Definition und Negation der Rollen in Ludwig Tiecks "Kindermärchen: Der gestiefelte Kater"


Seminararbeit, 2004

23 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Ausrollen der Thematik

2. Identität und Negation der Rolle
2.1 Rolle und Kontext
2.2 Rolle und Konstanz
2.3 Rolle und Maske
2.4 Rolle und Aufgabe

3. Konsequenz und Funktion des aus-der-Rolle-Fallens
3.1 Fiktionsbruch oder Fiktionsstörung
3.2 Das aus-der-Rolle-fallen als Eigenleistung
3.3 Komik

4. Identität und Negation einiger Rollen im Tieckschen Stück
4.1 Der Kater
4.1.1 Rolle und Kontext
4.1.2 Rolle und Konstanz
4.1.3 Rolle und Maske
4.1.4 Rolle und Aufgabe
4.2 Gottlieb
4.2.1 Rolle und Kontext
4.2.2 Rolle und Konstanz
4.2.3 Rolle und Maske
4.2.4 Rolle und Aufgabe:
4.3 Der König
4.3.1 Rolle und Kontext
4.3.2 Rolle und Konstanz
4.3.3 Rolle und Maske:
4.3.4 Rolle und Aufgabe:
4.4 Hanswurst
4.5 Der Besänftiger
4.6 Die Rolle des Dichters
4.7 Die Rolle der Zuschauer

5. Die Rolle der Bühne

6. Einrollen des Themas

7. Verwendete Literatur:
7.1 Primärliteratur:
7.2 Sekundärliteratur:

1. Ausrollen der Thematik

Ludwig Tieck hat in Der gestiefelte Kater seinem Kindermärchen in drei Akten nicht nur eine Menge Rollen entworfen, sondern seine Figuren auch gehäuft aus ihren Rollen heraustreten lassen. Die Analyse des Aus-der-Rolle-Fallens auf der Tieckschen Bühne ist spannend, weil es unterschiedliche Ursachen und Konsequenzen dafür gibt, die in dieser Arbeit dargestellt werden sollen und das Phänomen der Rolle an sich eine differenzierte Betrachtung verdient; wobei ich nicht bloß theoretisch über Begriff, Form und Funktion des Aus-der-Rolle-Fallens sprechen, sondern vor allem seine Praxis im Text Der gestiefelte Kater aufzeigen möchte.

Noch bevor die erste Figur ihrer Rolle untreu geworden, wirft Tieck das Personenverzeichnis aus seiner üblichen Rolle und verwirrt damit gleich zu Beginn die Erwartungen des Lesers.

Die Liste der „Personen“ erlaubt einen kleinen Vorgeschmack auf das, was uns in diesem Text zu erwarten hat. Bewusst nenne ich Tiecks Stück einen Text, da es mir nicht darum geht, den gestiefelten Kater als Bühnenwerk, sondern als Lesedrama zu analysieren. Gerne würde ich auch den Begriff Schauspieler vermeiden und stattdessen ausschließlich von den Figuren Tiecks sprechen. Nun handelt der Text aber von einem fiktiven Schauspiel mit fiktivem Publikum und fiktiven Darstellern. Das heißt, auch in unserer Lektüre haben wir es mit Schauspielern zu tun, weshalb ich auf die Begriffe Schauspieler und Darsteller nicht verzichten werde.

Die Rollen auf der fiktiven Bühne verteilen sich allerdings nicht bloß auf fiktive Schauspieler und Zuschauer, die ich ohne Bedenken als Publikum bezeichnen kann, weil ich nicht von einem zweiten – realen – Publikum, sondern von einem Leser ausgehe. Tieck verteilt auch eine Rolle des Dichters, des Souffleurs, des Maschinisten und Rollen anderer auf dem Theater ungewöhnlicher Figuren. Elefanten, Löwen, Bären und Affen, Jupiter oder die Gespenster sorgen dafür, dass bei Tieck nicht nur Figuren aus ihrer Rolle treten, sondern auch das Personenverzeichnis den Konventionen widerspricht. Erstens wird hier aufgezählt, was unter normalen Umständen gar nicht auf die Bühne gehört – wie zum Beispiel Dichter und Publikum – und zweitens lässt Tieck einen Hanswurst auftreten, dessen Tradition mit Gottsched[1] eigentlich schon (1737) zur Zeit der Aufklärung ihr Ende fand. Das Personeninventar erfüllt weder seine konventionelle Rolle noch die üblichen Erwartungen des Lesers und erzeugt damit einen ersten Hauch von Komik und Ironie, wovon in diesem Text nicht wenig zu finden ist.

Bevor ich einzelne Rollen (unter Punkt 4) untersuchen werde, möchte ich auf Fiktionsbruch, Komik und Ironie als Konsequenz des Aus-der-Rolle-Fallen (in Punkt 3) eingehen und zunächst das Phänomen der „Rolle“ (mit Punkt 2) theoretisch umreißen[2].

2. Identität und Negation der Rolle

Um das Aus-der-Rolle-Fallen in „Der gestiefelten Kater“, das heißt, praktisch am Textbeispiel verständlich und ausführlich darstellen zu können, sind theoretische Grundlagen hilfreich. Es geht mir nicht darum, eine kurzen Abriss der Theatergeschichte zu zeichnen und die Veränderung des Begriffs zu erläutern, sondern um eine grundlegende Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Rolle, die es mir erlaubt, das Aus-der-Rolle-Fallen, aber auch Identität und Entwicklung der Rollen besser zu fassen.

Man kann Theater als eine Summe von Darstellern verstehen, die dadurch miteinander kooperieren, dass sie verschiedene Rollen spielen und verschiedene Funktionen übernehmen.

Während man soziale Rollen, die wir in unserem Leben zu spielen gelernt haben, darauf befragt, inwieweit die Gesellschaft Einfluss auf sie ausüben kann, muss in Bezug auf die Rollen im Text der Textrahmen untersucht werden, der die Rolle kontrollieren kann.

2.1 Rolle und Kontext

Das aus-der-Rolle-Fallen ist daher nicht nur von der einzelnen Rolle her in den Blick zu nehmen, sondern in Bezug auf das Ganze zu erfassen. Das heißt, es reicht nicht, zu fragen, wer fällt wann aus seiner Rolle, sondern auch die Fragen warum und wodurch, aufgrund welcher Beziehungen es geschieht, sind interessant. Die Wechselbeziehung zwischen Situation und Rolle rückt damit in den Vordergrund. Wesentlich ist also die Frage nach dem Kontext und der Blick auf die Gesamtkonstellation des Rollenregisters.

Es fällt auf, dass im gestiefelten Kater die Bühne auf der Bühne von Anfang an als selbständiger Raum existiert und nicht erst geschaffen werden muss. Fischer, Müller, Schlosser und der Rest des Publikums geraten nicht erst im Laufe des Stücks in die Zuschauerrolle. Sie ist ihnen von ihrem ersten bis zum letzten Auftritt zugewiesen. Es gibt keine Wechsel zwischen Zuschauer- und Schauspielerrollen. Die Zuschauer springen nicht auf die Bühne und wollen nicht plötzlich als Schauspieler agieren (wie das in einem anderen Stück Tiecks der Fall ist[3].)

Da auf der einen Theaterbühne von Anfang an auf zwei Ebenen (Zuschauerraum und Bühne auf der Bühne) gespielt wird, versucht man als Leser mehrere Spielebenen als die eine Fiktion zu erfassen. Die Fiktion, die erzeugt wird, ist also nicht die einer einzigen Handlungsebene – sondern ist die eine Fiktion mehrer Spielebenen. Von Fiktionsbruch kann zu Beginn noch nicht die Rede sein, weil Fiktion erst erzeugt und akzeptiert werden muss.

Die Frage, die wir an Rahmen und Kontext stellen, darf daher nicht jene nach einem gewöhnlichen aus-der-Rolle-Fallen oder nach Fiktionsbruch sein, sondern muss die Einführung und Entwicklung der Rollen in den Blick nehmen und auf die Möglichkeiten abzielen, wie Fiktionserzeugung zu verhindern ist. Dass zwei Ebenen neben einander existieren, muss noch nicht illusionsstörend wirken – erst wenn die beiden Ebenen einander beeinflussen, kann das als Störung empfunden werden. Eine Handlung, die nicht nur merkwürdig ist, sondern in ihrer Merkwürdigkeit auch noch ständig kommentiert wird, wirkt unkonventionell und brüchig.

Das Aus-der-Rolle-Fallen, das normalerweise in jedem Fall zu den illusionsstörenden Mitteln gezählt werden kann, muss gerade im gestiefelten Kater nicht notwendig die Illusion des Lesers stören. Den Grund dafür finden wir im fiktivem Publikum, das die fiktiven Schauspieler sozusagen noch eine Bühne weiter versetzt. Fällt ein fiktiver Darsteller aus Sicht der fiktiven Zuschauer aus seiner Rolle, bleibt er dennoch innerhalb einer zum Scheitern verurteilten Aufführung für den Leser in seiner Rolle. Selbst der Auftritt des Dichters kann den Leser nicht (völlig) aus seiner Bühnenfiktion herausreißen, da sich der Dichter nie direkt an den Leser, sondern an sein (für den Leser fiktives) Publikum wendet. Während in Prosatexten das Auftauchen der Autorenstimme – wenn als solche deklariert, den Leser direkt ansprechend – durchaus Erzählstränge brechen oder wenigstens stören kann, ist das bei Tieck anders. Der Dichter ist erstens nicht der Autor, sondern selber eine fiktive Figur und er spricht nicht außerhalb des Rahmens einer zum Scheitern verurteilten Aufführung, sondern innerhalb dieses Rahmens. Das heißt, er redet nicht nur über sein Stück, sondern in seinem Stück und er unterhält sich nicht mit seinem Leser, sondern mit dem fiktiven Publikum.

2.2 Rolle und Konstanz

Neben Situation und Kontext muss vor allem die Konstanz einer Rolle untersucht werden, wenn man ihr aus-der-Rolle-Fallen möglichst vollständig fassen möchte. Ein Rollenträger muss sich in einer Situation mit seiner Darstellung, seiner Präsentation der Rolle bewähren. Aus der Rolle fällt jemand nicht bloß aufgrund eigenem Fehlverhalten in einem bestimmten Rahmen oder weil er durch einen anderen kompromittiert wird, sondern auch aufgrund wechselhafter Charakterzüge. Wird eine Figur ihrer Rolle untreu, kann ihr Verhalten also durchaus der Situation angemessen sein und man wird trotzdem von einer Art des aus-der-Rolle-Fallens sprechen können.

Das Darstellen einer Rolle gelingt nicht ohne Einübung der Rolle. Das Einüben geschieht durch Anpassung, Imitation oder Identifizierung. Wir können weiter fragen: Womit identifiziert sich der Rollenträger? Was wird imitiert oder angepasst? Sind es Bewegungen, Mienen, Gesten, Verhaltensweise oder Meinungen, verbale oder non verbale Kommunikation? Einüben kann mehr sein als das Übernehmen bestimmter Haltungen und Redewendungen. Eine Rolle wird auch durch das Verwenden bestimmter Rollenutensilien oder durch das Ausführen bestimmter Befehle geformt.

Eine andere Möglichkeit, die Identifikation mit einer Rolle zu suggerieren, funktioniert – vor allem im wirklichen, sozialen Zusammenleben – mit Hilfe von Sanktionen, positiven und negativen Sanktionen. Durch Lob und Tadel entwickelt sich die Rolle bewusst oder unbewusst immer mehr in die gewünschte Form.

2.3 Rolle und Maske

Um seiner Rolle treu zu bleiben, bedarf es aber noch mehr als konsequent typische Sprach- und Bewegungsformen zu verwenden oder der Rolle entsprechende Meinungen zu postulieren. Damit es die Figur nicht aus ihrer Rolle wirft, ist auch eine Übereinstimmung zwischen Rolle und Maske notwendig. Eine Bühnenrolle trägt gewöhnlich für die Länge eines Stücks die gleiche Kleidung und steckt in der gleichen Maske. Mag sein, dass sie sich in ihrer Funktion weiterentwickelt, bleibt sie doch in ihrer äußeren Erscheinungsform meist als die gleiche Rolle erkennbar. Während wir in unserem Alltag selten übergreifende Generalrolle finden und häufig (nicht nur wenn die wechselnde Situation es erfordert) zwischen partiellen Rollen springen, sind wir auf dem Theater viel mehr die Konstanz einer Rolle gewohnt. Natürlich ist jede Rolle mehr als ihre Maske, mehr als ihre Äußerungsformen. Rollen sind immer auch verknüpft mit Funktionen. Eine Rolle spielen, heißt immer auch: Ausüben einer Funktion innerhalb eines Gefüges von Rollen.

2.4 Rolle und Aufgabe

Die Übernahme einer Rolle bedeutet zugleich immer auch die Erfüllung spezieller Aufgaben. Mit ihr sind Rechte und Pflichten verknüpft. Für die Übernahme sozialer Rollen in unserem Leben ist klar, dass sie innerhalb eines Prozesses, also nicht schlagartig, sondern kontinuierlich und unter Einwirkung der Mitwelt geschieht. Im Tieckschen Stück ist diese beeinflussende Mitwelt sowohl mit dem Dichter zu identifizieren, der seine Schauspieler auch ohne Verkleidung auf die Bühne schickt (wie zum Beispiel den Besänftiger in ordinärer Kleidung) bzw. seinen König im Epilog zu einer Ansage und Vorankündigung künftiger Vorstellung verpflichtet oder den Hanswurst Dankesworte im Namen der Bühnendekoration sprechen lässt. Zur beeinflussenden Mitwelt zählen aber auch Schauspielkollegen, Nebenrollen und die fiktiven Zuschauer. Wenn Hanswurst den Kater bittet, ohne einsichtigen Grund bloß zur Verwirrung des Publikums an einer Stange hochzuklettern, so beeinflusst eine Nebenrolle – völlig sinnlos zwar – die Hauptrolle. Natürlich hängt die Funktion einer Rolle nicht nur an ihrem Text, sondern auch an ihrer Maske. Die Funktion des Königs zum Beispiel wird vielmehr durch seine Krone deutlich als durch sein königliches Verhalten. Aber nicht nur jede Rolle hat ihre Funktion, auch das aus-der-Rolle-Fallen hat unterschiedliche Funktionen, erreicht unterschiedliche Ziele, erfüllt unterschiedliche Zwecke und hat daher auch unterschiedliche Folgen.

3. Konsequenz und Funktion des aus-der-Rolle-Fallens

3.1 Fiktionsbruch oder Fiktionsstörung

„Am Theater wird Schein zum Sein.“[4] Die Idee des illusionistischen Theaters ist in gewisser Weise Voraussetzung für das Phänomen des Fiktionsbruchs. Wenn ein Autor es nicht für möglich erachtet, dass Illusion entstehen kann, kann er sie auch nicht zerstören. Bei Tieck wird aber nicht Schein zum Sein, sondern Schein zum Schein und damit als Schein entlarvt. Allerdings handelt es sich weniger um Metalepse (Fiktionsbruch durch Wechsel von einer Spielebene zu einer anderen), als vielmehr um die Illusion misslungener Theaterwirklichkeit. Nicht die neue Perspektive nach einem Fiktionsbruch wird bei Tieck interessant, sondern der Perspektivenwechsel an sich, der den Leser in Ironie, Parodie und Komik entführt und ihm in der Vorführung einer gescheiterten Aufführung Theater auf dem Theater vorspielt. Das Stück bewegt sich oft an der Grenze zum Fiktionsbruch und droht auseinander zu fallen. Doch bei Tieck kann weniger von einem Bruch oder von fließendem Übergang die Rede sein, als vielmehr von einem ständigen Wechsel zwischen Illusionserzeugung und Illusionsstörung.

Eine Geschichte wird in ihrer Handlung gestört – nicht sofort zerstört – wenn der Fortgang der Handlung verhindert, verlangsamt wird, indem zum Beispiel über die Handlung reflektiert wird. Solange über eine Handlung auf der Bühne laut nachgedacht wird, kann sie nicht – auf der gleichen Bühne – fortgesetzt werden – zumindest nicht sprachlich. Solange die Handlung kommentiert wird, lässt sie sich nur schweigend vorantreiben. Dass mag eine geringe Einschränkung sein, wenn das Stück bereits im Laufen ist, die Charaktere und deren Absichten bereits bekannt sind – nicht aber am Anfang eines Stücks, wie im Prolog.

Die Zuschauer erzeugen für den Leser natürlich die Fiktion eines Publikums, das über eine erwartete Aufführung diskutiert, aber sie verhindern damit auch, dass eben die Fiktion dieser Aufführung endlich beginnt. Insofern, der Leser in erster Linie nicht mit der Darstellung anderer Rezipienten, sondern einer Geschichte rechnet, lässt sich von Illusionsstörung sprechen. Insofern man von Fiktion erwartet, dass sie in eine andere Welt entführt, in eine Geschichte, die nicht die eigne ist, wird man enttäuscht, wenn man sich anstatt in einer anderen Lebenswelt plötzlich selber in den Rezipienten und deren Verhalten wiederfindet.

Allein das Vorhandensein mehrerer Spielebenen wirft die Rollen in neue Rollendimensionen. Jede Rolle hat von vornherein nicht nur die eine ihr eigene Dimension, sondern ist zugleich Rolle für den Leser und Rolle für den fiktiven Zuschauer. Ihre Funktion, die sie innerhalb des Stücks im Stück spielt, ist nicht notwendig identisch mit der, die sie für den Leser einnimmt, wie das in fiktiven Texten normalerweise üblich ist. Jede fiktive Rolle handelt für den Rezipienten so, wie sie in Bezug auf ihre fiktiven Mitspieler in der fiktiven Umwelt handelt.

Bedeutet Fiktionsbruch Fiktionszerstörung und nicht Fiktionsstörung, könnte man sich allerdings weiter fragen, inwiefern Fiktionsbruch zur Illusionserzeugung gehört. Wird vielleicht die Illusion eines Fiktionsbruchs erzeugt? Fiktionsbruch als Illusionsversuch sehen, würde aber heißen, dass kein Fiktionsbruch mehr möglich ist und alles in der Ebene der Fiktion gefangen bleibt. Genau das hat das epische Theater á la Brecht hinter sich zu bringen versucht und zwar durch Verfremdung (in der direkten Anrede des Publikums, durch Schrifttafeln und Filmeinblenden und Ähnliches.)

Wo das „dramatische“ Theater nach Brecht darauf zielt, die Gefühle des Zuschauers zu beeinflussen, ihn zum Mitempfinden und Mitleiden zu bewegen, verfolgt er mit seinem „epischen“ Theater ein anderes wirkungsästhetisches Ziel: beim Rezipienten eine verstandesmäßige Reaktion zu erzielen, durch Irritation und Nachdenken ein verändertes, aktiv gesellschaftliches Verhalten zu bewirken.“[5]

Diesen beiden Formen des Theaters sind zwei unterschiedliche Verhaltensweise[6]. zuzuordnen: einfühlendes und verfremdendes Verhalten. Beide Typen (Einfühlung und Verfremdung) sind sowohl bei den Schauspielern als auch bei den Zuschauern zu beobachten. Der Zuschauer kann sich völlig in die vom Schauspieler verkörperte Dramenperson versetzen. Dieses Verhalten basiert auf Einfühlung, die keinen Widerspruch und keine Kritik seitens der Zuschauer duldet. Brecht kritisiert ein schauspielerisches Verhalten, das durch Einfühlung in die Rolle Einfühlung vom Zuschauer erpresst.

In „Der Gestiefelten Kater“ von Tieck finden wir ein sehr heterogenes Publikum, das sowohl kritisieren, als auch mitfühlen möchte. Die Schauspieler bei Tieck fallen zwar aus ihren Rollen, aber sie stehen nicht wie im epischen Theater verfremdenden neben ihren Rollen. Schauspieler treten ohne Maske auf, führen Aufgaben aus, die nicht zu ihrer Rolle gehören und reflektieren über die eigene Rolle, das heißt, Rollen werden negiert, vergessen, nicht aber für den Leser verfremdet dargestellt.

[...]


[1] Frenzel: Daten deutscher Dichtung, Bd. 1, S. 159.

[2] Vgl. Eisermann: Rolle und Maske, S. 19-35.

[3] Vgl. Tieck: Die verkehrte Welt.

[4] Nietzsche, Menschliches, Allzumeinschliches, S. 51.

[5] Sorensen: Geschichte der deutschen Literatur 2, S. 265.

[6] Vgl. Henning Kokott: Das Theater auf dem Theater im Drama der Neuzeit, S. 15-21.

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Definition und Negation der Rollen in Ludwig Tiecks "Kindermärchen: Der gestiefelte Kater"
Hochschule
Universität Wien  (Germanistik)
Veranstaltung
Seminar Neuere deutsche Literatur
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
23
Katalognummer
V66205
ISBN (eBook)
9783638588843
ISBN (Buch)
9783638671286
Dateigröße
534 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Das Thema der Arbeit behandelt nich nur Tiecks Kindermärchen, sondern auch die Bereiche "Fiktionserzeugung und Fiktionsbruch" der Literaturtheorie. Die Arbeit versucht Anworten zu geben auf Fragen wie, warum geschieht Fiktionsbruch und wie wird dadurch Komik erzeugt?
Schlagworte
Definition, Negation, Rollen, Ludwig, Tiecks, Kindermärchen, Kater, Seminar, Neuere, Literatur
Arbeit zitieren
Renate Enderlin (Autor:in), 2004, Definition und Negation der Rollen in Ludwig Tiecks "Kindermärchen: Der gestiefelte Kater", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66205

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