Der Mensch lernt seine Sprache - Zur Spracherwerbstheorie nach Noam Chomsky


Zwischenprüfungsarbeit, 2005

19 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Chomskys Platz in der Linguistik
2.1 Chomskys Theorie der Sprache
2.2 Sein Platz in der Geschichte der Linguistik

3 Der Erwerb der Sprache
3.1 Der Spracherwerb nach Chomsky
3.2 Argumente für und gegen Chomskys Spracherwerbstheorie
3.2.1 Für Chomsky
3.2.2 Gegen Chomsky
3.2.3 Fazit

4 Zusammenfassung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Kommunikation spielt eine besondere Rolle in der Gesellschaft. Nur wer seine Aktivitäten mit denen der Anderen koordinieren kann, ist gesellschaftlich handlungsfähig. Diese Koordination geschieht über die Kommunikation mit anderen Mitgliedern der Gesellschaft. Die menschliche Kommunikation erfolgt zum größten Teil über die Sprache. Um ein handlungsfähiges Mitglied der Gesellschaft zu werden, muss der Mensch im Kindes- und Jugendalter kommunikative und damit auch sprachliche Fähigkeiten entwickeln. Wie der Prozess des Spracherwerbs im Einzelnen aussieht und verläuft, ist umstritten. Es gibt verschiedene Erklärungsansätze, die unter anderem aus den Bereichen der Soziologie, Psychologie und Linguistik stammen. Die Behavioristen z.B. gehen davon aus, dass der Mensch ohne angeborene Strukturen die Sprache erlernt, was entscheidend von den Erfahrungen mit der Umwelt geprägt wird. Eine vollkommen gegensätzliche Einstellung vertritt Noam Chomsky. Seiner Meinung nach sind die Strukturen der Sprache angeboren, also genetisch bedingt.[1] Erst durch Übung und die entsprechenden Stimuli können diese Strukturen während der Sprachentwicklung heranreifen.

Diese zweite Theorie nach Chomsky soll im Folgenden genauer betrachtet werden, um einen Zugang aus dem Bereich der Linguistik zu diesem Thema zu erhalten. Um Chomskys Bedeutung für die Linguistik zu verdeutlichen, wird zunächst versucht, Chomsky und seine Theorie in die Geschichte der Linguistik einzuordnen. Im Weiteren soll seine Theorie des Spracherwerbs beschrieben werden, um sie anschließend kritisch zu betrachten. Hier ist von besonderem Interesse, welche Argumente für und welche gegen die Spracherwerbstheorie Chomskys sprechen.

2 Chomskys Platz in der Linguistik

Der amerikanische Sprachwissenschaftler Avram Noam Chomsky wurde am 7.12.1928 in Philadelphia geboren. Er ist der Begründer der Generativen Transformations-grammatik. Chomsky leitete einen Paradigmenwechsel in der Linguistik ein, da sich seine Theorien grundlegend von den vorangegangenen unterscheiden.

In diesem Kapitel soll zunächst Chomskys Theorie über die menschliche Sprache beschrieben werden. Dies kann jedoch im Rahmen dieser Arbeit nur relativ oberflächlich geschehen. Anschließend folgt eine kurze Eingliederung Chomskys in die Geschichte der Linguistik.

Es sollte zunächst noch erwähnt werden, dass Chomskys Annahmen auf Hypothesen basieren, die bisher noch nicht wissenschaftlich belegt werden konnten. Er selbst bemerkt:

„Es können nur höchst vorläufige und vage Hypothesen über die Natur der Sprache, ihren Gebrauch und ihren Erwerb aufgestellt werden.“[2]

2.1 Chomskys Theorie der Sprache

Nach Chomsky unterscheidet sich der Mensch von den Tieren durch die menschliche Sprache und deren Gebrauch.

„Tatsächlich ist die Sprache […] ein artspezifischer menschlicher Besitz, und noch bei niedrigsten Intelligenzgranden, bei pathologischen Fällen, stellen wir eine Sprachbeherrschung fest, die ein Affe überhaupt nicht erreichen kann, der in anderer Hinsicht, in seiner Fähigkeit, Probleme zu lösen, und in anderem adaptiven Verhalten, einem menschlichen Schwachsinnigen überlegen sein mag.“[3]

Chomsky hat ein sehr differenziertes Modell der menschlichen Sprache entwickelt, in dessen Mittelpunkt der Satz und die kognitiven Fähigkeiten des Menschen stehen. So versteht er die Grammatik einer Sprache als Beschreibung der dem idealen Sprecher/Hörer innewohnenden Sprachkompetenz und nicht als Beschreibung der Struktur der jeweiligen Sprache.[4]

Er führte das Konzept der »Tiefen- und Oberflächenstruktur« ein, um Sätze angemessen analysieren zu können. Dabei stützt sich Chomsky auf die „Port-Royal-Grammatik“[5].

Die Tiefenstruktur stellt den Sinn eines Satzes dar und wird durch den Sprecher in bestimmte Oberflächenstrukturen transformiert. Die Oberflächenstruktur ist die äußere Form eines Satzes. Sie determiniert die phonetische Interpretation des jeweiligen Satzes, während die Tiefenstruktur die semantische Interpretation determiniert.[6] Sie kann mit Hilfe der Konstituentenanalyse, die den Satz bis auf die Wortebene zerlegt, analysiert werden.

Die folgenden Beispielsätze[7] sollen das Konzept von Tiefen- und Oberflächenstruktur verdeutlichen:

(1) Manche Menschen sind schwer zu verstehen.
(2) Manche Menschen sind unfähig zu verstehen.
Beide Sätze besitzen dieselbe Oberflächenstruktur, doch bezeichnen sie unterschiedliche Dinge.
(3) Die Katze jagt die Mäuse.
(4) Die Mäuse werden von der Katze gejagt.
Die Sätze (3) und (4) weisen verschiedene Oberflächenstrukturen auf. Satz (3) steht im Aktiv, Satz (4) dagegen im Passiv. Trotzdem liegt beiden Sätzen die gleiche Tiefenstruktur zu Grunde – sie haben die gleiche Bedeutung.
Es gibt allerdings auch Sätze, die mehrere Bedeutungen haben können:
(5) Verwandtenbesuche können lästig sein.
Dieser Satz kann auf zwei Arten verstanden werden:
(6) Besuche bei Verwandten sind lästig.
(7) Besuche von Verwandten sind lästig.

Satz (5) hat demnach zwei verschiedene Tiefenstrukturen, die in der gleichen Oberflächenstruktur realisiert werden können.

Auf dem Konzept der Transformation baut Chomskys »generative Grammatik« auf. Hier stehen die kognitiven Fähigkeiten des Menschen im Vordergrund. Chomsky unterscheidet zwischen »Kompetenz« und »Performanz«.[8] Die Kompetenz bezeichnet das unbewusste[9] Wissen eines Menschen über die Regeln einer Sprache - sozusagen die innere Grammatik, die jeder besitzt. Die Performanz ist die Anwendung dieser Regeln. Nur wer über sprachliches Wissen verfügt, kann Sprache verwenden.[10] Die Tiefen- und Oberflächenstruktur wird im Geist miteinander verbunden, wenn ein Satz verstanden oder generiert wird.

Demnach, so Chomsky Überlegung, muss es eine Grammatik - ein festes System von generativen Regeln - geben, die im Geist präsent ist.[11] Derjenige, der eine Sprache beherrscht, hat folglich ein System von Regeln verinnerlicht, mit dem er den Laut und die Bedeutung eines Satzes in Verbindung setzen kann.

Die generative Grammatik versucht nicht das Sprachsystem der jeweiligen Sprache zu beschreiben. Sie ist vielmehr durch die Fähigkeit des Menschen gekennzeichnet, unendlich viele neue und dem Sprecher bisher unbekannte Äußerungen zu verstehen und zu erschaffen bzw. zu generieren. Wie eine Äußerung verstanden oder gebraucht wird, hängt dabei von der jeweiligen Situation ab.[12] Die Sprache dient als Mittel, eine beliebige Anzahl Gedanken auszudrücken und in neuen und unbekannten Situationen angemessen zu reagieren.

Dieser „»kreative« Aspekt“[13], so Chomsky, sei allen Sprachen gemeinsam. Aus diesem Grund führt er die »universelle Grammatik« ein, „die den kreativen Aspekt der Sprachverwendung erfaßt und die profunden Regularitäten ausdrückt, die, da sie universell sind, in der Einzelgrammatik nicht aufgeführt zu werden brauchen“[14]. Die universelle Grammatik ist somit als Ergänzung der Grammatik einer einzelnen Sprache anzusehen. Nur aus der Verbindung von Einzel- und universeller Grammatik kann die Kompetenz des Sprechers/Hörers beschrieben und erfasst werden.

Chomsky sieht die Linguistik nicht als selbständige Disziplin an, sondern als einen „besonderen Zweig der kognitiven Psychologie“[15]. Er meint:

„Psychologie, so wie ich sie verstehe, befaßt sich im wesentlichen mit den Fähigkeiten des Menschen, zu handeln und Erfahrungen zu verarbeiten, sowie mit den mentalen Strukturen, die diesen Fähigkeiten und ihrer Anwendung zugrunde liegen; darüber hinaus mit der Fähigkeit zweiter Ordnung, diese mentalen Strukturen aufzubauen, sowie mit den diesen Fähigkeiten zweiter Ordnung zugrundeliegenden Strukturen.“[16]

Dass er die Linguistik als psychologische Disziplin ansieht, liegt daran, dass sich die generative Grammatiktheorie damit beschäftigt, „wie grammatisches Wissen mental repräsentiert ist und welcher Natur das menschliche Kognitionssystem ist, um dieses grammatische Wissen zu integrieren“[17]. Diese Fragestellungen stammen eindeutig aus dem Bereich der kognitiven Psychologie.

[...]


[1] Vgl. Chomsky (1973). S. 69 und Fanselow/Felix (1984). S. 39.

[2] Chomsky (1980). S. 48.

[3] Chomsky (1980). S. 25.

[4] Vgl. Chomsky (1973). S. 15

[5] Chomsky (1980). S. 34.

[6] Vgl. Chomsky (1973). S. 30.

[7] Die Sätze (1), (2), (5), (6) und (7) stammen aus: Slobin (1974). S. 14f.

[8] Vgl. Chomsky (1973). S. 14.

[9] Vgl. Chomsky (1973). S. 19.

[10] Vgl. Fanselow/Felix (1984). S. 33.

[11] Vgl. Chomsky (1980). S. 37.

[12] Vgl. Chomsky (1980). S. 48.

[13] Chomsky (1973). S. 16.

[14] Chomsky (1973). S. 16f.

[15] Chomsky (1980). S. 11. und Fanselow/Felix (1984). S. 31.

[16] Chomsky (1981). S. 12

[17] Fanselow/Felix (1984). S. 35.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Der Mensch lernt seine Sprache - Zur Spracherwerbstheorie nach Noam Chomsky
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Fachbereich Geisteswissenschaften)
Veranstaltung
Zur Spracherwerbstheorie nach Noam Chomsky
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V67271
ISBN (eBook)
9783638602341
ISBN (Buch)
9783638799577
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mensch, Sprache, Spracherwerbstheorie, Noam, Chomsky, Spracherwerbstheorie, Noam, Chomsky
Arbeit zitieren
Birgit von Eicken (Autor:in), 2005, Der Mensch lernt seine Sprache - Zur Spracherwerbstheorie nach Noam Chomsky, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67271

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