Die Phänomenologie des "entdeckenden Lernen"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2002

24 Seiten, Note: gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

0.) Einleitung

1.) Der Begriff des entdeckenden Lernens
1.1. Zur Geschichte und Entwicklung des Begriffs „entdeckendes Lernen“
1.2. Der Versuch einer Definition Das Wesen des entdeckenden Lernen

2.) Entdeckendes Lernen als Unterrichtsmethode
2.1. Die Gestaltung der Lernsituation
2.2. Sozialform beim entdeckenden Lernen
2.3. Schwierigkeiten und Grenzen des entdeckenden Lernens
2.4. Resumee

3.) Ein Unterrichtsbeispiel für entdeckendes Lernen

4.) Schlussbemerkung

5.) Literaturverzeichnis

0.) Einleitung

Die Schule steht derzeit vor großen Problemen: Die Gesellschaft verändert sich schneller, als die Pädagogik reagieren könnte; eine eindeutige Verschiebung der Kompetenzen ist unübersehbar: Schüler leiden unter Konzentrationsschwäche, werden überfordert, sind Einzelkämpfer und mediengesteuert und werden vom Unterricht oftmals nicht erreicht.

Besonders in der Grundschule ist zu beobachten, dass wir es heute mit einer veränderten Kindheit zu tun haben.

Da sind verhaltensauffällige Kinder – ängstliche, hyperaktive, störende-, Kinder mit Lernproblemen in so starkem Umfang vorhanden, dass in manchen Klassen ein guter Teil der Zeit damit zugebracht werden muss, erforderliche Lernvoraussetzungen erst zu schaffen.

In einer komplexen und differenzierten Gesellschaft wie der unsrigen kann die Schule Kinder nicht mehr auf alle Inhalte und Situationen vorbereiten, die ihnen im späteren Leben begegnen könnten. Die Inhalte für eine von allen Seiten der Gesellschaft akzeptierte "Allgemeinbildung" sind wegen ihrer Vielfalt nicht mehr verbindlich definierbar. Schule muss diesem Wandel begegnen, indem sie die Gleichsetzung von Lernzielen mit den Lerninhalten auflöst und übergeordnete Zielsetzungen definiert.

Diese Überlegungen zeigen sich durch Formulierung ( aktuell in den neuen Rahmenlehrplänen für die Sekundarstufe 1 ) von Schlüsselqualifikationen und Kompetenzen, deren Vermittlung zwar nur durch die Arbeit an konkreten Inhalten zu erreichen ist, die aber auf eine Befähigung der Kinder über die jeweiligen Fachgrenzen hinaus abzielen. "Methodenkompetenz", "Problemlösefähigkeit" oder das "lebenslange Lernen" sind Schlagworte, die in der Diskussion um schulische Zielsetzungen derzeit eine große Rolle spielen.

Genau diese Zielsetzungen hat aber auch Bruner vor Augen, wenn er das Konzept des entdeckenden Lernens vertritt. Um zu neuem Lernen unter Anwendung von bereits Gelerntem fähig zu sein, muss der Lernende allgemeine Techniken des Problemlösens entwickelt haben. Nur mit ihnen ist er in der Lage, neu auftretende Probleme relativ selbständig anzugehen und effektiv zu lösen. Zur kognitiven Struktur gehören für Bruner nicht nur Wissen, Kenntnisse und Einsichten, sondern auch die Fähigkeiten, Problemstellungen zu analysieren, Hypothesen zu formulieren und experimentell zu überprüfen. Dies bedeutet für ihn, dass sich der Schüler in den Methoden der Entdeckung üben muss: "Meiner Meinung nach kann man nur durch Üben des Problemlösens ... die heuristische Methode der Entdeckung lernen; je mehr man geübt ist, um so eher wird man das Gelernte zu einem Problemlösungs- oder Fragestil verallgemeinern können, der sich auf jede oder fast jede angetroffene Aufgabenart anwenden lässt" (Bruner, 1973, S.26) Das Konzept des entdeckenden Lernens zeigt hier seine Entsprechung zu den oben genannten Überlegungen der schulischen Bildungsziele. Unter diesem Aspekt erscheint seine Anwendung im Unterricht zeitgemäß und pädagogisch begründet.

Auch Gebauer hat in einem bemerkenswerten Aufsatz unter dem Titel „Was ist bloß mit den Kindern los?“ über eine Göttinger Grundschule 1991 geschrieben, dass die Zahl der Kinder mit starken Verhaltensauffälligkeiten in den vergangenen fünf Jahren ständig zugenommen habe ( Gebauer 1991, S.47).

Er listet fünf Verhaltensmerkmale von Grundschülern auf wie,

- überdurchschnittliche Ichbezogenheit
- Sozialblindheit
- Erörterungstaubheit
- Verhaltenszwang und
- Lernfortschrittshemmungen.

Zu den möglichen Ursachen geht Gebauer von folgenden Faktoren aus:

- fehlende oder mangelhafte authentische Sozialerfahrungen in der frühen Kindheit
- unausgetragene familiäre Konflikte
- unbestimmte allgemeine und konkrete Angstsituationen
- abwesende Väter; Väter, die aus unterschiedlichen Gründen ihrer Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden
- Auswirkungen der Fernseh-Diskurs-Struktur auf das Sozialverhalten von Kindern (Gebauer 1991, S.50)

Es ergeben sich aus der veränderten Kindheit schulpraktische Konsequenzen sowie neue Aufgaben der Grundschule:

- den Kindern Zeit widmen
- ihre Interessen annehmen
- sie selbst tätig werden lassen.

Diese Aufgaben sind im entdeckenden Lernen vereinigt.

Im folgenden möchte ich nun das Konzept vom „entdeckenden Lernen“ genauer vorstellen. Beginnen möchte ich mit einem geschichtlichen Rückblick und der Klärung der Begrifflichkeit.

Anschließend werde ich die Inhalte dieser Unterrichtsmethode vorstellen und auf Schwierigkeiten eingehen, die das Unterrichtskonzept des entdeckenden Lernen, hervorbringen kann . Mit einem Beispiel aus der Unterrichtspraxis zum entdeckend Lernen möchte ich diese Arbeit abschließen.

1.) Der Begriff des entdeckenden Lernens

1.1. Zur Geschichte und Entwicklung des Begriffs „entdeckendes Lernen“

Entdeckendes Lernen, Selbstentdeckendes Lernen, Entdecken lassendes Lernen, Lernen durch gelenkte Entdeckung, Nacherfindung unter Führung, es gibt noch weitere Begriffe, die alle synonym für eine Unterrichtsmethode stehen. Im folgenden möchte ich die Geschichte und Entwicklung des Begriffs „entdeckendes Lernen“ und des Konzeptes erläutern. Beginnen werde ich mit dem Ursprung der Entwicklung des Konzeptes. Anschließend zeige ich verschiedene Definitions- bzw. Versuche das Konzept und den Begriff zu charakterisieren, durch bekannte Autoren, Pädagogen und Psychologen und deren Entwicklung.

Viele Didaktiker der Mathematik und Physik, jedoch auch Psychologen und Neurologen, halten sie für die Unterrichtsmethode, die am besten dazu geeignet ist, in den Schülern die Eigenschaften und Fähigkeiten anzulegen, die von Mathematikern und Naturwissenschaftlern, jedoch auch von anderen Wissenschaftlern und Technikern, am stärksten gefordert werden: Erfindungsreichtum, zähes Suchen und Ringen um richtige Ergebnisse, schlussfolgerndes Denken, Fähigkeit zur Reflexion, Diskussionsfähigkeit, ... Dem entdeckenden Lernen liegt eine interaktive Didaktik zugrunde, welche den Lernenden die Praxis der Wissenschaft näher bringen soll.

Das entdeckende Lernen hat sich aus der kognitiven Psychologie heraus entwickelt. Unterrichtssequenzen, denen ein kleinschrittiges Frage-Antwort-Prinzip oder gar dozierender Unterricht zugrunde liegt, bieten den Lernenden zu wenig Spielraum, ihre kognitiven Fähigkeiten einzusetzen und zu erweitern. Erkenntnisgewinn lässt sich nicht durch passives Konsumieren erreichen, sondern nur durch aktives Lernen. Für den Lehrer bedeutet dies, dass er den Schülern den Stoff nicht häppchenweise zum leichten Verständnis darbietet, sondern eine günstige Lernumgebung schafft, in welcher die Schüler unter Einbeziehung ihres Vorwissens ein Problem selbständig lösen.

Beim entdeckenden Lernen handelt es sich keineswegs um ein neues Konzept. Das Prinzip des entdeckenden Lernens lässt sich bis zur sokratischen Methode zurück verfolgen.

In einer Szene von Platons "Menon" will Sokrates dem Menon zeigen, dass jeder durch Nachdenken Neues finden kann. Sokrates legt dem Sklaven ein geometrisches Problem vor und bringt ihn ausschließlich durch geschicktes Fragen dazu, eigene Denkfehler zu erkennen und schließlich die richtige Lösung zu finden. Der Sklave entdeckt dabei, dass ein Quadrat über der Diagonalen eines gegebenen Quadrates die doppelte Fläche wie das gegebene Quadrat hat. Von Sokrates führt der Weg des entdeckenden Lernens über den hl. Augustinus, Erasmus, Comenius, Jean-Jacques Rousseau, Kant , Wordsworth, Pestalozzi, Dewey, Montessori, Whitehead, Kühnel, Wagenschein und Freudenthal hin zu Bruner und anderen zeitgenössischen Didaktikern.

Man übertreibt also wohl nicht, wenn man behauptet, dass die bedeutendsten Pädagogen entschiedene Verfechter eines Unterrichts waren und sind, der den Schülern die Möglichkeit gibt, entdeckend tätig zu sein und zu lernen.

Entdeckendes Lernen ist also keineswegs so neu, wie man glauben könnte, wenn man die gegenwärtige Diskussion über den Begriff verfolgt.

So fand Hilda Taba bei ihren Nachforschungen bereits in dem 1904 erschienenen Buch von Mary W. Boole „Preparation of Child for Science“ eine Charakterisierung, die eine überraschende Ähnlichkeit mit heutigen Vorstellungen vom entdeckenden Lernen aufweist. Im einzelnen führt Mary E. Boole folgende Beschreibungsmerkmale auf:

- Der Lernende entdeckt Begriffe, Prinzipien oder Gesetze durch selbsttätiges Explorieren konkreter Beispiele, wobei er von außen Unterstützung erhält
- Die Verbalisierung von grundlegenden Prinzipien wird vermieden, solange sie nicht operational verstanden und intuitiv angewendet sind.

Das entdeckende Lernen bildet ein zentrales Thema im Werk von John Dewey, der unter Lernen aktive Entdeckung von Beziehungen und selbständigen Aufbau von Begriffen verstand.

[...]

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Die Phänomenologie des "entdeckenden Lernen"
Hochschule
Universität Potsdam  (Grundschulpädagogik)
Veranstaltung
Schulfähigkeit der Kinder der Kindfähigkeit der Schule?
Note
gut
Autor
Jahr
2002
Seiten
24
Katalognummer
V6829
ISBN (eBook)
9783638143158
ISBN (Buch)
9783656202424
Dateigröße
544 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
entdeckendes Lernen, Grundschule
Arbeit zitieren
Romy Thiel (Autor:in), 2002, Die Phänomenologie des "entdeckenden Lernen", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/6829

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