Betriebliche Strategien zur Senkung des Absentismus. Betriebliche Gesundheitsförderung im Fokus


Diplomarbeit, 2006

106 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Begriffliche Definitionen und Abgrenzungen zu anderen Gebieten
2.1 Krankenstand, Absentismus und anderen Ausfallzeiten

3. Ursachen von Absentismus und Krankheit

4. Erklärungsmodelle zur Arbeitsmotivation und Fehlzeiten

5. Modelle zur Senkung von Fehlzeiten

6. Maßnahmen zur Verbesserung der Mitarbeitermotivation und -führung

7. Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen

8. Kontrollierende und belohnende Maßnahmen

9. Maßnahmen zur betrieblichen Gesundheitsförderung

10. Analyse und Bewertung der Maßnahmen zur Senkung des Absentismus

11. Schlussbetrachtung und Ausblick

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Aufbau der Arbeit

Abbildung 2: Gliederung der Fehlzeiten

Abbildung 3: Berechnung der Fehlzeitenquote nach Häufigkeit

Abbildung 4: Berechnung der Fehlzeitenquote nach Dauer der Nichtbesetzung

Abbildung 5: Einflussfaktoren auf Fehlzeiten

Abbildung 6: Konjunktur und Krankenstand

Abbildung 7: Die Bedürfnispyramide von Maslow

Abbildung 8: Dissatisfaktoren und Satisfaktoren nach Herzberg

Abbildung 9: Zusammenhang zwischen Herzberg und Maslows Pyramide

Abbildung 10: Gesundheitszirkel

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Fehlzeiten je AN in % nach Wirtschaftsbereichen von 1988

Tabelle 2: Fehlzeiten der AN in % nach den verschiedenen Branchen von 1998

1. Einleitung

1.1 Problemstellung und Zielsetzung

Das Thema Fehlzeiten und Gesundheitsförderung hat in der betrieblichen Praxis an Aktualität nicht verloren und ist von großer Bedeutung für Betriebe jeglicher Art. Wenngleich sich der gesamtwirtschaftliche Krankenstand laut einer Statistik des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) auf einem der tiefsten Stände seit Jahren bewegt, 3,13% im ersten Halbjahr 2006, verursachen Fehlzeiten dennoch jedes Jahr einen enormen betriebswirtschaftlichen Schaden.[1]

Den Hauptbestandteil hieran nehmen die krankheitsbedingten Fehlzeiten ein. Allein die jährlich verursachten Kosten durch arbeits-bedingte Erkrankungen sind mit 50 Milliarden Euro immens.

Da sich Deutschland zurzeit in einer konjunkturell schwierigen Lage mit einer Arbeitslosenquote von 10,8 % (Stand: Mai 2006) und ca. 4,5 Millionen Arbeitslosen bewegt, gehen irrtümlicherweise viele Unternehmen davon aus, dass sich das Problem der Fehlzeiten von ganz allein löst. Die herrschende Meinung vieler Unternehmen ist, dass eine hohe Arbeitslosigkeit und die Angst um den eigenen Arbeitsplatz ausreichen, die Anwesenheit der Mitarbeiter aufrecht zu erhalten.

Dass diese Sichtweise der falsche Weg ist, mit dem Thema Fehlzeiten umzugehen, zeigen die Gefahren, die sich daraus ableiten. Angst behindert die Arbeitsleistung und steht in einem engen Zusammenhang mit Demotivation, Unzufriedenheit und innerer Kündigung. Sie lähmt die Kreativität und die geistige Flexibilität der betroffenen Mitarbeiter, bis hin zum Desinteresse an den Unternehmenszielen. Der Mitarbeiter verhält sich passiv und seine Motivation beschränkt sich nur noch auf den Gelderwerb und die Sicherung des Arbeitsplatzes.

Auch in der Presse werden die derzeit niedrigen Fehlzeiten kritisch betrachtet:

In der “Süddeutschen Zeitung“ konnte man Folgendes lesen:

“…die Statistiken zum Krankenstand aber sind nur für Arbeitgeber eine frohe Botschaft, denn es ist ein ziemlich düsterer Stoff, der sich hinter den Zahlen verbirgt. Arbeitnehmer, die blau feiern, gibt es schon lange nicht mehr. Die Norm ist das Gegenteil. Arbeitnehmer, die krank sind arbeiten dennoch, was ihrer Gesundheit nicht gut tut. Die Zahlen erzählen von den Firmen, in denen die Angst umgeht, bei nachlassender Gesundheit gekündigt zu werden“.[2]

In einem Artikel der Zeitung “DIE WELT“ wurde wie folgt berichtet:

Arbeitnehmer fehlen seltener aus Furcht vor einem Arbeitsplatz-Verlust. Ein weiterer Grund sei die derzeit schwache Konjunktur“.[3]

Es kann also davon ausgegangen werden, dass sich unzufriedene Mitarbeiter umorientieren und sich nach einem anderen Arbeitgeber umsehen werden, sobald wieder eine Entspannung auf dem Arbeitsmarkt eintritt. So entstehen nicht nur erhebliche Kosten für das “unattraktiv“ gewordene Unternehmen, sondern es wandert auch wertvolles Mitarbeiterpotential und Know-how zu einem Konkurrenten.

Bemerkenswert ist ebenso, dass deutsche Mitarbeiter im Vergleich zu ihren europäischen und insbesondere außereuropäischen Kollegen die meisten Urlaubstage beanspruchen, aber trotzdem die höchsten Fehlzeitenquoten aufweisen. Nicht nur, dass deutsche Unternehmen dadurch an Wettbewerbsfähigkeit verlieren, da sie ohnehin für hohe Lohn- und Lohnnebenkosten aufkommen müssen, so stören Mitarbeiter, die motivationsbedingt fehlen, zusätzlich den Betriebsablauf und das Betriebsklima.

Diese überaus bedeutenden Kostenfaktoren lässt eine differenzierte Analyse der Ursachen wie auch der Einflussfaktoren auf betriebliche Fehlzeiten vor allem deshalb außerordentlich erscheinen, da die Frage nach den Möglichkeiten der Reduzierung betrieblicher Fehlzeiten die Beantwortung der Frage nach ihren Ursachen voraussetzt. In diesem Sinne sind betriebliche Fehlzeiten, neben deren Bedeutung als Kosten- und Störfaktor, als Signal für unbefriedigende Zustände in der Arbeitssituation der Beschäftigten zu verstehen.

Aus diesem Grund sollten Unternehmen genau die Entwicklung der Fehlzeiten beobachten und analysieren, sowie bei Bedarf geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Der Schwerpunkt sollte nicht nur darauf gelegt werden, die Fehlzeiten möglichst kostengünstig zu reduzieren, sondern die Erhöhung der Anwesenheit durch entsprechende präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen anzustreben.

Ziel dieser Diplomarbeit soll es deshalb sein, durch eine umfassende Information und Analyse, das Problem des Absentismus im Unternehmen transparent zu machen und Ansätze zu dessen Senkung unter dem besonderen Aspekt der Gesundheitsförderung darzustellen. Durch die Bewertung der vorgestellten Maßnahmen anhand geeigneter Kriterien haben Unternehmen so die Möglichkeit, für sich konkrete Handlungs-empfehlungen abzuleiten.

1.2 Aufbau und Vorgehensweise

Folgendes Schaubild soll den Aufbau und das Vorgehen der Diplomarbeit visualisieren, die in vier Teile untergliedert ist:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Aufbau der Arbeit[4]

Im ersten Teil beschreibt die Einleitung zunächst die Problemstellung, Zielsetzung und den Aufbau der Diplomarbeit. Mit Fortführung der begrifflichen Definitionen und Abgrenzung zu anderen Gebieten wird ein erster Überblick über die verschiedenen Arten von Fehlzeiten gegeben und auf die Bedeutung der Fehlzeiten als Wettbewerbsfaktor eingegangen.

Nachdem alle notwendigen begrifflichen Grundlagen beschrieben sind, fließen diese in den zweiten Teil mit ein, der sich auf die Analyse und Entstehung der Fehlzeiten bezieht. Mit Hilfe der Literaturanalyse werden die wichtigsten betrieblichen Einflussfaktoren beschrieben und durch die arbeitsbezogenen und außerbetrieblichen Ursachen ergänzt.

Im Anschluss daran werden zwei Erklärungsmodelle erörtert, die den Zusammenhang von Fehlzeiten und Arbeitsmotivation zu deuten versuchen. Dabei erscheint eine Differenzierung nach Maslow und Herzberg als sinnvoll.

Im Hinblick auf die zentrale Zielsetzung der Arbeit, Erkenntnisse über geeignete Maßnahmen zur Reduzierung von Fehlzeiten zu gewinnen, wird im dritten Teil insbesondere auf Möglichkeiten die die Mitarbeiter-motivation und –führung beeinflussen, sowie auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Maßnahmen eingegangen, die einen kontrollierenden und belohnenden Charakter aufweisen. Ebenso wird unter dem besonderen Aspekt der betrieblichen Gesundheitsförderung eine Vielzahl von Vorschlägen genannt, die in ihrer präventiven Art die Gesundheit der Mitarbeiter erhöhen und gleichzeitig die Anwesenheit im Betrieb verbessern.

Schließlich werden im vierten Teil die speziellen Maßnahmen zur Reduzierung der Fehlzeiten einer kritischen Bewertung unterzogen. Die positiv bewerteten Lösungsvorschläge dienen zugleich Unternehmen als eine Art Handlungsempfehlung, die das Thema Absentismus als innerbetriebliches Problem erkannt haben und diesem strategisch entgegentreten wollen.

Eine Zusammenfassung der Arbeit mit einem Ausblick in die Zukunft bildet den inhaltlichen Abschluss der Diplomarbeit.

2. Begriffliche Definitionen und Abgrenzungen zu anderen Gebieten

Der deskriptive Teil dieser Arbeit beinhaltet das Ziel, einen Überblick über den Problembereich betriebliche Fehlzeiten zu schaffen. Denn die Begriffe Fehlzeiten, Absentismus und Krankenstand werden in der Praxis unterschiedlich interpretiert, oft sogar miteinander verwechselt. Kennzeichnend dafür ist die sprachliche Vielfalt der Begriffe für die Abwesenheit der Arbeitnehmer[5]: Ausfallzeiten, Arbeitsunfähigkeit, “Blaumachen“, “Bummelei“, “Krankfeiern“, “Edelabsentisten“ und andere mehr. So sei zunächst auf den Zustand hingewiesen, dass bis heute keine allgemeingültige Definition in der wissenschaftlichen Literatur besteht, welche die Begriffe voneinander abgrenzt und durch präzise und anerkannte Kriterien begründet.[6]

Die unklaren Abgrenzungen dieser Bezeichnungen sind wohl auf verschiedene Blickwinkel, auf unterschiedliche Erkenntnisinteressen, wie auch auf uneinheitliche empirische Erhebungsmethoden der einschlägigen Untersuchungen, bzw. auf das entsprechende Vorgehen der Autoren zurückzuführen. Deshalb verwundert es nicht, dass es in der Praxis auch zu unterschiedlichen statistischen Auswertungen der Fehlzeiten zwischen Unternehmen und Krankenkassen kommt. Nicht selten werden die unterschiedlichen Begriffe teilweise identisch (z.B. Fehlzeiten und Ausfallzeiten; Fehlzeiten und Krankenstand), gleichartige Begriffe jedoch unterschiedlich verwendet. Dementsprechend stimmt bis heute die Basis der einen Fehlzeitenuntersuchung nicht mit der anderen überein. Die Folge daraus ist die Unvergleichbarkeit der Fehlzeitenquoten zwischen den Unternehmen oder den verschiedenen Branchen.

Von daher sollen nun die wichtigsten Begriffe und Grundlagen im Zusammenhang mit dem Thema Fehlzeiten einer näheren Betrachtung unterzogen werden, bevor später zum konzeptionellen Teil übergegangen wird.

2.1 Krankenstand, Absentismus und anderen Ausfallzeiten

Professor Dr. Nieder, ein Autor, der sich seit langem mit der Fehlzeiten-problematik auseinandersetzt (z.B. 1979, 1984, 1984, 1987, 1991, 1995, 1998, 2003) und sich deren Ursachen widmet, definiert den Sammelname Fehlzeiten wie folgt:

Alle Zeiten, in denen der Mitarbeiter seine Arbeitskraft dem Unternehmen nicht zur Verfügung stellt, auf die das Unternehmen aber einen Anspruch hat, gelten als Fehlzeiten.[7] Wobei der Anspruch des Unternehmens auf die Soll-Arbeitszeit im Arbeitsvertrag mit dem Mitarbeiter festgelegt wird. Daher werden alle Zeiten, die von der Soll-Arbeitszeit ausfallen, als Fehlzeiten verstanden“.[8]

Im Hinblick auf die zentrale Zielsetzung der Arbeit, Erkenntnisse und geeignete betriebliche Maßnahmen zur Reduzierung von Fehlzeiten zu gewinnen, erscheint eine Differenzierung der Fehlzeiten in Untergruppen für sinnvoll. Durch ein Zahlenbeispiel in Abbildung 2 wird deutlich, in wie weit es möglich ist, Fehlzeiten zu strukturieren und zu beeinflussen.

Eine wichtige Rolle spielt hierbei die Fehlzeitenursache und deren Hintergründe. Aus ihnen geht hervor, ob es sich dabei um den Krankenstand, unentschuldigte, gesetzlich geregelte Fehlzeiten oder um Kuren und Rehabilitationsmaßnahmen handelt.

In der Literatur werden eine Fülle von Ursachen genannt, die sich auf die Fehlzeiten beziehen. Aus diesem Grund wird es nie nur ein Patentrezept zur Reduzierung geben. Diese Arbeit fasst deshalb Modelle und Maßnahmen zusammen, die sich in der Vergangenheit zur Fehlzeitenreduzierung bewährt haben. Da es kein Fehlzeitenprojekt gibt, bei dem das Ausmaß der Fehlzeiten im Unternehmen auf Null gesenkt werden kann, wird jedes Unternehmen mit einem bestimmten Sockelbetrag leben müssen.

Eine andere Sichtweise belegt sogar, dass krankheitsbedingte Fehlzeiten nicht immer als Kosten- und Störfaktor oder sogar als kontraproduktives Verhalten angesehen werden dürfen. Sie haben durchaus auch einen positiven Charakter für den Betrieb. Wenn Mitarbeiter die Abwesenheit als zeitlich begrenzte Flucht aus der zu belastend empfundenen Arbeitssituation wählen, leisten sie einen positiven Beitrag für die eigene physische und psychische Gesundheit und gewinnen in der “Auszeit“ ein Stück ihrer Motivation und Leistungsfähigkeit zurück. Zusätzlich gelten krankheitsbedingte Fehlzeiten auch als eine Chance für Unternehmen, da sie ein Signalcharakter für betriebliche Missstände haben und zur Personal- und Organisationsentwicklung beitragen können.[9]

Abbildung 2 verdeutlicht auf der nächsten Seite den Aspekt des Ausmaßes der Beeinflussbarkeit von Fehlzeiten in einem Unternehmens-beispiel im gewerblichen Bereich. Nieder stützt sich auf die Theorie, vor allem die Reduzierung der motivationsbedingten Abwesenheit durch ein entsprechendes “Kümmern“ durch Gespräche zwischen Mitarbeiter und Vorgesetzten und dann erst die Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung einzuführen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Gliederung der Fehlzeiten[10]

2.1.1 Krankheitsbedingte Fehlzeiten

In dieser Arbeit werde ich mich am “Krankheits-“ Begriff nach Trebesch orientieren, der diesen definiert als “[…] die Abwesenheit vom Arbeitsplatz/Betrieb, verursacht durch Arbeitsunfähigkeit, aufgrund einer Krankheit im medizinisch biologischen Sinne, legitimiert durch ein ärztliches Attest“.[11]

Eine Abgrenzung dieser Krankenstandsdefiniton lässt Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen dem Krankheits- und dem Gesundheitsbegriff erkennen und weist somit auf eine bestehende Grauzone zwischen diesen beiden Zuständen hin. Geht man davon aus, dass es innerhalb des von der betrieblichen Fehlzeitenstatistik ausgewiesenen Krankenstandes medizinisch Kranke, medizinisch bedingt Kranke und Nichtkranke gibt, so erscheint die Forderung nach einer genaueren Abgrenzung der Begriffe von Gesundheit und Krankheit überaus berechtigt.[12]

Nach der WHO gilt Gesundheit als der “[…] Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit.“[13] Diese etwas idealisierte Definition kann jedoch nicht als Nennwert herangezogen werden, da sie zu verstehen gibt, dass Menschen nahezu nie wirklich gesund sind.

Eine weitere Definition des Krankenbegriffs aus arbeitsrechtlicher Sicht formuliert Trebesch als “das Unvermögen des Arbeitnehmers, vertraglich vereinbarte oder aus dem Treueverhältnis resultierende Arbeitsleistungen zu erbringen[14]. Auch diese Festlegung erscheint wenig hilfreich, den Unterschied von Krankheit und Gesundheit festzustellen.

Den Hauptbestandteil an Fehlzeiten und somit den wichtigsten Aspekt stellen die krankheitsbedingten Fehlzeiten dar. Marr definiert diesen Anteil als die größte Teilmenge der Fehlzeiten mit rund 50 Prozent. Ihm zufolge handelt es sich beim Krankenstand um die Anzahl von Abwesenheits-tagen, die durch eine Krankheit bedingt sind. Problematisch hierbei ist jedoch die Feststellung der Krankheit. So kann sie durch einen Arzt attestiert werden, oder sich auf die Aussage des Mitarbeiters beziehen, der eine Kurzerkrankung von weniger als drei Tagen vorgibt, für die er kein Attest benötigt. Diese Kurzerkrankung und das Fehlen am Arbeitsplatz basiert auf dem Prinzip von Treu und Glauben, wohingegen ein ärztliches Attest, sowie dessen Aussage und medizinisches Fachwissen nicht in Frage gestellt werden darf.[15]

2.1.2 Absentismus

Der Begriff Absentismus, oder besser noch “Edelabsentist“[16], fällt dagegen häufig im Zusammenhang mit Fehlzeiten nur dann, wenn der Mitarbeiter die bewusste Entscheidung trifft, aufgrund von einer inneren Einstellung oder Motivation ohne ein direktes Krankheitsbild, oder mit einer vorgeschobenen Krankheit, nicht zur Arbeit zu erscheinen.

In diesem Sinne gelten somit als “verdächtig“ alle diejenigen Kurz-erkrankungen, die ärztlich nicht attestiert werden, aber auch solche mit ärztlichem Attest.[17] Abbildung 2 visualisiert, dass ca. ein Drittel des Krankenstandes bzw. der Fehlzeiten durch die “Edelabsentisten“ gestellt werden. Auch werden “Edelabsentisten“ als Arbeitnehmer verstanden, die in einem Jahr mindestens vier Mal kurz (eine Woche und weniger) fehlen.[18]

In der Regel jedoch sichern sich die Mitarbeiter arbeitsrechtlich vor ihrem Fernbleiben ab und lassen sich die “Unlust“ von einem Arzt attestieren. Da es zwischen einer Erkrankung und Gesundheit keine eindeutigen Grenzen gibt, ist auch bis heute keine klare Abgrenzung zwischen einer medizinisch notwendigen Abwesenheit und Absentismus möglich. Fest steht allerdings, dass Ärzte neben ihrer Funktion als medizinische Therapeuten auch zu einer arbeitsrechtlichen zwingenden Institution geworden sind, deren Fachwissen und Aussage nicht in Frage gestellt werden kann. Die Einstellung des Mitarbeiters, sich krank- schreiben zu lassen, ist in den meisten Fällen abhängig von der Arbeitssituation, wie z.B. der Arbeitsinhalt, Führungsstil, Konflikte, Konjunktur usw., ohne ein direktes Krankheitsbild. Oder aber sie ist abhängig von der Lebenssituation des Mitarbeiters, z.B. Persönlichkeitsstruktur, gesellschaftliches Umfeld, familiäre Verhältnisse, Arbeitsweg, Saison, Nebentätigkeit etc.[19]

Wie auch immer Absentismus definiert wird, letztendlich bleibt es bei der Konsequenz des “nicht-zur-Arbeit-gehen-Wollens oder-Könnens“. Von Bedeutung sind in dieser Arbeit aber hauptsächlich die Gründe des Fernbleibens und die gegensteuernden Maßnahmen, die die Fehlzeitenquote auf Dauer senken können.

2.1.3 Andere Ausfallzeiten

Ein weiterer Bereich der Fehlzeiten fällt auf die gesetzlich geregelten Fehlzeiten und auf Kuren, sowie Rehabilitationsmaßnahmen. Viele Manteltarifverträge enthalten Regelungen über die bezahlte Freistellung von der Arbeit aufgrund bestimmter persönlich-familiärer Gründe wie: Hochzeit, Umzug, Tod und schwere Erkrankung des Ehegatten und/ oder naher Angehöriger. Bei dieser Art von Sonderurlaub ist der Arbeitgeber verpflichtet, das Entgelt weiterhin zu bezahlen, wobei die Fehlzeiten zwischen einem und drei Tagen schwanken können. Zu dieser Gruppe gehören der Bildungsurlaub und freiwillig gewährte Fehlzeiten wie Betriebsferien oder Jubiläen. Um die gesetzlich geregelten Ausfallzeiten zu vervollständigen, sind des Weiteren Mutterschutzfristen und der Erziehungsurlaub zu beachten.

Verglichen mit den übrigen Fehlzeiten spielen diese Ausfallzeiten aber nur eine untergeordnete Rolle (siehe Abbildung 2 – Gliederung der Fehlzeiten) und werden aufgrund der mangelnden direkten Beeinflussbarkeit an dieser Stelle vernachlässigt.

2.1.4 Erfassung und Interpretation der Fehlzeitenquote

Die Fehlzeitenquote ist eine der wichtigsten personalpolitischen Kennzahlen, die, nach Meinung von Personalmanagern, einen wesent-lichen Faktor darstellt für die Motivation und Identifikationsbereitschaft der Arbeitnehmer, für die Führungsqualifikation der Vorgesetzten, sowie für die Durchgängigkeit der Prozesskette der Personalsteuerung durch die Unternehmensorganisation.

Darüber hinaus nimmt die Fehlzeitenquote einen sehr hohen Stellenwert im Unternehmen ein, da sie zu den personalwirtschaftlichen Frühwarnindikatoren zählt. Der Stellenwert dieser Kennzahl erhöht sich noch zusätzlich, umso schlanker die Organisationsstruktur aufgrund des nationalen und internationalen Wettbewerbsdruck ist. Zusätzlich wird jeder einzelne Mitarbeiter bedeutender für das Funktionieren des betrieblichen Gesamtgefüges. Die Fehlzeitenquote signalisiert zudem den “Gesundheitszustand“ einer Organisation und bildet eine der zentralen Voraussetzungen, um die Ansprüche des Marktes auf kostengünstige, hochqualitative und individuelle Kundenwünsche, Produkte oder Dienstleistungen zu verwirklichen.[20]

In der Praxis haben sich bisher zwei Möglichkeiten der Fehlzeiten-quotenberechnung durchgesetzt.

Entweder wird die Häufigkeit oder die Dauer des Fehlens erfasst. Bei der Häufigkeitsberechnung wird die Anzahl der abwesenden Personen zu einem bestimmten Zeitpunkt registriert und in Beziehung zu der Soll-Personalstärke gesetzt. Problem hierbei ist, dass die Erhebung stichtagsbezogen erfolgt und nichts über die Länge des Fernbleibens aussagt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Berechnung der Fehlzeitenquote nach Häufigkeit[21]

Die am häufigsten verwendete Berechnungsgrundlage der Fehlzeitenquote ist das Maß der Dauer für die Nichtbesetzung der Arbeitsplätze. Bei dieser zweiten Möglichkeit zur Berechnung der Quote wird das Maß der Dauer bzw. der Ausfallzeiträume im Betrieb zu der durchschnittlichen Sollarbeitszeit ins Verhältnis gesetzt. Entscheidend ist hierbei, wie die Sollarbeitszeit definiert wird. Schnabel formuliert diese folgendermaßen: “Die Fehlzeitenquote misst den prozentualen Anteil der bezahlten und unbezahlten Fehlzeiten an der individuellen Sollarbeitszeit, ebenfalls ohne Urlaubs- und Feiertage gerechnet“.[22]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 4: Berechnung der Fehlzeitenquote nach der Dauer der Nichtbesetzung[23]

Anhand dieser zwei verschiedenen Bezugsgrößen bzw. Berechnungsgrundlagen wird deutlich, wie schwer es ist, aussagekräftige Quoten für Unternehmensvergleiche zu bilden.

Auch ein Fehlzeitenvergleich zwischen Krankenkassen und Unternehmen macht wenig Sinn, da Krankenkassen Kurzzeiterkrankungen, für die kein Attest vorliegt, nicht mit in die Formel einberechnen. Für sie zählen nur die Langzeiterkrankten am Stichtag und somit unterscheiden sich die Koeffizienten stark voneinander. Um diesem Dilemma entgegenzuwirken, empfiehlt es sich, die Datenanalyse auf Langzeitbasis zu generalisieren. Auch beim Problem der saisonalen Schwankungen des Krankenstandes im Unternehmen wird klar, dass diese Zahlen nicht unmittelbar als repräsentativ für das Gesamtjahr ausgegeben werden können. Demnach gibt der Indikator Fehlzeitenquote nur Durchschnittswerte wieder und sagt wenig über die Wahrscheinlichkeit aus, wie viele Mitarbeiter in einem bestimmten Zeitraum fehlen werden.

Ein weiters Problem tritt bei der Ermittlung der Fehlzeitenstatistik auf, wenn sich wichtige Einflussgrößen im Laufe der Zeit ändern. Die bis dahin ermittelten Werte können so nicht mehr fortgeschrieben werden, da die Kennzahl immer nur die Vergangenheit abbildet und das Ergebnis durch die geänderten Bezugsgrößen verfälscht.[24]

Aus diesem Grund empfiehlt es sich, die Fehlzeiten differenzierter zu erfassen und auszuwerten. Ein Lösungsansatz bietet die individuelle und kollektive Erfassung und Auswertung des Krankenstandes.

2.1.5 Auswertung des Krankenstandes

Um die Veränderungen von Ist-Werten und deren Abweichungen zu den Soll-Werten zu ermitteln, bietet es sich an, die betrieblichen Fehlzeiten effizienter zu bearbeiten. Unternehmen haben so eine Chance, Entwicklungen besser zu prognostizieren, Maßnahmen zu erarbeiten, Konsequenzen zu kontrollieren und gegebenenfalls in kurativer und präventiver Hinsicht zu agieren.[25]

Eine Verwendung mehrer Kennzahlen mit verschiedenen Merkmalen bei der Ermittlung der Fehlzeiten ist deshalb notwendig, da es sich um relativ unabhängige Phänomene handelt, deren Messwerte nur sehr bedingt miteinander in Verbindung stehen. Als Beispiel ist eine kleine Gruppe oder Abteilung von Arbeitnehmern zu nennen, die eine sehr hohe Fehlzeitenhäufigkeit aufweisen, die jedoch der gesamten Abwesenheitsdauer und damit dem Durchschnitt der gesamten Belegschaft entsprechen.[26]

In diesem Zusammenhang stellt Nieder fest, dass generell 70 Prozent der Mitarbeiter als wenig fehlzeitenauffällig gelten, während die restlichen 30 Prozent der Mitarbeiter als fehlzeitenauffällig anzusehen sind. Das bedeutet, dass ein kleiner Teil der Mitarbeiter für den großen Teil der Fehlzeiten verantwortlich ist. Ältere Mitarbeiter fehlen seltener als jüngere in Bezug auf die Häufigkeit der Fehlzeitenperioden von drei bis zu fünf Tagen Dauer. Allerdings nimmt die Dauer der Absenzen von 20 bis 50 Jahren zu. In der Altersklasse von 20 bis 24 Jahren treten die meisten Krankheitsfälle auf.[27]

Interessante Befunde in der Fehlzeitenforschung gibt es auch im Zusammenhang mit den Wochentagen.

In vielen Untersuchungen wird ein U-förmiger Verlauf angegeben, dass heißt höhere Absenzen an Montagen und Freitagen. Die größte Fehlzeitenhäufigkeit fällt dabei auf den Freitag, während der Montag der unfallträchtigste Tag der Woche ist. Von jeweils 1000 Arbeitsunfällen ereignen sich 213 an einem Montag.[28]

Um eine noch größere Transparenz der Daten zu erlangen, kommt es darauf an, die Abwesenheitsfälle und –tage pro Arbeitnehmer und Zeitabschnitt festzustellen. Vergleicht man dann die errechneten Ergebnisse mit den Einflussfaktoren auf Fehlzeiten (vgl. Kap. 3), so besteht die Chance, erste Angaben über Regelmäßigkeiten, Häufigkeiten und Auffälligkeiten betreffend der personenspezifischen Ursachen abzuleiten. Erfolgt die Datensammlung gruppenbezogen, so ist es möglich, eine Schwachstellenanalyse bezüglich der Fehlzeiten im Unternehmen zu erarbeiten. Sie kann erste Anhaltspunkte für geeignete Strategien und Maßnahmen geben, die zur Verringerung des Kranken-standes beiträgt.

Eissing gliedert die zu erfassenden Daten in drei verschiedene Blö>

Personalstammdaten: Personalnummer, Geschlecht, Geburtsdatum, Tätigkeitsbeginn und -ende, Nationalität, Abteilung, Tätigkeitsmerkmale, Lohnform, Familienstand

Arbeitsunfähigkeitsdaten: Anfangs- und Enddatum der Fehlzeitenfälle

Fehlzeitenart: Ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit (krank, Arbeitsunfall, Wegeunfall, Kur);

sonstige Fehlzeit (Weiterbildung, Freischicht, unbezahlte Freistellung, sonstiges bezahltes und unbezahltes Fehlen);

allg. Abwesenheitszeit (Mutterschutz, Tarifurlaub, Betriebsruhetag, Bundeswehr, bezahlte Freistellung, Erziehungsurlaub).[29]

In diesem Zusammenhang erscheint es sinnvoll, die Fehlzeiten der schwerbehinderten Mitarbeiter getrennt herauszuarbeiten, da sie in der Regel höher sind und dadurch die Aussagekraft der Fehlquote verfälschen können.[30]

Zur Erleichterung und Zeitersparnis kann die Personalabteilung beim Erfassen und Auswerten der Daten auf spezielle Software, wie beispielsweise HR-SAP/3, zurückgreifen. Sie ermöglicht es den Mitarbeitern des Personalwesens, Daten mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung durch geeignete Integration und Koppelung auszutauschen und den Bearbeitungsaufwand erheblich zu senken.

2.1.6 Strukturierung der Fehlzeiten

Um die Zusammenhänge zwischen den oben erwähnten Merkmalen besser herauszuarbeiten, bezieht sich Nieder auf die Strukturanalyse.[31]

Sie ermöglicht es, eine individuelle und kollektive Auswertung der betrieblichen Fehlzeiten zu gewinnen. Aus den herausgearbeiteten Daten kann beispielsweise analysiert werden, welche Zusammenhänge zwischen den Merkmalen und ihrem Auftreten bestehen, wann die Fehlzeiten beginnen und enden, wie sie sich über die Monate oder Jahre hinweg verteilen, oder aber in welchen Abteilungen sie gleichermaßen oder differenziert auftreten. Die Daten können also gruppen- und personenbezogen generiert und ausgewertet werden, um einerseits Korrelationen zwischen einem oder mehreren Merkmalen und der Höhe der Fehlzeiten festzustellen und andererseits mögliche Ursachenfelder für auffällige oder höhere Ausfallquoten auszumachen.

Ein wesentlicher Aspekt gilt bei näherer Betrachtung den beeinflussbaren und nicht beeinflussbaren Fehlzeiten. Hieraus lässt sich die wichtige Zielgruppe der Edelabsentisten ableiten, welche zu den motivational bedingten Fehlzeiten zählen.[32] Von Bedeutung für die Betriebe ist die Klärung der Frage, wie hoch der prozentuale Anteil dieser Mitarbeiter ist und in welchen Abteilungen diese erhöht auftreten. Zudem lässt sich mit der Strukturanalyse feststellen, wie viele Mitarbeiter innerhalb des Betrachtungszeitpunktes sehr wenig gefehlt haben und in welchen Bereichen die niedrigen Ausfallzeiten entstanden sind.[33]

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Strukturanalyse eine erste Maßnahme zur Eindämmung und Lokalisierung des Fehlzeitenproblems darstellt, und je nach der Auswertung der Untersuchung eine Basis vorgibt, weitere Schritte zur Reduzierung der Fehlzeiten einzuleiten. Dabei hilfreich ist sicherlich die Kenntnis über die Unterschiede der verschiedenen Abteilungen oder Arbeitsbereiche mit extrem hohen, bzw. niedrigen Fehlzeiten. Deren Ursachen sind in den verschiedenen Einflussfaktoren zu finden, die entweder im Unternehmen oder beim Mitarbeiter selbst liegen. Wenn beispielsweise klar ist, dass die belastenden Arbeitsbedingungen in einer Abteilung zu hohen Fehlzeiten führen, kann aufgrund dieses Vorgehens ein tatsächlicher Ansatz zur Entwicklung geeigneter Maßnahmen erarbeitet werden, die die Fehlzeiten nachhaltig reduzieren.

Trebesch geht sogar so weit, dass die Strukturanalyse und damit die Erfassung und Auswertung der Häufigkeit der Abwesenheitsfälle “[…]ein wesentlich konstanteres Maß sowohl für die Vorhersage, als auch die Ursachenanalyse von Fehlzeiten bewirkt, als die Berechnung der Dauer des Fehlens …Aus personenbezogenen Datenerhebungen sind also für sozialpsychologische Studien (Ursachenforschung) und Maßnahmen-planungen zur Minderung von Fehlzeiten erheblich mehr Informationen zu gewinnen.“[34]

2.2 Fehlzeiten als Wettbewerbsfaktor

In vielen Betrieben ist der Ausfall an Arbeitszeit, der durch Krankheit, Unfälle, Kuren und persönlich-familiäre Ereignisse verursacht wird, ein erhebliches Problem der betrieblichen Personalarbeit. Diese Fehlzeiten stören nicht nur den Arbeitsablauf im Unternehmen, sondern beeinträchtigen auch die Rentabilität und belasten zusätzlich das Betriebsklima. Dies gilt vor allem dann, wenn die Kollegen zusätzliche Arbeiten durch das Fehlen der anderen erledigen müssen. Die erheblichsten Auswirkungen sind neben den Produktionsausfällen und der qualitativ schlechter erbrachten Arbeit, die hohen und vielschichtigen Fehlzeitenkosten. Für das Unternehmen bedeutet eine hohe Fehlzeitenquote finanzielle Mehraufwendungen für die Umsetzung und Einarbeitung zusätzlicher neuer Arbeitskräfte. Zusätzlich steigen die Kosten wegen mangelnder Auslastung des Produktionsapparates, welche direkt im Zusammenhang mit zu erwartenden Lieferschwierigkeiten steht. Dass die Betriebe dadurch einen gravierenden Wettbewerbsnachteil erfahren, hat sich in der Vergangenheit schon oft bewiesen. Der Löwenanteil, der durch die Fehlzeiten einhergeht, wird vor allem durch die Kosten der Lohn- und Gehaltsfortzahlung verursacht.[35] Auch werden hohe Kosten genannt, die die deutsche Wirtschaft durch Fehlzeiten belastet, die jedoch nur schwer berechnet und nachvollzogen werden können. Oft entsteht sogar der Eindruck, dass diese Zahlen als Munition für bestimmte Interessengruppen eingesetzt werden.

Die hohe Krankengeldlast der Betriebe fand ihren Ursprung mit dem Lohnfortzahlungsgesetz vom 27.07.1969, das am 01.01.1970 in Kraft trat. Die damalige Regierung entschied sich damals für eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ohne Karenztage und ohne Rücksicht auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit der Arbeitnehmer. Unternehmen wurden somit verpflichtet, das volle Bruttoarbeitsentgelt für sechs Wochen zu zahlen. Zudem bedeutete dies, dass sie seit diesem Zeitpunkt neben den Transferleistungen auch noch Steuern und Sozialabgaben aufbringen müssen. Aufsummiert beliefen sich die Kosten in den letzten 20 Jahren auf 275 Milliarden Euro.

Für den einzelnen Arbeitnehmer änderte sich mit diesem Gesetzesentwurf kaum etwas, da er schon seit 1961 im Krankheitsfall 100 Prozent seines Nettoarbeitslohns (Krankengeld plus Arbeitgeberzuschuss) erhielt. Die Regierung wälzte die Zahllast in jeder Beziehung auf die Unternehmen ab und beseitigte mit dem neuen Gesetz fast gänzlich alle Kontrollmöglichkeiten der Arbeitgeber im Krankheitsfall. Die meisten Betriebe in Deutschland verzeichneten ab diesem Zeitpunkt einen Anstieg an Fehlzeiten, vor allem in der Hochkonjunkturphase, aber auch an Wochenenden und vor oder nach Feiertagen, die die Mitarbeiter als selbst bestimmte Brückentage auswählten.[36]

2.2.1 Betriebliche Kosten

Für ein Unternehmen bewirken Fehlzeiten nicht nur Störungen im Betriebsablauf, sondern verursachen auch enorme betriebliche Kosten. Sie können relativ leicht in direkte und indirekte Kosten gegliedert werden, um sie im Betrieb besser transparent zu machen. Theis (1985) leitet die

betrieblichen Kosten auf der Ebene der anfallenden Personalkosten wie folgt ab:[37]

- Unmittelbar anfallende Personalkosten:

- Kosten für Ausfallzeiten für bezahlte Krankheitstage
- Anteilige Kosten für Ausfallzeiten für unbezahlte Krankheitstage (beispielsweise Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld, anteiliges 13. Monatseinkommen, Kontoführungsgebühren, Zuschuss zum Krankengeld bei Krankheit über 6 Wochen)
- Zuschüsse zu Kuren und Heilverfahren

- Mittelbar anfallende Personalkosten:

- Arbeitgeberbeiträge zur Krankenversicherung (gesetzlich)
- Gesetzliche Unfallversicherung
- Auslandsunfallversicherung
- Freiwillige Versicherungsbeiträge zu Krankenkassen
- Personal- und Sachaufwendungen für die Betriebskrankenkasse
- Kosten für den betrieblichen Gesundheitsdienst
- Kosten für Mehrarbeit (z.B. Überstundenzuschläge)

Diese aufgezählten Kosten, die unmittelbar und mittelbar in Verbindung mit den fehlenden Arbeitnehmern stehen, nehmen den Hauptanteil der Fehlzeitenkosten ein.

Anhand des folgenden Zahlenbeispiels wird konkretisiert, wie viel Personalkosten in einem Unternehmen pro Krankheitstag entstehen.

Beispiel:

Im Jahr 1998 waren die Mitarbeiter durchschnittlich 18,8 Tage krank geschrieben.[38] Wird davon ausgegangen, dass bei einem Mitarbeiter die Personalkosten inklusive Sozialversicherungsbeiträge jährlich 90.000 DM betrugen, so kostete jeder Krankheitstag 246,58 DM:

90.000 DM : 365 Tage x 18,8 Tage = 4.635,62 DM

4.635,62 DM : 18,8 Tage = 246,58 DM pro Krankheitstag

In diesen Ausfallkosten, welche 5,2 % des Gesamtbruttogehalts betragen, sind die oben genannten Folgekosten, wie beispielsweise für Ersatzbeschaffung von neuen Mitarbeitern, oder die Kapital- und Sachkosten für ungenutzte Kapazitäten, die eventuelle Produktions-ausfälle hervorrufen können, noch nicht enthalten. So können die täglichen Ausfallkosten, je nach Position und Unternehmen, bis zu 1000 DM und mehr betragen. Auch Eissing (1991) stellt ähnliche Überlegungen an und errechnete, dass 1% der Fehlzeiten ca. 1% der Personalkosten, bzw. 5% der Lohnsumme ausmacht.[39]

2.2.2 Indirekte Kosten

Jedoch entstehen für das Unternehmen noch weitere Folgekosten, die durch den Ausfall der Arbeitszeit aufgrund von Krankheit, Unfall, Urlaub etc. verursacht werden.

- Opportunitätskosten durch entgangene Gewinne wegen Nichtrealisierung von Marktchancen
- Konventionalstrafen durch verspätete Bereitstellung von Leistungen/ Produkten
- Kapital- und Sachkosten wegen ungenutzter Kapazitäten
- Sachkosten aufgrund von Terminüberschreitungen
- Ersatzbeschaffung von Mitarbeitern (z.B. Leiharbeitskräfte)
- Verminderte Arbeitsmoral der anderen Beschäftigten

In der Summe ergeben sich durch diesen Kostenaspekt immer Wettbewerbsnachteile für jene Betriebe mit hohen Fehlzeiten. Erstaunlich ist, dass trotz dieser Systematik und dem vorherrschenden Kostenbewusstsein, nur wenige Unternehmen versuchen, die Ursachen der Fehlzeiten zu erforschen und Maßnahmen zu ihrer Reduzierung ergreifen.

Um die Frage zu beantworten, können verschiedene Gründe angeführt werden. Einer der Gründe liegt darin, dass in vielen Unternehmen wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse nicht wirklich zur Kenntnis genommen oder bewusst als falsch eingestuft werden. Eher klagen Geschäftsführer über die fehlende Arbeitsmoral der Arbeitnehmer und üben Kritik am Gesetzgeber, der durch die Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle und dem zu arbeitnehmerfreundlichen Arbeitsrecht erst die Grundlage für die erhöhten Ausfallzeiten geschaffen hat. Beklagt werden auch immer wieder die Ärzte, die den einzelnen zu leicht krankschreiben.[40]

Ein weiteres Argument ist, dass der Krankenstand ein sehr komplexes Ursachengefüge aufweist. Bräutigam (1962) formuliert dies sehr treffend, denn er behauptet: “Der Krankenstand wird zwar im wesentlichen von biologisch-medizinischen Ursachen erzeugt, die aber wiederum von einer Reihe nicht-medizinischer, insbesondere sozialpsychologischer und psychologischer, aber auch von wirtschaftlich-ökonomischen sowie von politischen und kulturgeschichtlichen Fakten und nicht zuletzt von den physischen Arbeitsbedingungen selbst beeinflusst werden.“[41]

Nach dieser aufgeführten Komplexität ist es nahezu unmöglich, den Krankenstand durch schnelle Maßnahmen zu bekämpfen. Selbst wenn Unternehmen längerfristige Vorkehrungen treffen, ist der Erfolg ungewiss, da sie nicht immer das Know-How und die finanziellen Mittel besitzen, effiziente Maßnahmen zu ergreifen. Dies dürfte der Hauptgrund dafür sein, der die meisten Unternehmen davon abhält, sich mit diesem Thema entsprechend auseinanderzusetzen.[42]

2.2.3 Bedeutung für Mitarbeiter

Aber es geht ja nicht um die Kosten der Lohnfortzahlung und der Produktionsausfälle allein. Die immateriellen Kosten von psychischen Belastungen durch Konflikte, Ohnmachtsgefühle, Mehrbelastungen der Kollegen usw. stellen einen ebenso zu beachtenden wichtigen Faktor dar.

Für den einzelnen Arbeitnehmer kommen zu den Problemen nach Beginn des Fehlens noch die Probleme hinzu, die zum Fehlen geführt haben. Fehlzeiten stellen daher eine Doppelbelastung für sie dar. Das Fehlen bringt für die Kollegen in erster Linie eine Mehrarbeit, sowie eine Veränderung gewohnter Arbeitsabläufe durch Um- oder Nichtbesetzung ihrer Stammarbeitsplätze mit sich. In diesem Zusammenhang ist das Ausmaß des Solidaritätsgefühls innerhalb der Belegschaft von großer Bedeutung. Denn anders als in Großgruppen oder in der Fertigung am Fliessband, scheint das Solidaritätsgefühl in kleineren Betrieben und Arbeitsgruppen ausgeprägter zu sein.[43] Mehrarbeit wird vor allem dann toleriert, wenn die Abwesenheit eines Kollegen offensichtlich begründet ist. Bei Zweifeln an der Begründung der Abwesenheit ist die Toleranz dagegen gering, was zu Nichtakzeptanz und zu weiteren Fehlzeiten jener in diesem Sinne betroffenen Arbeitnehmer führen kann.[44] Darüber hinaus kann eine häufige Mehrbelastung oder Überforderung der Arbeitnehmer weitere Erkrankungen auslösen, zu Belastungen des Arbeitsklimas, zu einer “Ächtung“ des Fehlenden und schließlich zu einer Minderung der Arbeitsleistung bzw. der Leistungsbereitschaft einer Arbeitsgruppe führen.[45]

[...]


[1] Vgl. Statistik vom Bundesgesundheitsministerium in DIE WELT, 10.07.2006, S. 11

[2] Süddeutsche Zeitung vom 3.01.2006, Ressort: Job & Karriere

[3] DIE WELT vom 10.07.2006, S. 11

[4] Eigene Darstellung

[5] Bei der Formulierung dieser Arbeit wurde zur Erleichterung des Leseflusses die männliche Sprachform gewählt. Personen und Funktionsbezeichnungen, die im Folgenden beschrieben werden, gelten dabei grundsätzlich sowohl für Frauen als auch für Männer.

[6] Vgl. Neuberger (1997), S. 309

[7] Vgl. Brandenburg, U./ Nieder, P. (2003), S. 15

[8] Vgl. Nieder (1998), S. 12

[9] Vgl. Brandenburg/ Nieder (2003), S.16

[10] Scholz, Personalmanagement (2000), S. 707 / Nieder (1998) Fehlzeiten wirksam

reduzieren, S. 13

[11] Vgl. Trebesch (1979), S. 39

[12] Vgl. Derr (1995), S. 7

[13] Vgl. Zit. nach Nieder/Blaschke (1979), S. 19

[14] Vgl. Trebesch (1979), S. 36 in Nieder 1979

[15] Vgl. Marr (1996), S. 16

[16] “Edelabsentist“ deshalb, weil eine wichtige Gesprächsregel lautet, nicht mit Vorurteilen in ein Gespräch zu gehen. Verwendet man Begriffe wie Blaumacher, Simulant oder Krankfeierer, impliziert dies auch immer gleich Vorurteile und Vorwürfe, die nicht unbedingt gerechtfertigt sein müssen und die ein konstruktives Gespräch von Beginn an entscheidend behindern. Letztendlich kann ein Vorgesetzter nie wissen, ob der mögliche Edelabsentist nicht doch krank war.

[17] Vgl. Marr (1996), S. 16

[18] Vgl. Nieder (1987), S. 36

[19] Vgl. Piorr, R. (2001), S. 12

[20] Vgl. Marr (1996), S. 7 ff.

[21] Vgl. Neuberger (1997), S 317

[22] Vgl. Schnabel (1996), S. (4) 24 - 35

[23] Vgl. Neuberger (1997), S 317

[24] Vgl. Neuberger (1997), S 319

[25] Vgl. Wimmer (1984), S. 164-173

[26] Vgl. ebenda

[27] Vgl. Brandenburg/ Nieder (2003), S.94

[28] Vgl. Salowsky in Marr, R. (1996), S. 48

[29] Vgl. Eissing (1991), S. 49

[30] Vgl. Kador, F. / Müller-Hagen, D. (1981) S. 26

[31] Vgl. Nieder (1991), S. 164

[32] Vgl. Kapitel 2.1.2

[33] Vgl. ebenda

[34] Trebesch S.55 in Nieder, P. (1979)

[35] Vgl. Salowsky in Marr, R. (1996), S.41

[36] Vgl. ebenda

[37] Vgl. Theis, K. (1985) in Piorr, R., S. 47 ff.

[38] Vgl. Personalmanagement (2001), S. 739

[39] Vgl. Eissing (1991), S. 45

[40] Vgl. Pott, R. (1966), S. 28 ff

[41] Bräutigam, G. (1962), S. 125

[42] Vgl. Theis, K. (1985), S.7 f

[43] Vgl. hierzu die zur Berühmtheit gelangten Untersuchungen

(Hawthorne-Experimente) von Mayo, Elton 1987

[44] Vgl. Salowsky, H. (1991), S.76

[45] Vgl. Iken, J./ Haberkorn, K. (1982), S. 11ff.

Ende der Leseprobe aus 106 Seiten

Details

Titel
Betriebliche Strategien zur Senkung des Absentismus. Betriebliche Gesundheitsförderung im Fokus
Hochschule
Hochschule Coburg (FH)
Note
2,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
106
Katalognummer
V68163
ISBN (eBook)
9783638594240
Dateigröße
1117 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Betriebliche, Strategien, Senkung, Absentismus, Aspekt, Gesundheitsförderung
Arbeit zitieren
Diplom Betriebswirt (FH) Siegfried Keul (Autor:in), 2006, Betriebliche Strategien zur Senkung des Absentismus. Betriebliche Gesundheitsförderung im Fokus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68163

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Betriebliche Strategien zur Senkung des Absentismus. Betriebliche Gesundheitsförderung im Fokus



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden