Das Borderlinesyndrom und seine sozialen Folgen


Hausarbeit, 2003

15 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0. Einleitung

1. Marlenes Lebensgeschichte

2. Definition des Borderline-Begriffs

3. Symptome der Störung

4. Abwehrmechanismen
4.1 Fluchtverhalten
4.2 Spaltung
4.3 Verdrängung

5. Ursachen des Borderline-Syndroms

6. Soziale Folgen

7. Therapiemöglichkeiten
7.1 Diagnose und allgemeine Ansätze
7.2 Das Grönenbacher Modell

8. Schlussbemerkungen

0. Einleitung

Marilyn Monroe, T.E. Lawrence und Adolf Hitler haben eines gemeinsam: Sie alle waren an der Borderline-Persönlichkeitsstörung erkrankt. Auch in vielen Romanen finden sich Figuren, die solche Merkmale aufweisen: „Kulturkritiker können Borderline-Merkmale bei Blanche Dubois in „Endstation Sehnsucht“ feststellen, bei Martha in „Wer hat Angst vor Virginia Woolfe“, bei Sally Bowles in „Cabaret“, bei Travis Bickle in „Taxis Driver““ (Kreisman/Straus, Seite 36) und sogar bei Carmen in Bizets Oper. Daneben weist auch der Mann in der biblischen Erzählung „Der Besessene von Gerasa“ Anzeichen der Störung auf (Markus 5,1-20). In dieser Geschichte lebt ein Mann in Grabhöhlen, was übertragen als Todesnähe verstanden werden kann. Er verletzte sich selbst mit Steinen und niemand konnte ihn bändigen. „Die bevorstehende Heilung erlebte er trotz seiner Schmerzen als eine Qual, die er kaum glaubte, überstehen zu können“ (Stauss, Seite 214).

Der Begriff der Borderline-Persönlichkeit oder auch des Borderline-Syndroms[1] ist in den letzten Jahren geradezu in Mode gekommen. Therapeuten diagnostizieren häufiger denn je bei ihren Patienten diese Störung. Was aber ist unter diesem Begriff zu verstehen? Es ist eine Störung, deren ätiologische[2] Faktoren in der Kindheit liegen und die im späteren Leben enorme Auswirkungen auf das Gefühlsleben der betroffenen Menschen haben. Soziale Probleme im Umgang mit anderen Menschen sind unter anderem die Konsequenzen. In vorliegender Hausarbeit soll diese pathologische Störung mit ihren Ursachen, den Symptomen, sozialen Folgen und Therapiemöglichkeiten dezidiert betrachtet werden. Um die komplexe Erkrankung verständlicher und anschaulicher zu gestalten, wurde ein Einzelinterview mit der Borderlinerin Marlene (Name geändert) geführt, die bereits einen großen Teil Therapie-Erfahrung hinter sich gelassen hat. Die Ergebnisse des Interviews untermauern die Erkenntnisse aus der Literatur. Zu Beginn soll Marlenes Lebensgeschichte dargestellt werden.

1. Marlenes Lebensgeschichte

Marlene ist eine junge Frau Anfang 20. Sie wuchs im Großraum Wiesbaden in einer Kleinstadt auf. Marlenes Eltern trennten sich, als sie 16 Jahre alt war. Sie hat einen heute 24-jährigen Bruder und eine 10-jährige Schwester. Das Verhältnis zu ihrer Familie beschreibt sie folgendermaßen:

„Zu meinem Bruder habe ich nie richtigen Kontakt gehabt, emotional ist er nie da, es ist, als ob er keine Gefühle hat. Ich weiß nicht, was ich ihm bedeute“.

Das Verhältnis zu ihrer Mutter „ hat sich total verändert, erst habe ich getan, was sie wollte, danach war nur Krieg, als ich beschlossen habe, selbstständig zu werden. Ich bin beinahe erstickt an meiner Mutter, sie hat mir ihre Meinung aufgedrückt, es gab keine gesunde Ebene. Habe ausagiert[3], als Schutz vor ihrem Meinungsaufdrücken, ihrer Weltanschauung. Ich konnte meine Meinung nicht durchsetzen, nur hinten rum“.

Das Verhältnis zu ihrer Schwester stellt sie folgendermaßen dar: „ Jetzt sage ich, wenn es mir zuviel wird. Früher hat sie es auf sich bezogen, wenn ich genervt war. Es ist offener, klarer, was bei uns beiden emotional los ist.“

Über die Beziehung zu ihrem Vater berichtet sie: „Er hat mich nie richtig verstanden vor der Klinik. Jetzt rede ich mit ihm darüber, habe ihm auch jetzt ein Buch über die Störung geschenkt. Er war nicht so gefährlich, und wenn ich geheult habe, ich konnte ich zu ihm gehen. Konnte da Liebe abstauben.“

Marlene entwickelte das Borderline-Syndrom (Ihre Ansicht der Ursachen dafür wird unter „5. Ursachen des Borderline-Syndroms“ genauer entfaltet). Nachfolgend einige ihrer Symptome. Es werden die bedeutsamsten genannt, da die Gesamtheit der Symptome den Rahmen der Arbeit sprengen würde.

Marlene richtete viele ihrer Aggressionen gegen sich selbst. So schnitt sie sich mit Glasscherben die Arme auf, schlug mit dem Kopf gegen Wände und dachte bewusst mit negativen Gedanken über sich selbst. Sie beschloss dabei, „ mich scheiße zu finden“. Sie versprach „dem Teufel, mich zu hassen, dafür beschützt er mich“. Marlene provozierte darüber hinaus Unfälle, ließ sich die Treppe herunterfallen und ging vorsätzlich langsam über die Straße, um in die Gefahr zu kommen, angefahren zu werden. Im Winter zog sie zu wenig Kleidung an, um „schön zu frieren“. Ihr Ziel mit all diesen selbstverletzenden Verhaltensweisen war, dass sich „andere um mich Sorgen machen“.

Marlene verwendete viele verschiedene Drogen, um sich aus der Realität zu flüchten. Hauptsächlich sind jedoch die Substanzen Cannabis, Amphetamine, Alkohol und Nikotin zu nennen. Daneben entwickelte sie eine Essstörung. Eine „Freundin“ zeigte ihr, wie man Essen erbrechen kann. So magerte die junge Frau durch Drogen und Erbrechen zwischenzeitlich auf 47 Kilo bei einer Größe von 1,63 ab.

Marlene hatte große Schwierigkeiten damit, Grenzen zu setzen. Das zeigte sich unter anderem besonders im Kontakt zu Männern, mit denen sie schnell wechselnde Beziehungen pflegte. „Ich habe alles getan, was die wollten, deshalb war Sex auf der einen Seite...ja...krass sein, und auf der anderen Seite total schämen und verschüchtert sein und schlimm finden. Ich hatte vor dem Sex Angst und Schmerzen, weil ich so verkrampft war.“ Nach einer kurzen Partnerschaft trennte sie sich wieder und wendete sich dem nächsten Mann zu, der ihr für einen Moment Sicherheit und Anerkennung bot.

Zudem manipulierte sie stark anderen Personen, indem sie diese gegeneinander ausspielte. So war eine ihrer Taktiken, „wenn mich jemand mag, ihn für mich zu benutzen, ohne dass sie es merken.“ Heimlich sehnte sie sich danach, eine „Märtyrerin zu sein, die Goldene, die missverstanden wird und nichts dafür kann.“ Sie übernahm für ihr Verhalten nicht die Verantwortung und sah sich als unverstandenes Opfer. Das unangemessene Verhalten, das sie bereits als Kind in Form von impulsivem Weglaufen an den Tag legte, setzte sich weiter fort. Sie hatte starke Gefühlsausbrüche, weil sie Emotionen lange Zeit staute, ohne sie angemessen in den entsprechenden Situationen zu äußern.

Marlene verließ vor dem Abitur die Schule begab sich mit 18 Jahren für circa vier Monate in eine psychosomatische Klinik in Süddeutschland. Dort nahm sie an einer Gruppentherapie teil, an der ausschließlich Borderline-Patienten beteiligt waren. Methoden waren dabei unter anderem die analytische Psychotherapie, Körpertherapie, Gestalttherapie, Sport, Suchttherapie, Therapie zur Bewältigung der Essstörung und die Teilnahme an internen und externen Selbsthilfegruppen[4]. Die konkreten Auslöser für die Therapie waren für die junge Frau unter anderem die Abhängigkeit von harten Drogen wie Amphetaminen, ihre Bulimie[5] und eine Depression.

Nach dem Klinikaufenthalt 1999 hatte Marlene mehrere Wohnortwechsel hinter sich. Sie lebte in Frankfurt in einer anthroposophischen Jugendeinrichtung, begann in Hamburg die Ausbildung in einer Goldschmiede, wechselte dann nach Dresden, um dort zuerst einige Monate Schauspiel zu lernen und studiert nun dort Innenarchitektur.

Seit sie sich im therapeutischen Prozess befindet, haben sich Marlenes Symptome deutlich verringert. Sie konnte sich von den Drogen lösen, bekam ihre Bulimie weitgehend in den Griff und sie selbst beschreibt es so, dass „viele Symptome ihren Reiz verloren“ haben. „ Jetzt werden einige Sachen endlich mal normal, alte Systeme werden durch neue ersetzt“, denn „wenn man kämpft, kämpft, kämpft, kann man auch irgendwann ernten.“

2. Definition des Borderline-Begriffs

„Diese Krankheit ist eine existentielle Daseinsform,

die als Lebensbewältigungsprozess in einer Umwelt,

in der seelisches Leben von Anfang an unter tödlicher

Bedrohung stand, erworben wurde.“

(Stauss, Seite 214)

Eine eindeutige Bestimmung des Begriffs erweist sich als schwierig. Eine der Definitionen lautet: „Bezeichnung für eine Persönlichkeitsstörung, bei der (alternierend) Symptome einer Neurose und Psychose auftreten“ (Psychrembel Klinisches Wörterbuch). Eine weitere Erklärung findet sich im Psychotherapieführer: „Eine Persönlichkeitsstörung, die durch emotionale Wankelmütigkeit, Impulsivität, Ziellosigkeit und der Tendenz zu selbstschädigendem Verhalten bis hin zur Selbstmordgefahr gekennzeichnet ist. Abgrenzungen und Diagnose sind schwierig, deswegen sollten selbst Fachleute den Begriff nur mit Vorsicht (sic!) gebrauchen“ (Seite 316). Auf diese Schwierigkeit wird in der Literatur oftmals hingewiesen. So ist Stauss folgender Meinung: „In den letzten Jahren wurde häufiger die Meinung vertreten, dass Diagnostik in der Psychotherapie mehr oder weniger vernachlässigt werden kann, da die Begegnung, der Kontakt und die Beziehung zum Therapeuten das Hauptvehikel des therapeutischen Prozesses sei. Durch die Diagnose laufe man eher Gefahr, den Patienten zu etikettieren und abzustempeln“ (Stauss, Seite 54). Seit 15 Jahren erst weiß man, „dass das Borderline-Syndrom ein eigenständiges Krankheitsbild ist“ (Stauss, Seite 52). Eindeutig ist, dass es sich dabei um eine Persönlichkeitsstörung handelt, bei der die betroffene Person eine unausgereifte Ich-Identität und impulsives Verhalten aufweist. Borderline gehört in die Kategorie der frühen Störungen, also Störungen, die ihre Wurzeln in der Kindheit haben (Siehe auch 5. „Ursachen des Borderline-Syndroms“). Neben einer Definition sollte, um diese Erkrankung zu verstehen, daher der Focus insbesondere auf das Erscheinungsbild und die Ursachen gelegt werden.

Herman legt offen, dass diese frühe Störung, die früher zusammen mit Somatisierung und multiplen Persönlichkeitsstörungen „unter der heute obsoleten Bezeichnung Hysterie zusammengefasst“ (Herman, Seite 172) war, bei Ärzten und Pflegepersonal eine „oft ungewöhnlich heftige Reaktion“ (ebenda) auslöst. „Man zweifelt an ihrer Glaubwürdigkeit und beschuldigt sie der Manipulation und Simulation. Sie stehen häufig im Mittelpunkt heftiger, eindeutig parteilicher Auseinandersetzung. Manchmal erfahren sie offenen Hass“ (ebenda).

[...]


[1] Ein Syndrom ist eine „Gruppe von Symptomen, die für eine bestimmte Störung charakteristisch sind“ (Psychotherapieführer, Seite 50).

[2] Ätiologie: Die Lehre von den Ursachen der Krankheiten.

[3] Ausagieren: „Agieren, insbesondere von primitiver Aggression (s. Übertragungsagieren; narzisstische Wut), von primitiven oralen Bedürfnissen (s. Suchten; Impulsneurosen) und von Sexualität>> (s. Promiskuität; Perversion; Trieb-/Affekt-/Impulsneurosen) als Abwehr gegen Angst, Schuld- und Leeregefühle“ (Kernberg, Seite 411)

[4] Eine genauere Darstellung des Therapiekonzeptes ist unter 7.2 „Das Grönenbacher Modell“ zu finden.

[5] Bulimie: „Störung des Essverhaltens mit Heißhungeranfällen und anschließend selbsttätig herbeigeführtem Erbrechen“ (Das Fremdwörterbuch).

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Das Borderlinesyndrom und seine sozialen Folgen
Hochschule
Evangelische Fachhochschule Reutlingen-Ludwigsburg; Standort Reutlingen
Veranstaltung
Soziologie sozialer Probleme
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
15
Katalognummer
V66194
ISBN (eBook)
9783638588751
ISBN (Buch)
9783656449928
Dateigröße
522 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Borderline-Syndrom anhand eines Fallbeispiels untermauert durch einen ausführlichen theoretischen Unterbau.
Schlagworte
Borderlinesyndrom, Folgen, Soziologie, Probleme
Arbeit zitieren
Heidi Christina Kohlstock (Autor:in), 2003, Das Borderlinesyndrom und seine sozialen Folgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66194

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