"Europa ist eine bestimmte Sehweise von Mensch, Gesellschaft und Welt, eine Wertegemeinschaft - trotz der Katastrophen in seiner Geschichte und in seiner Gegenwart. Die tragenden Werte, die sich mit der europäischen Kultur untrennbar verbinden, sind die Würde der Person, die Herrschaft des Rechts und die Unterscheidung zwischen Geistlichem und Weltlichem. Sie machen die europäische Identität aus". (RAU (1999) zit. nach Kardinal VLK, Erzbischof von Prag und Präsident der Europäischen Bischofskonferenzen)
Während vor einigen Jahren nur 15 Staaten Mitglieder der Europäischen Union waren, hat sich die Situation heute drastisch geändert. Europa wächst zusammen und bildet zurzeit einen in Nationalstaaten gegliederten Kontinent von 25 Ländern. Der Begriff Europa hat längst nicht mehr nur einen geographischen, wirtschaftlichen und politischen Aspekt, sondern darüber hinausgehend auch einen kulturellen im weitesten Sinne. Europa ist auf dem Weg zu einer Vielfalt von Kulturen, Mentalitäten und Sprachen, es stellt ein buntes Bild dar aus Erfahrungen, Erinnerungen, Baustilen, Ess- und Trinkgewohnheiten sowie Umgangs- und Lebensweisen. Die Annäherung der Staaten und Völker fördert ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
Insbesondere Jugendliche und Kinder kommen täglich mit ausländischen Mitbürgern zusammen. Sie erfahren dabei Europa, ohne es bewusst wahr zu nehmen. Besonders in der heranwachsenden Generation muss zusätzlich ein europäisches Bewusstsein gefördert werden. Die zukünftige Einheit Europas hängt entscheidend von einer europäischen Identität ab. Diese Einheit kann dann gelingen, wenn parallel zur wirtschaftlichen Vernetzung eine Werte-, Rechts-, Bildungs-, und Kulturgemeinschaft entsteht. Die Bevölkerung muss sich mit konkurrierenden Identitäten auseinandersetzen, um so das vorgenannte Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln.
Ziel dieser Arbeit ist, die Bedeutung und Möglichkeiten der Schule bei der Findung der europäischen Identität aufzuzeigen. Gerade Kinder im Grundschulalter sollen über Grenzen hinweg zu einer gemeinsamen europäischen Identität geführt werden. Dieser Aspekt soll im theoretischen Teil untermauert werden.
Während einerseits europäische Einrichtungen europäisches Bewusstsein im Unterricht fördern, wird diese Förderung andererseits noch mit Defiziten an Hand von Studien bemängelt. Die vorliegende Arbeit soll einen Lösungsansatz zur grundschulgerechten Umsetzung der Thematik liefern.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Zielsetzung der Arbeit
1.2 Aufbau der Arbeit
2 Theoretische Bezüge
2.1 Europa, Geografie und Politik
2.1.1 Geographie Europas
2.1.2 Europäische Politik
2.2 Entwicklung von Europäischer Identität
2.2.1 Identitätsbildung
2.2.2 Eingrenzung des Begriffs „europäische Identität“
2.2.3 Europäische Identität, Ziel einer Erziehung in der Schule
2.2.4 Bildungspolitik und europäische Identität
2.3 Ansätze zur Verwirklichung von europäischen Identität im Unterricht
2.3.1 Funktion und Aufgabe der Curricula
2.3.2. Die Rolle der Lehrer
2.3.4 Unterrichtsmaterialien
2.4 Kritische Betrachtungen
3 Projekt zur Stiftung europäischer Identität in der Grundschule
3.1 Modell der Grenzkompetenz
3.2 Analyse der Lernvoraussetzung
3.2.1 Schulsituation
3.2.2 Klasseninterne Bedingungen
3.3 Vorbereitung des Projekts „Entdecke Europa“
3.4 Stunden- und Verlaufspläne
3.4.1 Stunde „Europa ein Kontinent“
3.4.1.1 Stundenplan: „Europa ein Kontinent“
3.4.1.2 Verlaufsplan: „Europa ein Kontinent“
3.4.2 Stunde „Europa und sein Name“
3.4.2.1 Stundenplan: „Europa und sein Name“
3.4.2.2 Verlaufsplan: „Europa und sein Name“
3.4.3 Themenbereich 1: „Vorurteile in Europa“
3.4.3.1 Stundenplan: „Vorurteile in Europa“
3.4.3.2 Verlausplan: „Vorurteile in Europa“
3.4.4 Themenbereich 2: „Brauchtum in Europa“
3.4.4.1 Stundenplan: „Brauchtum in Europa“
3.4.4.2 Verlaufsplan: „Brauchtum in europäischen Ländern“
3.4.5 Themenbereich 3: „Natur in europäischen Ländern“
3.4.5.1 Stundenplan: „Natur in europäischen Ländern“
3.4.5.2 Verlaufsplan: „Natur in europäischen Ländern“
3.4.6 Themenbereich 4: „Europapolitik“
3.4.6.1 Stundenplan: „Europapolitik“
3.4.6.2 Verlaufsplan: „Europapolitik“
3.4.7 Themenbereich 5:“ Essgewohnheiten in europäischen Ländern“
3.4.7.1 Stundenplan: „Essgewohnheiten in europäischen Ländern“
3.4.7.2 Verlaufsplanung: „Essgewohnheiten in europäischen Ländern“
3.5 Reflexion des Projekts
3.6 Auswertung der Fragebogen
3.7 Kritische Betrachtung der Projektauswertung
4 Anwendung gewonnener Einsichten
5 Literaturverzeichnis
6 Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 - Europakarte
Abbildung 2 - Europäische Gemeinschaft
Abbildung 3 - Grafische Auswertung der Studie Orientations of Young Men and Women to Citizen ship and European Identity
Abbildung 4 - Modell der Grenzkompetenz
Abbildung 5 - Auswertung Frage 2
Abbildung 6 - Auswertung Frage 1
Abbildung 7 - Auswertung Frage 3
Abbildung 8 - Auswertung Frage 4
Abbildung 9 - Auswertung Frage 5
Abbildung 10 - Auswertung Frage 6
Abbildung 11 - Auswertung Frage 7
Abbildung 12 - Auswertung Frage 8
Abbildung 13 - Auswertung Frage 9
Abbildung 14 - Auswertung Frage 10
Abbildung 15 - Auswertung Frage 11
Abbildung 16 - Auswertung Frage 12
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
1.1 Zielsetzung der Arbeit
"Europa ist eine bestimmte Sehweise von Mensch, Gesellschaft und Welt, eine Wertegemeinschaft - trotz der Katastrophen in seiner Geschichte und in seiner Gegenwart. Die tragenden Werte, die sich mit der europäischen Kultur untrennbar verbinden, sind die Würde der Person, die Herrschaft des Rechts und die Unterscheidung zwischen Geistlichem und Weltlichem. Sie machen die europäische Identität aus". (RAU (1999) zit. nach Kardinal VLK, Erzbi- schof von Prag und Präsident der Europäischen Bischofskonferenzen)
Während vor einigen Jahren nur 15 Staaten Mitglieder der Europäischen U- nion waren, hat sich die Situation heute drastisch geändert. Europa wächst zusammen und bildet zurzeit einen in Nationalstaaten gegliederten Kontinent von 25 Ländern. Der Begriff Europa hat längst nicht mehr nur einen geogra- phischen, wirtschaftlichen und politischen Aspekt, sondern darüber hinausgehend auch einen kulturellen im weitesten Sinne. Europa ist auf dem Weg zu einer Vielfalt von Kulturen, Mentalitäten und Sprachen, es stellt ein buntes Bild dar aus Erfahrungen, Erinnerungen, Baustilen, Ess- und Trink- gewohnheiten sowie Umgangs- und Lebensweisen. Die Annäherung der Staaten und Völker fördert ein Zusammengehörigkeitsgefühl.
Insbesondere Jugendliche und Kinder kommen täglich mit ausländischen Mitbürgern zusammen. Sie erfahren dabei Europa, ohne es bewusst wahr zu nehmen. Besonders in der heranwachsenden Generation muss zusätzlich ein europäisches Bewusstsein gefördert werden. Die zukünftige Einheit Eu- ropas hängt entscheidend von einer europäischen Identität ab. Diese Einheit kann dann gelingen, wenn parallel zur wirtschaftlichen Vernetzung eine Wer- te-, Rechts-, Bildungs-, und Kulturgemeinschaft entsteht. Die Bevölkerung muss sich mit konkurrierenden Identitäten auseinandersetzen, um so das vorgenannte Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln.
Ziel dieser Arbeit ist, die Bedeutung und Möglichkeiten der Schule bei der Findung der europäischen Identität aufzuzeigen. Gerade Kinder im Grund- schulalter sollen über Grenzen hinweg zu einer gemeinsamen europäischen Identität geführt werden. Dieser Aspekt soll im theoretischen Teil untermauert werden.
Während einerseits europäische Einrichtungen europäisches Bewusstsein im Unterricht fördern, wird diese Förderung andererseits noch mit Defiziten an Hand von Studien bemängelt. Die vorliegende Arbeit soll einen Lösungsan- satz zur grundschulgerechten Umsetzung der Thematik liefern. Darüber hinaus wird deren Erfolg anhand eines durchgeführten Projektes an der Ba- den-Württembergischen Grundschule X belegt. Diese steht stellvertretend für alle baden-württembergischen Grundschulen, in denen das Projekt ebenso hätte durchgeführt werden können.
1.2 Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit gliedert sich in vier Hauptkapitel. Das erste Kapitel erläutert die Zielsetzung der Arbeit. Das zweite Kapitel zeigt mögliche Zugänge zum Thema Europa auf. Dabei werden zwei Bezugsebenen bezüglich Europa analysiert, so dass der Leser eine Antwort auf die Frage findet, wie Europa definiert wird. Zudem enthält dieser Abschnitt grundlegende Informationen im Hinblick auf Identität im Allgemeinen, um im zweiten Teil des Kapitels auf europäische Identität als Ziel einer Erziehung näher eingehen zu können. Darüber hinaus werden Aufgabe und Funktion von Curricula, Lehrern und Unterrichtsmaterialien dargestellt.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf dem dritten Kapitel. Ausgehend von den Problemen bei der Umsetzung des Themas Europa wird hier ein Unterrichts- projekt zur Durchführung in mehreren Unterrichtsstunden vorgestellt. Dieses Projekt ist für eine Grundschulklasse konzipiert und hat zum Ziel, Kinder auf Europa „neugierig zu machen“ und Interesse für europäisches Bewusstsein zu wecken, so dass Kinder eine europäische Identität entwi- ckeln können. Der Erfolg des durchgeführten Projektes wird mit einer Reflexion der Unterrichtseinheiten sowie mit der Auswertung einer Fragebo- genaktion abschließend belegt. Daraufhin erfolgt im vierten Kapitel ein Ausblick als Abschluss der Arbeit.
2 Theoretische Bezüge
2.1 Europa, Geografie und Politik
Der Begriff Europa kann von verschiedenen Bezugsebenen aus gesehen werden, wovon beispielsweise die politische, die kulturelle, die institutionelle, die geographische, emotionale und die historische Bezugsebene genannt werden.
Die vorliegende Arbeit stellt die geographische und die politische Ebene in den Vordergrund und geht auf diese ohne Anspruch auf Vollständigkeit knapp ein. Die Geographie als räumliche Abgrenzung ist geradezu eine un- abdingbare Vorraussetzung für das Verständnis für Europa, die Politik ist dazu die Grundlage, die diese Einheit durch das Handeln der Völker gestal- tet.
2.1.1 Geographie Europas
Mit seiner Fläche von rund 10,5 Mio. Quadratkilometer zählt Europa nach Australien zu den kleinsten Kontinenten. In Bezug auf seine Bevölkerungs- anzahl (1990: 710 Mio. Einwohner) gilt Europa jedoch als einer der größten Erdteile.
Die geographische Dimension Europas ist nur zum Teil eindeutig. Auf der Nordhalbkugel gelegen sind die Grenzen nach Westen, Süden und Norden durch natürliche Gegebenheiten vorgezeichnet. Die Grenze nach Osten ist hingegen nicht eindeutig definiert, da Russland sowohl ein europäisches als auch ein asiatisches Land ist (vgl. KOPPISCH 1992: 7).
Europa wird untergliedert in:
- Nordeuropa: Island, Norwegen, Schweden, Dänemark, Finnland
- Nordosteuropa: Litauen, Lettland, Estland, nördlicher Teil des euro- päischen Russlands
- Nordwesteuropa: Vereinigtes Königsreich England, Irland sowie Norden von Belgien
- Osteuropa: Ukraine, Weißrussland
- Mitteleuropa: Deutschland, Schweiz, Lichtenstein, Österreich, Tsche- chien, Slowakei
- Westeuropa: Großbritannien, Irland, Frankreich, Belgien, Niederlande und Luxemburg
- Südeuropa: Portugal, Spanien, Italien, Malta, San Marino, Vatikan- staat, Andorra, Monaco
- Südosteuropa: Albanien, Kroatien, Montenegro, Griechenland, Bos- nien, Bulgarien, Herzegowina, Mazedonien, Rumänien, Slowenien, Ungarn, 1/4 von Russland
Zu den abhängigen Gebieten1 zählen: Färöer (zu Dänemark), Gibraltar (zu Vereinigten Königreich) und die Kanalinseln (zu Vereinigten Königreich).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 - Europakarte
(Zur Mühlen 2006)
Die Geographie Europas lässt sich durch die Gedanken Paul Valery gut defi- niert zusammenfassen. Paul Valery bezeichnet Europa als eine Halbinsel, bei der es keine klare und eindeutige Abgrenzung gegenüber Asien gibt (vgl. ARBEITSHILFE FÜR DIE POLITISCHE BILDUNG 1994: 16). Europa kann dementsprechend als keine natürliche geographische Einheit, wie vergleichsweise Australien oder Afrika bezeichnet werden.
2.1.2 Europäische Politik
Nach der Zerstörung großer Teile Europas durch den zweiten Weltkrieg stell- te sich nach 1945 die Frage, wie und in welcher Form die erforderliche politische, territoriale, wirtschaftliche und soziale Rekonstruktion Europas bewältigt werden sollte. Schon in den 40er Jahren mussten neue Organisati- onsformen gefunden werden, die der weit verbreiteten pessimistischen Sicht unter den Europäern entgegentrat und die Einheit Europas zu verwirklichen in der Lage war (vgl. ARBEITSHILFE FÜR DIE POLITISCHE BILDUNG 1994:13).
1951 beschlossen die sechs Staaten (Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande) im Rahmen einer europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS, auch Montanunion) ihre Schwerindustrie und damit die Schlüsselindustrie für die Rüstung gemeinsam zu organisieren (vgl. PRESSE UND INFORMATIONSAMT (Hrsg.) 1996, S.60). Am 23. Juli 1952 trat der ein Jahr zuvor unterschriebene Vertrag in Kraft. Die Gründung der EGKS bildete den ersten Grundstein der Europäischen Einigung (vgl. PRESSE UND INFORMATIONSAMT (Hrsg.) 1996, S. 59).
1957 kam es zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG).
Der EWG Vertrag legt fest, dass sowohl eine „harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens“ als auch „die Vertiefung der Beziehung zwischen den Mit- gliedstaaten“ angestrebt werden soll (vgl. PRESSE- UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG (Hrsg.) 1996: 9). In den Jahren 1973, 1981 und 1986 tra- ten Großbritannien, Dänemark, Irland, Griechenland sowie Spanien und Portugal der EWG bei. Die Europäische Gemeinschaft gewann damit immer mehr an Bedeutung. Im November 1993 wurde der EWG-Vertrag in Europäi- scher Gemeinschafts-Vertrag (EG-Vertrag) unbenannt und der entsprechen- de Vertrag in Maastricht unterzeichnet, der am 1.11.1993 in Kraft trat (vgl. PRESSE UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG (Hrsg.) 1996:168). Zurzeit gehören der Europäischen Union 25 Staaten an.
Mit dem Vertrag von Maastricht entstand die Bezeichnung „Europäische Uni- on“ (EU). Grundsätzlich kann jeder Staat in die EU aufgenommen werden, soweit er bestimmte Vorraussetzungen erfüllt. Der Staat muss sowohl demo- kratisch verfasst sein, die Menschenrechte achten als auch eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung aufweisen (vgl. PRESSE UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG (Hrsg.)1996:12). Der Vertrag von Maastricht demonstriert das Zusammenwachsen Europas zu einer politi- schen Union.
Die Europäische Union verfügt seit 1967 über Organe, die handelnd für sie auftreten (vgl. BOLDT 1995:55). Nach Art. 4 des EG- Vertrages zählen dazu folgende wichtige Organe bzw. Institutionen:
- Europarat
- Europäische Rat
- Europäische Kommission
- Europäisches Parlament
- Europäische Gerichtshof
- Europäischer Rechnungshof
- Europäische Zentralbank
Der Europarat (Ministerrat), gegründet am 5. Mai 1949, ist eine „zwischen- staatliche politische Organisation“ (PRESSE UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG (Hrsg.) 1996:85), dessen Ziel die „Stärkung der Einheit und Zusammenarbeit aller Nationen Europas“ ist (PRESSE UND INFORMATIONS- AMT DER BUNDESREGIERUNG (Hrsg.) 1996:85). Zu den Aufgaben des Rates zählen sowohl die Stärkung der Menschenrechte als auch die Förderung der Grundfreiheiten in Europa. Des Weiteren fördert der Europarat das Bewusst- sein einer europäischen kulturellen Identität in der Bevölkerung (vgl. PRESSE (vgl. PRESSE UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG (Hrsg.)1996:85). Der Europarat besteht aus je einem Vertreter der Mitgliedstaaten auf Minis- terebene, er tagt in Straßburg (vgl. BOLDT 1995:56). Während der Rat keine Institution der Europäischen Union ist und somit in keiner Abhängigkeit mit ihr steht, zählen der Europäische Rat, das Europäische Parlament und der Europäische Gerichtshof zu Institutionen der Europäischen Union (siehe Ab- bildung 2).
Nicht zu verwechseln mit dem Europarat ist der Europäische Rat. Er zählt zu einem sehr wichtigen Organ der Europäischen Union.
Der Europäische Rat setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs der EU-Länder und den Präsidenten der Europäischen Kommission zusammen, wie es in Abbildung 2 deutlich wird (vgl. PRESSE UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG (Hrsg.) 1996:75). Zweimal jährlich findet in der Regel ein Gipfeltreffen der Mitglieder des Europäischen Rates statt, bei dem über all- gemeine politische Zielvorstellungen für die Entwicklung der Europäischen Union gesprochen wird.
Die Europäische Kommission ist „Motor, Wächter und ehrlicher Makler“, die mit ihrem „Initiativ und Vorschlagsrecht“ im EU-Ministerrat den Gesetzgebungsprozeß anstößt (vgl. PRESSE UND INFORMATIONSAMT DER BUNDESREGIERUNG (Hrsg.) 1996:64). Aufgrund des so genannten Initiativmonopols kann der Rat nur auf ihre Initiative hin Entscheidungen treffen (vgl. BOLDT 1995:58). Die Kommission zählt damit zu einem zentralen Regierungsorgan der Gemeinschaft, von der Tätigkeiten der Gemeinschaft geplant sowie Programme aufgestellt werden (vgl. BOLDT 1995:58).
Die Mitglieder der Europäischen Kommission werden vom Europäischen Rat ernannt, eine Bestätigung muss vom Europäischen Parlament erfolgen Das Europäische Parlament wird direkt von den Bürgern der Europäischen Union gewählt. Aufgrund des Vertrages der Europäischen Union besitzt das Europäische Parlament ein echtes Mitentscheidungsrecht. Die Größe des Europäischen Parlaments hängt von der Zahl der beigetretenen Staaten ab (siehe Abbildung 2). Seine derzeit 626 Abgeordneten werden nach nationalem Wahlgesetz auf fünf Jahre gewählt (vgl. BOLDT 1995:60). Die unterschiedlichen Bevölkerungsgrößen der Mitgliedstaaten bestimmen die Sitzverteilung im Parlament.
Die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Gemeinschaftsverträge wird vom Europäischen Gerichtshof gesichert (vgl. BOLDT 1995:61). Der Europäische Gerichtshof dient als Kontrollorgan und nimmt Klagen an. Sein Sitz ist in Luxemburg.
Die Überwachung der Haushaltsführung der Europäischen Union erfolgt durch den Europäischen Rechnungshof. Der Europäische Rechnungshof zählt wie auch der Wirtschafts- und Sozialausschuss zu den Hilfsorganen, die keine eigentliche Organfunktion besitzen.
Für die Durchführung der Geld-Währungspolitik ist die Europäische Zent- ralbank (EZB), die am 1. Juni 1998 gegründet wurde, zuständig. Zusammen mit den Zentralbanken der Mitgliedstaten bildet die Europäische Zentralbank das Europäische System der Zentralbanken (vgl. ZUR MÜHLE (2004)). Zur Aufgaben der EZB gehören die Verwaltung der Währungsreserven sowie die Versorgung der Kreditwirtschaft mit Zentralbankgeld. Das Ziel der Europäi- schen Zentralbank ist die Gewährleistung der inneren Stabilität der gemeinsamen Währung.
Das folgende Schaubild zeigt die Europäische Gemeinschaften sowie ihre Organe und deren Aufbau:
Abbildung 2 - Europäische Gemeinschaft
(Europäisches Informationszentrum Niedersachsen 2006)
Europa hat durch den Zusammenschluss der sechs Nationen im Jahre 1951 den Anfang in eine bessere Zukunft gewagt. In dem sich Europa zu einem in Nationalstaaten unterteilten Kontinent entwickelte, der als Friedensinitiative entstand, verschwand das pessimistische Bild anderer Völker über Europa. Europa hat sich entwickelt zu einer geographischen, wirtschaftlich und politischen Größe sowie zu einer einer kulturellen Gemeinschaft, die das Leben der Bevölkerung positiv beeinflusst.
2.2 Entwicklung von Europäischer Identität
2.2.1 Identitätsbildung
Die Veränderungen in Europa erfordern eine gemeinsame europäische Identität. Vorraussetzung für die Bildung dieser europäischen Identität ist eine Begriffsbestimmung, die im folgenden Kapitel dargelegt wird.
E.H. Erikson bezeichnet die Identitätsbildung als Hauptaufgabe der Adoles- zenz, jedoch stellt jede Lebensphase die Identität vor neue Aufgaben. Aufgrund der Zuverlässigkeit und Sicherheit seitens der Mutter aus entsteht beim Säugling ein Gefühl von Ich- Identität und somit erfährt das Kind im frü- hesten Alter eine Identität (vgl. SCHULZ 1995:28). Über die Jahre hinweg bekommt das Identitätsgefühl einen neuen Akzent, jedoch setzt die eigene Identitätsbildung erst da ein, wenn der Jugendliche mit einer Reflexion der Identitätselemente beginnt. Nach E.H. Erikson durchquert jede menschliche Persönlichkeitsentwicklung in jeder Wachstumsphase eine, wie Schulz sie beschreibt, „spezifische psychosoziale“ bzw. nach Erikson „normative Krise“ (ERIKSON 2003:144). Diese normative2 Krise bildet eine Basis für Auseinan- dersetzungen mit vermehrt auftretenden Konflikten. In der Adoleszenz erlebt der Jugendliche diese normative Krise, da er sein Kindsein aufgibt und das Erwachsensein aufsucht (vgl. SCHULZ 1995:30). Der Jugendliche sucht eine neue Umgebung, neue Ideale und Ziele. Bis hin zum Alter setzt sich der Mensch mit verschiedenen Entwicklungsaufgaben auseinander und entwi- ckelt somit über die Jahre hinweg die Reife seiner Persönlichkeit.
Unter Identität versteht der Philosoph folgendes:
„Identität ist ein sicheres Gefühl seiner selbst, das Empfinden sich selbst zu bejahen und sich selbst gleich zu sein „ (SCHULZ 1995:24).
E.H. Erikson meint unter den Begriff Identität nicht die „objektiv beobachtba- re, einmalige Kombination von Persönlichkeitsmerkmalen und Eigen- schaften“ sondern eine so genannte Ich-Identität. Bei der Ich-Identität ist man aufgrund der subjektiven Wahrnehmung, „ein beständiges, unverwechselbares Individuum“ (SCHULZ 1995:24).
Identität ist also die Summe von Merkmalen, die einen Menschen von anderen unterscheidet, wobei der einzelne Mensch immer noch identifizierbar bleibt, auch wenn er sich verändert.
Identität kann man in eine individuelle und eine kollektive Identität unterglie- dern. Bei der kollektiven Identität handelt es sich um eine auf die Gruppe ausgerichtete Identität, die individuelle Identität ist auf das Individuum ausge- richtet.
2.2.2 Eingrenzung des Begriffs „europäische Identität“
Europäische Identität ist gleichzusetzen mit einer kollektiven Identität, bei der nicht die individuelle Persönlichkeitsbildung, sondern das Streben einer ge- meinsamen Identität in Vordergrund steht. Aus der nationalen Identität bildet sich eine europäische Identität heraus, mit der sich die Vorstellung von Zu- sammengehörigkeit und Zugehörigkeit verbindet. Es handelt sich hierbei nicht um eine Identität, die die nationale Identität ersetzen soll, sondern zur historisch gewachsenen nationalen Identität hinzutritt und sich allmählich herausbildet. Wer sich stark mit Europa identifiziert, der fühlt sich mit seinem Herkunftsland verbunden und auch umgekehrt. Nation und Europa ergänzen einander, woraus sich eine persönliche Identifikation ergibt.
Bei dem Begriff der Europäischen Identität geht es also um eine erweiterte inter- und supranationale Identität, die aus dem nationalen Bewusstsein he- rausgewachsen ist und somit die kulturellen Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten von Europa ausdrücken möchte. Diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten wecken bei Gruppen und Menschen Neugierde, die durch ein gegenseitiges Kennen lernen besiegelt werden möchte. Grundlegend für das Zugehörigkeitsgefühl ist, sich mit Europa identisch zu fühlen und erst- rangig ein Bewusstsein für andere Staaten zu entwickeln. Das Bewusstsein für andere Staaten muss bereits im frühen Alter vermittelt werden, so dass der Mensch während seines Lebens in der Lage ist, eine über Grenzen hi- nausgehende gemeinsame Identität zu schaffen. Bildungsinstitutionen, insbesondere Schulen haben die Aufgabe ein solches Bewusstsein herbeizu- führen.
2.2.3 Europäische Identität, Ziel einer Erziehung in der Schule
Peter Schreiner schreibt in seinem Artikel „Europäische Identität als pädagogische Herausforderung“:
„ Europa ist eine Herausforderung und keine leicht zu bearbeitende Aufgabe für Schule […] es wurde aber auch klar, dass sich Pädagogik und Schule dieser Herausforderung nicht entziehen können“(SCHREINER 1999:184).
Es stellt sich die Frage, warum Pädagogik und Schule sich dieser Herausforderung stellen müssen.
Der Gedanke des Europäischen Bewusstseins ist schon älter. Bereits Anfang der 50 er Jahre äußerte sich Wilhelm Filtner zur europäischen Kultur und Bildung:
„Europäische Bildung sollte den Menschen Gefühl von Bewusstsein für Eu- ropa vermitteln; ein neues Selbstverständnis, das neben die Identifikation mit dem Nationalen gehöre und mit dem es vielleicht gelinge, einen Schritt vor- wärts zu kommen auf dem Wege zur Weltkultur“ (SCHREINER zit. nach Filtner 1999: 185).
Die Europapolitik strebt einen Einigungsprozess an, der entscheidend von einer europäischen Bewusstseinsbildung abhängt und bildungspolitische Konsequenzen hat (vgl. SCHLEICHER/BOS 1994:10). Wie bereits in der Einlei- tung dieser Arbeit erwähnt, ist das Ziel eine Werte- Rechts-, Bildungs- und Kulturgemeinschaft, so dass ein europäisches Bewusstsein für die Gemein- schaft und die Bürger von großer Bedeutung ist (vgl. SCHLEICHER/BOS 1994:10). Bürger in Europa werden nur dann verantwortungsbewusst und handlungsfähig, wenn sie sich mit konkurrierenden Identitäten auseinander- setzen können. In der heranwachsenden Generation muss ein Bewusstsein europäischer Zusammenhörigkeit entwickelt werden, damit sie sich in der Struktur Europas zurechtfindet.
In Europa wachsen die Integration, die Kooperation sowie die gegenseitigen wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeiten, seien es die Olympischen Spiele, der Weltjugendtag, die Europameisterschaften oder auch Schüler- wettbewerbe. Das Zusammenführen verschiedener Kulturen wird von der Bevölkerung mit Interesse verfolgt. Nicht nur das fachliche Wissen und Kön- nen spielt in Zukunft eine Rolle, sondern auch die Bereitschaft, sich anderen Kulturen zu öffnen (vgl. HELLMANN 1997:4). Die Zukunft der Jugend ist ge- prägt durch eine Lebens- und Berufswelt, die im starken Zusammenhang mit europäischen Strukturen und grenzüberschreitenden Verflechtungen steht. Es ist die Aufgabe der Schule Kinder und Jungendliche sich auf diese Le- benssituation vorzubereiten.
Um den Zusammenhalt der Gemeinschaft zu stärken bedarf es eines gegen- seitiges Kennen Lernens und Verstehens sowie der Fähigkeit, Dialoge über die Grenzen hinweg zu realisieren (vgl. ZENTRUM FÜR EUROPÄISCHE BILDUNG 1990:9).
Eine ältere Umfrage von 1978 veranschaulicht Aussagen und Einstellungen europäischer Nachbarn zueinander. Bei der Umfrage unter 12 bis 23 Jähri- gen zeigte sich, dass immer noch alte Vorurteile bezogen auf die Nachbarländer bestehen. Während Frankreich mit Begriffen wie Weintrinken und lässiges Leben verbunden wird, denken 31 % der Briten an den zweiten Weltkrieg, wenn sie den Namen Deutschland hören (vgl. RENNER 1978:9). Genau diese Ausgangssituation ist eine Grundlage dafür, warum auch die Kultusministerkonferenz eine europäische Identität als Ziel einer Erziehung schon in den 70 er Jahren forderte. Doch wenn in einer Studie von 2004 (siehe Kapitel 2.3.) noch jeder dritte deutsche Jugendliche antwortet, dass das Thema Europa wenig oder gar nicht während seiner Schulzeit themati- siert wurde, zeigt dies, dass die Basis für eine europäische Identität noch viel stärker ausgearbeitet werden muss. Europäische Identität als Ziel einer Er- ziehung hat die Aufgabe, die oben beschriebenen Meinungsbilder durch ein europäisches Bewusstsein zu ersetzen. Das Existieren einer Wir-Sicht soll jedem Menschen das Gefühl geben, dass er Teil einer Gruppe ist und man den Deutschen, Franzosen oder Griechen nicht nur als Individuum sieht, sondern als Gemeinschaft (vgl. EUROPÄISCHE BILDUNG 199:30).
Der Bürgermeister vom Hamburg, Dr. Kurt Svieveking sagte bereits 1955:
„[…] Dieses kulturelle Europa, das wir lieben, ist eine Wirklichkeit, die zu erhalten unsere Pflicht ist. [..] Angesichts der Gefahr, dass das Wort vom Untergang des Abendlandes sich verwirklichen könnte, besinnen sich die europäischen Nationen auf ihre Zusammengehörigkeit, und der jahrhun- dertealte Traum von der politischen Einigung Europas ist zur politischen Aufgabe unserer Tage geworden“ (HANSEN zit. nach Svieveking 1996:77).
Neben der Politik und Publizistik fordert auch die Kultusministerkonferenz der BRD 1978 die Förderung eines Europäischen Bewusstseins im Unterricht, um so zu einer europäischen Identität zu gelangen. Der Europäische Bin- nenmarkt erfordert von der Gesellschaft unbegrenzte Mobilität. Mobilität heißt auch, im Geiste beweglich zu sein, andere Mentalitäten zu kennen und zu respektieren sowie die Überwindung der für Europa so typischen geographi- schen und nationalen Klammerung (vgl. BOSCH 1993: 103/104).
Zusammenfassend ist die Bedeutung, europäisches Bewusstsein als Ziel einer Erziehung in der Schule anzustreben, nochmals zu betonen. Europäi- sches Bewusstseins muss im Unterricht vermittelt werden. Bildung muss über die Grenzen der eigenen Regionen hinausgehen und internationales agieren angestrebt werden. Die Leitidee besteht darin, das Zusammenleben der Menschen innerhalb Europas zu fördern und zu stärken, so dass eine europäische Identität entsteht. Der vorgenannte Sachverhalt wird durch fol- gendes Zitat nochmals betont:
„ Nicht erst internationale Schulleistungsstudien haben uns vor Augen geführt, dass Bildung im 21. Jahrhundert nicht in den Grenzen einer Stadt, einer Region oder eines Bundeslandes gedacht und organisiert werden kann. Menschen stehen in internationalen Zusammenhängen. Sie stehen heute in einem internationalen Wettbewerb, beispielsweise um Arbeitsplätze […]. (Mickel zit. nach Kultusminister Helmut Rau 2003: 78 )
2.2.4 Bildungspolitik und europäische Identität
„ Kinder auf Europa neugierig zu machen und ihr Interesse für ein europäisches Bewusstsein zu wecken, so dass sie eine europäische Identität entwickeln können“ ist das Ziel europäischer Bildungspolitik, was im folgenden Kapitel detailliert geschildert werden soll.
Die Kultusministerkonferenz3 vom 8. Juni 1978 hat mit ihrer Empfehlung über „Europa im Unterricht“ erstmals Leitlinien für den europäischen Bildungsauftrag in Schulen dargelegt.
Die Kultusministerkonferenz machte deutlich, dass das Zusammenwachsen Europas Menschen herausfordert, sich anderen Kulturen zu öffnen, Toleranz und Solidarität zu stärken, ihre nationale Geschichte sowie Tradition aus ei- nem anderen Blickwinkel zu betrachten und das Zusammenleben mit Menschen anderer Kulturen und anderen Gewohnheiten zu praktizieren. Die Schule hat die Aufgabe, dieses Zusammengehörigkeitsgefühl zu fördern, indem sie neue Beziehungen innerhalb der Völker bewusst macht und das Verständnis entwickelt, dass in vielen Bereichen unseres Lebens europäi- sche Entscheidungen verlangt werden und somit ein europäisches Bewusstsein unerlässlich ist. Des Weiteren wurde von der Kultusministerkon- ferenz deutlich gemacht, wie man die europäische Dimension in Bildung und Erziehung umsetzen kann und welche Kenntnisse und Einsichten die Schule vermitteln muss.
Am 23. September 1993 wurde das Grünbuch4 zur europäischen Dimension im Bildungswesen verabschiedet. Ziffer 1 des Grünbuchs formuliert: „Dieses Grünbuch über die „Europäische Dimension im Bildungswesen soll Denkan- stöße für mögliche Zielsetzung eines gemeinschaftlichen Handelns im Bildungsbereich liefern. In der Tat hat der Vertrag zur Gründung der Europäi- schen Gemeinschaften [...] in seiner durch den Vertrag über die Europäische Union geänderte Form mit Artikel 126 neue Zuständigkeiten der Gemeinschaft im Bildungswesen eingeführt“ (KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFT (Hrsg.) 1993:2). In diesem Grünbuch werden die Aufgaben, die die Institution Schule bei der Umsetzung der Europäischen Dimension5 im Unterricht zu bewältigen hat, näher erläutert.
Der Maastrichter Vertrag, der die Grundlage für die allgemeine und berufliche Bildung in der Gemeinschaft bildet, stellt in Kapitel 3, Artikel 126 folgende Ziele dar:
- „Entwicklung der Europäischen Dimension im Bildungswesen, insbe- sondere durch Erlernen und Verbreitung der Sprachen der Mitgliedstaaten;
- Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden, auch durch die Förderung der akademischen Anerkennung von Diplomen und Studienzeiten;
- Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Bildungseinrichtungen;
- Ausbau des Informations- und Erfahrungsaustausches über gemein- same Probleme im Rahmen der Bildungssysteme der Mitgliedstaaten;
- Förderung des Ausbaus des Jugendaustausches und des Austau- sches sozialpädagogischer Betreuer;
- Förderung der Entwicklung der Fernlehre“ (Kapitel 3, Artikel 126 Maastrichter Vertrag).
Der Europarat ist eines der wichtigsten Gremien, von dem bedeutsame bil- dungspolitische Intentionen sowie Bildungsanstöße ausgehen. Dabei wird deutlich, wie sehr das Gremium sich um europaübergreifende Vereinbarun- gen zur Erhaltung der Menschrechte um die Demokratie und Kultur sowie um den Abbau nationaler Vorurteile bemüht (vgl. Schleicher/Bos 1994:20). Der Europarat bemüht sich um ein besseres wechselseitiges Verständnis zwi- schen den Völkern. Ziel ist, die europäischen Nationen und Völker näher zusammenzubringen, so dass sie zum dauerhaften Frieden beitragen kön- nen. Bildungsprogramme des Europarates haben als Aufgabe, Länder in dieser Umbruchsituation zu helfen. Der Europarat betont immer wieder die Bedeutung, an der frühkindlichen Erziehung anzusetzen, da in dieser Zeit sowohl ein Verständnis bezogen auf die Kultur und Welt entwickelt werden kann, als auch das Lernen bezüglich Einstellungen und Beziehungsmustern. Frühkindliche Erziehung hilft, Toleranz zu üben sowie sich anderen Kulturen zu öffnen (vgl. Schleicher/ Bos 1994: 23). Die Grundschule muss dazu bei- tragen, dass Kinder Respekt und Verantwortlichkeit entwickeln. Der Europarat betont die Notwendigkeit, vielfältige Kontakte zwischen verschie- denen Nationen aufzubauen.
Kapitel 2.2.4 macht deutlich, dass die europäische Dimension im Unterricht nicht mehr nur von Lehrern und Idealisten betrachtet wird, sondern dass sich auch die Politik mit dieser Thematik auseinanderzusetzen hat. Mitglieder der Kultusministerkonferenz sowie dem Europarat fördern die europäische Di- mension im Unterricht. Diskussionspapiere der Europäischen Kommission, die das Ziel der Förderung europäischen Bewusstseins im Unterricht in Gang setzen wollen, tragen zur öffentlichen Diskussion bei. In einzelnen Paragra- phen des Maastrichter Vertrags ist die Bedeutung der Förderung eines europäischen Bewusstseins im Unterricht ebenfalls niedergelegt.
Die Notwendigkeit, europäische Dimension im Unterricht zu fördern ist grundsätzlich anerkannt. Die Frage stellt sich jedoch, wie dieses Ziel im Unterricht methodisch und didaktisch behandelt werden soll.
2.3 Ansätze zur Verwirklichung von europäischen Identität im Unter- richt
Bilder, beispielsweise von Van Gogh sind in vielen Museen zu finden, Opern von Strauß werden weltweit gespielt und Bücher von Astrid Lindgren können in sämtlichen europäischen Sprachen gelesen werden. Kinder werden be- reits heute in vielen Bereichen mit Europa konfrontiert. Die Forderung, dass sich die Schule schon längst mit dem Europagedanken auseinandergesetzt haben sollte, wird alleine an diesen Beispielen deutlich. Wir haben es hier jedoch mit dem Mangel in der Methodik und Didaktik zu tun (vgl. HOLZ 1999: 98). Bei dem Thema Europa wird nämlich überwiegend über geschichtliche Fakten unterrichtet, was unbestrittenerweise auch von Bedeutung ist. Die Kultur der europäischen Länder wird jedoch nur eingeschränkt oder gar nicht thematisiert. „Europa in die Schule integrieren heißt, es erlebbar und erfahr- bar zu machen“(HOLZ 1999:98). Daher sollte Europa nicht nur politisch und historisch betrachtet werden, sondern auch die kulturelle Komponente ist von Bedeutung.
In dem von der europäischen Kommission geförderten Sozialforschungspro- jekt "Orientations of Young Men and Women to Citizenship and European Identity“ wird dargestellt, dass deutsche Jugendliche wenig über Europa wis- sen und dieses Thema nur im geringen Umfang im Unterricht behandelt wird. So geben 34% der Ostdeutschen und 36% der Westdeutschen an, dass das Thema Europa wenig bis gar nicht in ihrer Schullaufbahn thematisiert wurde. Das folgende Diagramm stellt dies dar (vgl. JAMIESON 2005:45).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3 - Grafische Auswertung der Studie Orientations of Young Men and Women to Citizen ship and European Identity
Zur Umsetzung des Themas ist auf andere wichtige Aspekte hinzuweisen bzw. diese sind zu analysieren. Dazu gehört die Auseinandersetzung mit der Funktion und Aufgabe der Curricula aber auch die Rolle der Lehrer. Daraus können Anhaltspunkte z.B. zur Reform der Lehrpläne entwickelt sowie Hilfe- stellungen für die Lehrer bei der Durchsetzung des Europagedankens im Unterricht gegeben werden.
Im Folgenden wird hierauf näher eingegangen.
2.3.1 Funktion und Aufgabe der Curricula
Einen Grundstein für die Verwirklichung der Europäischen Dimension im Unterricht bilden die Curricula mit der Aufgabe der Integration dieses Themas. Die Europäische Dimension soll in allen geeigneten Unterrichtsfächern thematisiert werden. Es handelt sich hierbei sowohl um Fächer wie Erdkunde Geschichte und Sozialkunde als auch den Fremdsprachenunterricht (vgl. HOLZ 1999: 113). Von Bedeutung sind ebenso Methoden und Handlungsstrategien, die den Pädagogen Hilfestellung zur methodischen Umsetzung oder Forderung nach europäischem Bewusstsein geben.
„Unzureichende Sprachkenntnisse stellen gegenwärtig eines der größten Mobilitätshindernisse dar“ (vgl. GRÜNBUCH ZUR EUROPÄISCHEN DIMENSION IM BILDUNGSWESEN 1993:9).
Bei der Entwicklung des Europäischen Bewusstseins sind Fremdsprachenkenntnisse eine gleichwertige Vorraussetzung für die Kommunikation mit anderen Ländern. Fremdsprachen dienen als „Schlüssel zum Zugang in andere Kulturkreise“ (vgl. HOLZ 1999:117). In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich, bisherige Curricula zu ergänzen und einen intensiven Fremdsprachenunterricht zu fördern.
Die Umsetzung der europäischen Dimension im Unterricht in Curricula erfolgt in den verschiedenen Ländern unterschiedlich. In der Bundesrepublik Deutschland beispielsweise wurden die Lehrpläne intensiv überarbeitet. Beispielweise in Baden- Württemberg lernen Schüler seit 2005 ab der ersten Klasse eine Fremdsprache, in Schweden wurde die Europäische Dimensionsogar bei der Erarbeitung neuer Lehrpläne integriert.
2.3.2. Die Rolle der Lehrer
Pädagogen haben die Aufgabe, das Thema Europa erlebbar bzw. erfahrbar zu machen und verständnisvoll den Schülern näher zu bringen. Es müssen ihnen daher Möglichkeiten aufgezeigt werden, „die zur Sensibilisierung ge- genüber der Thematik und zur Einbettung des Themas in das Unterrichtsgeschehen führen“ (HOLZ 1999:113). Aufgrund der schnelllebigen Thematik sollten Pädagogen ihr Wissen und ihre Kenntnisse immer wieder aktualisieren.
Europa erlebbar und erfahrbar zu machen bedeutet auch flexibel und mobil zu sein. Pädagogen spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Die Lehrer sollten Kontakte und Erfahrungsaustausche mit anderen Kulturen för- dern, indem z.B. ständige Schüleraustausche angeboten werden. Außerschulische Aktivitäten unterstützen maßgebend diesen Prozess. Lehrer und Schüler müssen den persönlichen Kontakt von Kind zu Kind in den Al- tersgruppen fördern, welches z.B. auch in Form von Briefpartnerschaften oder E-Mailkontakt stattfinden kann.
2.3.4 Unterrichtsmaterialien
Die Auswahl von Unterrichtsmaterial und Medien stehen im engen Zusammenhang mit Motivation und Methode. Unterrichtsmaterialien müssen den Schüler ansprechen, so dass Schüler motiviert sind, sich intensiver mit dieser Thematik auseinanderzusetzen (vgl. RENNER 1979: 34).
Problematisch ist jedoch, dass wenig Unterrichtsmaterial über Europa für die Grundschule vorhanden ist. Da sich Europa ständig weiterentwickelt, ist auf jeweilige Aktualisierung zu achten.
2.4 Kritische Betrachtungen
Durch die Auseinandersetzung mit der Thematik wird deutlich, wie wichtig, aber auch wie vielseitig das Thema der europäischen Identität ist.
Zwischen europäischen Ländern wächst die Integration, Kooperation und Abhängigkeit, so dass eine Konfrontation mit dem Thema Europa im frühen Alter der Schüler erforderlich ist, bereits im Grundschulalter muss europäi- sches Bewusstsein vermittelt werden. Die Auseinandersetzung mit fremden Menschen und Kulturen führt in diesem Alter zu einer Selbstverständlichkeit im Nachdenken über Europa und zu einem europäischen Wir-Gefühl, denn Kinder und Jugendliche setzen sich relativ unkompliziert mit dem Umgang mit Menschen auch aus anderen Ländern auseinander. Es ist das Ziel Men- schen für Europa zu gewinnen, was durch Beiträge der Schule bewirkt werden kann. Dies ist die Chance für eine frühkindliche Erziehung und Bil- dung in Bezug auf Europa, wobei schulische Erziehung die Grundlage für die in Europa benötigten Fähigkeiten bildet. Schüler müssen die Fähigkeit zu Interaktion und Kommunikation, Fremdsprachenkompetenz und Wissen über die jeweiligen Nachbarländer erwerben. Europa kann dadurch bewusst wahr- genommen und emotional erlebt werden. Für Schulen bedeutet dies, sich in den Prozess der Heranführung an Europa einzubeziehen und traditionelle Vorstellungen zu überdenken. Dabei muss sich von selbst verstehen, dass die Thematik nicht zu Propaganda- oder Manipulationszwecken missbraucht werden darf.
Nach Öffnung der Grenzen zwischen Ost und West wird die Veränderung auf der Weltkarte inzwischen schon als etwas Vertrautes angesehen. Bei näherer Betrachtung ist dies alles andere als selbstverständlich und umso mehr gilt es, die Unterschiede zwischen Fremdem und Eigenem tiefer zu betrachten. Das Vergleichen muss zu Kooperation und zum Aufbau von Verständnis führen. Dazu gehört auch die kritische Auseinandersetzung sowohl mit der eigenen, als auch mit anderen Kulturen.
Die Förderung nach europäischem Bewusstsein wird durch mehrere Konferenzen bestärkt, doch Resultate daraus sind in der Praxis kaum erkennbar. Dokumente geben Anregungen, wie man das Thema in der Sekundarstufe den Schülern näher bringen kann, jedoch bleibt die Grundschule außen vor. Man geht auf Fächer wie z.B. Erdkunde, Sozialkunde und Geschichte ein, die jedoch nicht im Grundschulunterricht gelehrt werden.
Meines Erachtens fordert man Grundschulkindern kein zu hohes Maß an Bil- dung zu, da sie in der Lage sind, einen Forscherdrang zu entwickeln, um so die Welt um sich herum zu erschließen. Grundschulkinder müssen die Mög- lichkeit bekommen, reale Erfahrungen mit der realen Welt zu machen. Lehrer können an den Erfahrungen der Kinder ansetzen und sich einer Aufgabe so- wie Herausforderung stellen, die von Spannung gekennzeichnet ist.
3 Projekt zur Stiftung europäischer Identität in der Grund-
Die Grundschule legt die Basis für weiterführendes Lernen. Projekte sind dabei eine gute Methode, Wissen lebendig und selbstentdeckend zu vermitteln. Die Auseinandersetzung mit anderen europäischen Ländern hilft den Schülern, Ängste abzubauen und die eigene Kultur durch die Konfrontation bewusster wahrzunehmen. Das partnerschaftliche Zusammenleben bewirkt die Bildung einer gemeinsamen Identität.
Es stellt sich nun die Frage, wie man das Thema „Europa“ Grundschulkin- dern näher bringen kann, so dass sie angemessen mit dem Thema konfrontiert werden und sich nicht überfordert fühlen. In diesem Zusammen- hang beschreibt Kapitel 3.3 ein selbst konzipiertes Projekt, das in der Grundschule X in X durchgeführt wurde. Im Rahmen dieses Projektes unter- nahmen die Schüler gedanklich eine Reise durch Europa und machten in verschiedenen Ländern Station, um die jeweilige Kultur kennen zu lernen. Der Unterricht orientierte sich an dem Modell der Grenzkompetenz, indem einzelne Lernziele den Kompetenzstufen zugeordnet wurden. Zunächst wird in Kapitel 3.1. das Modell von Herrn Professor Dr. Raasch nähert erläutert.
3.1 Modell der Grenzkompetenz
Das von Herrn Professor Dr. Raasch entwickelte Modell macht deutlich, dass es sich um einen Prozess handelt, der sich über Jahre hinweg entwickelt. Die in den einzelnen Stufen erworbenen Teilkompetenzen stehen im engen Zusammenhang zueinander und dürfen somit nicht unabhängig voneinander betrachtet werden. Das Modell entwickelt sich in folgenden Stufen, die sich in Abbildung 4 wieder finden (vgl. RAASCH 2005:120):
- Zur ersten Stufe des Modells gehört der Erwerb der landeskundlichen Kompetenz. Hierunter versteht Raasch die Fähigkeit, über „die Anderen“ und „das Andere“ Bescheid zu wissen. Diese Fähigkeit soll zum intelligenten Umgang mit diesem Wissen führen.
- Aufbauend auf die erste Stufe entwickelt der Mensch die „kontrastiv- landeskundlichen Kompetenz“. Hier wird die Fähigkeit vermittelt neben dem Bescheid wissen über andere Kulturen die eigene Kultur zu vergleichen, um so die andere Welt besser zu verstehen. - In der dritten Stufe welche als Empathie- Kompetenz bezeichnet wird, versucht man neben dem Vergleichen und Kontrastieren, ein Ver- ständnis und Verstehen zu entwickeln. Es geht nicht unbedingt darum, Sympathie zu empfinden aber wenigstens eine Empathie zu entwi- ckeln.
- Aufgrund der Stufe der interkulturellen Kompetenz kann man mit den anderen Kulturen zusammenarbeiten, so dass die unterschiedlichen Welten versuchen zu interagieren. Es geht heutzutage nicht nur darum etwas zu verstehen, sondern auch zu handeln und zu kooperieren. Das Wissen über das andere Land, das Verständnis und die Akzeptanz für Fremdes, bildet eine Grundlage, auf die eine interkulturelle Kompetenz aufgebaut werden kann.
- Es kommt zu einer intra -kulturellen Kompetenz, wenn man bereit ist, nicht nur zu kooperieren, sondern auch zusammenzuwachsen, um über die Grenzen hinweg eine gemeinsame Identität zu bilden, die auf allen vier vorangehenden Stufen gründet. (vgl. Raasch 2005: 121).
[...]
1 Bei den Ländern der abhängigen Gebiete handelt es sich um Territorien, die weder eigen- ständige Staaten noch normale Bestandteile eines Landes sind. Die Rede ist hierbei von Gebieten, die aufgrund ihrer geographischen Lage, wie Inseln, Überseegebiete und Exkla- ven, nicht vollständig zum Mutterland gehören oder in einer besonderen Weise zu ihr stehen.
2 Jugendliche durchlaufen in der Adoleszenz übliche bzw. normale Krisen, in der sie schwierige Aufgaben zu meistern haben. Der Jugendliche muss seine eigene Identität, sein Selbstwertgefühl und seine Individualität herausarbeiten.
3 Zusammenschluss der Minister, die für Bildung und Erziehung sowie für kulturelle Angelegenheiten zuständig sind. Die Konferenz der Kultusminister aus Ländern der Bundesrepublik Deutschland wurde 1949 gegründet.
4 Diskussionspapier der Europäischen Kommission zu einem bestimmten Thema, die politische Ziele schriftlich festhalten wollen
5 Das Wort Dimension bezeichnet eine physikalische Ausdehnung in Raum und Zeit, eine mathematische Dimension, ebenso eine messbare Eigenschaft ihrer Größe sowie eine be- triebswirtschaftliche Dimension. Hier wird der Begriff im Zusammenhang mit Schulen verwendet, die als Aufgabe haben den Europagedanken zu fördern bzw. auszudehnen.
- Arbeit zitieren
- Annabelle Kalb (Autor:in), 2006, Entwicklung von Europäischer Identität an der Baden-Württembergischen Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66085
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