Die soziale und wirtschaftliche Lage der polnischen Bauern im 18. Jahrhundert


Seminararbeit, 2003

20 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Die Fronarbeit als Organisationsform der polnischen Landwirtschaft

III. Die rechtliche Lage der untertänigen polnischen Bauern

IV. Die wirtschaftliche Entwicklung der polnischen Landwirtschaft und damit verbundene Konflikte im Fronwesen

V. Reformbestrebungen zur Verbesserung der Lage in der polnischen Landwirtschaft und der Bauern und ihre Durchsetzbarkeit

VI. Resümee oder „Waren Polens Bauern im 18. Jahrhundert allesamt gleichwertig versklavt?“

VII. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

„Weil es der ganzen Welt vor Augen steht, daß nirgends der Bauer unter schwererer Bedrückung lebt als allein in Polen (...) “[1]

(Stefan Garczynski, Wojewode von Posen, 1742)

Die soziale und wirtschaftliche Lage von Polens Bauern im 18. Jahrhundert wurde nach der Einschätzung von vielen aufgeklärten Menschen wie Stefan Garczynski, dem deutschen Schriftsteller Joachim Schulz und dem englischen Historiker Coxe als dramatischer, unterdrückter und rückständiger eingestuft als in allen vergleichbaren Nationen und sogar offen mit der antiken Sklaverei verglichen. Polen galt als Land in dem die Gutsherrschaft und Leibeigenschaft eine deutliche Ausprägung aufwies. Diese Hausarbeit soll sich der Frage widmen, ob tatsächlich die Lage der polnischen Bauern dermaßen schlecht einzuschätzen war, wie es Garcynski und Andere behaupteten oder ob nicht die von ihnen vorgenommene Verallgemeinerung der wirtschaftlichen und sozialen Lage deutlich hinterfragt werden muß.

Dazu werde ich im Folgenden auf die rechtliche Lage der Bauern eingehen und die Wirtschaftsstruktur Polens im 18. Jahrhundert betrachten. Ein Vergleich mit anderen Nationen (vor allem Preußen) bietet sich an einigen Stellen an. Das 18. Jahrhundert, das in der polnischen Geschichte als ein Jahrhundert der großen Umbrüche bezeichnet werden kann (man denke an die polnischen Teilungen, die Persönlichkeit Stanislaw August, etc.), bietet außerdem interessante Reformansätze, die mit dem absoluten Schwerpunkt der polnischen Landwirtschaft von mir aufgegriffen werden sollen. Zum Abschluß der Hausarbeit soll ein Resümee stehen, in dem ich zu einer eigenen Einschätzung der wirtschaftlichen und sozialen Situation der polnischen Bauern gelangen möchte und die oben genannte Ausgangsfrage beantworten will.

Die Auswahl der von mir berücksichtigten Literatur umfaßt neben Werken, die die Sozialstruktur Polens und die wirtschaftliche Entwicklung bzw. deren Wandel betrachten, bewußt auch einen Reisebericht von Joachim Friedrich- Wilhelm Schulz (der Polen im Jahre 1793 bereiste) und einen Aufsatz von Zbigniew Kwasny, die in einer sehr wertvollen Weise der Ausgangsfrage dienlich sein werden.

II. Die Fronarbeit als Organisationsform der polnischen Landwirtschaft

Wie in ganz Osteuropa bildete auch in Polen die Bauernschaft die deutliche Mehrheit in der Gesamtbevölkerung. Schätzungen zufolge waren etwa 72 % der polnischen Bevölkerung im 18. Jahrhundert dem Bauernstand rechtlich zugeordnet.[2] Darüber hinaus geht der Kleinproduzentenkreis. Dieser wurde v.a. durch diejenigen Einwohner der Kleinstädte, die ihren Unterhalt hauptsächlich durch den Ackerbau bestritten, gebildet.

Der überwiegende Teil der Bauern (60% bis 70%) war auf adeligen Gütern seßhaft, der Rest auf geistlichen- oder königlichen Gütern. Eine geringe Zahl von Bauern gehörte auch den größeren königlichen Städten direkt an. Die Leibeigenschaft kennzeichnete den größten Teil der bäuerlichen Bevölkerung, auch wenn der Anteil von freien Bauern seit dem ausgehenden Mittelalter stetig zugenommen hatte. Er lag je nach Region bei 10% (Großpolen) und 20% (Ermland und Westpreußen).

Die Leibeigenschaft der polnischen Bauern unterschied sich deutlich von der Art der in westeuropäischen Ländern vorkommenden Leibeigenschaft. In Polen hatten alle Feudallasten den Umstand, daß der Untertan den herrschaftlichen Acker nützte oder wenigstens seine Wohnung auf dem herrschaftlichen Besitz hatte, während Feudallasten in Westeuropa auf Leib- und Rechtsuntertänigkeit begründet wurden. Wer in Polen also außerhalb der herrschaftlichen Besitzungen lebte brauchte keine Frondienste zu leisten.

Diese besondere Form der Leibeigenschaft bildete sich in Polen aufgrund der sogenannten „Vorwerksproduktion“ heraus. Dieses „Wirtschaftsideal für den Adel“ sah ohne jeglichen Lohnaufwand auf Grund von Fronarbeit eine Bewirtschaftung von Ackerland vor, das direkt dem Gutsherren unterstand. Ein sensibles Gleichgewicht zwischen dem Areal des Vorwerks und den Bedürfnissen der Bauern war elementar wichtig für den Erfolg dieser Wirtschaftsform.

Denn nur wenn der Bauer über genug eigenes Land verfügte um sich, seine Familie und das Lastvieh (mit dem das Vorwerk bestellt werden mußte) zu ernähren, so konnte er auch die Frondienste im Vorwerk in produktiver Weise leisten. Deshalb war es im eigenen Interesse des Gutsherren möglichst alle Untergebenen mit Ackerland auszustatten.

Der Umfang der Frondienste wurde anhand von einer Einteilung der Bauern in verschiedene Kategorien bemessen. Man unterschied Vollbauern, Halbbauern, Gärtner (Kossäten), Häusler und Einlieger. Grundlage für die Einteilung war die dem Bauern zur Verfügung gestellte Bewirtschaftungsfläche und nicht die tatsächlich davon benutzte Fläche. Unterschiedliche Bodenbeschaffenheit fand ebenfalls keine Berücksichtigung. Ein Vollbauer, dessen Ackerland in Großpolen bei 30- 50 ha lag, mußte dem entsprechend mehr Fronarbeit leisten als ein Bauer mit einer Häuslerstelle von 3- 8 ha selbst wenn er von seiner Fläche weniger Land tatsächlich nutzte.

Die Hauptbelastung der Bauern bestand in den wöchentlich zu leistenden Frondiensten. Die Höhe variierte je nach Landesteil, Gutsform und wie oben erwähnt je nach Bauernstelle. Ein Vollbauer auf einem Adelsgut hatte wöchentlich etwa drei Tage Fronarbeit zu leisten, auf einem Kirchengut 2,5 Tage und auf einem Königsgut 2 Tage. Hierbei handelte es sich nicht um reine „Handtage“, also Arbeitstage auf dem Vorwerk, sondern schloß auch „Spanntage“ ein, die v.a. Fuhrwerksdienste umfaßte. Neben des Wochendienstes hatten die Bauern bei Bedarf z.B. zwischen 6 und 12 Tagen in der Haupterntezeit zu arbeiten (sog. „Gewalttage“), Holz zu schlagen und abzuliefern, das herrschaftliche Vieh zu hüten, Wachdienste zu verrichten und wenn der Krüger im Dorf fehlte sogar das Bier in der Schänke auszuschenken.

An dieser Stelle bietet sich ein Vergleich mit den von ostpreußischen Bauern zu leistenden Frondiensten an. Die Ableistung von Frondiensten fiel auch in Preußen regional sehr unterschiedlich aus. Allgemein gesprochen war es in Ostpreußen nicht üblich mehr als 60 Tage Arbeitsleistungen im Jahr zu fordern, was geringer ausfällt als in Polen. Von diesen wurde ein erheblicher Teil in Vorwerken abgeleistet, die einer Region unterstanden.

Darüber hinaus hatten die Bauern Wege und Brücken zu bauen, Kirchen und Schulen zu sanieren oder Amtshäuser zu errichten aber auch Fuhrdienste für das Militär und Staatsdiener zu verrichten.[3] Eine gewisse Ähnlichkeit der Frondienste beider Nachbarländer wird also deutlich.

Neben den sogenannten Fronbauern, die ich oben erläutert habe, gab es in Polen im 18. Jahrhundert eine beträchtliche Anzahl von Zinsbauern, Bauern die ihre Frondienste in Naturalien und/ oder in Geld beglichen. Als Naturalabgaben kamen vor allem Korn, Geflügel, Eier und Käse in Betracht. Das zahlenmäßige Verhältnis von Fronbauern zu Zinsbauern war stark von der Größe des Vorwerkes und der Hofäcker abhängig: war der Gutsherr nicht in der Lage die Frondienste der Bauern in vollem Umfang zu nutzen wandelte er die Fronschuld in Geld- oder Naturalienabgaben um oder verkaufte gar überschüssige Arbeitstage an den benachbarten Gutsherren. Dies geschah vor allem in dicht besiedelten Gebieten Polens wie dem Subkarpatenraum wo topographische Bedingungen für eine ausgeprägte Vorwerksproduktion fehlten. In solchen Regionen betrug der Anteil der Zinsbauern an der Bauernschaft bis zu 30%. Allgemein läßt sich sagen daß je dichter besiedelt eine Region war der Anteil der Zinsbauern in der Bauernschaft anstieg. Außerdem sei angemerkt, daß die Zahl der Zinsbauern ab dem ausgehenden 16. Jahrhundert stetig stieg.

Neben den Frondiensten wurden die Bauern auch mit Staatssteuern und Kirchenabgaben belastet. Diese Steuerpflicht belastete zwar formal den Gutsherren konnte aber durch das geltende Recht an die Untertanen weitergegeben werden. Außerdem lag eine sogenannte „Schankgerechtigkeit“ vor, die auf zwei Verboten beruhte: der Bauer durfte keine Getränke selbst brauen und sie auch nicht außerhalb des Gutskruges kaufen. Dadurch hatte der Gutsherr eine stetige lukrative Einnahmequelle mit Monopolcharakter. Die Getränkeproduktion erwies sich vor allem als äußerst vorteilhaft für das Gut, da sie lediglich die benötigten Rohstoffe erforderte und alle Arbeiten im Rahmen von Frondiensten verrichtet wurden. Deshalb war der Konsum von alkoholischen Getränken äußerst hoch und der Gutsherr hatte keinen Grund ihn einzuschränken.

Erwähnt sei, daß neben den zu Frondiensten oder Abgaben verpflichteten Bauern auch eine beträchtliche Anzahl von Tagelöhnern den Alltag eines Gutes bestimmten.

Diese stellten Positionen wie Aufsichtspersonal, Mälzer, Gärtner, Knechte und Mägde dar. Die Mietung dieser Personen stellte oft eine Art „Zwangsrekrutierung“ dar, da die Feudalherren auf Verlangen unabhängig von Frontagen Arbeit auf dem Vorwerk anordnen konnten. Der Lohn wurde ebenfalls einseitig vom Feudalherren festgelegt.

Die Fronwirtschaft hatte jedoch auch einen positiven Aspekt für die bäuerliche Bevölkerung: der Feudalherr war verpflichtet den Bauern in Notzeiten materielle Hilfe zukommen zu lassen und Schutz zu gewährleisten (wobei angemerkt sei, daß dieses nur seinem eigenen Interessen der erfolgreichen Fronwirtschaft entgegenkam). Trotz der oben vorgenommenen Darstellung war keineswegs jeder Bauer Polens ein Leibeigener und an die Scholle gefesselt. Eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von freien Bauern prägte das Bild der polnischen Landwirtschaft mit. Der Anteil der freien Bauern variierte regional zwischen 10% (Zentral- und Südpolen) und mehr als 20% (Ermland, Westpreußen und Großpolen). Die freien Bauern wurden oft als „Holländer“ bezeichnet, da ein hoher Anteil der im 17. und 18. Jahrhundert eingewanderten Menschen, die den Großteil der freien Bauern ausmachten, aus den Niederlanden stammte. Der Begriff wurde jedoch zunehmend unpassender, da spätere Siedlungen vor allem durch deutsche Einwanderer geprägt waren, die aus Pommern oder der Nordmark geflohen waren. Im späten 18. Jahrhundert waren unter den Einwanderern auch viele Menschen aus Böhmen. Neben Einwanderern, die ihre persönliche Freiheit bewahren konnten, sind die sogenannten „losen Leute“ als zweite Gruppe, die die freien Bauern kennzeichnete, zu nennen. Die losen Leute bestanden vor allem aus Flüchtlingen aus der Fronwirtschaft und aus Abwanderern verarmter Städte. Der Anteil von freien Arbeitskräften auf den Gutshöfen nahm stetig zu, was Fluchtversuche von Bauern zunehmend begünstigte. Die Freibauern hatten oft Ackerland zur Nutznießung auf 30 oder mehr Jahre gegen einen Jahreszins erhalten und konnten gegenüber den Fronbauern gewisse Vorrechte genießen. Freie Religionsausübung, Selbstverwaltung ihrer Dörfer, uneingeschränkte Disposition ihres Privatbesitzes und eine Scharwerk- und Dezemfreiheit sind als wesentliche Vorrechte zu nennen.

Deutlich wird im gesamten Fronwesen Polens eine klare Struktur, die einen Großteil des landwirtschaftlichen Systems nur dadurch funktionieren läßt, daß ein Großteil der Bauern nahezu keine rechtlichen Ansprüche geltend machen konnten. Diesen Aspekt werde ich im folgenden Kapitel untersuchen.

[...]


[1] Zitiert nach Jörg K. Hoensch, Sozialverfassung und politische Reform - Polen im vorrevolutionären Zeitalter - , Köln 1973, S. 151

[2] Vgl. i. F. Wladyslaw Rusinski, Veränderungen in der Struktur und ökonomischen Lage der polnischen Bauernschaft an der Wende vom 18. Zum 19. Jahrhundert, in: Der Bauer Mittel- und Osteuropas im sozio- ökonomischen Wandel des 18. Und 19. Jahrhunderts, Köln 1973, S. 83 ff.

[3] Vgl. Friedrich Wilhelm Henning, Bauernwirtschaft und Bauerneinkommen in Ostpreußen im 18. Jahrhundert, Würzburg 1969, S. 89 f.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Die soziale und wirtschaftliche Lage der polnischen Bauern im 18. Jahrhundert
Hochschule
Carl von Ossietzky Universität Oldenburg  (Geschichte)
Veranstaltung
Polen im 18. Jahrhundert
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
20
Katalognummer
V68500
ISBN (eBook)
9783638610575
ISBN (Buch)
9783638903295
Dateigröße
446 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Diese Hausarbeit befasst sich mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage der polnischen Bauern und Landbevölkerung im 18. Jahrhundert und stellt Untersuchungen an, ob es sich im gesellschaftlichen System Polens um eine modernere Form von Sklaverei handelte oder die Systematik differenzierter zu sehen ist.
Schlagworte
Bauern, Polen, 18. Jahrhundert, polnischer Adel, Freie Bauern, Leibeigene, Frondienste, Landbevölkerung, frühe Neuzeit, Osteuropa
Arbeit zitieren
Sebastian Schneemelcher (Autor:in), 2003, Die soziale und wirtschaftliche Lage der polnischen Bauern im 18. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/68500

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