Mythos und Intertextualität in Chr. Ransmayrs " Die letzte Welt"


Diplomarbeit, 2004

46 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG

1. Intertextualität und Postmoderne: der theoretische Aspekt
1.1. Postmoderne
1.2. Intertextualität
1.3. Der Mythos

2. Übereinstimmungen zwischen den „Metamorphosen“ und „Die letzte Welt“
2.1. Formale Übereinstimmungen
2.2. Ähnlichkeiten und Unterschiede

3. Die Rolle Ovids in der Naso-Gestalt bei Chr. Ransmayr
3.1. Historische Fakten und ihre Abweichungen von Ovid in “Die letzte Welt”
3.2. Die Naso-Gestalt als ein berühmter römischer Dichter
3.3. Die Cotta-Gestalt

4. Intertextuelle Bezüge

5. Die ovidischen Mythen in „Die letzte Welt“
5.1. Mythische Figuren
5.2. Der mythische Augustus bei Ransmayr und Ovid

6. Interpretation des Titels

7. Sprache
7.1. Sprachmittel
7.2. Symbole und Motive

8. Mythos und Mythologie
8.1 „Die Arbeit am Mythos“

9. Die modernen Mythen
9.1. „Die letzte Welt“ als ein „Mythenbuch“
9.2. Der Mythos der Suche
9.3 Ein mythologischer Topos-der Mythos der Nachkriegszeit
9.4. Herrschaftsmythos
9.5. Verfallsmythos
9.6. Lebensmythos

10. SCHLUSSFOLGERUNGEN

11. RESÜMEE(auf Litauisch)

12. LITERATURVERZEICHNIS

EINLEITUNG

Nach dem Erscheinen von Christoph Ransmayrs Roman “Die letzte Welt“ wurde er von den Kritikern gelobt und als der bedeutendste Schriftsteller des Jahres (1988) gewählt. Die Kritiker bewunderten sein Werk und der Roman „Die letzte Welt“ wurde in verschiedene Sprachen übersetzt, beispielsweise ins Japanische. In der deutschen Zeitung „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 17.09.1988 stand: „Während man noch nach Argumenten sucht, um zu warnen vor Mythenstoffen als Wirklichkeitsersatz, vor Zeitfluchten als Ausflüchten, ist man von diesem Buch schon besiegt, und zwar gründlich. Besiegt von der Prosa, die Christoph Ransmayr schreibt.“ „Ein Apokalyptiker, der das Leben preist! (...) Dieser Autor gehört in seiner Generation zum Besten, was wir haben.“ – sagte der Kritiker Marcel Reich-Ranicki. (Vgl. www.amazon.de (Rezensionen).

Im Inneren des Romans steckt sehr viel Interessantes, Unglaubliches. Der Roman besteht aus mehreren Romanen. „Die letzte Welt“ ist ein wenig Historischer-, weder ein Handlungs- noch ein Detektivroman mit den Elementen des Kunstmärchens und phantastischer Literatur.

Der Roman ist auf der Basis eines antiken Werkes, der „Metamorphosen“ des Ovids geschrieben. Sein Hauptwerk „Metamorphosen“ ist einerseits Rekonstruktion und andererseits eine Projektion, eine Vision der Zukunft. Christoph Ransmayr stellt zwei Welten gegenüber: eine ist die ovidische, sogenannte „alte Welt“ und die andere die Welt von Ransmayr, „Die letzte Welt“, d.h. eine barbarische, die der vernünftigen, kulturvollen Welt entgegensteht.

Eine deutliche Verknüpfung des Romanes „Die letzte Welt“ mit den „Metamorphosen“ zeigt das „Ovidische Repertoire“ am Ende des Romans, das die alten und die modernen Zeiten gegenüberstellt. Es soll dem Leser auch eine Hilfe sein, um den Text besser zu verstehen. Das Repertoire deutet auf die schöne, poetische, ein wenig verwirrende Sprache, wie auch auf den gehobenen Stil des Romans hin.

Viele Leser, unter denen ich auch mich befinde, sind von seiner wunderbaren Sprache in „Die letzte Welt“ getroffen. Chr. Ransmayr verschafft zwei Leserkreise: einen belesenen, der die postmodernen Züge und Intertextualität als Phänomen begreift, die antike Literatur bzw. die „Metamorphosen“ kennt, und einen anderen – unbelesene Leser, die „Die letzte Welt“ als eine abenteuerliche Geschichte mit phantastischen Elementen auffassen oder mit Hilfe des ovidischen Repertoires den Roman versucht zu verstehen.

Chr. Ransmayr hat mit vielen seitenlangen uns bekannten Themen, Motiven, Stoffen und Erzähltechniken gespielt. „Die letzte Welt“ wurde von den zwei Romanen „Metamorphosen“ und „Tristien“ des Ovid inspiriert. Man erkennt auch den Einfluss anderer Werke Ransmayrs auf den Roman: „Strahlender Untergang. Ein Entwässerungsprojekt oder die Entdeckung des Wesentlichen“ (1982), der Roman „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ (1984). Ransmayr hat auch andere moderne Texte als Vorlage benutzt, zum Beispiel aus Thomas Hobbes „Leviathan“ – den Satz: „Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“

Der Roman „Die letzte Welt“ nimmt also Bezug auf die literarischen Vorlagen. Das ist mein Ziel der vorliegenden Arbeit. Das heißt, die intertextuelle Merkmale wie auch die Mythen und ihre Vielschichtigkeit des Romans zu analysieren, ihre Funktion und die Bedeutung zu erklären. Allerdings bezieht sich meine Arbeit nur auf die intertextuelle Bezüge von Ovids „Metamorphosen“.

Die vorliegende Arbeit besteht aus einem kurzen theoretischen Teil, dem Hauptteil, der in viele thematischen sich unterteilt, und aus den Schlussfolgerungen. Am Anfang gebe ich eine Beschreibung (Kennzeichen) von postmoderner Literatur, vor allem der Intertextualität, die im Mittelpunkt der theoretischen Aspekte als ein Phänomen der Postmoderne steht. Hier wird die Mythostheorie und Mythenarten erklärt.

Im Hauptteil der Arbeit werde ich die Spuren Ovids in den verschiedenen Romanbereichen verfolgen. Die Symbole, Motive, Sprache, Hauptfiguren werden gesucht und vorgestellt, um die Rolle Ovids aus der intertextuellen Begründung in dem Roman „Die letzte Welt“ deutlich zu machen. Es wird durch die Mythologie die antike Literatur der neuen Zeit gegenübergestellt. Dabei wird der gefundene Stoff, Rezensionen, Kritik, andere Werke u. a. als Hilfsmittel benutzt.

1. POSTMODERNE, INTERTEXTUALITÄT UND MYTHOS: DER THEORETISCHE ASPEKT

„Die letzte Welt“ ist ein moderner Roman, in dem auch andere Werke und Zitate drin stecken. Um das herauszufinden und zu verstehen, muss man die theoretischen Aspekte verstehen.

1.1. Postmoderne

Der Begriff der Postmoderne bezeichnet die Doppelkodierung von Gebäuden durch Funktion und Stilzitat in der Architektur. Im Literaturbereich wird dies als ein ästhetischer Postmodernebegriff formuliert, und zwar in den USA (Literaturwissenschaftliches Lexikon). Diese Neue künstlerische Richtung verbreitet sich in vielen Bereichen, in Architektur, Malerei, Musik, Literatur u.Ä. Genau hier, in den USA. Wurden die Leitlinien des gesellschaftlichen Denkens yerst;rt und futuristische Revolte propagiert.

In den 70-er Jahren wurde dieser Begriff auf die Kunst besonders die Architektur; übertragen und später haben auch die Soziologie und Philosophie das für sich genommen. Bis heute bleibt noch die Frage, ob die Postmoderne als eine eigene Epoche nach der Moderne oder nur eine weitere Entwicklung der Moderne zu bezeichnen ist. Die postmoderne Schreibstrategien entstehen als Reaktion auf das Modell gesellschaftlicher Modernisierung. Sie greifen auf literarische Techniken zurück, die am Anfang in der Frühromantik und später im Werk von Autoren wie Proust, Musil, Joyce verwendet wurden.

Wir finden auch in anderen Literaturepochen Merkmale wie Verfremdung, Intertextualität und Poliphonie, Auflösung der Gattungsgrenzen, lineares Erzählen u.a. Die Themen und die Motive der postmodernen Literatur sind jedoch spielerisch kombinierbar. Für Wolfgang Welsch ist die postmoderne Literatur das Bekenntnis zur Pluralität („Verzicht auf Totalisierung“), die unregelhafte Mischung der Stile.

(Vgl. Wolfgang Welsch, 1988, S. 13f.)

1.2. Intertextualität

Ein wichtiges Merkmal postmoderner Literatur ist die sogenannte Intertextualität. Unter dem Begriff der Intertextualität versteht man eine Verbindung aller Texten, die unter einander zu einem Thema, entweder in einer bestimmten Sprache oder in einer bestimmten Kultur besteht . Jeder Text hat einen Anfang, bzw. einen Start. Er kann sich nicht aus irgendwoher erscheinen. Jeder Text entsteht auf der Basis von anderen Texten, die schon vorher auf dem „Leben“ waren. Diese Verknüpfung zwischen Texten ist komplex, meist anonym und unbewusst. Deswegen ist auch die Erscheinung der Texte im Text problematisch und nicht leicht zu erklären, weil die Gegebenheiten durch die Wiederholung und Wiederverwendung von Texten und Textteilen im gleichen Text geschaffen werden. Die Beziehung und das Zusammenspiel zwischen den Texten sind von verschiedener Stärke, die durch Zitate, Plagiate, Anspielungen, Übersetzungen, Imitation erzeugt werden kann.

Es gibt zwei Positionen von Theoretikern in der Intertextualitätsdebatte zu unterscheiden. Die eine vertreten: Julia Kristeva, Jacques Derrida, die eine allgemeine Texttheorie entwickeln. Die Einheit wird als Intertextualität bezeichnet. Die andere vertreten: Gerard Genette, Michael Riffaterre, Manfred Pfister u.a. Sie stellen einen eingeschränkten Textbegriff vor.

Julia Kristeva hat den Begriff „Intertextualität“ am Ende der 60-er Jahre in ihrem Aufsatz „Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman“ geprägt. Sie unterscheidet das „Allgemeine“ von dem „Einzelnen“ im Allgemeinen. Nach Kristeva ist jeder einzelne Text ein Mosaik aus Zitaten. Er setzt sich nur durch den Prozess der Transformation anderer Texte zusammen und ist durch diesen Prozess gekennzeichnet. Der Text nimmt vorhandenes Zeichen- und Textmaterial auf und schafft eine neue Ordnung. Der literarische Text entsteht durch die intertextuellen Verbindungen. Dabei kann er nicht isoliert gesehen werden. (Vgl. Texte zur Literaturtheorie der Gegenwart, 2000, S.327ff.)

Nach Kristeva ist „Lesen“ eine aktive Aneignung, agressive Teilnahme. „Schreiben“ wäre zur Tätigkeit gewordenes „Lesen“. Und letztens, „Illustration“ bezeichnet sie Intertextualität oder Transposition. (Vgl. Suchsland, 1992, S.82f.)

Es gibt die mögliche Markierung von Intertextualität wie: Bezugtexte, sprachliche Einheiten, Personen oder Gegenstände aus dem Bezugstexten. U. Eco hat mit seinem Roman „Der Name der Rose“ die Vewendung der Intertextualität geliefert. Wo man auch die allgemeinen Bezüge in dem Roman „Die letzte Welt“ von Chr. Ransmayr treffen kann. Es wäre die Suche nach einem verlorenen Werk.

Ein Beispiel für die zweite Richtung ist der Literaturkritiker Gerard Genette. Er unterscheidet fünf Typen „textueller transzendenz“:

1. Paratextualität (bezeichnet die pragmatische Einrahmung des Textes durch beigeordnete Texte wie Titel, Untertitel, Ankündigung, Vorwort, Nachwort u.Ä.).
2. Metatextualität (ein Text kommentiert einen anderen Text; z.B. Kritik, Kommentar).
3. Intertextualität (eine effektive Anwesenheit eines Textes in einem anderen Text, die in Form von Zitat, Plagiat, Anspielung erscheint).
4. Architextualität (die Zugehörigkeit eines neuen Textes zu einer bestimmten Gattung; Textsorten).
5. Hypertextualität (Beziehung zwischen zwei Texten, wobei sie nicht einfach kommentierend verwendet werden (Hypertext; Hypotext). Eine Art von Hypertextualität ist die Parodie. (Haßler, 1997, S. 11/14f.)

Man kann davon sehr viel sprechen, weil es diese Bezüge in verschiedenen Bereichen gibt. Im Folgenden werde ich den postmodernen Roman analysieren, interpretieren und möglichst die bekannten literarischen Intertextualitätsmerkmale verdeutlichen. Dabei werden die Mythen analysiert und ihre moderne Varianten dargestellt. Desswegen wird noch die Mythostheorie in nächstem Abschnitt erklärt und nur dann die ganze Analyse durchgeführt.

1.3. Der Mythos

Eine Literatur erweckt eine neue Literatur, d.h. Literatur entsteht aus Literatur und das gilt für alle literarischen Werke. Genau das hat uns die Intertextualitätsforschung offenbart. Ein Text beeinflüsst den anderen Text. Im Fall der Letzte Welt verhalten sich sogar zwei Texte so zu einander. Der Ransmayrsche würde ohne den anderen, Ovid „Metamorphosen“, überhaupt nicht existieren. Daraus kriegen wir eine Moderne Metamorphose der Metamorphosen des Ovid. Man geht im postmodernen Werk ohne Spiel nicht aus. Die „Literatur“ muss den Leser „verführen“, zum Lesen einbeziehen und das ausruft schon einen richtig „engagierten“ Kunst. Das Spiel der grossen Kunst macht aufmerksam auf die moderne Dichtung mit einer Bestimmung von der Widersprüchlichkeit grenzenden ans Paradoxe. Auf einer Stellung ist die Abwehr gegen alle uneinlösbaren Ansprüche auf die realistische „Widerspiegelung“ der gesellschaftlichen Verhältnisse zu erwarten, auf der anderen die Absicht vor dem Weltzustand zu bestehen. Diesen grossen Kunst schaft in der Letzten Welt die Mythen. Damit es keine Missverständnissen in meiner folgenden Textanalyse gebe, muss man die Konzeption vom Mythos wie auch von der Intertextualität und Postmoderne kennen. Dann wird leichter die Bedeutung von den bestimmten Analysen des Textes zu begreifen.

Es ist schon bekannt, dass Mythologie eine Rede vom Mythos ist. Die Geschichten, Erzählungen wurden mündlich überliefert. Was ist dieser Mythos? Aus der griechischen Übersetzung es ist ein Wort, eine Erzählung. Dieser Mythosbegrif weitet sich aus. Damit ist gemeint die seit Vorzeiten überlieferten, urtümlichen Erzählungen von Göttern, Dämonen und Helden oder von Ereignissen der Urzeit, von der Erschaffung der Welt. (Vgl. Gero von Wilpert, Kröner,Stuttgart,´89)

Echter Mythos weist auf Wirklichkeit hin. Sie enstehen aus den verschiedenen archaischen Ängsten der Menschen. Er wirkt als ein Symbol, will bedeuten und stellt Gegebenheiten in Natur, Gesellschaft und Individuum dar.

Man unterscheidet drei Arten von den Mythen:

I. Eigentlicher Mythos. Er leitet den naive Einbildungskraft an Erfahrungstatsachen ab, Schöpfungs-Mythos und Natur-Mythos als Erklärung von Naturerscheinungen oder religiöse Bräuchen, oft aus anthropomorpher Sicht , in dem Naturgewalten in übermenschlich begabten, doch von menschlichem Gestalt abgeleiteten Personen verkörpert werden, die später neben physische auch ethische Kräfte erhalten.
II. Halbgeschichtliche Mythen. Diese Mythen erzählen über früheste Kriege und Heroen. Sie sind oft mit Götter-Mythen verschmolzen und durch phantastische Ausmalungen entstellt.
III. Aus reiner Phantasiefreude entstandene und bezogene Mythen . Es gibt zwei Deutungsmöglichkeiten: 1) rational-allegorisch aus unbeteiligter Distanz und 2) irrational mit gefühlsmäßiger Annäherung. (Vgl. Gero von Wilpert, Kröner,Stuttgart,´89)

Die Mythen befruchten nicht nur die ganze Literatur, sondern dienen auch als Symbolstoff für Lesbarkeit der Welt. Die Schriftsteller verwenden oft einzelne mythische Symbole, andersfalls ganze Mythen in seinem Schaffensstoff, sowie auch kombiniert, aktualisiert und dichterisch ausformt. Immer wieder erzählten Mythen haben ihren authentischen Form verändert. Sie wurden auch in der griechischen Antike in den Tragödien, den Epen erzählt. So ein Dichter ist uns unter der Name Ovid mit seiner Sammlung von Verwandlungen „Metamorphosen“ bekannt . Die Mythen werden in der Literatur, bzw. in einem Werk spielerisch eingesetzt. Man bemüht sich die Bildlichkeit, mit ihren Figuren und ihren Geschichten widerzuspiegeln. Die Mythologie wird zitat- und anspielenderweise genutzt, um poetische Bestandheit zu bewahren. Im Mythos fehlen psychologische Motivierung und Moral. Die Figuren sind flach und betreiben nur für sie geschaffene Funktion. Sie erscheinen als Spielzeugen, die sehr gut diese „wirkliche“ Welt schaffen lässt. Genauso wie in „Metamorphosen“ ist der Art die Welt auch „In der letzten Welt“ von Ransmayr geschaffen und uns dargestellt, wo die Figuren für die Erreichung des Buchziels dienen, ausser natürlich der Hauptfigur Cotta.

Das bedeutet, dass die mythologischen Bilder und Geschichten poetisch verfügbar sind. Die Literatur kann sich ihrer bedienen oder im Munde einer Figur ein gelehrtes Zitat zum Hören bringen.

Die nachfolgenden Kapitel werden die Rolle Ovids und die Funktion seines Hauptwerkes „Metamorphosen“ in Christoph Ransmayrs „Die letzte Welt“ aufzeigen.

2. ÜBEREINSTIMMUNGEN ZWISCHEN DEN „METAMORPHOSEN“ UND „DIE LETZTE WELT“

Zwischen Ransmayrs Roman und dem Werk Ovids gibt es viele Übereinstimmungen, formale und inhaltliche. Wenn man die beiden Bücher kennt, kann man das sehr wohl feststellen. Ich würde mich so äußern, dass die Verwandlungen, die „Metamorphosen“ ein zentrales Symbol des Romans „Die letzte Welt“ sind. Diese zwei Werke stehen parallel zueinander.

2.1. Formale Übereinstimmungen

Wenn man das Buch äußerlich betrachtet, fällt sofort auf, dass die Zahl der Kapitel der beiden Bücher gleich ist. “Die letzte Welt“ enthält fünfzehn Kapitel, was der Anzahl der Bücher der „Metamorphosen“ entspricht. Die Zahl 15 ist wie man sagt, die magische Zahl des 3 x 3-Quadrates, oder 3 x 5. Diese Zahl erscheint hier als ein Symbol dessen, worüber in dem Roman oder in den Schriften Ovids geschrieben wurde. Die magische 15 vereinigt diese beiden Werke in dem Sinn, dass der Mensch im All ist, die gemeinsame Seele der Gattung. 15 führt zum Ende einer Reihe. Das ist das Wesen der Mitte, die gleichzeitig die Achse zwischen Himmel und Erde mit dem Menschen ist. Man kann das auch anders betrachten: „Die alte Welt“- die moderne Welt - „Die letzte Welt“. Nach Pythagoras, der über die Harmonie der Zahlen philosophiert hat, ist eine ungleiche Zahl eine Zahl des glücklichen und idealen Lebens.

Der Name Pythagoras spielt hier auch eine andere Rolle. Wir treffen ihn in der „Letzten Welt“ als auch in den Büchern Ovids. In den „Metamorphosen“ ist er ein Weiser, durch den Ovid von einer idealen Welt spricht, die Rücksicht auf die Dinge nimmt und später wieder zu ihrem idealen Anfang zurückkehrt. (Dambrauskas, 1979, Metamorphosen XV, 454-455). In der „Letzten Welt“ erscheint er aber als ein Knecht Naso und zugleich steht er der alten Welt gegenüber. Die Bewohner Tomis halten ihn für ein wenig verrückt. Er wandert nach Trachila und bleibt da in einem altem Steinhaus wohnen. Cottas Gedanken, als er Pythagoras zum ersten Mal in Trachilla traf:

“Pythagoras, der Knecht Nasos, war keiner Anrede mehr zugänglich, verfiel aber manchmal in hastige, leise Selbstgespräche ohne Gebärden, schimpfte Cotta dann einen Aasfresser, der sich von den Leichen seiner Verwandten ernähre [...].” (S.17)

Dadurch sehen wir eine andere Übereinstimmung. Das sind die Namen der Personen, die in den beiden Welten zu treffen sind. Die Namen, beispielsweise Naso und Cotta, sind gleich mit denen aus den “Metamorphosen”. Im Allgemeinen, wenn man sie in breitem Sinn betrachtet, wird man wohl merken, dass auch ihr Schicksal übereinstimmt. Zum Beispiel wird Lycaon zum Wolf. (I. 14-15). Cotta sieht Lycaon in einer Gestalt des Wolfes in das Gebirge laufen:

“(...) er warf sich aus vollem Lauf auf die Steine und blieb nicht liegen, und richtet sich auch nicht wieder auf, sondern rannte, hetzte auf allen vieren weiter, auf allen vieren immer höher und tiefer in die Nacht.” (S. 85).

“Cotta erkannte, (...) dass sein Fluchtweg auch der Weg Lycaons gewesen war, der Wolfsweg.” (S. 86)

Noch eine Verwandlung ist bei der Person Battus zu sehen. Er wird versteinert: “Fama schrie. Denn noch bevor sie entsetzt und zärtlich über die Stirn ihres Sohnes strich, wusste sie, dass dieses verstörte Wesen (...), zu Stein geworden war.” (S. 214) “Ein Orkan, das war ein Vogelschwarm hoch oben in der Nacht; (...). Ein Orkan, das war das Schreien und das Weinen im Dunkel unter Deck und der saure Gestank des Erbrochenen.” (S. 7)

Das ist der Anfang des Romanes “Die letzte Welt”. Dieser Anfang verweist auf den Anfang der “Metamorphosen”, wo sich alles in einem Chaos herum dreht. (Ebd. I, 5-10)

Man muss aber die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass derselbe Aufbau des Romanes nicht gleich geschildert ist, wie in den “Metamorphosen” Ovids. Die Ereignisse sind in umgekehrter Reihenfolge dargestellt. Am Anfang des Romanes von Ransmayr treffen wir eine Person Pythagoras (I. S.16-17), die bei Ovid erst zum Schluss des Buches auftritt. (XV, 403ff.)

Das ovidische Werk folgt einer endlosen Reihe von Verwandlungen: die Verwandlung der Welt vom Chaos ihres Beginns zur imperialen Ordnung der Augusteischen Epoche. (Vgl. Kindlers Neues Lit. Lex., S. 844-845). Chr. Ransmayr setzt seinen Roman den ovidischen Schriften entgegen. “Die letzte Welt” beginnt mit der Aufklärung und führt zum Chaos. Die Handlung findet in Rom statt. Cotta wandert aus Rom, wo der Imperator Augustus herrscht, nach Tomi zurück.

[...]

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Mythos und Intertextualität in Chr. Ransmayrs " Die letzte Welt"
Hochschule
Vilnius University  (Lehrstuhl für Germanische Philologie)
Note
1,2
Autor
Jahr
2004
Seiten
46
Katalognummer
V65960
ISBN (eBook)
9783638583725
ISBN (Buch)
9783656795957
Dateigröße
637 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mythos, Intertextualität, Ransmayrs, Welt
Arbeit zitieren
Ruta Jokubaityte (Autor:in), 2004, Mythos und Intertextualität in Chr. Ransmayrs " Die letzte Welt", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/65960

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