasst pornografisch, provokant ausgestellt. Das Leben in der High Society wird nicht erklärt, sondern gezeigt; genau wie die anderen Diskurse erklären sie sich nach dem Prinzip des „mise en abyme“, was eine Metatextualität beschreibt, bei der textuell, kleiner werdend, dieselben Motive wiederholt werden, ein größeres Konstrukt ein kleineres beinhaltet, das nach denselben, deswegen auch Subsystem, Mechanismen funktioniert. Das Phänomen des Spiegels ist nur ein Beispiel, das diesem Mechanismus entspricht. Batemans Selbstinszenierung vor dem Spiegel im Badezimmer entspricht den angedeuteten Reflexionen in Messern und Äxten, die selbst wieder permanent spiegeln. Die Markierung verweist auf ein Auseinandergehen, das anscheinend in einer Unentscheidbarkeit, einer Aporie endet. Die Bearbeitung dieser Thematiken und Thesen wird sich auf den Film „American Psycho“ von Mary Harron (nach dem Roman von Bret Easton Ellis) konzentrieren, diesen jedoch nicht chronologisch, sondern thematisch und thetisch beleuchten und versuchen, zu demonstrieren, welche Bewegungen auf der filmischen Ebene vollzogen werden.

2. Der Diskurs als Sprechakt

Das Sprechen zweier Realitäten materialisiert sich auf der Handlungsebene von „American Psycho“. Es gibt zwei Diskurse: Den Diskurs des Banker/Börsenmilieus und den des Psychopathen. Beide funktionieren und funktionieren nicht nach determinierten Sprechsystemen. Wie erklärt sich diese Paradoxie?

An der, die „histoire“ betreffend, ersten Stelle steht der Bankerdiskurs, der in einem Einstiegsdialog ausgebreitet wird und zur Schau stellt, auf welchen zwischenmenschlichen Ebenen dieser funktioniert. Es gibt eine klare Hierarchisierung, ein Rollenspiel, das bis ins kleinste Detail ausformuliert wird. Es werden keine Bankgeschäfte dargestellt, keine Situationen, in denen sich die Protagonisten als Broker herausstellen. Der Beruf für sich bleibt im Raum des Ungesagten. Im Umfeld von Patrick Bateman finden sich Figuren wieder, die das Bild, das sie mit Beginn der Geschichte zeichnen, komplettieren. Was ausgestellt wird, was im Diskurs zu argumentieren beginnt, ist die Materialität von Zeichen.

Die detailgetreue Zurschaustellung der Welt, in der sich die Figuren bewegen, hat den Charakter eines extern fokalisierten Erzählsystems, das den Leser/Zuschauer in die Welt einführt und explizit auf genau diese Welt bestimmenden Zeichen aufmerksam macht.

Dies ist der erste Streifen, der das Gesicht des Diskurses markiert und auf dem der Teil der Handlung basiert, der den zweiten Diskurs eröffnet. Es ist die mediale Welt der Achtziger, die die Sprache des Diskurses bildet. Betrachtet auf der Handlungsebene, die zu Beginn ein dreidimensionales Bild der Welt antizipiert, jedoch bei späterer Betrachtung Leerstellen einfügt, die die dritte Dimension der Tiefe zu tilgen scheinen, erweist sich, dass die Sprache der Diskurse auf ähnlichen Ebenen ausgetragen wird.

Informationen, die in wörtlicher Rede, im Dialog oder Monolog preisgegeben werden, entsprechen der Hülle des Bankermilieus, dem, was sie kreiert, ihre Gestaltung, was ihr typisches Bild angibt; das Setting einer High Society Kneipe, Menschen in scheinbar austauschbaren Imagos; das Phänomen der Äußerlichkeit, der Betonung des narzisstischen moi[2] geben dem Szenario durch ihren ornamentalen Charakter die Figur einer Box mit doppeltem Boden, mit einer Oberfläche, die gleichzeitig Projektion und Projektionsfläche ist.

Was projiziert wird, ist das Ideal eines vernunftgeleiteten, auf kalter, rationaler Ästhetik basierenden Weltbildes. Der Mensch ist „hardboiled“, zu deutsch „hart gekocht“, immun gegen Gefühle, die eine voranschreitende Karriere behindern, einen Grad an Originalität preisgeben. Zielstrebigkeit, gute Laune, Orientierung an der Erhaltung einer oberflächlichen unverletzlichen Identität. Dieses Fixieren auf die Hülle, sozial wie emotional, eröffnet einen neuen fiktionalen Diskurs. Neben dem Diskurs des Bankmilieus öffnet sich subsystematisch der Diskurs der Maskerade, die Annahme eines Ideals, der Re-etablierung, Reinkarnation einer gesellschaftlichen Idee. Die Menschen sind Hüllen, die beseelt werden von der Projektion eines Ideals. Identität oder Individualität im Sinne eins permanenten Individuierungsprozesses ist nicht möglich. Bateman selbst sagt von sich:

„Es gibt eine Vorstellung von einem Patrick Bateman, die abstrakt ist, aber es gibt kein wahres Ich, eine Entität, etwas Illusorisches […] Ich bin ganz einfach nicht da.“[3]

Und später:

„Es gibt keine klar identifizierbare menschliche Emotion, außer Gier und Abscheu“[4]

Der Charakter einer leeren menschlichen Hülle wird explizit genannt. „Ich bin ganz einfach nicht da“ will sagen, er ist nicht greifbar, eine Illusion, ein Bild, ein Zeichen, das die Ebene des Signifikats ausspart. Natürlich ist ein Zeichen ohne Signifikat nicht denkbar, aber die kulturelle Ebene, auf der Zeichen nach denselben Mechanismen funktionieren wie im geschriebenen Text bzw. der filmischen Adaption desselben, stellt auf der Ebene des Bankerdiskurses die permanente Mimesis aus, das Mimen, das Nachahmen einer Form, bei der das Nachahmende zu verschwinden scheint.

Man sieht also, dass der Diskurs der Yuppie- Ära in sich nach dem Muster der Mimesis verfährt. Der andere Mechanismus wird von Thomas Hobbes erklärt. Die Fläche der Existenz in der ausgestellten Welt zelebriert auf akribische Weise den Machttrieb, der in Zerstörung mündet. „Homo Homini Lupus“ Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf; diese These findet seine Realisierung auf der Handlungsebene: Der Konkurrenzkampf, der ausgetragen wird, entspricht einem permanenten Duell, in dem Ritterehre verteidigt wird[5]. Die ritterliche Ehre, die, wie Schopenhauer es ausdrückt, von animalischer Natur ist, ist die einzige Art von Ehre, die in diesem Diskurs zu sprechen beginnt. Es gibt einen Sieger und einen Verlierer. Der Idealismus des Yuppie- Daseins befielt Teamfähigkeit, Unterordnung, Angliederung, im Dienste eines großen Ganzen. Auf der Mikroebene jedoch herrscht ein materialistisch angetriebener Kampf um die Hierarchie. Auch diese Ebene ist in den Diskurs mit eingeschrieben.

[...]


[1] „Synekdoche [ist eine] [U]neigentliche, der Metapher und der Metonymie verwandte Ausdrucksweise; (eine) Ersetzung eines Ausdrucks durch einen Anderen, zu seinem semantischen Feld gehörenden Begriff („unter meinem Dach“ meint: „in meinem Haus“; „sie forderten Brot, Nahrung“); bei der Synekdoche werden z.B. ein Teil für das Ganze, ein Allgemeines für ein Spezielles, eine Gattung für eine Art gesetzt“ Grundzüge der Literaturwissenschaft. Hg. Arnold, Heinz Ludwig, Detering , Heinrich. Glossar. S 695 f.

[2] Dieser Begriff wird später noch erläutert

[3] Harron, Mary, “American Psycho”

[4] ebd.

[5] vgl. Schopenhauer, Arthur. Aphorismen zur Lebensweisheit.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
American Psycho - Der Film und die Kontingenz der Diskurse
Hochschule
Universität Erfurt  (Universität Erfurt)
Veranstaltung
Alltag und Verbrechen. Trivialität und
Note
2,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V65928
ISBN (eBook)
9783638587839
ISBN (Buch)
9783656784524
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
American, Psycho, Film, Kontingenz, Diskurse, Alltag, Verbrechen, Trivialität
Arbeit zitieren
Marlen Vogel (Autor:in), 2006, American Psycho - Der Film und die Kontingenz der Diskurse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65928

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