Die Feinstaub-Diskussion in Berlin und die Rolle der Hauptstadtpresse


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

30 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Wissenschaftlicher Hintergrund
a.) Technischer Hintergrund
b.) Medizinischer Hintergrund
c.) Rechtlicher Hintergrund
d.) Wissenschaftliche umweltpolitische Handlungsempfehlungen

3. Die Situation Anfang 2005 in Berlin
a.) Luftqualitätsmessungen und Anwohnerklagen
b.) Der Luftreinhalte- und Aktionsplan sowie Bundesratsinitiativen des Berliner Senats

4. Interessen- und Akteurskonstellation
a.) Verbände
b.) Parteien

5. Berichterstattung in der Berliner Presse
a.) Einleitende methodische Hinweise
b.) Statistische Analyse
c.) Inhaltliche Analyse

6. Fazit

Anhang: Literatur und Quellen

1. Einleitung

Gesellschaftliche Probleme benötigen häufig öffentliche Aufmerksamkeit, um vom politischen Prozess aufgenommen und bearbeitet zu werden. Das gilt besonders für den Umweltschutz. Wenn nicht die Müllberge direkt vor der Haustür liegen bleiben oder große Katastrophen die Verletzlichkeit der Natur und des Menschen auf drastische Weise verdeutlichen, gelangen ökologische Fragen nur selten ins öffentliche Bewusstsein und können politischen Lösungsdruck erzeugen. Schleichende und kaum wahrnehmbare Bedrohungen wie z.B. Luftverschmutzung werden den breiten Bevölkerungschichten oft erst bekannt, wenn es für eine effiziente und verhältnismäßige Schutzmaßnahme schon zu spät ist. Hier sollten die Medien ihren Auftrag erfüllen, Probleme frühzeitig anzusprechen, die Bevölkerung zu informieren und publizistischen Druck zu erzeugen, damit das Thema auf die politische Agenda kommt und Probleme angemessen gelöst werden.

Die vorliegende Arbeit will der Frage nachgehen, wie die Diskussion um den so genannten „Feinstaub“ im Frühjahr 2005 so plötzlich auf die politisch - mediale Agenda kam und wie die Medienberichterstattung die öffentliche Diskussion bzw. den politischen Entscheidungsprozess beeinflusst hat. Obwohl diese Debatte aufgrund europäischer Richtlinien im ganz Deutschland stattfand und auch bundespolitische Konsquenzen hatte, soll hier ein Schwerpunkt auf die Berliner Situation gelegt werden. Bei der Analyse der Presseberichterstattung werde ich mich auf vier Berliner Tageszeitungen[1] beschränken, und für die Untersuchung des politischen Outputs die Handlungen des Berliner Senats unter die Lupe nehmen. Zudem werde ich meinen Fokus auf die verkehrspolitischen Konsequenzen legen, da hier die Interessen am weitesten auseinander gehen, der Handlungsbedarf am größten und die notwendigen Maßnahmen sehr kontrovers sind.

Aufgrund einiger Vorüberlegungen habe ich die Hypothese aufgestellt, dass die politischen Akteure umwelt- und gesundheitspolitisch versagt haben, da sie es auch wegen einer stark konfliktiven Akteurs- und Interessenkonstellation versäumt haben, die entsprechende EU-Richtlinie fristgemäß einzuhalten und die Feinstaubkonzentration in der Luft ausreichend zu senken. Aufgrund der mangelnden „Sichtbarkeit“ des Feinstaubs wurde das Thema auch in den Medien lange ignoriert. Erst der rechtliche Handlungsdruck durch Überschreiten der Grenzwerte Anfang 2005 beschleunigte den politischen Prozess und lenkte die Aufmerksamkeit der Medien auf das Thema. Die Berichterstattung war aber z. T. inhaltlich verkürzt, oberflächlich, oder sogar falsch, schwankte zwischen skandalisierenden Übertreibungen und verharmlosenden Ab-lenkungsmanövern, und erzeugte eine starke öffentliche Erwartungshaltung, welche eine sachgerechte Diskussion und die Erarbeitung von nachhaltigen Problem-lösungsschritten verhinderte.

Im ersten Teil der Arbeit sollen der technische, medizinische und rechtliche Hintergrund sowie wissenschaftliche Handlungsempfehlungen für die Feinstaubproblematik dargestellt werden. Danach werde ich die Situation Anfang 2005 in Berlin und die relevante Akteurs- und Interessenkonstellation erläutern. Ausgerüstet mit diesen Grundlagen werde ich dann die Berichterstattung der vier Berliner Tageszeitungen „Berliner Zeitung“, „Berliner Morgenpost“, „die tageszeitung“ und „B.Z.“ m ersten Halbjahr 2005 analysieren und auswerten. Abschließend werde ich die gewonnenen Ergebnisse zusammentragen, um die Fragestellung der Arbeit zu beantworten.

2. Wissenschaftlicher Hintergrund

a.) Technischer Hintergrund

Feinstaub gehört zur Gruppe der Schwebstoffe, also der festen und flüssige Teilchen, die sich in der Luft befinden und nicht zu Boden sinken. Sie werden unterteilt nach physikalischer Größe und chemischer Zusammensetzung (organisch, anorganisch, metallisch, C-Verbindungen, Pollen, Sand ...). Diese Eigenschaften haben Einfluss auf ihre Verweildauer in der Luft, Transportmöglichkeiten und ihre Wirkung auf den Menschen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie – wie z.B. Schwefel- und Stickoxide oder Ozon Luftschadstoffe sind. Schwebstoffe mit einem aerodynamischer Durchmesser von weniger als 10μm werden Feinstaub genannt. Deswegen hat sich im naturwissenschaftlichen Bereich die Bezeichnung PM10 (Particulate Matter) durchgesetzt. Je nach Größe lässt sich Feinstaub dann auch unterteilen in PM2,5 und UFP (Ultrafeine Partikel, <0,1 μm). Die wichtigsten Bestandteile von Feinstaub im hier thematisierten Sinne sind Sulfate, Nitrate, Ammoniak, Natriumchlorid, Kohlenstoff, Mineralstaub und Wasser. Weiterhin lässt sich Feinstaub unterteilen in natürliche (z.B. Vulkane, Bodenerosion, Waldbrände, Pollen etc.) und anthropogene (Verbrennungen, Reifenabrieb etc.) Quellen, sowie in primäre (unmittelbar in die Luft emitierte) und sekundäre (aus Vorläufersubstanzen, z.B. Kohlenwasserstoffen, Stick- und Schwefeloxiden, in einer chemischen Reaktion in der Luft entstande) Quellen. Betont wird häufig der starke meteorologische Einfluss auf die Bildung und Verteilung von Feinstaub. Sonneneinstrahlung und Temperatur bestimmen z.T. die Entstehung von Partikeln, Windstärke und -richtung sowie Luftdrucklagen ihre Verbreitung bzw. Konzentration (Vgl. Lahl/Steven, S. 705-708; WHO, S. 1; UBA, S. 2-4).

Um wirksame Maßnahmen zur Feinstaubreduktion ergreifen zu können, bedarf es einer genauen Ursachenanalyse. Die folgende Tabelle verdeutlicht den hohen Anteil (49%) des Straßenverkehrs an der Feinstaubkonzentration in urbanen Ballungsräumen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten Abbildung 1: Quellenanalyse der Belastung an einer verkehrsnahen Messstation in Berlin

b.) Medizinischer Hintergrund

Neben den mittelbaren ökologischen Folgen des anthropogenen Feinstaubaufkommens hat PM10 gravierende gesundheitliche Konsequenzen für den Menschen. Obwohl je nach Quellenart und Belastungskonzentration bzw. -zeitraum die Wirkung verschieden ist und medizinische Kausalmechanismen noch nicht abschließend erforscht sind, ist eindeutig klar, dass Feinstaub ernsthafte Auswirkungen auf Atemwege und Herz-Kreislauf hat. Die grobkörnigeren Partikel (<10µm) können bis in die oberen Bronchien und zur Lunge gelangen. Die feineren und feinsten Partikel sind ungleich gefährlicher, denn sie können bis tief in die Lunge eindringen und die Lungenbläschen erreichen, ins Blut übergehen und das Nervensystem beeinflussen. Mit einer kurzzeitigen hohen Feinstaubbelastung sind u.a. Entzündungsreaktionen der Lunge, Atemwegs-beschwerden, negative Auswirkungen auf Herz und Kreislauf und ein Anstieg bei Medikamentenverbrauch, Krankenhausaufnahmen und Sterblichkeit verbunden. Langfristig kommt es zu einem Anstieg der Erkrankungen der unteren Atemwege einschließlich einer chronischen Schädigung der Lunge, einer verminderten Lungenfunktion bei Kindern und Erwachsenen sowie einer verkürzte Lebenserwartung hauptsächlich durch Herz-Lungen-Erkrankungen und wahrscheinlich auch aufgrund von Krebs. Dabei ist der Zusammenhang linear, d.h. es gibt keine „unschädliche“ Konzentrationsschwelle. Außerdem ist die Belastung nicht homogen, Kinder, ältere Erwachsene und Vorerkrankte sind anfälliger und erkranken stärker. In Bezug auf die unterschiedlichen Feinstaubarten ist festzustellen, dass anthropogener Staub feiner, tiefgängiger und toxischer als natürlicher ist und Dieselrußpartikel besonders cancerogen wirken. (Vgl. Lahl / Steven, S.708-711; WHO, S.2-4; UBA, S.15-16). Die Folgen der hohen Feinstaubbelastung in Industrieländern sind verheerend. Es gibt (z.T. umstrittene) Untersuchungen, die zu dem Ergebnis kommen, dass allein die Belastung durch Emissionen aus Dieselfahrzeugen für etwa 10.000 bis 19.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr verantwortlich gemacht werden können. Langfristig gibt es aufgrund der Belastung durch alle Feinstaubpartikel laut WHO 65.000 vorzeitige Todesfälle in Deutschland, die mittlere Lebenserwartung wird um 10,2 Monate verkürzt (SRU, S. 3f.).

c.) Rechtlicher Hintergrund

Die Bemühungen der Europäischen Union, in allen Mitgliedsländern Maßnahmen zur Verminderung der Luftverschmutzung zu ergreifen, führten 1996 zur „Rahmenrichtlinie 96/62/EG über die Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität“. Hier legte die Union Grundsätze, Ziele und Messkriterien allgemein fest. Drei Jahre später folgte die so genannte Tochterrichtlinie (99/30/EG) mit den einzuhaltenden Grenzwerten für Schwefeldioxid, Feinstaub (PM10), Stickstoffdioxid und Blei. 2002 übernahm die Bundesrepublik Deutschland mit der 7. Novelle zum Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) und der 22. Verordnung zum Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchV) die EU-Richtlinien in deutsches Recht.

Diese hatten den Anspruch, Luftqualitätsziele "zur Vermeidung, Verhütung oder Verringerung schädlicher Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt" eindeutig zu definieren und festzulegen und einheitliche Methoden und Kriterien für die Beurteilung der Luftqualität einzuführen.

Die staatlichen verant-wortlichen Stellen wurden verpflichtet, mittelfristige Maßnahme- und notfalls kurz-fristige Aktionspläne aufzustellen und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung der festgelegten Grenzwerte innerhalb einer vorgegebenen Frist oder deren einmal erreichte Einhaltung weiter zu gewährleisten, die Bevölkerung über Luftverschmutzung zu informieren und zu warnen. Außerdem sollte der Kommission über die Einhaltung/Nichteinhaltung der Grenzwerte sowie über gegebenenfalls erstellte Maßnahmenpläne zur Einhaltung der Werte regelmäßig Bericht erstattet werden (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung [im Folgenden SenStadt], S. A1-A5).

Für Feinstaub PM10 wurden zwei Grenzwerte festlegt, die mit vorherigen Übergangs-fristen und Toleranzmargen ab 1. Januar 2005 einzuhalten waren. Im Jahresmittel durften 40 µg/m3 insgesamt nicht, und gleichzeitig an höchstens 35 Tagen pro Jahr im 24 – Stunden – Mittel ein Wert von 50 µg/m3 überschritten werden. Gemessen werden muss dabei sowohl lokal als auch flächendeckend, besonders in Ballungsräumen und an belastungsintensiven „Hot Spots“. Bei Überschreitung der Grenzwerte müssen lang-fristige, nachhaltige und aber auch kurzfristige Maßnahmen gegen die Emittenten zur Verringerung der Belastung ergriffen werden. Grundsätzlich sind die Grenzwerte unabhängig von den Emissionsquellen allgemein verbindlich. Umstritten ist aber, ob sich aus den gesetzlichen Vorschriften ein indivueller Rechtsschutz (Klagerecht) der Bürger wegen der Haftung des verantwortlichen Amtes ableiten lässt (Vgl. Klinger, S.170-175).

d.) Wissenschaftliche umweltpolitische Handlungsempfehlungen

Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat sich in einer Stellungnahme im Juni 2005 mit straßenverkehrsverursachtem Feinstaub befasst. Neben der Feststellung, dass der motorisierte Individualverkehr nachweislich einer der Hauptversursacher des toxischen und cancerogenen Feinstaubanteils ist, werden in dieser Veröffentlichung von den Experten der politische Handlungsbedarf beschrieben sowie Handlung-sempfehlungen gegeben.

Zum einen müsse sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene für höhere Euro-Emissionsgrenzwerte für Pkw und Nutzfahrzeuge einsetzen und bundespolitisch finanzielle Anreize zum Einbau von Partikelfiltern, besonders für ältere Dieselfahrzeu-ge schaffen. Die Kfz-Steuer müsse nach oben und unten schadstofforientiert ausdifferenzt, und den Kommungen mit einer Bundesregelegung (Fahrzeug-kennzeichnung, Verkehrsschilder in der StVO) die Anwendung selektiver Verkehrsverbote erleichtert werden. Zum anderen fordert der SRU von den Landesregierungen und Kommunen eine integrierte Betrachtung der verkehrs-verursachten Probleme und die daran anschließende integrierte umweltorientierte Verkehrsplanung. Diese müsse umfassende Verkehrsentwicklungspläne, Sanierungs-konzepte, eine Stärkung des Umweltverbundes, ordnungsrechtliche Instrumente, überkommunale Vernetzung der Entwicklungsplanung beinhalten und setze ein neues Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz voraus (Vgl. SRU).

[...]


[1] Obwohl die “tageszeitung” überregional erscheint, kann sie aufgrund ihrer Berliner Verwurzelung und Leserstruktur sowie der starken lokalen Berichterstattung zur Berliner Presselandschaft hinzugezählt werden.

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Die Feinstaub-Diskussion in Berlin und die Rolle der Hauptstadtpresse
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
HS Die Rolle der Medien in der Umweltpolitik
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
30
Katalognummer
V66126
ISBN (eBook)
9783638587181
ISBN (Buch)
9783638671163
Dateigröße
792 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit geht der Frage nach, wie die Diskussion um den so genannten 'Feinstaub' im Frühjahr 2005 so plötzlich auf die politisch - mediale Agenda kam und wie die Medienberichterstattung die öffentliche Diskussion bzw. den politischen Entscheidungsprozess beeinflusst hat.
Schlagworte
Feinstaub-Diskussion, Berlin, Rolle, Hauptstadtpresse, Rolle, Medien, Umweltpolitik
Arbeit zitieren
Robert Rädel (Autor:in), 2006, Die Feinstaub-Diskussion in Berlin und die Rolle der Hauptstadtpresse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66126

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