Das Lehrbuch im Englischunterricht


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Lehrbuch: rechtliche Grundlagen, Aufbau und Wirkung

3. Lehrbuchkritik

4. Qualitätsprinzipien von Lehrwerken

5. Fazit: Zum Umgang mit dem Lehrbuch

6. Literatur

1. Einleitung

Ziel des heutigen Englischunterrichts ist neben der Förderung der Kommunikationsfähigkeit[1] der Erwerb von Kompetenzen. Dazu zählen beispielsweise Methodenkompetenz, kulturelle Kompetenz und Sprachkompetenz. Zur Umsetzung dieser Ziele wird der Lehrer methodisch in bezug auf die Mediennutzung kaum eingeschränkt. Gerade in der Sekundarstufe I bildet das traditionelle Medium Lehrbuch meist die Grundlage des Unterrichts.

Als traditionell kann dieses Medium gerade deswegen bezeichnet werden, weil es schon im 18. Jahrhundert die Voraussetzung für den Einzug des Englischunterrichts in die Curricula bildete. Reinhold Freudenstein betont in seinem Aufsatz „Fremdsprachenlernen ohne Lehrbuch“ die ursprüngliche Abhängigkeit der modernen Fremdsprachen von den alten Sprachen Griechisch und Latein, die sich an der grammatisierenden Methode orientierten. Nur die Fokussierung auf Grammatik und Übersetzung ermöglichte es den Neuphilologien, in den Universitäten und Schulen Einzug zu halten[2]. Diskurse wurden beispielsweise im Lehrbuch von Johann Christian Prager „Englische Grammatik“ von 1764 auf die römische Geschichte eingeschränkt. Im 19. Jahrhundert stand „Bildung“ und „Nützlichkeit“ im Zentrum der Lehrbücher. Damit versuchte man den verschiedenen Ansprüchen der Gymnasien und der Realschulen auf der anderen Seite gerecht zu werden. Aufgrund der Geschichte des Lehrbuchs und der grammatisierenden Methode wird es mit heutiger Terminologie häufig als instruktivistisches Medium kritisiert. Aus instruktivistischer Sicht[3] gestaltet sich Lernen als eine Akkumulation von Wissen nach der Präsentation von Fakten und Regeln, die in bezug auf den Fremdsprachenunterricht auf der Progression und Selektion durch Schulbücher, pattern practice und der Betonung der Grundfertigkeiten Hören - Sprechen - Lesen- Schreiben beruht. Der Instruktivismus geht aus der behavioristischen Lernpsychologie hervor, die besagt, das der Lerner durch relativ passive Informationsaufnahme den vom Lehrer dargebotenen Stoff aufnimmt. Im Unterschied zum Behaviorismus betont der Konstruktivismus die internen Verstehensprozesse, wobei die individuelle Wahrnehmung, Interpretation und Konstruktion des Wissens im sozialen Kontext von Bedeutung sind (sozialer Konstruktivismus). Die zweite Ausrichtung wird als radikaler Konstruktivismus bezeichnet und betont, dass Wissen in der „Aktivierung von Neuronen in einem neuronalen Netzwerk“ liegt. Verhaltensänderungen sind Zeichen für die Veränderung mentaler Prozesse (vgl. Weskamp, 23).

Auch wenn die grammatisierende Methode angesichts heutiger Zielsetzungen des Englischunterrichts als überholt erscheint, richteten sich schon die ersten fremdsprachlichen Lehrwerke nach modernen Prinzipien, die in heutigen Lehrwerken als selbstverständlich gelten. Der Orbis Pictus von Johann Amos Comenius aus dem Jahre 1658 gilt als Prototyp des fremdsprachlichen Lehrbuchs aufgrund der Anschaulichkeit des Lehrstoffs, der Anordnung des Wortschatzes in Spalten, der Kontextualisierung des Wortmaterials, der Förderung des autonomen Lernens, handlungsorientierten Lernens sowie des Lernens mit allen Sinnen[4]. In seiner Didactica Magna legte Comenius schon einige Grundprinzipien für ein Lehrbuch fest: „Schulbücher sollen alles allgemeinverständlich darstellen und dem Lernenden in jedem Fall Hilfe bieten, so dass er alles von selbst, auch ohne den Lehrer verstehen kann.“ (8. Auflage, 1993: 128). Die konstruktivistische Grundhaltung dieser Aussage ist kaum zu verkennen. Wie solche Darlegungen zeigen, muss die oft schon generalisierte Kritik an Lehrbüchern hinterfragt werden. Die letzten 200 Jahre hat sich nämlich auch die Schlüsselfunktion des Lehrbuchs als Medium gezeigt, das neue Methoden durchzusetzen vermag: so bei der direkten Methode am Ende des 19. Jahrhunderts oder während der kommunikativen Wende in den 1970er Jahren mit „English for you“.

Angesichts der fortschreitenden Medienvielfalt gerät die einst unerschütterliche Rolle des Lehrbuchs ins Wanken und sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, zu wenig konstruktivistisch zu sein. Im Folgenden sollen daher die Stärken und Schwächen moderner Englischlehrbücher diskutiert werden sowie Qualitätsprinzipien erarbeitet werden, die dem Lehrer bei der richtigen Einschätzung eines Lehrbuches helfen können.

2. Das Lehrbuch: rechtliche Grundlagen, Aufbau und Wirkung

Das Lehrbuch oder auch Schülerbuch bildet das Zentrum eines Lehrwerkes, das neben dem Lehrbuch in der Regel noch aus Tonträgern, Bildfolien, Arbeitsheften, Lehrerhandreichungen und Software besteht. Lehrbuchautoren haben aufgrund der allgemein gefassten Rahmenpläne in der Gestaltung von Lehrbüchern relativ große Spielräume. Die Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport macht im „Rahmenplan für Unterricht und Erziehung in Berliner Schulen“ für das Fach Englisch unter dem Punkt 4.4 genauere Ausführungen zur Mediennutzung im Englischunterricht. Interessanterweise wird das Lehrbuch als Unterrichtsmaterial zuerst genannt, gefolgt von Folien, Texten, Bildern, Filmen, Rundfunksendungen und Ähnlichem. Diesen Medien werden eine Reihe von Funktionen zugeschrieben. Dazu zählen Darbietungsfunktion, Motivierungsfunktion, Aktualisierungsfunktion, Übungsfunktion, Differenzierungsfunktion, Kontroll- und Diagnosefunktion. Ein Lehrbuch allein kann diese weitgefächerten Funktionen natürlich nicht abdecken. Für die Auswahl eines passenden Unterrichtsmaterials werden unter 4.4.2 Gesichtspunkte aufgelistet, die zu berücksichtigen sind. Bezeichnend für den Umgang mit dem Lehrbuch, wie auch allgemein mit jedem anderen Medium im Unterricht, erscheint der erste Punkt: „Der Medieneinsatz dient in erster Linie dazu, kommunikative Situationen zu schaffen oder auf die Bewältigung solcher Situationen hinzuführen. Eine Verselbstständigung muss vermieden werden.“ Den Einsatz eines Mediums um seiner selbst willen gilt es auszuschließen. Der Rahmenplan geht damit auf eine generelle Kritik der Lehrbuchgegner ein, das Lehrbuch schließe als Leitmedium im Unterricht andere Unterrichtsmaterialien aus. Es werden unter 4.4.3 sogar Möglichkeiten der Medienbeschaffung (Auslandsaufenthalte, Materialien von der BBC usw.) außerhalb des Lehrbuchs angeführt, was den Anspruch an Medien im Englischunterricht laut Berliner Rahmenplan nochmals unterstreicht. Es geht in erster Linie um Kommunikationsfähigkeit, die unter Einsatz angemessener Medien erreicht werden soll. Dabei werden weder das Lehrbuch verteufelt noch neue Medien glorifiziert, was meiner Meinung nach eine realistische Reflexion der Ansprüche im Unterricht darstellt.

Bevor es um die Vor- und Nachteile des Lehrbuchs gehen wird, sollen die Bestandteile dieses Mediums ohne Wertung kurz beschrieben werden, um im Anschluss damit zusammenhängende positive und negative Aspekte zu untersuchen. In der Regel bestehen Englischlehrbücher aus sieben bis zehn Units, die jeweils inhaltliche und linguistische Schwerpunkte setzen. Die einzelnen Lektionen enthalten Arbeitstexte, die in das zu behandelnde Thema und die Grammatik einführen, Hör- und Lesetexte zur Rezeption, verschiedene festigende, produktive, rezeptive, interaktive und kommunikative Übungen, Materialien zur Differenzierung sowie fakultative Übungen und landeskundliche Materialien. Eine kommunikative Kontextualisierung[5] ist vor allem bei den Übungen von Bedeutung. Zu jeder Unit gibt es eine Begleitgrammatik, in der das grammatische Phänomen dargestellt wird. Es gibt Vokabelverzeichnisse mit Listen zum Vokabular der einzelnen Units, aber auch alphabetisch geordnete Gesamtverzeichnisse am Ende des Buches. Diese „kleinen“ Wörterbücher bestehen oft nur aus einem Wörterverzeichnis Englisch-Deutsch, es finden sich aber auch Deutsch- Englische- Wörterverzeichnisse[6]. Ιm Rahmen der Förderung von Kompetenzen werden Tipps zu Lerntechniken an verschiedenen Stellen in den Lehrbüchern eingefügt. Auf der Makroebene ist auffällig, dass innerhalb der Lehrbücher auf grammatische und inhaltliche Themen zurückgegriffen wird. Diese „Umwälzung“ ist genuiner Bestandteil eines fremdsprachlichen Lehrwerkes. Weiterhin wurden vor allem in älteren Englischbüchern Lehrwerkfamilien eingesetzt, um gerade in den ersten Lernjahren eine Identifikation der Schüler mit den Figuren zu ermöglichen.

Die kontinuierliche Arbeit mit einem Lehrbuch beeinflusst unter anderem das methodische Vorgehen des Unterrichts, die linguistische Progression, Sozialformen, die Lehrer-Schüler-Interaktion, die Schüleraktivierung, die Übungsabläufe im Unterricht sowie allgemein die behandelten Inhalte[7]. Der kontroversen Diskussion über das Medium Lehrwerk liegt die fachdidaktische Unterscheidung zwischen linearem Lernen, also Lernen und Lehren nach einem Plan wie man ihn in Lehrbüchern findet, und nichtlinearem Lernen[8], das heißt nach dem Prinzip des natürlichen Spracherwerbs erfolgendes Lernen, zugrunde. Noch komplexer wird das Problem angesichts der divergierenden Haltungen von Lehrbuchbefürwortern und ihren Gegnern, die nicht eindeutig der einen oder anderen Herangehensweise zugeordnet werden können. Es sollen daher im Folgenden die wesentlichen Standpunkte ausgewogen dargestellt und diskutiert werden sowie unter dem Aspekt des Konstruktivismus und Instruktivismus gewertet werden. Denn ein Unterrichtsmedium bewirkt ohne entsprechende fachgerechte Benutzung nicht die erwünschten Lerneffekte. Dies gilt auch für das Lehrbuch[9]: “The teacher should not confuse his role with the role of the textbook by identifying himself with the textbook, teaching everything from the unchanging texts, acting solely as an interpreter of them.“ Die Rolle des Lehrers soll daher bei der Diskussion über das Lehrbuch einbezogen werden.

3. Lehrbuchkritik

Das Lehrbuch wird in erster Linie wegen seiner mangelhaften Authentizität kritisiert. Aufgrund der Orientierung an der semantischen und syntaktischen Ebene der Sprache und der Verwendung von sogenannten „dead items“[10], die im tatsächlichen Sprachgebrauch kaum vorkommen, spricht man von Pseudo-Kommunikation, welche die Schüler sprachlich unfrei macht. Es ist in der Tat so, dass die Schüler im Englischunterricht häufig in unnatürliche Sprechsituationen gebracht werden, die in der Realität wahrscheinlich nicht auftreten würden. Dies mag im Anfangsunterricht beziehungsweise im frühbeginnenden Unterricht ab Klasse 1 oder 3 noch den kindlichen Spielbedürfnissen gerecht werden, in der Sekundarstufe I scheinen Übungen, in denen die Schüler beispielsweise Sätze wie „ If a tiger came into this room,...[11] richtig ergänzen müssen, natürlich nicht kommunikationsfördernd. Das Beispiel zeigt die dem Lehrbuch offensichtlich inhärente grammatische Progression, die zu Folge hat, dass die Schüler if- Sätze vom Typ II in einem völlig unrealistischen Rahmen üben. Obwohl solche Übungen und Texte auch in vielen anderen Lehrbüchern häufig anzutreffen sind, sind sie nicht repräsentativ für das gesamte betrachtete Lehrwerk, in dem auch eine Reihe von realistischeren Sprechsituationen angeboten werden beziehungsweise authentische Texte verwendet oder auf solche hingewiesen wird (vgl. English G 2000 A3, S.27). Auch Ursula Vences hat in Reaktion auf Reinhold Freudensteins Vorwurf der Unauthentizität der Lehrbücher festgestellt: „Alle neuen Werke verweisen darauf, dass und wie mit den neuen und traditionellen Medien, [...], gearbeitet werden soll, um das jeweilige Thema durch ein weiteres ‚authentisches Material’ zu ergänzen.“[12] Anleitungen und Hinweise auf authentisches Material im Lehrbuch dienen so auch der Förderung des prozeduralen Lernens. Tatsächlich bemühen sich die neuen Lehrwerke immer stärker um einen Realitätsbezug und die Einbeziehung von authentischem Material. Wenn es also um den Vorwurf der fehlenden Authentizität von Lehrbüchern geht, muss sicherlich weiterhin an einem sinnvollen Grad der Integration authentischer Materialien gearbeitet werden. Allgemein ist allerdings gleichzeitig auch zu bedenken, dass es bei unserer Diskussion immer um ein Lehrbuch für den Fremdsprachenerwerb im Land der Muttersprache geht. Das bedeutet, dass die Menge authentischer Materialien graduell zunehmen sollte und mit dem Lernstand der Schüler übereinstimmen sollte, um zu starke Über- oder Unterforderung zu vermeiden. Denn ein Zeitungsartikel von 150 Wörtern mit 80 Vokabelangaben mag zwar authentisch sein, aber für eine 7. Klasse weder motivations- noch kommunikationsfördernd, besonders dann nicht, wenn der schriftliche Text nicht zugänglich gemacht wird. Eine bedingungslose Forderung nach Authentizität im Englischunterricht des Frühbeginns und der Sekundarstufe I halte ich daher für didaktisch undurchdacht und nicht praktikabel.

In direktem Zusammenhang mit dem Problem der Authentizität steht die Kritik, dass Lehrbücher aufgrund der Themenvorgaben und der Aufgabenstellungen die Schülerinteressen zu wenig berücksichtigen. Zum einen gehen sie nicht auf das entwicklungsbedingt veränderte Verhalten der Schüler ein, die sich gerade in der Pubertät sprachgehemmt und wenig spielfreudig zeigen[13]. Zum anderen führt die mechanische und stereotype Behandlung beziehungsweise Ausbeutung der Lehrbuchtexte, wie es Karin Westhoff formuliert, zur Lähmung des Schülerinteresses. Sie hat bei der Analyse der Schülerrolle festgestellt, dass der Schüler sich in einer passiven Rezipientenrolle befindet, die ihn viel zu wenig selbst denken lässt (vgl. Westhoff, 73). Er reagiert mit vorgefertigten Sätzen auf fingierte, für ihn uninteressante und unkommunikative Situationen, was nicht selten zu Frustration, Störungen oder Leistungsverweigerung führt. Es sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass diese Konsequenzen der Lehrbucharbeit nicht Folge des Mediums an sich sind, sondern seiner Entwicklung und Benutzung. Brigitte C. Wilhelm spricht die Zwangsfunktion des Lehrbuchs als „(un)heimlichen Lehrplan“ und „den Konflikt zwischen Rahmenplananspruch und Lehrwerkangebot“[14] an. Aufgrund der Länge der Genehmigungsverfahren sind Lehrbuchtexte, wenn sie zum Einsatz kommen, oft schon unaktuell und führen zu einer „Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit in unterrichtlichen Händen.“ In der Tat ist es so, dass mit einem Lehrbuch, das länderspezifische Genehmigungsverfahren zu durchlaufen hat, wenig flexibel auf aktuelle Situationen reagiert werden kann. Daher ist es, denke ich, notwendig, sich als Lehrer der Stützfunktion des Mediums bewusst zu sein und die Lehrbuchinhalte auf eine grobe Übereinstimmung mit den Schülerinteressen zu überprüfen. Es ist weiterhin so, dass die Inhalte in ihren Grundzügen von den Rahmenplänen vorgegeben werden und sich Lehrbuchverlage natürlich nach diesen richten. Wenn sich also mangelhafte alterspezifische Materialien in Lehrbüchern finden, ist dies doch immer noch in erster Linie auf die Rahmenpläne zurückzuführen. Zur Lösung des Problems „Fehlendes Schülerinteresse aufgrund der Lehrbuchinhalte“ bedarf es sowohl Änderungen in den Lehrplänen und Büchern, als auch der Initiative der Unterrichtenden, die mit zusätzlichen Materialien Interesse wecken können oder die Diskrepanz zwischen Lehrbuch und Schülerinteresse auszugleichen versuchen können.

Der Forderung nach mehr Schülerautonomie stehen häufig die vorgefertigten Inhalte der Fremdsprachenlehrbücher entgegen. Da dieser Aspekt die zuvor behandelten stark berührt, soll hier nur kurz auf den Konflikt zwischen Lehrbuch und Schülerautonomie hingewiesen werden. Lernerautonomie ist Bestandteil des konstruktivistischen Ansatzes, welcher der Auffassung ist, dass Wissenserwerb in einem eigengeleiteten Vorgang der Selbstbildung stattfindet. Dabei übernehmen die Schüler selbstständig die Planung, Durchführung und die Reflexion der Lernschritte mit anschließender Selbstevaluation. Die Lerner sollen ihr Wissen selbst konstruieren, was didaktisch und sprachlerntheoretisch sinnvoll ist, weil Sprachlernprozesse effektiver ablaufen, wenn die Lernenden ihren Bedürfnissen entsprechend interagieren können. Autonomes Lernen fördert außerdem das eigenverantwortliche Handeln der Schüler. Aus konstruktivistischer Sicht erscheint das instruktivistisch gebrauchte Lehrbuch daher dem autonomen Lernen entgegenzustehen. Vorgefertigte Texte, Übungen, induktive oder deduktive Methoden zur Erläuterung eines Phänomens lassen dem Schüler keine Entscheidungsfreiheit. Es ist meiner Meinung nach aber möglich, auch mit dem Lehrbuch autonomes Lernen und Handeln zum Beispiel durch Wochenpläne zu fördern, ohne dass dabei die Gefahr der Beliebigkeit der Inhalte und fehlenden Vergleichbarkeit der Leistungen entsteht. Die Verwendung eines Lehrbuchs steht also nicht, wie es auch schon Comenius in seiner Didactica magna formuliert hatte (vgl. S. 1), der Lernerautonomie entgegen.

Obwohl sich alle genannten negativen Aspekte relativieren lassen und einige Fehler nach gründlicher didaktischer Analyse in den Lehrbüchern abgeändert werden können, bleibt trotz allem feststellbar, dass ein Lehrbuch stets die Gefahr der Passivität sowohl der Lernenden als auch der Lehrenden birgt. Ein ständiges Hinterfragen vonseiten der Unterrichtenden kann eine möglicherweise durch das Lehrbuch entstehende Starrheit verhindern. Aufgrund länderspezifischer Genehmigungsverfahren und dem wirtschaftlichen Anspruch der Verlage, ein großes Publikum abzudecken, sind Lehrbücher, die bundesweit eingesetzt werden können, oft zu umfangreich, da alle Anforderungen der unterschiedlichen Rahmenpläne verarbeitet werden sollen. Der Erfolg des Unterrichts hängt somit schon von der Auswahl durch den Lehrer ab. Im Sinne des Konstruktivismus regt dieser als Trainer den Lernenden an und fördert interne Verstehensprozesse ohne sie zu steuern. Da neues Wissen immer in bezug auf Vorwissen konstruiert wird und neue kognitive Strukturen auf schon vorhandenen aufgebaut werden, ist festzuhalten, dass die Lehrbucharbeit dem Konstruktivismus nicht notwendigerweise entgegensteht. Daher soll es im Folgenden um die positiven Aspekte des Lehrbuches gehen.

[...]


[1] In der Einleitung des Rahmenplans für Unterricht und Erziehung in der Berliner Schule für das Fach Englisch heißt es: „[...] Die Ziele des Englischunterrichts der Sekundarstufe I lassen sich unter dem Stichwort „Kommunikationsfähigkeit“ zusammenfassen, ohne dass deswegen andere Aspekte des Fremdsprachengebrauchs ausgeschlossen wären. [...]“

[2] Die Bezeichnung „Grammatiken“ für Sprachlehrbücher im 18. Jahrhundert unterstreicht die anfängliche Ausrichtung auf die syntaktischen und grammatischen Regeln. Die meisten dieser Grammatiken enthielten aber auch Texte, Dialoge, Übungsmaterial und Wörterverzeichnisse. Friedericke Klippels weist in ihrem Werk „Englischlernen im 18. und 19. Jahrhundert – Die Geschichte der Lehrbücher und Unterrichtsmethoden“ den ersten Englischbüchern folgende Funktion zu: „Die frühen englischen Sprachlehren waren somit in erster Linie Lernbücher und Nachschlagewerke und erst in zweiter Linie den Unterrichtsverlauf diktierende Lehrbücher für den Privatunterricht oder einen institutionalisierten Englischunterricht.“ (vgl. Klippel, S. 62).

[3] Weskamp, Ralf: Fachdidaktik: Grundlagen und Konzepte. Anglistik, Amerikanistik, Cornelsen Verlag, Berlin, 2001, S. 20ff. (=Weskamp, 20ff.)

[4] Freudenstein, Reinhold: Fremdsprachenlernen ohne Lehrbuch. Zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft fremdsprachlicher Unterrichtsmaterialien, in: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 48 (2001) 1, S. 11. (=Freudenstein, 11)

[5] Gehring, Wolfgang: Englische Fachdidaktik. Eine Einführung. Erich Schmidt Verlag, Berlin, 1999, S. 153. (=Gehring, 153)

[6] Ein Beispiel ist das Lehrbuch „Camden Market“ vom Diesterweg Verlag, 2000.

[7] Gehring, 150.

[8] Bleyhl, Werner: Thesen zum Fremdsprachenunterricht der Zukunft. In: Fery, Renate und Raddatz, Volker (Hrsg.): Lehrwerke und ihre Alternativen- Kolloquium Fremdsprachenunterricht, Bd .3, Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt a. M., 2000, S. 114.

[9] F.L. Billows: The techniques of Language Teaching, Longman: London, 1961.

[10] Westhoff, Karin: Vom Verhängnis der Lehrbucharbeit. In: , S. 76. (=Westhoff, 76.)

[11] Schwarz, Hellmut (Hrsg.): English G 2000 A3, Cornelsen Verlag Berlin, 1999, S.30.

[12] Vences, Ursula: Fremdsprachen lernen ohne Lehrwerk?, In: Praxis des neusprachlichen Unterrichts 49 (2002) 3, S. 295. (=Vences, 295)

[13] Vgl. Westhoff, 72.

[14] Wilhelm, Brigitte C.: Lehrwerke und ihre Alternativen, In: Fery, Renate und Raddatz, Volker (Hrsg.): Lehrwerke und ihre Alternativen- Kolloquium Fremdsprachenunterricht, Bd.3, Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt a. M., 2000, S. 120.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Das Lehrbuch im Englischunterricht
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
24
Katalognummer
V67501
ISBN (eBook)
9783638586108
ISBN (Buch)
9783638672085
Dateigröße
511 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Lehrbuch, Englischunterricht
Arbeit zitieren
Johanna Wünsche (Autor:in), 2005, Das Lehrbuch im Englischunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67501

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