Individualisierung: Institutionalisierung des Lebenslaufs?


Seminararbeit, 2004

21 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Gliederung:

I. Einführung: Die Gesellschaftstheorie des eigenen Lebens in 15 Thesen

II. Darstellung
1. Definition von des Individualisierungsbegriffs
2. Entwicklung des Individualisierungsprozesses
3. Prozess der Institutionalisierung des Lebenslaufs
4. Konsequenzen der Individualisierung
a) Befreiung aus traditionellen Kontrollen
b) Verlust traditioneller Stabilitäten
c) Entstehung von neuen Abhängigkeiten
5. Empirische Befunde

III. Zusammenfassung und Ausblick

IV. Extra-Kapitel: Lebensphasen-Liebesphasen

I. Einführung: Die Gesellschaftstheorie des eigenen Lebens in 15 Thesen

Es gibt zahlreiche grundlegende Voraussetzungen für ein eigenes Leben, darunter sind nicht zuletzt der Raum um zu leben und die notwendige materielle und finanzielle Grundlage. Das Streben nach einem selbstbestimmten, reibungslos verlaufenden Leben ist eines der wenigen Dinge, welche die Menschen der westlichen Welt in unserer modernen Gesellschaft noch gemeinsam haben. Doch gerade das eigene Leben ist stark von Individualisierung bestimmt. Ursachen dafür zeigen sich u.a. in den folgenden 15 Thesen der Gesellschaftstheorie:[1]

1. In hochdifferenzierten Gesellschaften entsteht die Möglichkeit, beziehungsweise der Zwang, zum eigenen Leben. Der Mensch wird nur noch in einzelne Funktionsbereiche der Gesellschaft eingebunden, denn er kann heutzutage nicht mehr genügend Wissen anhäufen, um in allen Bereichen kompetent zu sein. Er muss das reibungslose Zusammenspiel dieser Sektoren selbst regulieren, d.h. sein Leben selbst in die Hand nehmen.
2. Das eigene Leben ist kein solches im Sinne eines selbstbestimmten, allein dem ich verpflichteten Lebens. Die Bedingungen für ein Leben in der heutigen Gesellschaft entziehen sich weitgehend der Kontrolle des Einzelnen, da sie zunehmend von den Vorgaben großer, komplexer Systeme wie dem Arbeitsmarkt oder dem Bildungsangebot bestimmt werden.
3. Aus These zwei folgt zwangsweise die System- und Institutionenabhängigkeit des eigenen Lebens. In den früheren, traditionellen Gesellschaften wurde der Mensch in ein weitgehend vorbestimmtes Leben hineingeboren. Heute zwingen ihn Vorgaben wie Arbeitsangebot etc. seinen Weg nach Möglichkeit selbst zu wählen, flexibel zu sein und sich gegen Konkurrenz durchzusetzen.
4. Die Normalbiographie wird zur Wahlbiographie, zur Bastel-, Risiko-, Bruch- oder Zusammenbruchsbiographie. Der Mensch kann seine eigene Biographie wählen, er kann daran basteln und Dinge ausprobieren, wobei immer ein Restrisiko und die Möglichkeit des sozialen Abstiegs und damit des Zusammenbruchs gegeben ist.
5. Unkalkulierbare Unsicherheiten, die aus sich verändernden institutionellen Vorgaben entstehen, zwingen den Menschen zur Aktivität. Die vielen Entscheidungs­möglichkeiten und auch -zwänge drängen den Menschen zu einer aktiven, durchdachten Lebensführung.
6. Somit impliziert eigenes Leben auch eigenes, also selbstverschuldetes Scheitern. Zusätzlich wird die Last gesellschaftlich oder institutionell erzeugter Risiken oder Probleme zunehmend auf den Schultern des Einzelnen abgeladen. Diese Risiken werden als Konsequenzen der eigenen, individuellen Entscheidung dargestellt und sie erzeugen vermehrt das Gefühl des persönlichen Versagens und schaffen neue Formen des persönlichen Risikos und der Schuldzuweisung.[2]
7. Die Menschen streben nach einem eigenen Leben in einer Welt, die sich immer mehr ihrem Zugriff entzieht. Dies geschieht Hand in Hand mit der zunehmenden Globalisierung. Techniken, wie z.B. die Telekommunikation ermöglichen ein Handeln über große Distanz hinweg und so kann das eigene Leben durch Ereignisse verändert werden, die auf der anderen Seite der Erde geschehen.
8. Durch die Globalisierung (und damit Vereinheitlichung) wird das Leben enttraditionalisiert. Der Einzelne wird nicht mehr mit einer vorgefertigten, festgelegten Identität geboren (wie in den früheren traditionellen Kulturen), die Definition der eigenen Identität ist ihm vielmehr selbst auferlegt.

Jedoch wird auch das Gegenteil durch die Enttraditionalisierung bewirkt: ‚Traditionen’ werden neu erfunden und beispielsweise in der Werbung verbreitet, um Sicherheit zu suggerieren.
9. Eigenes Leben entfaltet sich auf experimenteller Basis. Von früher überlieferte Lebensrezepturen versagen in der heutigen Zeit u.a. weil die Zukunft nicht mehr aus der Herkunft abgeleitet werden kann. So wird die Lebensführung für den Menschen zu einem ständigen Experiment.
10. Das eigene Leben ist meistens reflexiv. Der Zwang zur aktiven Lebensgestaltung veranlasst dazu Informationen zu verarbeiten und über die gewählten Gestaltungsmittel und -methoden nachzudenken.
11. Mit zunehmender Differenzierung und Individualisierung entsteht die Sozialstruktur des eigenen Lebens. Kulturelle Kategorien der Industriegesellschaft werden aufgehoben oder geändert. Es gibt immer weniger Dinge an denen sich der Mensch orientieren kann und immer mehr Dinge, die er selbst entscheiden muss.
12. Die Form des eigenen Lebens ist zeitlich als eine spätmoderne einzuordnen. In den länger zurückliegenden traditionellen Gesellschaften wurde individuelles Verhalten von der weniger privilegierten Bevölkerung oft als negativ empfunden. Erst in der Frühromantik, also um 1800, vollzog sich bezüglich dieser Einstellung ein Wandel.
13. Eigenes Leben ist in höchster Weise nichtidentisch. Der Einzelne versucht das Rätsel seines Lebens von möglichst vielen Seiten zu beleuchten, um die Zugehörigkeitsfrage seiner selbst zu klären.
14. Der sich im eigenen, nicht selbstbestimmten Dasein befindende Mensch ist auf der Suche nach einer moralischen Leitlinie, die seiner selbstgewählten Lebensweise gerecht werden kann.
15. Das eigene Leben ist ein ‚Diesseitsleben’. Der Mensch lebt im Hier und Jetzt und wenn dieses Leben vorbei ist, dann ist dies das Ende. Die Unwissenheit über die Geschehnisse nach dem Tod lässt viele eine Antwort in der Religion oder der Esoterik suchen, was jedoch der Frage nach dem Sinn meistens nicht gerecht werden kann.

II. Darstellung

1. Definition von des Individualisierungsbegriffs

Das soziologische Konzept der Individualisierung beschreibt das zunehmende Zerbrechen der traditionellen Lebensformen des Menschen seit Beginn der Moderne. Durch die sich immer schneller verändernde Welt wird der Mensch damit sukzessive aus normativen Bindungen, Glaubenssystemen, Sozialbeziehungen sowie aus materiellen Versorgungsbezügen herausge- löst. Anders ausgedrückt bedeutet dies, dass der Mensch aus Lebenswelten und Lebens-gewohnheiten, die über Jahrhunderte gewachsen waren, in einem äußerst kurzen Zeitraum „herausfällt“. Darüber hinaus wird der jedoch zusätzlich in neue Abhängigkeiten verschiedenster Art eingebunden.

Die Ursachen dieser Entwicklung sind unter anderem in der Entwicklung des Wirtschaftssystems und der Entstehung einer komplexen Infrastruktur der Gesellschaft zu sehen. Ebenso tragen die Säkularisierung, die Urbanisierung sowie die stetig wachsende Mobilität der Menschen ihren Teil zum Phänomen der Individualisierung bei.

Damit zielt das Konzept der Individualisierung also nicht auf gesamtgesellschaftliche Verän- derungen ab, sondern auf den Wandel im privaten Bereich des Menschen. Dies kann sich so-wohl auf den Lebenslauf im Allgemeinen beziehen, als auch auf speziellere Bereiche wie Ju- gend, Erziehung, Kinderwunsch, Ehe, Familie oder Liebe.[3]

2. Entwicklung des Individualisierungsprozesses

Nach allgemeiner Überzeugung setzte der Prozess der Individualisierung beim Übergang in die Epoche der Moderne ein, welcher in etwa auf das Jahr 1850 zu datieren ist. Kennzeichen dieses Übergangs war, allen voran, die Industrialisierung. Die Armut und der Hunger trieben die Menschen in die Städte, die Landflucht setzte ein. Damit kam es zu einem plötzlichen Anwachsen der Städte und einer raschen Zunahme der Mobilität.

Damit veränderte sich selbstverständliche auch der Lebenslauf der Menschen. Bis dato war der Lebenslauf stark von Traditionen festgelegt gewesen. Stand, Geschlechtszugehörigkeit sowie die Religion, der man angehörte, hatten jahrhundertelang das Leben des Einzelnen geprägt und vorherbestimmt. Der Lebenslauf war einem praktisch „in die Wiege gelegt“[4]. War ein junger Mann beispielsweise der Sohn eines Zimmermanns, so es für ihn nahezu verpflichtend, auch diesen Beruf zu erlernen. Ebenso lässt sich sagen, dass die damals übliche Praxis einer Frau fast jegliches Selbstbestimmungsrecht (z.B. im Hinblick auf das Erlernen eines Berufs) abnahm. Doch auch die Region, in der man lebte, spielte eine Rolle im Lebenslauf. Die allermeisten Menschen bekamen, aufgrund ihrer geringen Mobilität, kaum andere Gegenden zu sehen.

Beim Übergang von der ständisch-feudalen zur bürgerlichen Industriegesellschaft kam es nun zu tiefgreifenden, gesellschaftlichen Veränderungen. Der Mensch wurde damit aus seinen traditionell gewachsenen Bindungen, seinen Glaubenssystemen und Sozialbeziehungen herausgelöst. Er wurde regelrecht in sein unbekanntes und neues, städtisch geprägtes Leben „hineingeworfen“. Dieser epochale Wandel hatte natürlich weitreichende Folgen. Es entstanden nicht nur neue Formen des Lebenslaufs, sondern es bildeten sich auch neue Denk- und Verhaltensweisen heraus, die oft in krassem Gegensatz zu denen der Vormoderne standen. Des Weiteren entstanden durch diesen Prozess auch eine ganze Reihe neuer Anforderungen und Erwartungen an den Menschen, denen er gewachsen sein musste, um in der veränderten Welt zu bestehen.[5]

Einen besonders großen Schub erlebte die Individualisierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Wirtschaftswunder entfachte einen neuen Kapitalismus, welcher durch den Einfluss amerikanischer Werte noch gesteigert wurde. Der Wunsch der Menschen nach Geld und Konsum trieb eine Entwicklung voran, die schließlich die Leistungsgesellschaft in ihrer heutigen Form begründen sollte. In den letzten Jahren hat das Phänomen der Globalisierung noch weiter dazu beigetragen, die Mobilität und damit auch den Individualisierungsgrad der Menschen weiter anwachsen zu lassen.

[...]


[1] vgl. Beck/Vossenkuhl/Ziegler

[2] vgl. auch Beck: Risikogesellschaft, S. 218

[3] Beck-Gernsheim Elisabeth. Individualisierungstheorie: Veränderungen des Lebenslaufs in der Moderne. in: Keupp, Heiner (Hg.), Zugänge zum Subjekt. Frankfurt/Main 1994, S.125 ff.

[4] Beck-Gernsheim Elisabeth. Individualisierungstheorie, S. 125 ff.

[5] ebd. , S.138.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Individualisierung: Institutionalisierung des Lebenslaufs?
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Veranstaltung
Proseminar 'Biographie und Lebenslauf'
Note
1,2
Autor
Jahr
2004
Seiten
21
Katalognummer
V67584
ISBN (eBook)
9783638603997
ISBN (Buch)
9783656807926
Dateigröße
469 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Individualisierung, Institutionalisierung, Lebenslaufs, Proseminar, Lebenslauf“
Arbeit zitieren
Hannes Langhammer (Autor:in), 2004, Individualisierung: Institutionalisierung des Lebenslaufs?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/67584

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