Das Besondere bei Hayden White ist, dass er seine Theorie um die Frage der Historiographie zentriert. Unruhe erzeugte er damit, dass er der Geschichtswissenschaft den Status einer Wissenschaft absprach, die Geschichtsschreibung mit der (schönen) Literatur gleich setzte und in den Augen seiner Kritiker damit den historischen Referenten, also die objektive Realität der Vergangenheit leugnete. Zu diesen Vorwürfen muss man sich nun positionieren. Der Autor gedenkt sie, wenn auch nicht vollständig zu entkräften, so doch zumindest abzuschwächen.
Denn die Abrede eines wissenschaftlichen Status’ für die Geschichtswissenschaft lässt sich aus der Kuhn’schen Definition einer Wissenschaft ableiten. Dort formuliert Kuhn, dass jede (normale) Wissenschaft ein Paradigma benötigt. Dieses „ist die Gesamtheit der theoretischen Überzeugungen, welche die scientific community der jeweiligen Disziplin teilt, und auf dem ein Konsens darüber aufgebaut ist, welche Probleme für das Fach als grundlegend angesehen werden und was für Lösungswege möglich sind.“ Das Paradigma ist also die wissenschaftliche Matrix der Wissenschaft selbst und definiert Grundlagen und Inhalte. White spricht der Geschichtswissenschaft nun eine solche Matrix ab, da sich noch kein Paradigma entwickelt hat und die Geschichtswissenschaft im Status einer Protowissenschaft verharrt. Deutlich wird das für ihn daran, dass in wesentlichen Fragen der Disziplin noch keine Einigkeit erzielt wurde. Stattdessen müssen sich Historiker immer wieder damit auseinandersetzen, was »Geschichte« eigentlich sei und wie man sie schreiben könne. Dies ist wahrhaftig eine richtige Beobachtung und die Diskussion um Hayden White zeugt hinlänglich vom Unvermögen der Disziplin, sich über den grundlegenden Gegenstand klar zu werden. An diesem Punkt ist White also zuzustimmen. Dennoch wird diese Arbeit, obwohl zum Teil apologetisch, nicht frei von Angriffen sein. Die Feststellung eines fehlenden Paradigmas wird der Autor als Ausgangspunkt nehmen, anhand der Überlegungen Hayden Whites ein solches zu suchen.
Inhaltsverzeichnis
- Angriff und Apologie. Die Geschichtswissenschaft im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Kunst. Mit Hayden White auf der Suche nach einem Paradigma.
- I. Metahistory
- A. Das Theoriedefizit der Geschichtswissenschaft
- B. Die Sprache als Fundament der Geschichte
- C. Hayden Whites Modell
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Ziel dieser Arbeit ist es, die Positionen des amerikanischen Literaturwissenschaftlers Hayden White in Bezug auf die Geschichtswissenschaft zu untersuchen und zu analysieren. Dabei soll geklärt werden, ob und inwiefern die von White entwickelte Theorie der Tropen als Grundlage für ein Paradigma der Geschichtswissenschaft dienen kann.
- Die Abgrenzung der Geschichtswissenschaft von der Kunst und Literatur
- Das Theoriedefizit der Geschichtswissenschaft
- Die Rolle der Sprache und der narrativen Modellierung in der Geschichtsschreibung
- Die Möglichkeit der Entwicklung eines Paradigmas für die Geschichtswissenschaft
- Die Verbindung von Hayden Whites Theorie der Tropen mit Hans Michael Baumgartners transzendentaler Historik
Zusammenfassung der Kapitel
Der erste Teil der Arbeit beleuchtet das Theoriedefizit der Geschichtswissenschaft, das von White als Ausgangspunkt für seine Überlegungen dient. Er argumentiert, dass die Geschichtswissenschaft im Status einer Protowissenschaft verharrt, da sich noch kein Paradigma entwickelt hat und die Disziplin in wesentlichen Fragen noch keine Einigkeit erzielt hat. Der Autor stimmt White in dieser Hinsicht zu, sieht aber gleichzeitig die Notwendigkeit, ein solches Paradigma zu finden.
Im zweiten Teil der Arbeit werden die Gedanken von White zu Sprache und narrativer Modellierung in der Geschichtswissenschaft vorgestellt. Er argumentiert, dass »Geschichte« nur über die Sprache zugänglich ist und dass die Sprache in der Lage ist, Modelle vergangener Prozesse und Strukturen zu entwerfen, die dann durch eine narrative Modellierung dargestellt und erklärt werden können.
Der dritte Teil der Arbeit beschäftigt sich mit dem von White entwickelten Modell der »Metahistory«. Dabei geht es um die Untersuchung der Geschichte der Geschichtswissenschaft selbst. White stellt einen Katalog von Fragestellungen auf, die sich die Geschichtswissenschaft stellen muss, um ihre Grundlagen und Inhalte zu erforschen.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter und Fokusthemen dieser Arbeit sind Hayden White, Metahistory, Geschichtswissenschaft, Paradigma, Tropen, Sprache, narrative Modellierung, historische Erkenntnis, wissenschaftliche Matrix, transzendentale Historik, linguistic turn.
- Arbeit zitieren
- Erik Fischer (Autor:in), 2006, Angriff und Apologie - Die Geschichtswissenschaft im Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Kunst: Mit Hayden White auf der Suche nach einem neuen Paradigma, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/66346