Melancholie und Versöhnung - Die Filme von Aki Kaurismäki


Magisterarbeit, 2004

100 Seiten, Note: 2,00


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Melancholie und Versöhnung
2.1 Melancholie
2.2 Versöhnung

3. Der Independent-auteur Aki Kaurismäki
3.1 Ursprung des auteur-Begriffs
3.2 Nouvelle Vague
3.3 Der Independent-auteur zwischen Kunst und Kommerz
3.4 Der Independent-auteur Aki Kaurismäki

4. Aki Kaurismäkis Filme
4.1 Die „proletarische Trilogie“
4.1.1 Schatten im Paradies
4.1.1.1 Die Geschichte
4.1.1.2 Auftakt der Trilogie
4.1.2 Ariel
4.1.2.1 Die Geschichte
4.1.2.2 Flucht vor dem Prinzip Finnland
4.1.3 Das Mädchen aus der Streichholzfabrik
4.1.3.1 Die Geschichte
4.1.3.2 Die Rache des Mädchens
4.2 I hired a contract killer
4.2.1 Die Geschichte
4.2.2 Vertrackter Vertrag
4.3 Das Leben der Bohème
4.3.1 Die Geschichte
4.3.2 Die Bohème als Sackgasse
4.4 Leningrad Cowboys go America
4.4.1 Die Geschichte
4.4.2 Skurriles Roadmovie
4.5 Wolken ziehen vorüber
4.5.1 Die Geschichte
4.5.2 Auftakt einer neuen Trilogie

5. Der Mann ohne Vergangenheit
5.1 Die Geschichte
5.2 Auferstehung
5.3 Die Figuren
5.3.1 Szenen stilisierter Künstlichkeit
5.3.2 M, der Mann ohne Vergangenheit
5.3.3 Irma, die Frau von der Heilsarmee
5.4 Selbstfindung
5.5 Melancholie und Versöhnung

6. Schluss

7. Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb.1, S.22: Schindler, 2000, S.17

Abb.2, S.81: „Auferstehung” (Pandora Film, 2002)

Abb.3, S.81: „Kaisa und Nieminen beraten über M“ (Pandora Film, 2002)

Abb.4, S.83: „Abendessen in M’s Wohncontainer“ (Pandora Film, 2002)

Abb.5, S.83: „M und Nieminen bei der Heilsarmee“ (Pandora Film, 2002)

Abb.6, S.86: „M” (Pandora Film, 2002)

Abb.7, S.87: „M liegt wach” (Pandora Film, 2002)

Abb.8, S.87: „M kocht für Irma” (Pandora Film, 2002)

Abb.9, S.89: „Irma” (Pandora Film, 2002)

Abb.10, S.89: „Irma lobt M’s Kochkünste” (Pandora Film, 2002)

Abb.11, S.91: „Die Heilsarmeeband” (Pandora Film, 2002)

Abb.12, S.91: „Irma und M im Wagen” (Pandora Film, 2002)

Abb.13, S.93: „Anniki Tähti und die Heilsarmeeband” (Pandora Film, 2002)

1. Einleitung

Diese Arbeit wird sich mit den Filmen von Aki Kaurismäki befassen. Die Themen Melancholie und Versöhnung werden als thematischer Fokus dienen, um die Filme des finnischen Autorenfilmers zu interpretieren.

Kaurismäkis Filme sind gekennzeichnet von einer Traurigkeit und Melancholie, die sich wie ein transparenter Grundton durch alle Filme zieht. In der Welt des Finnen bekommen die Menschen eine Stimme, die im Mainstreamkino der Gegenwart meist unter den Tische fallen: Arbeitslose, unverschuldet Gestrandete, von der Gesellschaft Ausgestoßene, sogenannte Underdogs. Kaurismäki zeichnet ein Bild der Gesellschaft Finnlands, das von Arbeitslosigkeit und Ausbeutung der kleinen Leute gekennzeichnet ist. Wohlstand und Sorglosigkeit scheint es in dieser Welt nicht zu geben; zumindest nicht in der Welt seiner Protagonisten, die allesamt am Rande des Existenzminimums ums Überleben kämpfen. Umso verwunderlicher ist es, dass in dieser Welt der Perspektivlosigkeit und Zukunftsangst die Menschlichkeit nie auf der Strecke bleibt. Es erscheint geradezu als Wink des Schicksals, dass die Menschen in Kaurismäkis Filmen, die alles verloren zu haben glauben, die ganz unten auf der sozialen Leiter angekommen sind, sich nicht gegenüber Ihresgleichen zu behaupten suchen, sondern sich mit denen, sie ihr Schicksal teilen, solidarisch zeigen und somit Menschlichkeit auch am Rande der Gesellschaft beweisen. Und genau an diesem Punkt, an dem Kaurismäkis Figuren glauben, alles verloren zu haben, hält das Schicksal stets eine Wendung parat. Gerade diese Wendung und gleichzeitige Hinwendung zum Glück zeichnet Kaurismäkis Filme aus. Aus tiefer Melancholie steigen die Protagonisten wie Phönix aus der Asche empor und erlangen neuen Lebensmut und Kraft. Sie versöhnen sich mit ihrem Leben. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (Vgl. Kapitel 4.3: „Das Leben der Bohème“) ist diese von melancholischem Grundton und versöhnlichem Ende charakterisierte Erzählweise das Prinzip Kaurismäkis. In den folgenden Kapiteln werden Kaurismäkis Filme vorgestellt und ihre Motive und Themen analysiert.

Die Hausarbeit wird sich in sechs Punkte gliedern. Nach dieser Einleitung (Kapitel 1) folgt in Kapitel 2 eine Erläuterung der Begriffe Melancholie (2.1) und Versöhnung (2.2). Kapitel 3 befasst sich mit dem Begriff Autorenfilm. In diesem Zusammenhang wird auf den Ursprung des auteur -Begriffes (Kapitel 3.1) eingegangen und seine Bedeutung innerhalb der Nouvelle Vague (Kapitel 3.2). Kapitel 3.3 stellt Qualitätskriterien zur Analyse der Produktionsweisen, Themen und Ästhetik der Handschrift eines Independent-auteur auf. Darauf aufbauend bestätigt Kapitel 3.4 Kaurismäki als unabhängigen Filmemacher.

Kaurismäkis Position als Independent-auteur gilt als Voraussetzung für die Entwicklung eines eigenen Stils. Vor dem Hintergrund einer eigenen Produktionsfirma und somit wirtschaftlicher Unabhängigkeit konnte Kaurismäki weitgehend unbeeinflusst von den gängigen Mainstream-Themen eine eigene Handschrift entwickeln.

Kapitel 4 stellt eine Auswahl von Aki Kaurismäkis Filmen vor. Die „proletarische Trilogie“ (Kapitel 4.1), den im Film Noir -Stil gedrehten „I hired a contract killer“ (Kapitel 4.2), die Verfilmung des Henri Murger-Romans „Das Leben der Bohème“ (Kapitel 4.3), die Roadmovie-Groteske „Leningrad Cowboys go America“ (Kapitel 4.4) und schließlich den Auftakt einer weiteren „proletarischen Trilogie“, „Wolken ziehen vorüber“ (Kapitel 4.5). Mit einer Analyse von Kaurismäkis neuester Produktion, „Der Mann ohne Vergangenheit“ (Kapitel 5) und einem Schlusswort (Kapitel 6) schließt die Hausarbeit ab.

2. Melancholie und Versöhnung

2.1 Melancholie

Der Begriff Melancholie ist ein schwer zu definierender Zustand. Er wird je nach Fachgebiet unterschiedlich dargestellt. In der Medizin beispielsweise ist die Melancholie eine Begleiterscheinung der Hypochondrie, in der Psychologie wird sie mit Depression beschrieben. Dieses Kapitel wird versuchen, den schwer zu fassenden Geist der Melancholie ansatzweise zu erklären und für diese Arbeit brauchbar zu machen.

Der Begriff Melancholie stammt aus dem Lateinischen und beschreibt eines der vier Temperamente, die Hippokrates bezüglich des menschlichen Charakters unterschieden hat. Gemäß seiner Lehre steht das Temperament für die Veranlagung des Menschen hinsichtlich der Art, der Stärke und des Ablaufs der gefühlsmäßigen Verhaltensweisen, Reaktionen und Willensprozesse. Die vier Temperamente werden nach der Stärke oder Schwäche, Langsamkeit oder Schnelligkeit des durch das Temperament beeinflussten Willens- bzw. Gefühlsverlaufs unterschieden. Jedes Temperament wird dabei als der seelische Ausdruck eines der vier Hauptsäfte des Körpers aufgefasst: Blut (sanguis), Schleim (phlegma), schwarze Galle (melancholia), gelbe oder weiße Galle (chole). Je nach der geringeren oder größeren Motivationskraft der Gefühle bzw. der Zusammensetzung der Säfte ist der Sanguiniker ein schwankender Stimmungsmensch oder eher flatterhaft, der Phlegmatiker kaltblütig und zäh oder gleichgültig und apathisch, der Choleriker ein heftig auftretender Willensmensch oder übermäßig aufgeregter Gefühlsmensch. (Vgl. Schischkoff, 1982, S. 689)

Der Melancholiker wird nach Schischkoff (1982, S.445) folgendermaßen beschrieben:

„Melancholie (griech. „Schwarzgalligkeit“), Schwermut, Tiefsinn, ein seelischer Zustand, der durch düstere Stimmung, traurige Vorstellungen, Schwäche des Willens gekennzeichnet ist, durch Herabstimmung des Selbstgefühls und des Selbstvertrauens. Der Melancholiker, beschrieben als Typus der klassischen Lehre vom → Temperament, neigt zum Pessimismus, zu einer stärker von Stimmung und Gefühl als von Tat und Wille beherrschten Lebensauffassung.“

Die klassische Ableitung der Temperamente aus „Säften“ und ihrer individuell verschiedenen Mischung ist wissenschaftlich nicht haltbar, da es sich bei Temperamenten um Struktureigenschaften der Gesamtpersönlichkeit handelt. Dennoch werden die Begriffe immer noch verwendet, um eine auftretende Stimmung zu beschreiben.

Die Melancholie, auch Schwermut, Weltschmerz oder Depression, ist ein Geisteszustand, der als Herausforderung für das philosophische Denken begriffen wird. Die „grundlose Traurigkeit“, wie Melancholie auch genannt wird, ist eng verbunden mit einem reflexiven Bewusstsein. Das bedeutet, ein melancholischer Mensch reflektiert verstärkt über sich und seine Umwelt, oder anders gesehen, ein nachdenklicher, nachfragender Mensch hat verstärkt einen Hang zur Melancholie. Unter den sinn- und sachverwandten Bedeutungen von „melancholisch sein“ findet sich der Ausdruck „sich hintersinnen“ (nachschlagen im Duden, Band 8, 1972, S.455). Diese Wendung scheint auszudrücken, dass das Leiden der Melancholie ein reflexives ist. Ein sich hintersinnendes, sich selbst reflektierendes Bewusstsein ist im Prozess eines „Sich-besinnen-wollens“ noch fremder, entfernt sich noch weiter von sich selbst, als das im Akt des naiven Leidens der Fall ist. Dieser Prozess kann zu einem Identitätsbruch führen. Der Mensch ist nicht mehr bei sich, aber gleichzeitig noch nicht zu sich gekommen, ist von sich reflexiv distanziert und das wiederum reflektierend, so dass ein unglückliches melancholisches Bewusstsein sich selbst in den Rücken fällt und den Halt nimmt und nun zwischen „nicht-mehr“ und „noch-nicht“ leer im Leben hängt und sich dem grundlosen Unglück hingibt (Vgl. Lambrecht, 1996, Einleitung).

Im Vergleich zu den andern drei Temperamenten hat das des Melancholikers essentiell ein Verhältnis zu sich selbst. Das „Sich-Hintersinnen“ impliziert im Fall des Melancholikers ein unglückliches Bewusstsein.[1]

Eine weitere Möglichkeit, das Melancholiephänomen zu beschreiben ist die Betrachtung als Zwischenlage, als Spannung zwischen Polen, als mehr oder weniger reflexive Verhältnisse in Zeit und Raum. Das ist zum einen das Verhältnis „zwischen Krankheit und Sünde“, zum anderen ein Zwischen-Verhältnis in der grundlegenden Orientierung auf Raum und Zeit, ein „zwischen Anderswann und Anderswo“. Dieses Spannungsfeld des Melancholieproblems wird hauptsächlich glücksphilosophisch in Gestalt des Unglücklichseins oder im vergeblichen Bemühen um Erfüllung dargestellt. Eine weitere Betrachtungsweise ist die vorwiegend zeitphilosophische Betrachtung, das „zwischen nicht-mehr und noch-nicht“, in welcher das lebensgeschichtliche Unglücklichsein als das melancholische Verstehen eigener Individuation als Selbst-Verfehlung betrachtet wird. Das „zwischen“ hat hier stets die Aufgabe, die eigentümliche Ungreifbarkeit des Melancholiephänomens verstehen zu helfen.

Eine weitere Ausprägung der Melancholie betrifft das Doppelspiel von Sehnsucht auf der einen und Hoffnung bzw. Hoffnungslosigkeit, Resignation und Verzweiflung auf der anderen Seite. Einerseits äußert sich Melancholie durch einen resignativen Gestus, eine offen zur Schau getragene Attitüde wehmütiger Hoffnungsaufgabe. Andererseits ist Melancholie häufig durch einen rebellischen Zug von Sehnsucht gekennzeichnet, die jenseits aller Hoffnungslosigkeitsgebärden, meist versteckt wie ein Stachel im Dasein des Melancholikers steckt. Lambrecht (1996, S.14) schreibt hierzu:

„Im Gegenteil besteht das melancholische Leiden meist gerade darin, dass einer mehr oder weniger unbestimmten Sehnsucht nach etwas “Anderem“ ein verzagtes Nicht-für-möglich-Halten des Erreichens dieses “Anderen“ gegenüber steht und das betreffende Individuum in eine Krise stürzt, die aber auch, bei erneuter Anstachelung von Hoffnungsresiduen, vorübergehend und damit schöpferisch sein kann.“

Melancholie versteht sich also als ein Wechselspiel von unaufgegebener Sehnsucht und schwankender Hoffnung (Vgl. Lambrecht, 1996, Einleitung).

2.2 Versöhnung

Der Begriff Versöhnung hat eine tragende Bedeutung in der christlichen Theologie. Die Lehre von der Versöhnung stützt sich im Neuen Testament besonders auf 2 Kor 5, 17-21. Dort steht, Gott hat das Verhältnis der Welt zu ihm, das durch menschliche Verfehlungen unrettbar zerstört war, von neuem aufgerichtet. Die Versöhnung wird wirklich als neue Schöpfung, als ein „sein in Christus“. Jesus Christus, der ohne Sünde war, hat stellvertretend für alle Menschen die Sünden auf sich genommen, damit diese frei gesprochen werden. Gott hat somit in Christus rettend für die Menschheit gehandelt.

Der Terminus Versöhnung hat unterschiedliche Bedeutungsfelder. Das deutsche Wort Versöhnung geht auf das mittelhochdeutsche versüenen zurück, was bedeutet, eine Schuld wird durch Sühne gebüßt; sie ist dann nicht mehr rechtskräftig, sondern wiedergutgemacht. Martin Luther unterscheidet in seinen Übersetzungen zwischen „aussöhnen“[2] und „wiedergutmachen“. In der heutigen Lutherbibel heißt es „versöhnen“, oder „Frieden stiften, sich aussöhnen“ oder sogar „sich vertragen“.[3]

Für den theologischen Versöhnungsbegriff sind drei Bedeutungsfelder aufeinander bezogen. Der „Kultus“ (Gottesdienst) gibt die Möglichkeit, vor Gott zu treten. Im Opfer wird der Schuldige als Person vertreten und aus der Todesverfallenheit erlöst. Das „Recht“ regelt Verhältnisse zwischen Personen. In der „sozialen Dimension“ zeigt sich, dass das Zusammenleben von Menschen nicht nur der Konfliktregelung und der Bereitschaft zur Koexistenz bedarf, sondern auch der Bereinigung von Schuld und ihren Folgen.

Im Akt der Versöhnung drückt sich ein Grundzug des Handelns Gottes aus, in der sich kundtut, wie Gott sich zur Menschheit verhält und wer er für uns ist. Jesus Christus ist der Sohn Gottes und „der Versöhner“. In seinem Leben und Sterben wird Gottes Versöhnung offenbar und deckt zugleich menschliche Unversöhntheit und Unversöhnlichkeit auf, indem sie sie nicht bestehen lässt. Gott setzt sich durch, indem er menschliche Schuld auf sich nimmt und so aufhebt. Die Schuldigen werden darum gebeten, sich diese Tat gefallen zu lassen. (Vgl. Die Bibel, 2 Kor 5, 20)

Versöhnung erweist sich hier als grund- und bedingungsloses „Auf-uns-Zugehen“ Gottes. In dem dadurch geschaffenen Verhältnis können Menschen nur aus Vergebung leben und sie mitteilen, andernfalls bestritten sie in ihrem Verhalten zu anderen und zu sich selbst die Versöhnung, die ihnen zuteil geworden ist.[4] (Vgl. Gyllenberg, 1986)

In der neuzeitlichen Auffassung ist die theologische Verknüpfung von Versöhnung und Gottes Handeln an und durch Jesu Christus „für uns“ strittig geworden. Verschiedenste theologische Ansätze haben versucht, den Versöhnungsgedanken in Frage zu stellen und neu auszulegen.

Bei G.F.W. Hegel wird Versöhnung zum religionsphilosophischen Schlüsselbegriff. Demnach hebt Versöhnung die Entzweiung zwischen Gott und der Welt auf. Die göttliche Liebe offenbart sich in Jesus Christus, der die Einigung von Gott und Mensch verkörpert.

Der Sprachgebrauch in Kirche und Theologie hat eine Bedeutungsverlagerung erfahren, der Versöhnung fast ausschließlich als Konfliktregelung und Friedensstiftung auffasst und fordert. Hintergrund dieser modernen Auffassung ist das Bedürfnis nach Vertrauensbildung in internationalen Beziehungen und der Ausgleich zwischen sozialen und politischen Gegensätzen. Zunehmend steht auch der Wunsch nach der Wiederherstellung gestörter Harmonie mit der Umwelt im Vordergrund, die Versöhnung mit der Natur. Dieses Streben nach Versöhnung im modernen Zeitalter impliziert gleichzeitig ein Aufdecken der Ursachen von Störungen und stellt somit nicht nur eine bedingungslose Versöhnungsbereitschaft dar. Denn Versöhnung in diesem Sinne verlangt Überwindung rassischer Diskriminierung, politische Gleichberechtigung und Herstellung sozialer Gerechtigkeit.

Die Bedeutungsverschiebung zu einer Auffassung von Versöhnung als Friedensschluss und Beendigung von Feindschaft auf verschiedenen Ebenen ist Ausdruck eines tiefgreifenden Bewusstseinswandels, der sich seit ca. 200 Jahren abzeichnet. Versöhnung vollzieht sich zwischen Menschen, Gruppen, Völkern, die zu Gegnern wurden. Gleichzeitig gilt nun auch die Versöhnung Gottes mit der Welt als die Entstörung einer gestörten Beziehung, die Menschen ermöglichen soll, entsprechend zu agieren. Dies wirkt auch auf die theologischen Vorstellungen ein. Die Versöhnung der Welt mit Gott wird als friedensstiftende Maßnahme angesehen, als Vorbild und Anstoß für menschliche Bemühungen, Beziehungen zu stiften oder wiederherzustellen.

In Verbindung mit Ethik erscheint Versöhnung als sozialer Beziehungsbegriff. Versöhnung entsteht, wenn festgefahrene Beziehungen in Bewegung gebracht werden, was nur in der Hoffnung auf Veränderbarkeit gelingen kann. Versöhnung gilt als Kennwort politischen Neuanfangs, sie überwindet Spannungen, indem geschichtliche Konfliktursachen beseitigt werden. Versöhnung wird gleichbedeutend mit politischer Verständigung (Vgl. Gyllenberg, 1986).

3. Der Independent-auteur Aki Kaurismäki

3.1 Ursprung des auteur-Begriffs

Ursprünglich beschrieb der Begriff Autorenfilm das deutsche Kino der Autoren zu Beginn des 20. Jahrhunderts, das literarisch geprägt und künstlerisch ausgerichtet war. Zu Beginn des Kinos verpflichtete man wichtige Schriftsteller, wie Gerhard Hauptmann, Arthur Schnitzler, Hugo von Hofmannsthal oder auch Berthold Brecht, Drehbücher zu schreiben. Der Begriff Autorenfilm ist in diesem Zusammenhang also insofern buchstäblich zu verstehen, als er weniger auf die Figur des Regisseurs abzielt, denn auf das kulturelle Kapital, das sich mit den Namen literarischer Schriftsteller verband. Somit besaß der deutsche Stummfilm hochkarätige Film-Autoren, ohne bereits Autorenfilmer zu kennen.

Mithilfe dieser Literaten sollte dem Kino jenes Prestige verschafft werden, das ihm als Jahrmarktsvergnügen der proletarischen Massen abging. Autorenfilm in diesem frühen Verständnis war der anspruchsvolle Versuch, dem Kino die Kinderkrankheit des Sensationslüsternen und Schmuddeligen auszutreiben und es auf die erwachsenen Pfade von Kunst und Kultur zu führen. Allerdings erwies sich zur damaligen Zeit die Aufwertung des Films durch angesehene literarische Schriftsteller als Fehlgriff.

„Die Leute vom Theater, ganz dem herkömmlichen Bühnenstil verpflichtet, waren außerstande, die verschiedenen Gesetze des neuen filmischen Mediums zu erfassen. Ihre Haltung zum Film war herablassend. Sie sahen in ihm nur ein Mittel, die Kunst des Schauspielers herauszustreichen und die willkommene Gelegenheit, Theaterinszenierungen einem breiten Publikum bekannt zu machen. Für sie war die Leinwand einfach eine neue Bühne.“ (zit.n. Kracauer, 1979, S. 24)

3.2 Nouvelle Vague

Vorbild für das Verständnis von Autorenfilm, wie wir es heue kennen, waren „ein paar junge Wilde“ (Grob, 2001, S. 76) der französischen Filmkritik, die späteren Regisseure der Nouvelle Vague. Neben André Bazin, dem Herausgeber der Cahier du Cinéma, waren das zentrale Figuren wie François Truffaut, Jean-Luc Godard, Claude Chabrol und Jaques Rivette, die den französischen Gegenwartsfilm kritisierten und für die Aufwertung des amerikanischen Unterhaltungskinos fochten. Ihre Texte führten zu einer Metaphorisierung des Autor-Begriffes. (Vgl. Nitsche, S.14)

In seinem 1948 veröffentlichten Artikel La caméra-stylo vergleicht Alexandre Astruc die Kamera des Filmemachers metaphorisch mit dem literarischen Arbeitswerkzeug des Federhalters. Er war davon überzeugt, dass das Medium Film eine eigene Sprache, eine Filmsprache entwickeln könne, die sich nicht nur von der Literatur und anderen Kunstformen unterscheidet, sondern ihnen gleichwertig ist.

„Der Film ist ganz einfach dabei, ein Ausdrucksmittel zu werden, wie es alle anderen Künste zuvor, wie es insbesondere die Malerei und der Roman gewesen sind. Nachdem er nacheinander eine Jahrmarktsattraktion, eine dem Boulevardtheater ähnliche Unterhaltung oder ein Mittel war, die Bilder einer Epoche zu konservieren, wird er nach und nach zu einer Sprache. Einer Sprache, das heißt zu einer Form, in der und durch die ein Künstler seine Gedanken, so abstrakt sie auch seien, ausdrücken oder seine Probleme so exakt formulieren kann, wie das heute im Essay oder im Roman der Fall ist. Darum nenne ich diese Epoche des Films die Epoche der Kamera als Federhalter [la caméra-stylo]. Dieses Bild hat einen genauen Sinn. Es bedeutet, daß der Film sich nach und nach aus der Tyrannei des Visuellen befreien wird, des Bildes um des Bildes willen, der unmittelbaren Fabel, des Konkreten, um zum Mittel der Schrift zu werden, das ebenso ausdrucksfähig und ebenso subtil ist wie das der geschriebenen Sprache.“ (zit.n. Kotulla, 1964, S. 111 f.)

Astruc prophezeit eine neue Epoche der Ästhetik und verbindet diese mit Namen wie Jean Renoir und Orson Welles. Der Film verwandelt sich bei diesen Regisseuren in ein abstraktes Medium, das den Ausdruck des Gedankens ermöglicht. In der Metapher des Federhalters formuliert Astruc zugleich das Bedürfnis nach der Aufwertung des Mediums, dessen technische Eigenschaften zudem durch eine individuelle Handschrift belebt werden sollen. Das Leitbild für Astrucs Aufwertung des Kinos bilden die etablierten Künste der Malerei und der Literatur. Für das Autorenkino sind hier vor allem die produktionsästhetischen Konsequenzen, die Astruc mit dieser Emanzipation des Films verbindet, von Bedeutung. Die Schlusspassage seines Artikels verdeutlicht das neue Verständnis, nachdem der Regisseur nicht mehr nur Erfüllungsgehilfe des Drehbuchautors ist, sondern sich in einen filmischen Autor verwandelt (Vgl. Nitsche, 2002, S. 6f.).

„Besser noch, daß es keinen Scenaristen mehr gibt, denn bei einem solchen Film hat die Unterscheidung zwischen Autor [auteur] und Regisseur [réalisateur] keine Sinn mehr. Die Regie [mise en scène] ist kein Mittel mehr, eine Szene zu illustrieren oder darzubieten, sondern eine wirkliche Schrift. Der Autor schreibt mit seiner Kamera wie ein Schriftsteller mit seinem Federhalter.“ ( zit.n. Kotulla, 1964, S. 115)

Astruc bekräftigt hier die folgenreiche Engführung von Regisseur und Schriftsteller zum filmischen Autor. An die Stelle des Scenarist, der lediglich für die Adaption von Romanvorlagen verantwortlich ist, tritt der auteur, der die Verschmelzung von Regisseur und literarischem Autor darstellt. Astruc formuliert mit der „Kamera als Federhalter“ eine Produktionsutopie, die statt vom Abbildrealismus des Films vor allem von der Vorstellung einer Immanenz des Regisseurs im filmischen Kunstwerk ausgeht (Vgl. Nitsche, 2002, S.7).

In diesem Kontext bekommt auch die mise en scène als Akt der Regieführung neues Gewicht. Im Gegensatz zur Montage, die nachträgliche Ordnung schafft, ist damit die Schauspielerführung, Lichtsetzung und Kamerapositionierung gemeint, also der unmittelbare Akt künstlerischer Entscheidung am Drehort. Gerade das amerikanische Mainstreamkino hielt und hält den Einflussbereich des Regisseurs am Drehort äußerst beschränkt. In Astrucs Idealmodell aber bedient sich der Filmemacher seines Filmteams und Schauspielerensembles in vollem Bewusstsein von deren kreativen Fähigkeiten und setzt sie als Werkzeuge zur Erschaffung seiner künstlerischen Arbeit ein. Somit wird der künstlerische Wille des Regisseurs zur autonomen letzten Instanz (Vgl. Stiglegger, 2000, S.13).

Aber erst als sich François Truffaut 1954 in seinem Artikel Une certaine tendence du cinéma francais mit dem Begriff auteur auseinandersetzte, löste der Begriff eine kontroverse Debatte unter Filmkritikern, die sogenannte politique des auteurs, aus.

Truffaut problematisiert anhand eines exemplarischen Drehbuchentwurfs des „Scenaristen-Tandem“ Aurenche und Bost das Prinzip der Werktreue. Die Szenaristen begingen mit ihrer Umsetzung des filmischen Stoffes in doppelter Weise „Verrat“. Einerseits verfälschten sie mit ihrem narrativen Schematismus und politischen Dogmatismus die Sinnzusammenhänge der literarischen Vorlage, während sie andererseits die spezifischen Ausdrucksmöglichkeiten des Kinos ignorierten (Vgl. Nitsche, 2002, S.15).

Truffaut schreibt ( zit.n. Kotulla, 1964, S.122):

„[I]ch stelle mir aber als gültige Adaption nur eine solche vor, die von einem Mann des Films geschrieben ist. Aurenche und Bost sind in der Hauptsache Literaten, und ich werfe ihnen vor, dass sie den Film verachten, weil sie ihn unterschätzen.“

Den entscheidenden Punkt seines Aufsatzes bildet die Darstellung der hierarchischen Opposition zweier verschiedener Typen von Regisseuren. Der metteur en scène liefert in der Filmproduktion einem vorgängigen Drehbuch den Bildrahmen. Truffaut stellt diesem das cinéma d’auteurs entgegen, dessen Regisseure einerseits eigene Drehbücher verfassen, die sie kraft ihres Talents in unverfälschte Verfilmungen verwandeln (Vgl. Nitsche, 2002, S.16).

„[...Ich] kenne in Frankreich eine Handvoll Männer [...], deren Weltansicht mindestens ebensoviel Gewicht hat wie die von Aurenche und Bost, Sigurd und Jeanson. Es handelt sich um Jean Renoir, Robert Bresson, Jean Cocteau [...] Auch diese sind französische Cineasten, und es trifft sich – merkwürdige Koinzidenz – daß sie Autoren sind, die ihre Dialoge oft selber schreiben, und einige von ihnen erfinden auch die Geschichte selbst, die sie auf die Leinwand bringen [...] Nun ich kann an eine friedliche Koexistenz der „Tradition der Qualität“ und des ‚Autorenfilms’ (cinéma d’auteurs) nicht glauben. (zit.n. Kotulla, 1964, S. 127)

Die Differenzierung von auteur und réalisateur stellte einen weiteren Diskussionspunkt der politique des auteurs dar. Der réalisateur, der, wenn er auch mit Intelligenz, Fantasie und Inspiration inszeniert, setzt stets nur die vorgegebene Geschichte eines Drehbuchautors um. Der auteur dagegen bekennt, wie er zur Welt, zu den Menschen und seiner Arbeit steht, selbst wenn er auch voller Flecken und Fehler, voller Manien und Schwächen arbeitet. Dabei sollen auteur und réalisateur distinktive, keine wertenden Kategorien sein. Sie zählen nicht auf der Ebene der Qualität, sondern nur auf der Ebene von Haltung, Tonart, Klangfarbe, Timbre. Auch gelungene Filme eines réalisateur können durch ihre Gestaltung beeindrucken und erstaunen. Doch gelungene Filme eines auteur vermögen darüber hinaus zu berühren, wegen der Zärtlichkeit, mit der sie sich ihren Figuren nähern oder das Unbeholfene nahe bringen, wegen ihrer Schönheit oder ihres neuen und abweichenden Klangs.

Dem Verständnis der Verfechter der politique des auteurs lag von vorneherein eine cinéastische Perspektive zugrunde. Bedeutende Fragen betrafen die mise en scène oder neue Ideen der Abfolge der Einstellungen.

Die politique des auteurs hatte großen Einfluss auf Filmkritik, Filmwissenschaft und Filmgeschichte, beinhaltete aber auch Schwächen. Die Stilisierung und Verklärung des auteur als autonomes Individuum förderte einerseits den Kultstatus bestimmter Filmemacher, andererseits vernachlässigte sie den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Kontext von Filmen.

Die politique des auteurs war als Modell für die Autorenfilmer der Nouvelle Vague von großer Bedeutung. Die Diskussionen inspirierten sie zu Filmen, die sich durch eine außergewöhnliche filmsprachliche Kreativität und Innovation auszeichneten. (Vgl. Schindler, 2000, S. 8 f.)

Die politique des auteurs galt auch außerhalb Frankreichs als Erfolgsmodell. François Truffaut gelang mit seinem Film Les 400 Coups bei den Filmfestspielen in Cannes der große Durchbruch. Seine Kritikerkollegen folgten seinem Vorbild und wechselten innerhalb des kulturellen Systems vom Filmkritiker zum Filmemacher. Jean-Luc Godard, Eric Rhomer, Claude Chabrol und Jaques Rivette begannen nun ihre Laufbahn vor dem Hintergrund jenes idealistischen Konzeptes, das sie zuvor als fiktives Produktionsmodell propagiert hatten. Bekannte Filme dieser Zeit sind u.a. A bout de souffle von Jean-Luc Godard, Hiroshima mon amour von Alain Resnais , Les amants von Louis Malle. Godard ging noch einen Schritt weiter und gab einem seiner Filme den programmatischen Titel Nouvelle Vague.

Mit der Unterzeichnung des Oberhausener Manifests 1962 drückten auch junge deutsche Regisseure ihren Willen zum unabhängigen, autonomen Kino aus. Wichtige Vertreter, wie Alexander Kluge, Edgar Reitz, Herbert Veseley und andere machten sich in den folgenden Jahrzehnten des „Neuen Deutschen Films“ ebenfalls an eine Umsetzung vergleichbarer Konzepte wie der politique des auteurs.

Die politique des auteurs wurde in England vornehmlich durch das Magazin Movie wahr genommen. In den USA galt der Filmkritiker und Herausgeber der englischsprachigen Ausgabe von Cahier du Cinéma, Andrew Sarris, als Leitfigur bei der Etablierung der politique des auteurs. Er führte den Begriff author 1968 in den amerikanischen Filmdiskurs ein.

Heute beinhaltet der Begriff Autorenfilm das moderne Verständnis, wonach es der persönliche Blick eines Filmemachers ist, der eine Geschichte auf individuelle Art erzählt und der in seinen Filmen den persönlichen Ausdruck seiner Vorstellungen von der Welt und vom Filmemachen realisiert. Damit verbunden ist eine Einzigartigkeit, die sich gegen jede Konvention richtet und ein eigener Blick auf Figuren, eine betont subjektive visuelle Fantasie, eine ganz eigene Ordnung im Raum und ein individueller Rhythmus (Vgl. Grob, 2001, S.71).

Ein visionärer Blick, der eine inszenierte Realität zum Sprechen bringt, indem er die üblichen eingefahrenen Formen ins Furiose, Fanatische, Obsessive, manchmal auch einfach ins Subjektive transformiert – unterstützt und zugespitzt durch die Kunst der Inszenierung, die Kunst der räumlichen Konstruktion und des körperlichen Ausdrucks. (zit.n. Grob, 2001, S. 76)

Gemeint ist also, nach dem Verständnis der Nouvelle Vague, wie Truffaut, Rivette und Godard es formuliert haben, in erster Linie der Ausdruck einer individuellen Weltsicht und nicht die Beschreibung einer Arbeitsposition. Mit dem Begriff Autor verbindet sich die persönliche Leistung eines Filmemachers, der unabhängig von Thema und Buch, aber in enger Kooperation mit seinen Mitarbeitern, die jeweilige Geschichte auf intime Weise stilisiert, wie nur er es vermag. Ein Autor konjugiert die Rede seines Films in der ersten Person, er spricht stets in der Ich-Form. Das bedeutet, dass Filme eines Autors nicht unbedingt die besseren sein müssen. Es besagt nur, dass sie eine besondere, ganz eigene Ausdrucksweise haben. Die Signifikanten für diese Ich-Form sind höchst unterschiedlich. Mal sind sie erkennbar in immer wiederkehrenden Themen oder an immer wiederkehrenden Situationen, in immer wiederkehrenden Bildmotiven oder immer wiederkehrenden Figurenkonzeptionen, in immer wiederkehrenden Kamera- oder Montagetechniken (Vgl. Grob, 2001, S.77).

Die Vertreter der politique des auteurs gebrauchten den Begriff auteur nicht im Rahmen einer wissenschaftlichen Analyse. Erst in den späten sechziger Jahren gliederten Filmtheoretiker den Begriff in die wissenschaftliche Theorie des Strukturalismus ein. Die Filmanalyse wurde dahingehende erweitert, dass sie nicht mehr nur die zugrunde liegenden auteur -Strukturen, sondern auch diverse andere Strukturen untersuchte:

„Thus the auteur was displaced from the centre of the work and was now one structure among several others making up the film text. This displaced allowed other structures to emerge, namely, the linguistic, social and institutional structures and the auteur’s relationship to them. And even though in the late 1960’s the tendency was still to perceive the auteur structure as the major one, it was also recognized that the studio and stars – amongst others – were equally important contributors to the production of meaning in film. Still absent from the debate, however, was the spectator – the question of pleasure and ideology.” (zit.n. Hayward, 1996, S.18)

In den siebziger Jahren wurde der Totalitätsanspruch des Strukturalismus als alleinige Theorie von poststrukturalistischen Filmwissenschaftlern für überholt erklärt. Ihre Überzeugung war, dass eine Theorie allein nicht mehr ausreiche, um Filme in ihrer ganzen Komplexität zu untersuchen. Theorien der Semiotik, der Psychoanalyse, des Feminismus und des Dekonstruktivismus wurden nun als Basis poststrukturalistischer Filmanalyse benutzt. Hayward (1996, S.18) schreibt hierzu:

„It would take the impact of post-structuralism, psychoanalysis, feminism and deconstruction to make clear finally that a single theory was inadequate and that what was required was a pluralism of theories that cross-fertilized each other. (…) Because post-sturcturalism looks at all relevant discourses (said or unsaid) revolving around and within the text, many more areas of meaning-production can be identified.”

Die Semiotik hatte erheblichen Einfluss auf die poststrukturalistische Filmanalyse. Der auteur und der Zuschauer sind demnach Teil des filmischen Textes, den Filmen eingeschriebene Subjekte. Die Textualität und Intertextualität von Filmen stehen dabei im Zentrum der Analyse. Die Vielzahl an Theorien des Poststrukturalismus bildet die Grundlage eines Methodenpluralismus, dem sich die Autorenfilme auf vier Weisen nähert: „über den auteur, die Ideologie des filmischen Textes, den Kontext und die Rezeption des Zuschauers“ (zit.n. Schindler, 2000, S.11). Die Poststrukturalisten ergänzen somit die Herangehensweisen der Strukturalisten um die der Ideologie und des Zuschauers.

Von entscheidender Bedeutung für die Analyse von Autorenfilmen sind der jeweilige filmhistorische Kontext und die mit ihm verbunden Produktionsbedingungen, die den Grad der kreativen Kontrolle eines auteur bestimmen:

„Although auteurism provides the foundation for many excellent studies, it should be used with some skepticism for at least two reasons. Rarely does a director have the total control that the term suggest, since anyone from a scriptwriter to an editor may be more responsible for the look and logic of a film. And what an auteur represents differs quite a bit depending on the time and place: auteur applied to Truffaut or Eric Rohmer has quite different meaning from auteur applied to Samuel Fuller or David Lynch.” (zit.n. Corrigan, 2001, S.102)

3.3 Der Independent-auteur zwischen Kunst und Kommerz

Die Filmwirtschaft unterscheidet zwischen den Regisseuren der großen internationalen Medienkonzerne, wie z. Bsp. den Major Studios Hollywoods, und den unabhängigen Filmemachern, den Independent-auteurs. Die Unterscheidung bezieht sich hauptsächlich auf die unterschiedlichen Produktionsbedingungen und Produktionsweisen. Aufgrund des meist geringen Einflusses eines Regisseurs der Filmindustrie, umfasst seine Handschrift selten individuelle Produktionsweisen. Es besteht hier eine enge Verknüpfung mit der Rolle des réalisateur (Vgl. Nouvelle Vague), da auch der verantwortliche Tätigkeitsbereich eines Regisseurs der Filmindustrie sich gewöhnlich auf die Regie und somit auf die mise en scène beschränkt. Unter den Produktionsbedingen eines großen Medienkonzerns hat ein solcher Regisseur kaum die Möglichkeit, konstante Themen und narrative Erzählweisen in seinen Filmen zu entwickeln, wie es ein unabhängiger Filmemacher tut.

Ein Independent-auteur hingegen ist nicht nur Regisseur einer mise en scène, sondern der potenzielle kreative Urheber einer kompletten Filmproduktion. Dennoch handelt es sich um eine relative Unabhängigkeit, da auch die unabhängige Filmwirtschaft ökonomischen Bedingungen unterliegt:

„“Independent, “ then, has to be understood as a relational term – independent in relation to the dominant system – rather than taken as indicating a practice that ist totally free-standing and autonomous. Individual filmmakers who do not understand this relationship often end up frustrating and compromising their own efforts.” (zit.n. Kleinhans, 1998, S.308)

Ein Independent-auteur zeichnet sich also dadurch aus, dass er zumindest die Mehrzahl seiner Filme nicht von den so genannten Major Studios Hollywoods produzieren lässt, also überwiegend finanziell und damit auch künstlerisch unabhängig von der dominierenden Filmindustrie arbeitet. Diese Unabhängigkeit von rein kommerziellen Produktionsweisen gibt einem Filmemacher weitaus größere Möglichkeiten, die Produktionsweisen, Themen und Ästhetik der Filme selbst zu bestimmen.

Die Handschrift eines Independent-auteur umfasst sowohl konstante Themen und ästhetische Erzählweisen, als auch individuelle Produktionsweisen. Diese Qualitäten stehen in wechselseitiger Abhängigkeit voneinander. Individuelle kreative Urheberschaft ist nur dann möglich, wenn der Grad der kreativen Kontrolle hoch ist. Ebenso ist ein hoher Grad an kreativer Kontrolle nur dann von Wert, wenn er über entsprechende kreative Fähigkeiten verfügt. Folglich befindet sich ein Autorenfilmer grundsätzlich im Spannungsverhältnis von Kunst und Kommerz.

Die Filmindustrie unterliegt in starkem Maße finanziellen Zwängen, was in der Regel zu gravierenden Interessensgegensätzen zwischen Filmemachern und Filmindustriellen führt. Ein Independent-auteur ist auf das Geld von Produktions- und Distributionsfirmen angewiesen, für die ein Film in erster Linie ein kommerzielles Geschäft darstellt. Das Interesse der Produzenten und Verleiher ist, den größtmöglichen finanziellen Profit zu erzielen. Mit Mainstream-Filmen, also den Sehgewohnheiten eines Massenpublikums entsprechenden Themen und Erzählweisen ist dies wahrscheinlicher zu erreichen als mit unkonventionellen Autorenfilmen. Produzenten werden demnach versuchen, auf die Arbeit eines Filmemachers in dem Maße einzuwirken, dass das filmische Produkt ein möglichst breites Publikum anspricht und die Kinokassen füllt.

Im Gegensatz dazu steht die Vorstellung des Independent-auteur, seine Filme so zu realisieren, wie er sie sich vorstellt. In seinem Interesse liegt es daher, die größtmögliche kreative Kontrolle über seine Filme zu behalten. Der Begriff Independent-auteur steht vor allem für die kreativen Kontrollmöglichkeiten eines Filmemachers und klassifiziert einen Autorenfilmer als finanziell und künstlerisch unabhängig – im Gegensatz zu einem Regisseur der Major Studios. Folgerichtig sagt der Begriff Independent-auteur wenig über kreative Fähigkeiten, also die Qualität der Themen und Ästhetik einer Handschrift aus:

„Independence alone does not confer political, social, or aesthetic value. But there ist a long-standing connection between some

independent feature films and political advocacy or minority cultural expression.” (zit.n. Kleinhans, 1998, S.322)

Um die Produktionsweisen, Themen und Ästhetik der Handschrift eines Independent-auteurs qualitativ beschreiben, analysieren und vergleichen zu können, bedarf es objektiver Kriterien. Die gewählten Kriterien basieren auf der Methodik des Poststrukturalismus. Dabei handelt es sich um relative Kriterien, da der Grad ihrer Ausprägung variabel ist (Vgl. Schindler, 2000).

Qualitätskriterien zur Analyse der Produktionsweisen, Themen und Ästhetik der Handschrift eines Independent-auteur

Kreative Kontrolle

Individuelle kreative Urheberschaft

Kreative Zusammenarbeit mit dem Team

Umfang, Vielfalt, Intensität und Konstanz

Innovation

Funktionalität

Authentizität

Gesellschaftskritik, Ideologiekritik

Ideologiefreiheit

Intertextualität

Unterhaltungswert

Einfluss auf Filmemacher, Filmwirtschaft, Filmgeschichte

(Abb. nach Schindler, 2000, S.17)

Wie bereits erwähnt ist der Grad der kreativen Kontrolle eines wesentliches Qualitätskriterium der Handschrift eines Independent-auteur. Je mehr Fremdbestimmung aus finanziellen Interessen, desto weniger Kontrolle hat er über Themen und Ästhetik. Im Idealfall hat ein Independent-auteur die Kontrolle über alle Produktionsablaufe seiner Filme.

Obwohl die kreative Urheberschaft eines Independent-auteur relativ groß ist, kann ihr Umfang erheblich variieren. Sie kann sich auf die Regie beschränken, aber auch die Tätigkeiten des Produzenten, Drehbuchautoren, Kameramanns, Cutters, etc. umfassen. Demzufolge muss hier auch die gemeinsame Urheberschaft, also die kreative Zusammenarbeit mit dem Team berücksichtigt werden:

„“Filmemachen als kollektiven Arbeitsprozess“ zu begreifen und deshalb den Anteil der technischen Mitarbeiter mitzubedenken, wer wohl würde dem ernsthaft widersprechen? Es ist doch nachweisbar, dass jede nähere Beschäftigung mit einem Auteur des Kinos, wie “Hawks“ oder “Hitchcock“, produktiv nur ist, wenn auch die Rolle der engeren Mitarbeiter untersucht wurde.“ (zit.n. Grob, 1998, S.133)

In der Regel entscheidet der Independent-auteur über die gemeinsame Urheberschaft, da er nicht in allen künstlerischen und technischen Belangen über ein so tiefgreifendes Fachwissen verfügt, wie ein spezialisierter Kameramann, Filmmusikkomponist oder Schauspieler. Somit hängt die Qualität der Produktion auch von den Mitarbeitern ab, von denen sich der Filmemacher kreative Synergien verspricht.

Um eine gewisse Konstanz im Werk eines Independent-auteurs zu erkennen, bedarf es einer angemessenen Anzahl von Filmen, die das Gesamtwerk oder Teilwerk eines Zeitraums umfassen können. Weitere entscheidende Qualitätskriterien sind Umfang, Vielfalt und Intensität der Produktionsweisen, Themen und Ästhetik. Ebenso bedeutend sind die Funktionalität der Produktionsweisen, Themen und Ästhetik. Da die Themen im Zentrum eines Independent-auteur stehen, stellen Produktionsweisen und Ästhetik eher untergeordnete filmische Mittel dar, die primär die Funktion haben, Themen zu realisieren und zu vertiefen.

Ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Authentizität, also die klischeefreie Darstellung gesellschaftlicher Wirklichkeit. Gesellschaftskritik und Ideologiekritik impliziert gleichzeitig einen Grad an Ideologiefreiheit der eigenen Handschrift, hierbei soll die ideologiefreie Vermittlung von Themen heraus gehoben werden. Ferner spielt die Intertextualität von Themen und damit verbunden ästhetische Erzählweisen mit anderen Filmen, Kunstformen, Medien und Kulturen eine wichtige Kategorie. Der Unterhaltungswert ist entscheidend bei der Rezeption des Zuschauers, ebenso der Einfluss auf andere Filmemacher, die Filmwirtschaft und schließlich die Filmgeschichte (Vgl. Schindler, 2000).

[...]


[1] Ausführungen über das „Unglückliche Bewusstsein“ finden sich bei Hegel, G.W.F. (1807). Phänomenologie des Geistes, Kap. 4 B, Schlussabschnitt.

[2] Entsprechend übersetzt auch bei Mt 5, 24 und 1 Kor 7, 11; Bei Hebr 2, 17 heißt es „Sühne leisten“

[3] In der engl. Terminologie wird “atonement“ (Sühne) von “reconciliation“ (Aussöhnung) unterschieden, wobei letzterer Begriff Versöhnung auch als sozialethische Aufgabe (Friedenstiftung) umfasst.

[4] Verdeutlicht im „Gleichnis vom hartherzigen Schuldner“, Mt 18, 23-35

Ende der Leseprobe aus 100 Seiten

Details

Titel
Melancholie und Versöhnung - Die Filme von Aki Kaurismäki
Hochschule
Universität Augsburg  (Philosophische Fakultät)
Note
2,00
Autor
Jahr
2004
Seiten
100
Katalognummer
V67250
ISBN (eBook)
9783638585491
ISBN (Buch)
9783656806431
Dateigröße
1258 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Melancholie, Versöhnung, Filme, Kaurismäki
Arbeit zitieren
Magister Artium Christine Scheffler (Autor:in), 2004, Melancholie und Versöhnung - Die Filme von Aki Kaurismäki, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67250

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