"Man wirft mir vor, ich sei zu derb, ekelhaft, zu unheimlich, zu zynisch und was es dergleichen noch an soliden, gediegenen Eigenschaften gibt - und man übersieht dabei, daß ich doch kein anderes Bestreben habe, als die Welt zu schildern, wie sie halt leider ist."
So beschrieb der 1901 geborene Ödön von Horváth das Motiv seiner schriftstellerischen Tätigkeiten und bestimmte damit bereits eine Perspektive auf sein Werk: Horváth als Darsteller der Wirklichkeit. Während seine Volksstücke der späten 20er und frühen 30er Jahre, aber auch Prosatexte dieser Zeit diese Sichtweise bestätigen, sind seine späteren Werke schwerer zu bestimmen. Johanna von Bossinade trennte sein Werk gar in zwei Teile, einem vor und einem nach dem Exil, in dem religiöse und spirituelle Motive zunehmen. Aber nicht nur dadurch ist Horváth ein umstrittener Schriftsteller gewesen. Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein beschäftigten sich nur wenige mit seiner Literatur. Dann erlebt sein Werk jedoch eine regelrechte „Renaissance“ und wird gerade auch im letzten Jahrzehnt wieder an vielen Bühnen Deutschlands aufgeführt.
„Kasimir und Karoline“, ein Volksstück aus dem Jahre 1932, kann eindeutig dem Teil seines Werkes zugeordnet werden, in dem sich der Autor auf die Seite der sozial Schwächeren stellt, Missstände deutlich macht und in subtiler Weise aufzeigt, wie das menschliche Verhalten von gesellschaftliche und ökonomischen Umständen bestimmt wird.4Dieser Hausarbeit liegt also eine sozialgeschichtliche Sichtweise zugrunde, d.h. ich werde untersuchen, inwiefern Horváth in seinem Stück „Kasimir und Karoline“ darstellt, wie Liebe in einer durch Geld und Ansehen geprägten Gesellschaft beeinflusst und verändert wird.
Meine These dabei lautet, dass die Figuren in „Kasimir und Karoline“ durch die vorherrschende Wirtschafts- und Gesellschaftsform nicht fähig sind, Beziehungen aus Liebe einzugehen und diese gegen Einflüsse der Umwelt zu verteidigen. Charakteristisch dabei ist, dass sie ihre Kommunikations- und Liebesunfähigkeit nicht erkennen und überwinden können. Dazu werde ich in einem ersten Teil untersuchen, inwiefern „Kasimir und Karoline“ ein Volksstück im Horváthschen Sinne darstellt und welche Wirkung das Stück hatte. Nach einer anschließenden kurzen Wiedergabe der Handlung und Darstellung der Personenkonfiguration werde ich die wichtigsten Beziehungen des Stückes charakterisieren, um analysieren zu können, inwiefern sie von äußeren Umständen bestimmt werden.
Gliederung
1 Einleitung
2 Das Stück
2.1.) Ein Volksstück mit dem Motto „Und die Liebe höret nimmer auf“
2.2.) Entstehung und Rezeption des Stücks
2.3.) Die Handlung von „Kasimir und Karoline“
2.4.) Personenkonfiguration:
3 Gesellschaftliche und ökonomische Verhältnisse der Zeit und ihr Einfluss auf die Figuren in „Kasimir und Karoline“
4 Selbst- und fremdbestimmte Beziehungen des Stückes
4.1.) Ausgangsbeziehungen: Gleiche Partner?
4.1.1.) Kasimir und Karoline: Liebende, die nicht kommunizieren können
4.1.2.) Merkl und dem Merkl seine Erna: Beziehung mit Besitzcharakter
4.2.) „Wiesn“ - Beziehungen: Auf der Suche nach was?
4.2.1.) Kasimir und Elli/Maria: Geld bestimmt das Gefühl
4.2.2.) Karoline und Rauch: Zukunft ist eine Beziehungsfrage
4.3.) Endbeziehungen: Notlösung oder freie Entscheidung aus Liebe?
4.3.1.) Karoline und Schürzinger: Was am Ende bleibt
4.3.2.) Erna und Kasimir: Zwei Gleichgesinnte
5 Beziehungsdeterminanten
5.1.) Ökonomische und gesellschaftliche Verhältnisse
5.2.) Kommunikationsunfähigkeit
5.3.) Kleinbürgerliches Denken
5.4.) Individuelle Entscheidung aus Liebe
6 Resümee
Die Verzerrung der Liebe in einer durch Geld und Ansehen geprägten Gesellschaft Selbst- und fremdbestimmte Beziehungen in Ödön von Horváths
Volksstück „Kasimir und Karoline“
1 Einleitung
"Man wirft mir vor, ich sei zu derb, ekelhaft, zu unheimlich, zu zynisch und was es dergleichen noch an soliden, gediegenen Eigenschaften gibt - und man übersieht dabei, daß ich doch kein anderes Bestreben habe, als die Welt zu schildern, wie sie halt leider ist."[1]
So beschrieb der 1901 geborene Ödön von Horváth das Motiv seiner schriftstellerischen Tätigkeiten und bestimmte damit bereits eine Perspektive auf sein Werk: Horváth als Darsteller der Wirklichkeit. Während seine Volksstücke der späten 20er und frühen 30er Jahre, aber auch Prosatexte dieser Zeit diese Sichtweise bestätigen, sind seine späteren Werke schwerer zu bestimmen. Johanna von Bossinade trennte sein Werk gar in zwei Teile, einem vor und einem nach dem Exil, in dem religiöse und spirituelle Motive zunehmen.[2] Aber nicht nur dadurch ist Horváth ein umstrittener Schriftsteller gewesen. Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderst hinein beschäftigten sich nur wenige mit seiner Literatur. Dann erlebt sein Werk jedoch eine regelrechte „Renaissance“ und wird gerade auch im letzten Jahrzehnt wieder an vielen Bühnen Deutschlands aufgeführt.[3]
„Kasimir und Karoline“, ein Volksstück aus dem Jahre 1932, kann eindeutig dem Teil seines Werkes zugeordnet werden, in dem sich der Autor auf die Seite der sozial Schwächeren stellt, Missstände deutlich macht und in subtiler Weise aufzeigt, wie das menschliche Verhalten von gesellschaftliche und ökonomischen Umständen bestimmt wird.[4] Dieser Hausarbeit liegt also eine sozialgeschichtliche Sichtweise zugrunde, d.h. ich werde untersuchen, inwiefern Horváth in seinem Stück „Kasimir und Karoline“ darstellt, wie Liebe in einer durch Geld und Ansehen geprägten Gesellschaft beeinflusst und verändert wird.
Meine These dabei lautet, dass die Figuren in „Kasimir und Karoline“ durch die vorherrschende Wirtschafts- und Gesellschaftsform nicht fähig sind, Beziehungen aus Liebe einzugehen und diese gegen Einflüsse der Umwelt zu verteidigen. Charakteristisch dabei ist, dass sie ihre Kommunikations- und Liebesunfähigkeit nicht erkennen und überwinden können. Dazu werde ich in einem ersten Teil untersuchen, inwiefern „Kasimir und Karoline“ ein Volksstück im Horváthschen Sinne darstellt und welche Wirkung das Stück hatte. Nach einer anschließenden kurzen Wiedergabe der Handlung und Darstellung der Personenkonfiguration werde ich die wichtigsten Beziehungen des Stückes charakterisieren, um analysieren zu können, inwiefern sie von äußeren Umständen bestimmt werden. In einem dritten Teil schließlich betrachte ich die Faktoren genauer, die die Beziehungen beeinflussen, um die aufgestellte These zu überprüfen.
2 Das Stück
2.1.) Ein Volksstück mit dem Motto „Und die Liebe höret nimmer auf“
In seiner Gebrauchsanweisung macht Ödön von Horváth deutlich, dass seine Volksstücke keine Volksstücke im klassischen Sinne sind, sondern ihm ist „so etwas wie eine Fortsetzung, Erneuerung des alten Volksstückes vorgeschwebt“[5]. Zwar übernimmt er viele der Elemente der alten Volksstücke, doch verändert er sie und passt sie seinen Vorstellungen an. So ist die Handlung auch bei „Kasimir und Karoline“ dem Volksleben entnommen, was in Horváths Zeit nicht mehr das bäuerliche Leben ist, sondern das der Kleinbürger und es werden soziale Problem aufgezeigt. Auch untermalen Musik und Gesang sein Spiel[6], doch diese haben eine weitergehende Bedeutung, zeigen die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und gewünschter Idylle, indem sie fröhliche Töne zum bösen Spiel spielen und damit eine kontrastierende Wirkung haben. Das wohl auffälligste Beispiel sind die Szenen, in denen Kasimirs Verzweiflung den Trinkliedern gegenübersteht. (vgl. Sz. 63, S. 44/Sz. 71, S.50). Friedrich Luft formulierte diese Perversion so: „Horváth-Stücke sind böse Stü name="_ftnref7" title="">[7]
Wenn also Elemente des Volksstückes auf die Werke Horváths zutreffen, so „verzichtet er [Anm.] doch bewusst auf feste Orientierungszentren, um die Rezipienten zu einer ständigen Neuverknüpfung der Beziehungen aufzufordern“[8] So baut Horváth einen bestimmten Erwartungsrahmen auf, der im Laufe des Stückes wieder zerstört wird und so dem Zuschauer ein Problem, eine Misere aufzeigt.
Dies geschieht schon durch den Titel des Stückes: „Kasimir und Karoline. Motto: Und die Liebe höret nimmer auf“. Er baut beim Zuschauer die Erwartung einer Liebesgeschichte auf, mit einem Ende, an dem die beiden Protagonisten vereint sind – ob im Tod wie bei Shakespeares „Romeo und Julia“ oder lebend. Genau diese Erwartung wird jedoch nicht erfüllt. Am Ende befinden sich die beiden Hauptfiguren getrennt von einander in neuen Beziehungen. Die Illusion eines gemeinsamen Glücks der beiden ist zerstört. Genau mit diesem Schluss bricht Horváth die Tradition der Volksstücke, die „eine Auflösung der Verwirrungen und Rührseligkeiten in einem harmonisierenden Finale“[9] verlangten.
Dieses kitschige Klischee als Motto ist aber gerade eine Anspielung auf die Determiniertheit der Liebe. Dass es eben nicht zutrifft, macht deutlich, dass Liebe eben nicht in einem gesellschaftsfreien Raum entsteht und unabhängig von sozialen und ökonomischen Verhältnissen existiert.
2.2.) Entstehung und Rezeption des Stücks
Seine Arbeit an „Kasimir und Karoline“ beendet Ödön von Horváth im April 1932. Grundlage des Stückes war die Skizze „Wiesenbraut und Achterbahn“, die wie eine frühere Prosafassung des Stückes erscheint.[10] Geplant hatte Horváth anfangs ein Volksstück in fünf Bilder, das unter dem Titel „Kasimir und Katharina“ veröffentlicht werden sollte. Daraus entstanden ist ein Stück mit 117 Szenen, in dem die soziale Anklage des Stückes weitaus weniger präsent ist als dies in den früheren Fassungen der Fall war.[11] So gibt es beispielsweise nun nicht mehr den Studenten Emil, der anstelle des heutigen Zuschneiders Schürzinger die Bekanntschaft mit Karoline machte. Auch fehlen die ausführlichen Diskussionen der Figuren, in denen politische Inhalte thematisiert wurden.[12] Trotzdem macht Horváth auch in der jetzigen Fassung auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Missstände aufmerksam, nur auf subtilere Weise, was noch weiter erläutert wird.
Uraufgeführt wird das Stück unter der Regie von Francesco von Mendelssohn am 18. November 1932 in Leipzig. Die Theaterkritik beschäftigt sich damit jedoch erst nach einer Aufführung in Berlin im November desselben Jahres. Da wird es von der Presse als Satire auf das Münchner Oktoberfest aufgefasst, wodurch sich Horváth völlig unverstanden fühlt. Denn für ihn ist es „überhaupt keine Satire, es ist die Ballade vom arbeitslosen Kasimir und seiner Braut mit der Ambition, eine Ballade voll stiller Trauer, gemildert durch Humor, das heißt durch die alltägliche Erkenntnis: Sterben müssen wir alle.“[13]
[...]
[1] http://www.literaturhaus.at/autoren/H/horvath/ (Zugriffsdatum: 17.06.04)
[2] Bossinade, Johanna: Vom Kleinbürger zum Menschen. Die späten Dramen Ödön von Horváths, Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Band 364, Bonn, 1988, S. 8ff.
[3] vgl. Wille, Franz: Horváths Farben. Über Kasimir und Karoline, in: Theater heute, Sonderausgabe, 1997, S. 14-18.
[4] Walder, Martin: Die Uneigentlichkeit des Bewusstseins. Zur Dramaturgie Ödön von Horváths, Studien zur Germanistik, Anglistik und Komparatistik. Hrsg. von Armin Arnold und Alois M. Haas, Band 22, Bonn, 1974, S. 37f.
[5] Horváth, Ödön von: Gebrauchsanweisung, in ders.: Kasimir und Karoline. Volksstück, Frankfurt a. Ma., 2002, S. 84.
[6] Wilpert, Gero von: Volksstück, in: Sachwörterbuch der Literatur, 7. Auflage, Stuttgart, 1989, S. 1015.
[7] Luft, Friedrich, zitiert nach Kurzenberger, Hajo: Horvaths Volksstücke. Beschreibung eines poetischen Verfahrens, München, 1974, S. 100.
[8] Eco, zitiert nach Bossinade: S. 10
[9] Kurzenberger: S. 99.
[10] Krischke, Traugott: Ödön von Horváth. Kind seiner Zeit, München, 1980, S.136.
[11] Sachsenlehner, Johannes: Ödön von Horvath, in: Killy Literaturlexikon, Band 5, S. 472 – 475, S. 473.
[12] Krischke: S.130.
[13] Hell, Martin: Kitsch als Element der Dramaturgie Ödön von Horváths, Europäische Hochschulschriften, Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur, Band 617, Frankfurt a. M., 1983, S.80.
- Arbeit zitieren
- Magister Artium Julia Schneider (Autor:in), 2004, Die Verzerrung der Liebe in einer durch Geld und Ansehen geprägten Gesellschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68463
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