Konversationelle Implikaturen


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

25 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Grundlagen zu Grices Theorie der konversationellen Implikaturen
2.1 Grices Theorie des Meinens
2.2 Sagen und Implikieren in der Griceschen Theorie

3. Grices Theorie der konversationellen Implikaturen
3.1 Die Ausbeutung der Maximen
3.2 Merkmale konversationeller Implikaturen
3.3 Arten von Implikaturen
3.3.1 Konventionelle Implikaturen
3.3.2 Nicht-konventionelle Implikaturen
3.3.2.1 Nicht-konversationelle Implikaturen
3.3.2.2 Konversationelle Implikaturen
3.3.2.2.1 Partikularisierte Implikaturen
3.3.2.2.2 Generalisierte Implikaturen

4. Anwendung der Griceschen Theorie – Das Präsens im Deutschen

5. Bibliographie

1. Einleitung

Immer wieder wird in der Tradition der Linguistik versucht, den Begriff der Semantik durch die ihr zugeschriebenen Aufgaben zu definieren. Frege beispielsweise sieht die Aufgabe einer Semantik darin, die wörtliche Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken so zu definieren, daß sich die wörtliche Bedeutung eines komplexen Ausdrucks aus den wörtlichen Bedeutungen seiner einzelnen Teile und deren Anordnung ergibt. Außerdem soll die Semantik mit Hilfe der Bedeutungen eines Aussagesatzes festlegen, unter welchen Bedingungen dieser Satz wahr ist. Diese Auflagen sollen zu einer Verständigungstheorie beitragen, zu deren Hauptaufgabe es gehört zu definieren, was „mit der Äußerung eines bestimmten Satzes bei einer bestimmten Gelegenheit zum Ausdruck”[1] gebracht und verstanden wird. Die Gebrauchstheorie der Bedeutung dagegen geht davon aus, daß die wörtliche Bedeutung eines Satzes „möglichst viel Aufschluß darüber gibt, welche kommunikative Rolle die Äußerung dieses Satzes in einer Sprachgemeinschaft spiel[t] [...], in der diese Sprache zum Zwecke der Verständigung benutzt wird”[2]. Die Gesamtheit dessen, was mit der Äußerung eines bestimmten Satzes bei einer bestimmten Gelegenheit ausgedrückt und verstanden wird, bezeichnet den Äußerungsinhalt, also alles, was mit einer Äußerung inhaltlich übermittelt wird. Der Satzinhalt dagegen bezeichnet die Wahrheitsbedingungen, die von der wörtlichen Bedeutung einer bestimmten Äußerung bei einer bestimmten Gelegenheit festgelegt werden - also das, was der Satz selbst mit Hilfe seiner wörtlichen Bedeutung übermittelt.

Das Problem der gebrauchstheoretischen Richtung ist nun, daß die „unübersichtliche Mannigfaltigkeit der Äußerungsinhalte ein und desselben Satzes”[3] kaum in eine kompositionale Bedeutungstheorie gezwängt werden kann, wie Frege dies von einer Semantik verlangt. Die Frege-Tradition wiederum sieht sich mit dem Problem konfrontiert, daß der enorme Abstand zwischen dem enggefaßten Satzinhalt und dem viel weiteren Äußerungsinhalt kaum durch eine Theorie überbrückt werden kann.

Einen Ansatz zur Lösung des Problems der Frege-Tradition bildet die Theorie der konversationellen Implikaturen von Paul Grice. Mit Hilfe dieser Theorie ist es möglich, von einem enggefaßten Satzinhalt auf einen inhaltlich weit entfernten Äußerungsinhalt zu schließen.

In dieser Arbeit sollen die Grundlagen zu Grices Theorie der konversationellen Implikaturen sowie auch die Theorie selbst vorgestellt und im weiteren auch angewendet werden.

2. Grundlagen zu Grices Theorie der konversationellen Implikaturen

Grices Theorie der konversationellen Implikaturen stellt eine Rekonstruktion der sprachlichen Verständigung dar. Dabei geht es aber nicht darum, was im Bewußtsein des Sprechers und des Adressaten bei einer solchen sprachlichen Verständigung vorgeht, sondern darum, wie sich der Vorgang bei einer sprachlichen Verständigung als ein rationaler Prozeß darstellen läßt. Nach Grices Theorie ist sprachliche Verständigung eine Form von rationaler Beeinflussung: der Sprecher versucht mit Hilfe einer sprachlichen Äußerung den Adressaten in einer rational gesteuerten Weise zu beeinflussen, und der Adressat überwacht diesen Versuch der Beeinflussung in rationaler Art und Weise. Eine grundlegende Auffassung der Theorie von Grice ist also der rationale Aspekt des alltäglichen Redens, aus dem sich dann der Äußerungsinhalt ergibt.

Der Kern dieser Theorie rationaler Verständigung ist Grices Theorie des Meinens, welche die Basis für seine Theorie der konversationellen Implikaturen bildet.

2.1 Grices Theorie des Meinens

Grice definiert meinen als den Versuch, mit einer Handlung bzw. sprachlichen Äußerung „dem Adressaten Gründe für eine Annahme oder Handlung seinerseits zu geben”[4]. Der Kern dieser Theorie des Meinens ist, daß die Handlung bzw. sprachliche Äußerung, „mit der etwas gemeint wird, diese Gründe nicht allein dank ihren natürlichen Eigenschaften bereitstellt, sondern nur dank des Umstands, daß sie solche Gründe bereitstellen soll”[5]. Da der Adressat nicht aus der Handlung selbst entnehmen kann, was er nach den Wünschen des Handelnden entnehmen soll, muß er folgenden Gedankengang anstellen:

(0) Sprecher S tut Handlung x.
(I) Wenn S x tut, dann will er mich damit zu der Annahme bringen, daß Proposition p.
(II) Wenn S mich zu der Annahme, daß p, bringen will, dann p.
(III) p.[6]

Dieser Gedankengang kann aber nur unter der Voraussetzung gemacht werden, daß der Sprecher mit seiner Handlung gerade dieses Ergebnis anstrebt.

Wenn der Sprecher S nun davon ausgeht, daß der Adressat A einem solchen Gedanken nachgeht, um zu der von ihm gewünschten Annahme zu gelangen, dann macht S x mit der Absicht, daß

(i) A zu der Annahme gelangt, daß p;
(ii) A zu der Annahme gelangt, daß S x mit der Absicht vollzieht, daß (i);
(iii) die in (ii) bezeichnete Annahme A Grund für die in (i) bezeichnete Annahme gibt.[7]

Wenn der Sprecher diese drei Absichten verfolgt, dann meint er im Griceschen Sinne mit x, daß p.

Beim Meinen im Griceschen Sinne wird eine Überzeugung rational hervorgerufen, obwohl die ausgesprochene Äußerung nicht unmittelbar darauf hinweist, daß die Überzeugung auch wirklich inhaltlich zutrifft. Wenn ein Sprecher den Satz Es regnet äußert, kann der Adressat daraus nicht unmittelbar, wie beispielsweise bei der Wahrnehmung von Regengeräuschen, entnehmen, daß es regnet, weil die Äußerung Es regnet keinen natürlichen Anhaltspunkt für die Wahrheit dieser Äußerung darstellt. Weiterhin zeichnet sich das Gricesche Meinen dadurch aus, daß das Gemeinte auch ohne vorherige konventionelle semantische Beziehung zwischen dem, womit gemeint wird, und dem, was gemeint wird, verstanden wird. Lediglich gemeinsame Interessen von Sprecher und Adressat und Übereinstimmung der kognitiven Gestimmtheit reichen aus, um das Gemeinte zu verstehen. Außerdem werden bei der sprachlichen Verständigung konventionelle Mittel zur Erreichung außerkonventioneller Verstehenseffekte genutzt. Die Möglichkeit des Zustandekommens einer Verständigung ohne Konventionen ist der Grundgedanke der Griceschen Sprachphilosophie.

2.2 Sagen und Implikieren in der Griceschen Theorie

Nach Grice zerfällt das, was ein Sprecher mit einer Äußerung meint in das, was er sagt, und das, was er implikiert. Grice sieht das, was jemand sagt, „in enger Beziehung zur konventionalen Bedeutung der von ihm geäußerten Worte”[8]. Wenn man also einen Satz desambiguiert und seine Bezüge bestimmt, so erhält man aus der wörtlichen Bedeutung dieses geäußerten Satzes das, was mit ihm gesagt wird. Alles, was neben dem Gesagten mit der Äußerung gemeint wird, stellt das Implikat der Äußerung dar. Um Gesagtes und Implikiertes zu unterscheiden, muß der Weg des Adressaten von der Äußerung zu der betreffenden Annahme analysiert werden. Wenn ein Sprecher mit der Äußerung eines Satzes s sagt, daß p, dann geht er von folgender Schlußfolgerung des Adressaten aus:

s hat die Bedeutung b, b¹, b²,..., b¨

S benutzt s in einer der Bedeutungen von s

S benutzt s nicht in den Bedeutungen b¹, b²,., b¨

S benutzt s in der Bedeutung b

b bestimmt in der gegebenen Situation den Sachverhalt, daß p

(I) Wenn S in der gegebenen Situation s äußert, dann will er mich damit zu

der Annahme bringen, daß p.[9]

Wenn der Adressat auf diesem Weg zu der Annahme gelangt, daß p, und p im Einklang mit der Bedeutung des geäußerten Satzes steht, dann hat der Sprecher mit diesem Satz gesagt, daß p.

Wenn der Sprecher aber nun mit einem Satz s implikiert, daß p, dann geht er davon aus, daß der Adressat zu der Annahme, daß p, gelangt, ohne anzunehmen, daß p „durch einen wahrheitskonditionalen Bestandteil der Bedeutung von s bestimmt wird”[10]. Hierbei müssen zwei Fälle berücksichtigt werden:

(a) S sagt mit s gar nichts, sondern implikiert nur, daß p;
(b) S sagt mit s irgendwas anderes als p.[11]

Diese zwei Fälle sollen anhand von Beispielen verdeutlicht werden. Angenommen, A wurde hereingelegt und fragt S, ob er etwas damit zu tun hat, woraufhin S mit kindlichem Tonfall Ich bin klein antwortet. Mit dieser Äußerung sagt S nichts, weil er mit ihr nicht meint, daß er klein ist. S geht vielmehr davon aus, daß A sich an die zweite Zeile des Kindergebets, nämlich Mein Herz ist rein, erinnert und daraus schließt, daß S unschuldig ist. S implikiert also mit der Äußerung Ich bin klein, daß er mit der Sache nichts zu tun hat.

Die meisten Fälle, mit denen Grice sich beschäftigt, gehören zu der Gruppe (b). Typische Beispiele hierfür sind starke Untertreibungen. Wenn beispielsweise jemand den Satz Heinz-Harald Frentzen wird dieses Jahr wohl nicht Formel1-Weltmeister werden äußert und damit implikiert, daß Heinz-Harald Frentzen Glück hat, wenn er überhaupt einmal die Zielflagge sieht. Der Sprecher dieses Satzes meint damit, was er sagt, aber angesichts der häufigen Ausfälle Heinz-Harald Frentzens meint er noch mehr, nämlich das, was dieser Satz implikiert.

3. Grices Theorie der konversationellen Implikaturen

Grices Theorie der konversationellen Implikaturen basiert auf der Annahme, daß Gespräche „kooperative Bemühungen [sind] und jeder Teilnehmer […] bis zu einem gewissen Grad in ihnen einen gemeinsamen Zweck oder zumindest eine wechselseitig akzeptierte Richtung [erkennt]”[12]. Aus dieser Annahme ergibt sich Grices Kooperationsprinzip: „Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird”[13]. Der Gesprächszweck liegt nach Grice also im maximal effektiven Informationsaustausch. Das Kooperations-prinzip wird von Grice in vier Kategorien näher spezifiziert, deren Benennung er an Kants Einteilung der Begriffe der reinen Vernunft anlehnt. Diesen Kategorien ordnet Grice folgende Konversationsmaximen zu:

[...]


[1] Kemmerling, A. (1991), Implikatur, in: Stechow A. v./Wunderlich D. (Hrsg.), Semantik. Ein internationales Handbuch der zeitgenössischen Forschung, Berlin, S. 319.

[2] Kemmerling, S. 319.

[3] Kemmerling, S. 321.

[4] Kemmerling, S. 321.

[5] Kemmerling, S. 322.

[6] Vgl. Kemmerling, S. 322.

[7] Vgl. Kemmerling, S. 322.

[8] Grice H.P. (1968) Logik und Konversation, in: Meggle G. (Hrsg.) (1979), Handlung, Kommunikation, Bedeutung, Frankfurt, S. 246.

[9] Vgl. Kemmerling, S. 323.

[10] Kemmerling, S. 324.

[11] Vgl. Kemmerling, S. 324.

[12] Grice, S. 248.

[13] Grice, S. 248.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Konversationelle Implikaturen
Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main  (Institut für deutsche Sprache und Literatur II)
Veranstaltung
Seminar: Pragmatik
Note
1
Autor
Jahr
2001
Seiten
25
Katalognummer
V6710
ISBN (eBook)
9783638142175
ISBN (Buch)
9783656561002
Dateigröße
545 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Konversationelle, Implikaturen, Seminar, Pragmatik
Arbeit zitieren
Julia Reichert (Autor:in), 2001, Konversationelle Implikaturen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6710

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